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UEG-Week
Reizdarmsyndrom – Tipps und Tricks
Stellen Sie eine positive Diagnose!
Fotos: vh
Reizdarmpatienten sind schwierige Patienten, denn die Erkrankung lässt sich nicht einfach fassen, geschweige denn einfach behandeln. Wie dies aber trotz allem besser gehen könnte, verrieten Experten an der UEG-Week in Wien. Ein Fünf-Schritte-Plan verhilft zur Diagnose.
Die klinische Diagnose des Reizdarmsyndroms
(IBS; irritable bowel syndrome) kann eine Her-
ausforderung sein. Denn die Symptome können
Prof. Brian Lacy
im Zeitverlauf fluktuieren, sie sprechen auch nicht immer auf die ausgewählte Therapie an
und lassen sich nicht mit einem Biomarker
messen. Zudem können andere Störungen ein
IBS vortäuschen (Kasten).
Im Patientengespräch seien Zuhören sowie eine
positive Diagnose wichtig, so Prof. Brian Lacy,
Mayo Clinic, Jacksonville (USA). Das sei nicht
so schwierig, denn gut ein Drittel der Patienten
glaubt aufgrund ihrer Symptome, an Krebs er-
krankt zu sein. Eine klare, positive Ausdrucks-
Dr. Adam Farmer
weise ohne Konjunktive und Wahrscheinlichkei-
ten erhöhe die Zufriedenheit des Patienten, ver-
bessere die Therapiequalität und vermeide
Missverständnisse.
Der Weg zu einer positiven Diagnose führt über
fünf Schritte (1). Der erste Schritt ist das Zu-
hören. «Lassen Sie den Patienten seine Ge-
schichte erzählen, ohne ihn zu unterbrechen.
Gehen Sie mit ihm Allergien, Operationen, seine
Ernährung und seinen psychischen Zustand
durch. Fragen Sie nach Alarmsymptomen», er-
Prof. Fernando Azpiroz
klärte Lacy.
Der zweite Schritt ist die klinische Untersuchung.
Das wirkt auf den Patienten sehr vertrauensbildend und
deckt möglicherweise organische Störungen oder neu ent-
standene Erkrankungen auf. Mit dem Carnett-Zeichen, das
heisst, dem Verschwinden des Bauchschmerzes durch will-
kürliches Anspannen der Bauchdecke, entdeckt man eine in-
traperitoneale Genese des Schmerzes, meist durch Nervein-
klemmung beim Durchtritt durch die Bauchwand. Die digi-
tale Rektaluntersuchung, speziell bei obstipierten Patienten,
zeigt abnormale Veränderungen im Rektum wie auch eine
KURZ & BÜNDIG
Bei Reizdarmpatienten positive Diagnose mit wenig Labor stellen.
Die Modulation der Schmerzempfindung kann hilfreich sein. Bei Blähungen Obstipation beseitigen, Verdauungsinhalt
korrigieren und Dehnungsempfindung beseitigen.
Beckenbodendysfunktion auf, die vor allem bei Frauen gleichzeitig bestehen kann. Ein Ballon-Expulsionstest liefert dafür zusätzlich den positiven Hinweis. Der dritte Schritt besteht in der Anwendung der ROM-IVKriterien. Gemäss diesen handelt es sich um ein IBS, wenn wiederholte Abdominalschmerzen an mindestens 1 Tag in der Woche während der letzten 3 Monate, verbunden mit Verstopfung oder Durchfall, im Halbjahr vor der Diagnose aufgetreten sind (2). Viertens sollen im Bedarfsfall nur wenige Labortests (z.B. Blutbild, C-reaktives Protein, fäkales Calprotectin, Zöliakieserologie) durchgeführt werden, um nichts Ernstes zu verpassen. «Veranlassen Sie diese idealerweise im Rahmen der ersten Konsultation, und denken Sie daran, dass viele Labortests Unsicherheit vermitteln», so der Experte. Als fünfter Schritt helfen eine Kolonoskopie oder andere Untersuchungen weiter, sofern klinisch angezeigt. Mit dieser Strategie der positiven Diagnose nach Anwendung der ROM-IV-Kriterien und nur wenigen Labortests (Blutbild, CRP) ist die Lebensqualität gleich hoch wie mit der Strategie des Ausschlussverfahrens mit vielen Tests, doch die generierten Kosten sind viel tiefer, wie eine ein Jahr dauernde dänische Studie aufzeigen konnte (3). Zeigen sich bei der Abklärung eine Vielzahl von verschiedenen Symptomen, wie Globusgefühl, Dyspepsie, Blähungen, Thoraxschmerzen, Migräne, Fibromyalgie, Rückenschmerzen et cetera, so widerspiegelt dies nach Meinung des Experten die Überlappung einer viszeralen und einer somatischen Hypersensitivität. Auch die Ernährung spielt eine grosse Rolle. Laktose, zu viel oder zu wenig Nahrungsfasern, Fruktose, Alkohol sowie Kaffee können Auswirkungen auf die Verdauung haben. Hier lohnt es sich, genau nachzufragen. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist die Psyche mit Angst, Depression, Somatisierung und Katastrophisieren. Spielt sie bei der Symptomatik mit, ist ein Spasmolytikum erst einmal hilfreich, so der Tipp von Lacy. Als weitere empirische Therapie empfiehlt der Referent je nach vorherrschender Problematik die Gabe von Lubiproston (Amitiza®), Linaclotid (Constella®, Axulta®) sowie Eluxadolin (Truberzi®).
