Transkript
Ischämische Herzkrankheit
Mentale Störungen sind häufig und machen alles schlimmer
Cardiology Update
Multimorbidität ist häufig und erschwert sowohl die Diagnose wie auch die Therapie. Bei Herzpatienten beispielsweise sind mentale Erkrankungen wie Depression häufig. Diese Patienten auf Depression zu screenen und die Therapie darauf auszurichten sei daher sinnvoll, mit dem Ziel, ihren Zustand zu verbessern, so ein Plädoyer von Prof. Edouard Battegay, Leiter Klinik und Poliklinik Allgemeine Innere Medizin, Universitätsspital Zürich, am Cardiology Update in Davos.
Foto: vh
Bei chronisch kranken, multimorbiden, vor
allem älteren Patienten treten gewisse Erkran-
kungen häufiger in Clustern auf als andere. Bei
kardiovaskulären Erkrankungen sind dies bei-
spielsweise Schmerzen, Demenz und Depres-
sion (1, 2), wie Battegay erklärte. Das Vorhan-
densein mehrerer Erkrankungen führt einerseits
zu Polypharmazie, möglichen Interaktionen
zwischen den verordneten Arzneimitteln und
Prof. Edouard Battegay
zu Einnahmefehlern. Es führt andererseits aber auch zu Interaktionen der einzelnen Erkran-
kungen.
Battegay regt zu folgenden Überlegungen an: Ein Herzpatient
mit dem typischen Cluster Herzinsuffizienz, Hypertonie und
Niereninsuffizienz hat oft ein weiteres typisches Cluster mit
Insomnie, Angst und Depression. Wird die Insomnie durch
die Herzinsuffizienz ausgelöst, die Angst durch die Schlafap-
noe? Oder ist es umgekehrt? Ischämische Herzerkrankungen
können Depressionen hervorrufen und lösen per se Ängste
aus. Diese Ängste werden zusätzlich geschürt durch die An-
weisung, bei Thoraxschmerz sofort den Notfall aufzusuchen,
weil es sich um einen Herzinfarkt handeln könnte. Thorax-
schmerz wird jedoch sehr häufig durch Angst- und Panikstö-
rungen ausgelöst. Solche Patienten werden dann kardial be-
handelt, und ihre Angsterkrankung bleibt unentdeckt.
Bei Herzpatienten mit Depression ist beispielsweise der lang-
fristige Verlauf von kardiologischen Interventionen schlech-
ter als bei solchen ohne mentale Erkrankung, so Battegay.
Hier müssen Prioritäten gesetzt und allenfalls – so möglich –
mit dem Patienten ausgehandelt werden. Eine Behandlung
mit Escitalopram verbessert gemäss einer kürzlich publizier-
ten Studie beispielsweise den langfristigen Verlauf der Herz-
erkrankung bei Patienten mit Depression nach akutem Koro-
narsyndrom (3).
Referenzen auf www.rosenfluh.ch/ congressselection abrufbar.
Bauchgefühl und Screening
Nach welchen Kriterien sollen Patienten mit psychischen Erkrankungen identifiziert werden? «Der erste Eindruck ist meist richtig. Ignorieren Sie dieses Bauchgefühl nicht, und versuchen Sie, sich in die Situation des Patienten zu versetzen und sich zu fragen, was seine Situation für Ihr Leben bedeu-
ten würde. Erfragen Sie alles. Sorgen, Ängste, auch Platz-
angst, Schlafstörungen, Alkohol- oder Drogenkonsum, per-
sönliche Katastrophen, depressive Stimmungen. Fragen Sie
auch die Angehörigen – ihr Sensorium für depressive Ver-
stimmungen des Patienten ist in der Regel sehr gut.» Uner-
klärte Schmerzen oder Symptome können ein Zeichen von
Anspannung sein, und «schwierige» oder unzufriedene Pa-
tienten haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, an einer men-
talen Erkrankung zu leiden.
Andere Fachdisziplinen wie beispielsweise die Europäische
Aids-Gesellschaft nehmen die Depression als häufige Komor-
bidität mit erschwerendem Potenzial ernst. Sie hat in ihren
Guidelines festgehalten, dass 20 bis 40 Prozent der HIV-Infi-
zierten (vs. 7% ohne HIV) unter Depression leiden, die Be-
handlungserfolge mit dieser Erkrankung deutlich schlechter
ausfallen und daher alle HIV-positiven Personen auf Depres-
sion zu screenen sind (3).
Die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten mit stabiler KHK zu-
sätzlich an mentalen Erkrankungen wie beispielsweise einer
Depression leiden, ist ebenso hoch. Sie liegt gemäss einer
amerikanischen Untersuchung bei 31 Prozent (4), jene für
eine posttraumatische Belastungsstörung bei 29 Prozent. Als
Auslöser für Letzteres kann man sich einen operativen Ein-
griff wie zum Beispiel eine Bypassoperation vorstellen, so
Battegay. Generalisierte Angststörungen treffen jeden Vier-
ten (24%), nicht selten sind mehrere Störungen gleichzeitig
vorhanden (4).
Die Vortestwahrscheinlichkeit für eine Depression bei Herz-
patienten liegt demnach bei 30 Prozent. Das sei Grund genug,
den Patienten die 9 Screeningfragen des PHQ-9-Tests ausfül-
len zu lassen und mit der gewonnenen Erkenntnis in der Lage
zu sein, seine Genesungsschancen oder seinen Zustand ver-
bessern zu können, so Battegay abschliessend.
L
Valérie Herzog
Quelle: «Ischaemic heart disease and common mental disorders», Cardiology Update, 16. bis 20. Februar 2019 in Davos.
CongressSelection Kardiologie | Mai 2019
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