Transkript
Cardiology Update
Kardiovaskulär pleiotrope Effekte geben zu reden
Neue Antidiabetika vor oder nach einem kardiovaskulären Ereignis?
Foto: vh
Mit der neuen Antidiabetikaklasse der SGLT2-Hemmer und Vertretern der GLP-1-Rezeptoragonisten lässt sich das Herz von Typ-2-Diabetikern schützen. Ob dies sekundärpräventiv oder auch schon primärpräventiv geschehen soll, darüber wird zurzeit anhand der Studienresultate intensiv diskutiert. Eine Übersicht über den Stand der Diskussion gab Prof. Francesco Cosentino, Kardiologie, Karolinska University Hospital, Stockholm (S), Chairman der Arbeitsgruppe der ESC-Guidelines für Diabetes, am Cardiology Update in Davos.
Prof. Francesco Cosentino Prof. Milton Packer
Die meisten Kardiologen haben sich bis vor Kurzem auf Risikofaktoren konzentriert, die nichts mit Typ-2-Diabetes zu tun haben. Dies, weil Antidiabetika keine kardiovaskulären Veränderungen herbeiführen konnten. Vor dem Hintergrund, dass neuere Antidiabetika die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität durchaus wesentlich beeinflussen können, haben sich neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnet. Die Ergebnisse der jüngsten kardiovaskulären Outcome-Studien führen zu einem Paradigmenwechsel in der Prävention von kardiovaskulären Ereignissen bei Typ-2-Diabetikern. Von den neuen Antidiabetika haben sich mit kardiovaskulär pleiotropen Effekten die Klasse der SGLT2-Hemmer sowie lang wirksame, humane GLP-1-Rezeptoragonisten hervorgetan. DPP-4-Hemmer dagegen senken zwar das HbA1c, haben aber auf kardiovaskuläre Geschehnisse weder positiven noch negativen Einfluss, so Cosentino.
Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse
Bezüglich des kombinierten Endpunkts kardiovaskulärer
Tod, Myokardinfarkt oder Hirnschlag (MACE-3, major car-
diovascular events) hat der SGLT2-Hemmer Empagliflozin zu
einer 14-prozentigen Reduktion (1) geführt, der GLP-1-Re-
KURZ & BÜNDIG
In der Sekundärprävention reduzieren SGLT2-Hemmer schwere kardiovaskuläre Ereignisse.
SGLT-2-Hemmer bremsen die Progression der Nierenerkrankung und reduzieren Hospitalisationen unabhängig von einer etablierten kardiovaskulären Erkrankung oder vorliegenden Herzinsuffizienz.
In der Klasse der GLP-1-Rezeptoragonisten belegten die lang wirksamen Substanzen einen kardiovaskulären Nutzen.
zeptoragonist Liraglutid (2) zu einer Reduktion um 13 Prozent und Semaglutid zu einer solchen um 26 Prozent (3). Die Reduktion unter Empagliflozin zeichnete sich bereits sehr früh, nach 4 bis 6 Wochen, ab, während sich jene unter Liraglutid nach 1 bis 1½ Jahren und jene unter Semaglutid nach 4 Monaten abzuzeichnen begann. Die Senkungen kamen aus unterschiedlichen Gründen zustande: Bei Empagliflozin über die starke Reduktion bei herzinsuffizienzbedingten Ereignissen, was auch für Canagliflozin zutrifft (4), bei Liraglutid hauptsächlich über die Mortalitätsreduktion und bei Semaglutid über die Senkung von nicht tödlichem Myokardinfarkt, nicht tödlichem Hirnschlag und der Revaskularisationsrate, was eine Wirkung von Semaglutid auf den atherosklerotischen Prozess vermuten lässt, so Cosentino. Patienten mit Typ-2-Diabetes haben bekanntermassen eine ausgeprägte Atherosklerose.
