Transkript
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Management von Kristallarthropathien
Gichttherapie kurz- und langfristig
Foto: vh
Ein akuter Gichtschub kann antiinflammatorisch behandelt werden. Bei chronisch rezidivierenden Attacken und persistierender Hyperurikämie müssen dagegen die erhöhten Harnsäurespiegel gesenkt werden, um neue Entzündungsattacken und sekundäre Gelenkschäden zu verhindern. Welche Optionen heute zur Verfügung stehen, erklärte Prof. Michael Seitz, Universitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie und Allergologie, Inselspital Bern, am SGAIM-Kongress in Basel.
Kristallinduzierte Arthritiden, insbesondere
Gicht, treten meist in der vierten und fünften
Lebensdekade auf, häufig im Rahmen eines
metabolischen Syndroms. Die «Zwillings-
erkrankung» Kalziumpyrophosphat-Ablage-
rung (CPPD, auch Pseudogicht oder Chondro-
kalzinose genannt) betrifft eher Patienten ab
60 Jahre. Die häufigste Arthritis im späten
Erwachsenenalter wird in der überwiegenden
Prof. Michael Seitz
Mehrzahl der Fälle durch eine Pseudogicht ausgelöst.
Erfahrungsgemäss kommen initiale Gichtattacken oft in der
Nacht vor. Dies, weil die Auskristallisation in der Phase der
Gewebeazidose und Knorpeldehydratation in der nächtli-
chen Ruhephase der Gelenke leichter vonstattengeht, so eine
mögliche Erklärung. Meist präsentiert sich die Attacke als
Monoarthritis in den unteren Extremitäten und kann unthe-
rapiert wenige Tage bis zu zwei Wochen dauern. Die Inter-
valle zwischen den Attacken sind nicht immer gleich, sie kön-
nen variieren. Auslöser für solche Attacken sind Exsikkose
(z.B. zu wenig Flüssigkeitszufuhr, Diuretika), Alkohol, «Völle-
rei», Kälte, Infektionen, chirurgische Eingriffe oder Traumata.
Ab einem Harnsäurewert von 460 µmol/l nimmt die Häufig-
keit der Gichtattacken fast linear zu (1).
Um eine Infektarthritis auszuschliessen, muss das Gelenk
punktiert werden. Die Synoviaanalyse und die rasch anzufer-
tigende Gramfärbung liefern innerhalb einer halben Stunde
KURZ & BÜNDIG
Gicht ist eine der häufigsten Auslöser einer Arthritis im späten Erwachsenenalter.
Ein akuter Gichtschub kann antiinflammatorisch mit Steroiden oder nicht steroidalen Antiphlogistika behandelt werden.
Bei chronisch rezidivierender Gicht muss der Harnsäurespiegel gesenkt werden, um sekundären Gelenkschäden vorzubeugen.
das Resultat. Ebenfalls erfolgt eine bakteriologische Kultur, deren Ergebnis aber frühestens nach einem Tag zur Verfügung steht. Ein bakterieller Infekt zeichnet sich auch durch einen Granulozytenanteil von > 98 Prozent aus. Bei einer Gicht ist dieser Anteil tiefer (> 85), und es sind doppelbrechende haarnadelförmige Uratkristalle in den Leukozyten sichtbar.
Therapie des akuten Gichtanfalls
Mit der Gelenkpunktion könne man gleichzeitig intraartikuläre Steroide verabreichen, sofern kein Infekt vorliege und der Patient kein Fieber habe, erläutert Prof. Seitz. Dies kann aber auch nacheinander geschehen. Der Effekt ist rasch und nachhaltig und hält Tage bis Wochen an. Nicht steroidale Antiphlogistika (NSA) in geeigneter Dosierung und entsprechenden Intervallen können eine Option sein, sind aber bei polymorbiden Patienten mit Vorsicht einzusetzen. Sind durch den Schub mehrere Gelenke gleichzeitig betroffen, können systemische Steroide zur Anwendung kommen, damit nicht jedes Gelenk einzeln injiziert werden muss. Sind NSA und Steroide kontraindiziert, kann mit dem IL-1-Rezeptor-Antagonist Anakinra oder mit dem Anti-IL-1-Antikörper Canakinumab behandelt werden. Die Ansprechrate liegt quasi bei 100 Prozent, und der Gichtanfall ist meistens innerhalb von 24 bis 48 Stunden vorbei. Die meisten Patienten müssen die Biologikatherapie zum Beispiel mit Anakinra aber selbst bezahlen, da sie oft von den Krankenkassen wegen der «Off label»Indikation nicht übernommen wird.