Neuromodulation bei viszeralen Schmerzen
Im Gegensatz zu somatischen Schmerzen seien viszerale Schmerzen nicht gut untersucht, obgleich sie relativ häufig seien, berichtet Dr. Adam Farmer, Wingate Institute of Neurogastroenterology, Barts and the London School of Medicine, London (GB). Bei chronischen viszeralen Schmerzen
14 CongressSelection Gastroenterologie | Januar 2019
UEG-Week
Kasten:
Was ein IBS vortäuschen kann
und Veränderungen der gastrointestinalen Motilität ist auch die
L Laktoseintoleranz L Fruktoseintoleranz L Dünndarmfehlbesiedlung (small intestine
bacteria overgrowth; SIBO) L Zöliakie L Glutenempfindlichkeit
(nicht zöliakiebedingt) L entzündliche Darmerkrankung L mikroskopische Kolitis L funktionelle Diarrhö L funktionelle Obstipation
Rede einer viszeralen Hypersensitivität. Bei IBS-Patienten zeige sich das beispielweise an einer tieferen Schmerzschwelle bei der rektalen Ballondehnung im Vergleich zu Patienten ohne IBS. Aufklärung über die Schmerzwahrnehmung mit ergänzen-
der psychologischer
oder psychiatrischer Therapie kann hier hilfreich sein, so Far-
mer. Denn Patienten mit nicht geklärten chronischen Sym-
ptomen generieren viele Untersuchungen bei verschiedenen
Ärzten, und dies mit wenig Erfolg.
Angaben über die Lokalisation und Chronologie des Schmer-
zes, die auf eine Operation, Infektion oder ein traumatisches
Erlebnis zurückgehen können, können zusätzlich hilfreich
sein. Die pharmakologische Intervention zielt auf eine Neu-
romodulation ab. Dazu können tief dosierte trizyklische An-
tidepressiva, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
(SSRI) (z.B. Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxa-
min, Paroxetin, Sertralin), selektive Serotonin/Noradrenalin-
Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) (Duloxetin und Venlafa-
xin) oder noradrenerge und spezifisch serotonerge Antide-
pressiva (NaSSA) (z.B. Mirtazapin) eine Option sein, so der
Vorschlag von Farmer. In einem Cochrane Review zeigten
SSRI wie auch TZA einen Nutzen hinsichtlich der Symptom-
reduktion bei IBS (4), was die Lebensqualität erhöhen kann.
Auch Pregabalin und Gabapentin können bei einem
Schmerzsyndrom hilfreich sein. Beide zeigten eine positive
Veränderung der Schmerzempfindung und der Schmerz-
schwelle bei rektaler Dehnung (5, 6). Eine kognitive Verhal-
tenstherapie kann für die Modulation der Schmerzempfin-
dung zusätzlich unterstützend wirken. Linaclotid reduziert
ebenfalls den Abdominalschmerz durch Agonisierung des
Guanylat-Cyclase-C-Rezeptors und führt zu einer vermin-
derten Kolontransitzeit (7).
Von einem Einsatz von Opioiden als Schmerzmittel in dieser
Indikation rät der Experte dagegen eindringlich ab. Sie füh-
ren als Nebenwirkung ihrerseits zu Obstipation, Nausea und
Blähungen und bei längerem Gebrauch auch zur einer Hyper-
algesie.
Was tun bei Blähungen?