Genaue kardioprotektive Wirkung noch spekulativ
Wie kommt die Wirkung von SGLT-2-Hemmern auf die Herzinsuffizienz zustande? Gänzlich geklärt ist dies nicht. Doch könnte die Hemmung der Glukose- und Natriumrückresorption im proximalen Tubulus laut Cosentino ein möglicher Grund sein. Nicht rückresorbierte Glukose und Natrium werden über den Urin ausgeschwemmt, was zu einer Beseitigung des Flüssigkeitsrückstaus führt. In der Folge sinkt die kardiale Vor- und Nachlast, die systolische wie auch diastolische Dysfunktion, was sich als Konsequenz davon in weniger Hospitalisationen infolge Verschlechterung niederschlägt (5), so Cosentino.
Effekt auch ohne kardiovaskuläre Erkrankung?
Anhand dieser neben der Blutzuckersenkung beobachteten pleiotropen kardiovaskulären Effekte stellt sich die Frage, ob auch Patienten mit tieferem kardiovaskulärem Risiko, das heisst ohne manifeste kardiovaskuläre Erkrankung, von SGLT2-Hemmern einen Nutzen haben. Diese Fragestellung beantwortete die kürzlich publizierte DECLARE-Studie, in deren Teilnehmerschaft (n = 17 160) sich Typ-2-Diabetiker sowohl mit etablierter kardiovaskulärer Erkrankung als auch ohne, das heisst mit multiplen kardiovaskulären Risiko-
CongressSelection Kardiologie | Mai 2019
31
Cardiology Update
kant reduziert hat. Interessant ist bei dieser Studie die Tatsache, dass nur 31 Prozent der Teilnehmer eine etablierte kardiovaskuläre Erkrankung haben. Detaillierte Ergebnisse dazu sollten zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Jahr vorliegen, berichtete Cosentino. Das Feld ist dynamisch und bleibt spannend.
Wie lauten die Empfehlungen?
Empfehlungen zur Therapie von Patienten mit
Typ-2-Diabetes haben 2018 die European Asso-
Abbildung: Kardiorenaler Nutzen von SGLT2-Hemmern bei unterschiedlichen
Patientenpopulationen
(Quelle: mod. nach [8])
ciation for the Study of Diabetes (EASD) und die American Diabetes Association (ADA) in einem Konsensuspapier zusammengefasst. Demzufolge
sollen zusätzlich zu Metformin SGLT2-Hemmer
Herzinsuffizienz direkt durch Diabetes
oder GLP-1-Rezeptoragonisten mit nachgewiesenem kardiovaskulärem Nutzen bei Patienten
Herzinsuffizienz ist eine der häufigsten Begleiterkrankungen bei Patienten mit Diabe- mit gleichzeitig bestehenden kardiovaskulären
tes. Sie könne aber auch direkt durch Diabetes verursacht werden, ohne Umweg über Erkrankungen eingesetzt werden (9). Dies sehen
eine KHK, erklärt Prof. Milton Packer, Imperial College, London.
auch die Empfehlungen der Schweizerischen
Infolge Insulinresistenz oder Hyperglykämie kommt es zur Entzündung des epikardia- Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetes
len Fettgewebes mit sekundärer Gefässrarefizierung und kardialer Fibrosierung. Herz- vor (10).
insuffizienz ist gemäss Packer die wichtigste und am frühesten vorbeug- und behandelbare kardiovaskuläre Komplikation desTyp-2-Diabetes. BlutzuckersenkendeTherapeutika können die Entstehung und Progression der Herzinsuffizienz Jahre vor Auftreten von mikrovaskulären Anzeichen beeinflussen (11).
Alle neuen Erkenntnisse werden mit der Zeit Eingang in künftige Guidelines finden, die sicher auch die Frage beantworten müssen, wie zeitgemäss der Einsatz von Metformin als First-LineTherapie bei Typ-2-Diabetikern noch ist und ob
nicht Antidiabetika mit nachgewiesenem kardio-
faktoren (n = 10 186), befanden. Die Patienten erhielten
vaskulärem Nutzen an dessen Stelle treten soll-
während etwa 4 Jahren 10 mg Dapagliflozin oder Plazebo.
ten, so Cosentino abschliessend.
