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Entzündlicher Rückenschmerz
ASAS-Empfehlungen als nützliches Konzept zur Abklärung der Schmerzursache
Entzündlicher Rückenschmerz ist ein Konzept, das Rheumatologen kreiert haben, um damit diejenigen Rückenschmerzpatienten herausfiltern zu können, bei denen sich Investitionen in die Diagnostik und Therapie lohnen. Darüber sprach PD Dr. Thomas Daikeler aus Basel.
Noch sind sich die Experten nicht ganz einig über die Definition des entzündlichen Rückenschmerzes (IBP = Inflammatory Back Pain). Zwar publizierte Calin schon 1977 Kriterien für IBP, und andere Arbeitsgruppen folgten mit ihren eigenen Kriteriensets, aber bisher gibt es keine allgemein anerkannte, einheitliche Kriterienliste. Zu den vorgeschlagenen Hauptkriterien gehören: • Beginn meist im Alter unter 40 oder 45 Jahren • Rückenschmerz seit mehr als 3 Monaten vorhanden • Morgensteifigkeit über 30 Minuten • Schmerz in Ruhe und Besserung durch Bewegung • nächtlicher Schmerz mit schmerzbedingtem Erwachen in
der zweiten Nachthälfte.
Klinischer Verlauf bei entzündlichem Rückenschmerz
IBP ist häufig eine Frühmanifestation einer Spondylarthritis (SPA). Etwa 5 bis 20 Prozent aller Patienten mit Rücken-
Axiale Spondylarthritis frühzeitig diagnostizieren:
ASAS-Empfehlungen für die Überweisung zum Rheumatologen
Alle Patienten mit chronischem Rückenschmerz (Dauer ≥ 3 Monate, Beginn vor dem 45. Geburtstag) und mindestens einem der folgenden Kriterien: • entzündlicher Rückenschmerz (IBP) • HLA-B27-positiv • Bildgebung mit Sakroiliitis (Röntgenbild/CT zum Nachweis
knöcherner Veränderungen, MRI zur Beurteilung der Krankheitsaktivität) • periphere Manifestationen (Arthritis, Enthesitis, Daktylitis) • extraartikuläre Manifestationen (Psoriasis, IBD = chronisch entzündliche Darmkrankheit, Uveitis) • positive Familienanamnese für Spondylarthritis • gutes Ansprechen auf NSAR • erhöhte Akute-Phase-Reaktionsprodukte
(ASAS = Assessment of SpondyloArthritis international Society. Nach [2])
schmerzen haben IBP. Die geschätzte Prävalenz von IBP ist mit 3 bis 6 Prozent relativ hoch. Aber die Prävalenz der Spondylarthritis ist mit 0,5 bis 1 Prozent wesentlich geringer. Eine kürzlich publizierte Studie hat für diese Diskrepanz eine plausible Erklärung gefunden, denn häufig verschwindet IBP im Lauf der Jahre wieder (1).
Mehr Infos zum Rochester Epidemiology Project: http://rochesterproject.org
Im Rahmen des Rochester Epidemiology Project wurde retrospektiv untersucht, wie die klinische Entwicklung bei Patienten mit neu aufgetretenem IBP verläuft. Bei etwa 20 Prozent der 124 Patienten wurde initial eine Spondylarthritis als Ursache des IBP diagnostiziert. Bei den übrigen Patienten wurden andere Diagnosen gestellt. Nach 10 Jahren lautete die Diagnose bei 30 Prozent der IBP-Patienten Spondylarthritis. Bei 43 Prozent waren die IBP-Symptome wieder verschwunden, und bei den restlichen Patienten waren andere Ursachen (nicht Spondylarthritis) für den entzündlichen Rückenschmerz verantwortlich (1).
Verschiedene Formen von Spondylarthritis
Für die Diagnose einer Spondylarthritis sind die IBP-Kriterien zwar hilfreich, aber keineswegs ausreichend. Die Diagnose beruht auf persönlicher und Familienanamnese, klinischem Befund, bildgebenden und Laboruntersuchungen. Das Risiko, eine Spondylarthritis zu entwickeln, ist bei erstgradig Verwandten eines betroffenen Patienten zehnfach erhöht. Das Spektrum der Spondylarthritis mit Entzündung an der Wirbelsäule und in der Peripherie umfasst: • ankylosierende Spondylitis/Spondylarthritis • Psoriasis-Arthritis • Arthritis bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen • reaktive Arthritis • undifferenzierte Spondylarthritis.
18 CongressSelection Rheumatologie | November 2018
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KURZ & BÜNDIG
Patienten mit entzündlichem Rückenschmerz (IBP) sollten dem Rheumatologen frühzeitig zur Abklärung und Diagnosestellung (Spondylarthritis oder andere Diagnose?) überwiesen werden.
Die Behandlungsmöglichkeiten bei Spondylarthritis sind gut und werden laufend verbessert.
Empfohlen wird eine kombinierte Behandlung: regelmässiges körperliches Training, Physiotherapie, Rauchstopp, erstes und bei Versagen zweites NSAR, bei weiterhin axialer Krankheitsaktivität Biologikatherapie (TNF-α-Blocker, IL-17-Blocker Secukinumab), bei weiterhin überwiegend peripheren Symptomen konventionelle DMARD (z.B. Sulfasalazin, Methotrexat).
Über 100 Gene beteiligt
Die verschiedenen Formen der Spondylarthritis gehören zu
den HLA-B27-assoziierten Erkrankungen mit genetischem
Hintergrund. Die insgesamt über 100 Gene, die mit Spondyl-
arthritis assoziiert sind, haben hauptsächlich mit der Anti-
genprozessierung und -präsentation zu tun. Vermutlich ent-
steht die Krankheit durch Antigene, die über genetisch be-
dingte Läsionen der Darmschleimhaut eindringen können,
dem Immunsystem präsentiert werden und aufgrund einer
genetischen Prädisposition Reaktionen auslösen, die den
Entzündungsprozess in Gang setzen. Möglicherweise spielen
auch Veränderungen des Darmmikrobioms eine pathogene-
tische Rolle.
L
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Wang R et al.: Clinical evolution in patients with new-onset in-
flammatory back pain: A population-based cohort study. Arthritis Rheumatol 2018; 70: 1049–1055. 2. Poddubnyy D et al.: Development of an ASAS-endorsed recommendation for the early referral of patients with a suspicion of axial spondyloarthritis. Ann Rheum Dis 2015; 74: 1483–1487.
Quelle: Vortrag «Entzündlicher Rückenschmerz» an der Fortbildung «Rheuma Top 2018», 23. August 2018 in Pfäffikon SZ.
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