Therapie bei chronisch rezidivierender Gicht
Die antiinflammatorische Therapie reicht bei der chronisch wiederkehrenden Gichterkrankung nicht mehr aus. Bei einer persistierenden Hyperurikämie resultieren gehäufte Gichtattacken. Der Harnsäurespiegel muss zusätzlich gesenkt werden, um auf lange Sicht Sekundärschäden an Gelenken, Niere und Weichteilen zu verhindern. Das ist mit dem Urikostatikum Allopurinol 100 bis 300 mg/Tag, alternativ bei Allopurinolunverträglichkeit mit Febuxostat 40 bis 80 mg/Tag erreichbar. Gegenüber Allopurinol hat Febuxostat gemäss Seitz weniger renale Nebenwirkungen, jedoch kann es zu Leberfunktionsstörungen und leicht erhöhter kardiovaskulärer
4 CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | August 2018
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Tabelle:
Gichttherapeutika
Substanzklasse Präparat
Dosierung
Urikostatikum
Allopurinol (Zyloric®, Generika) 100–300 mg/Tag
Urikostatikum
Febuxostat (Adenuric®)
40–80 mg/Tag
Urikosurikum
Lesinurad (Zurampic®)
200 mg/Tag in Kombination mit Allopurinol
Urikolytikum
Rasburicase (Fasturtec®)
0,2 mg/kg i.v., 5–7 Tage, «off label»
Anti-IL-1β-Inhibitor Canakinumab (Ilaris®)
nur in ausgewählten Fällen, da sehr teuer
IL-1-RezeptorAntagonist
Anakinra (Kineret®)
«off label», 100 mg s.c. an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Schub «on demand»
(Quelle: mod. nach Prof. M. Seitz)
Mortalität führen (2). Sowohl mit Febuxostat als auch mit Allopurinol darf erst nach vollständigem Abklingen der Gichtattacke begonnen werden, da es sonst zu einem Wiederaufflammen des Gichtanfalls kommen könnte. Zusätzlich kann bei einer chronisch rezidivierenden Erkrankung zur weiteren Schubprophylaxe Colchizin 1 mg/Tag hinzugegeben werden. Bei Niereninsuffizienten ist das in der Regel unproblematisch, solange die Kreatininclearance nicht unter 30 ml/min sinkt. Zur Kombination mit Allopurinol eignet sich auch das neue Urikosurikum Lesinurad, das als selektiver URAT-1-Inhibitor den Harnsäurespiegel durch die Hemmung der Rückresorption in der Niere weiter senkt und damit die Harnsäureausscheidung fördert. Die Dosierung beträgt 200 mg/Tag. Eine Monotherapie ist wegen starker renaler Nebenwirkungen nicht empfohlen (3). Das Behandlungsziel ist ein Serumharnsäurespiegel von < 360 µmol/l, eine zusätzlich purinarme Ernährung ist empfehlenswert. Behandlung von Tophi heute möglich Unbehandelt oder auch als Folge von Noncompliance resultiert eine chronische nicht tophöse Gicht häufig in sekundären Arthrosen, extraartikuläre Manifestationen wie Bursitis, Nierenversagen oder Nierensteinen. Nicht selten entsteht aus einer chronisch rezidivierenden Gicht eine chronisch tophöse Gicht infolge massiver Uratablagerungen in den Geweben, was zu Gelenkdestruktionen führen kann. Eine chronisch tophöse Gicht lässt sich im Gegensatz zu früher heutzutage wirkungsvoll mit rekombinanter Rasburicase behandeln. Das rekombinante Uratoxidaseenzym wandelt die Harnsäure in das wasserlösliche Allantoin um, das wesentlich besser als die Harnsäure über die Niere ausgeschieden werden kann. Rasburicase wird während 5 bis 7 Tagen i.v. in einer Dosis von 0,2 mg/kg KG zur Tophusreduktion und raschen Harnsäureabsenkung appliziert. Weil allergische Reaktionen auftreten können, erfolgt die Applikation gemäss Seitz bevorzugt unter stationären oder halbstationären Bedingungen. Bei repetitiver Verabreichung kann eine Antikörperbildung gegen das Enzym mit einem sekundären Wirkungsverlust entstehen. Pseudogicht gut getarnt Die als Pseudogicht oder Chondrokalzinose bezeichnete Kalziumpyrophophat-Ablagerungserkrankung (CPPD) tritt klinisch als Arthritis oder Periarthritis in Erscheinung. Sie führt bei chronischen oder ungenügend behandelten Verläu- fen häufig in kurzer Zeit zu sekundären atypischen Arthro- sen. In über 95 Prozent der Fälle ist die CPPD idiopathisch. Bei einer Erstdiagnose empfiehlt Seitz aber, ein metabolisch- endokrines Screening durchzuführen, um möglicherweise be- handelbare Grunderkrankungen nicht zu verpassen. Infrage kommen Hyperparathyreoidismus, Hämochromatose, Hypo- magnesiämie, Hypothyreose sowie ein Diabetes mellitus. Die Erkrankung ist ein Chamäleon und kann verschiedene Krankheitsbilder (z.B. Pseudomeningitis, neuropathische Gelenkerkrankung, Polymyalgie, Sepsis u.a.) imitieren. Der Nachweis erfolgt im Gelenkpunktat durch rhombusförmige CPP-Kristalle. Der akute Pseudogichtschub wird durch ähn- liche Auslöser wie bei Gicht getriggert. Die Therapie erfolgt empirisch mit intraartikulären oder systemischen Steroid- applikationen, Colchizin, NSAID, Hydroxychloroquin, Me- thotrexat oder schliesslich einem IL-1β-Inhibitor. L Valérie Herzog Referenzen 1. Choi HK et al.: Pathogenesis of gout. Ann Intern Med 2005; 143: 499–516. 2. White WB et al.: Cardiovascular Safety of Febuxostat or Allopu- rinol in Patients with Gout. N Engl J Med 2018; 378: 1200–1210. 3. Tausche AK et al.: Lesinurad monotherapy in gout patients into- lerant to a xanthine oxidase inhibitor: a 6 month phase 3 clinical trial and extension study. Rheumatology 2017; 56: 2170–2178. Quelle: «Management von Kristallarthropathien», Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine und Innere Medizin (SGAIM), 30. Mai bis 1. Juni 2018, Basel. 6 CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | August 2018