L
Der primäre Sicherheitsendpunkt war als MACE-3 definiert,
der primäre Wirksamkeitsendpunkt aus der Kombination Valérie Herzog
kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisation infolge Verschlechterung der Herzinsuffizienz. Dapagliflozin zeigte bei MACE-3 keinen signifikanten Unterschied zu Plazebo, doch
Quelle: «Is plasma LDL-cholesterol necessary?», Cardiology Update, 16.–20. Februar 2019 in Davos.
war eine signifikante Reduktion im zweiten Endpunkt kardiovaskulärer Tod oder herzinsuffizienzbedingte Hospitalisation um 13 Prozent zu beobachten (6).
Sekundärpräventiv gegen MACE, primärpräventiv gegen Herzinsuffizienz
Eine Erklärung für diese Resultate bietet ein kürzlich publizierter systematischer Review respektive Metaanalyse, die Daten von 34 322 Patienten aus drei grossen Studien (EMPA-REG OUTCOME, CANVAS, DECLARE) analysierte. Gemäss dieser Analyse zeigen SGLT2-Hemmer nur bei Patienten mit etablierter kardiovaskulärer Erkrankung einen Nutzen bei MACE. Herzinsuffizienzbedingte Hospitalisationen wie auch die Progression der chronischen Nierenerkrankung bremsen SGLT2-Hemmer auch ohne Vorliegen einer kardiovaskulären Vorerkrankung oder Herzinsuffizienz (7). Das wirft die Frage auf, ob die heute bei Typ-2-Diabetikern mit kardiovaskulärer Erkrankung indizierten SGLT2-Hemmer vielleicht in Zukunft auch bei Typ-2-Diabetikern mit multiplen Risikofaktoren, aber ohne kardiovaskuläre Erkrankung eingesetzt werden sollten.
Referenzen: 1. Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and
mortality in type 2 diabetes. N Engl Med 2015; 373: 2117–2128. 2. Marso SP et al.: Liraglutide and Cardiovascular Outcomes in
Type 2 Diabetes. N Engl Med 2016; 375: 311 3. Marso SP et al.: Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in
Patients with Type 2 Diabetes. N Engl Med 2016; 375: 1834–1844. 4. Neal B et al.: Canagliflozin and Cardiovascular and Renal Events
in Type 2 Diabetes. N Engl Med 2017; 377: 644–657. 5. Sattar N et al.: Novel Diabetes Drugs and the Cardiovascular
Specialist. J Am Coll Cardiol 2017; 69: 2646–2656. 6. Wiviott DS et al.: Dapagliflozin and Cardiovascular Outcomes in
Type 2 Diabetes. N Engl Med 2018; 380: 347–357. 7. Zelniker TA et al.: SGLT2 inhibitors for primary and secondary
prevention of cardiovascular and renal outcomes in type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis of cardiovascular outcome trials. Lancet 2019; 292: 31–39. 8. Verma S et al.: Pump, pipes, and filter: do SGLT2 inhibitors cover it all? Lancet 2019; 393: 3–5. 9. Davies MJ et al.: Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes, 2018. A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetologia 2018; 61: 2461–2498. 10. www.sgedssed.ch 11. Packer M et al.: Heart Failure: The Most Important, Preventable, and Treatable Cardiovascular Complication of Type 2 Diabetes. Diabetes Care 2018; 41: 11–13.
Ohne Nennung von Zahlen kam von der Herstellerfirma des
GLP-1-Rezeptoragonisten Dulaglutid zur REWIND-Studie
vergangenen November die Meldung, dass Dulaglutid die
Rate von MACE-3 bei Patienten mit Typ-2-Diabetes signifi-
32 CongressSelection Kardiologie | Mai 2019