Eine Mischung aus intestinaler Hypersensitivität und gestörter Verdauung führe zu einer schlechten Toleranz des Darminhalts und unter anderem zu Blähungsempfinden, erklärt Prof. Fernando Azpiroz, Department of Digestive Diseases, University Hospital Vall d’Hebron, Barcelona (E). Wenn die Blähungen im Zusammenhang mit einer Obstipation stehen, sollten diese mit der Beseitigung der Obstipation verschwinden und das Problem damit gelöst sein, so Azpiroz. Beispielsweise kann mit der Ernährung auf die Obstipation Einfluss genommen werden. Während eine faserreiche Kost
eine Kolonfüllung von etwa 800 ml nach sich zieht, beträgt
diese bei faserarmer Kost nur etwa 600 ml. Etwa 700 ml sind
normal. Eigene Untersuchungen zeigten, so Azpiroz, dass
eine faserreiche Ernährung während 10 Tagen bei Patienten
mit Blähungen zu einer merklichen Abnahme derselben ge-
führt haben. Eine Ernährungsanpassung helfe denmach. Eine
weitere Untersuchung testete den Effekt einer FODMAP-
armen Diät versus Präbiotikumsupplement. Präbiotika sind
spezifische unverdauliche Ballaststoffe, die hauptsächlich aus
pflanzlichen Lebensmitteln wie Getreide, Chicorée, Spargel,
Zwiebel et cetera stammen und den Darmbakterien als fer-
mentierbares Substrat zur Verfügung stehen. Dies fördert das
Wachstum von Bifidobakterien im Darm.
Beide Massnahmen, die FODMAP-arme Diät und das Prä-
biotikumsupplement, zeigten im Vergleich mit der Ausgangs-
situation einen ähnlich guten Effekt auf das Ausmass der
Blähungen und Schmerzen, gemessen als Anzahl Winde pro
Tag. Interessant sei die Beobachtung gewesen, dass mit einem
Stopp der FODMAP-armen Diät nach Studienende die
Symptome wieder zunahmen, während der unter dem Prä-
biotikumzusatz erzielte Effekt für weitere zwei Wochen be-
stehen blieb. Weiter zeigte sich, dass in der Präbiotikum-
gruppe die Bifidobakterienkolonie angewachsen war, in der
FODMAP-Gruppe war sie geschrumpft. Auch Probiotika be-
wirkten in einer weiteren Untersuchung eine markante Re-
duktion der Anzahl Winde pro Tag.
Eine weitere Massnahme besteht in der Verbesserung der To-
leranz des Darminhalts durch Bewegung, Prokinetika oder
Spasmolytika, Massnahmen, die alle nach Erfahrung des Ex-
perten gleich gut wirken. Wenn die durch das angesammelte
Gas gedehnte Bauchdecke zu Missempfinden führt, kann
dies mit Biofeedfack gut und lang anhaltend korrigiert wer-
den, wie Azpiroz aus eigenen Untersuchungen darlegt.
Blähungen können demnach durch Beseitigung der Obstipa-
tion, durch Veränderung des Darminhalts mittels faserrei-
cher Kost, Prä- und Probiotika erfolgreich reduziert werden,
und das Missempfinden durch den aufgedunsenen Bauch
kann mit Biofeedback korrigiert werden, so Azpiroz ab-
schliessend.
L
Valérie Herzog
Quelle: «Tips and tricks for the IBS patient», United European Gastroenterology
Week (UEGW) 2018, 21. bis 24. Oktober in Wien.
Referenzen: 1. Ford AC et al.: Irritable bowel syndrome. N Engl J Med 2017; 376:
2566–2578. 2. Mearin F et al.: Bowel disorders. Gastroenterology 2016; 150:
1393–1407. DOI: 10.1053/j.gastro.2016.02.031. 3. Begtrup LM et al.: A positive diagnostic strategy is noninferior to
a strategy of exclusion for patients with irritable bowel syndrome. Clin Gastroenterol Hepatol 2013; 11: 956–962. 4. Ruepert L et al.: Bulking agents, antispasmodics and antidepressants for the treatment of irritable bowel syndrome. Cochrane Database Syst Rev 2011; 8: CD003460. 5. Houghton LA et al.: Effect of a second-generation alpha2delta ligand (pregabalin) on visceral sensation in hypersensitive patients with irritable bowel syndrome. Gut 2007; 56: 1218–1225. 6. Lee KJ et al.: Gabapentin reduces rectal mechanosensitivity and increases rectal compliance in patients with diarrhoea-predominant irritable bowel syndrome. Aliment Pharmacol Ther 2005; 22: 981–988. 7. Chey WD et al.: Linaclotide for irritable bowel syndrome with constipation: a 26-week, randomized, double-blind, placebocontrolled trial to evaluate efficacy and safety.
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