Transkript
SGAIM
Demenzabklärung
«Case finding» statt systematisches Screening
Foto: vh
In der Demenzabklärung ist es zu einem Paradigmenwechsel gekommen. Gemäss den neuesten Empfehlungen der Swiss Memory Clinics sollen ältere Personen vom Hausarzt nicht mehr flächendeckend gescreent werden. Statt der systematischen Erfassung soll nur noch aufgrund von Verdachtsmomenten oder von subjektiv geäusserten kognitiven Beeinträchtigungen, dem sogenannten «case finding», eine Abklärung durch den Hausarzt erfolgen.
Unter «case finding» ist in den neuen Empfeh-
lungen 2018 (1) die Strategie gemeint, die sich
auf Patienten ausrichtet, bei denen Risikofak-
toren oder Symptome einer möglichen De-
menzerkrankung vorhanden sind. Diese Risi-
kofaktoren, als «red flags» bezeichnet, werden
vom Hausarzt abgeklärt (Kasten). Solche sind
beispielsweise vom Patienten subjektiv geäus-
serte Gedächtnisstörungen oder Hinweise von
PD Dr. Georg Bosshard
Dritten wie Spitex oder Angehörige. Sind «red flags» vorhanden, folgt eine strukturierte Fremd-
anamnese bei einer Bezugsperson. Denn für eine Demenz-
diagnose braucht es eine Einschränkung der Alltagsfähigkei-
ten, die der Betroffene selbst nicht als solche erkennt. Dafür
steht der IQ-(Informant Questionnaire on cognitive Decline
in the Elderly-)CODE-Fragebogen zur Verfügung (siehe
Link), auf dem die Bezugsperson sieben Fragen zur Veränderung
der kognitiven Leistung des Patienten im Vergleich zu zwei
Jahren vorher beantwortet sowie eine von Verhaltensverän-
derung bejaht oder verneint. Erhärtet sich der Verdacht,
kann der Hausarzt den Patienten zur Basisabklärung an eine
Memory Clinic überweisen oder diese selbst vornehmen.
Diese besteht aus einem kleinen Status (somatisch und psy-
chisch) und einem kognitiven Kurzscreeningtest. Der Mini-
Mental-State-(MMS-)Test ist zwar in der Schweiz weit ver-
breitet, aber für die Demenzdetektion nicht genügend sensi-
tiv. Zudem existieren laut PD Dr. Georg Bosshard, Klinik für
Geriatrie, Universitätsspital Zürich, viele verschiedene Vari-
anten. Die neuen Empfehlungen favorisieren den MoCa-Test
(siehe Link), der kurz ist sowie kostenlos und in etlichen
Sprachen zur Verfügung steht. Dieser kombiniert Gedächt-
nis- und Aufmerksamkeitsfragen mit Aufgaben zur Testung
KURZ & BÜNDIG
«case finding» anstatt systematisches Screening. Der MoCa-Test löst als Screening den MMS ab. Der Schweregrad bestimmt den Umgang mit der Erkrankung.
Kasten:
«Red flags» für eine mögliche Demenz
L Subjektive Beschwerden L Hinweise durch Angehörige, Spitex oder Dritte L Auffälligkeiten in der Praxis (Probleme bei der Termin-
einhaltung, beim Medikamenten- oder Diabetesmanagement) L Neue Schwierigkeiten bei der Erledigung der Finanzen (z.B. Mahnungen) L Status nach Delir Weitere: L Vergesslichkeit, räumliche und zeitliche Orientierungsprobleme L Dinge verlegt, Alltagsleistungen erschwert (z.B. Schuhe binden, Auto fahren) L Depressive Verstimmung, Reizbarkeit, Rückzug, Apathie L Frühe Demenzerkrankungen in der Familie, vaskuläre Risikofaktoren
Quelle: mod. nach (1) und Dr. F. Riese
der Exekutivfunktion. Alternativ können der MMS plus Uhrentest oder DemTect angewendet werden. Als weitere Zusatzuntersuchungen gelten ein erweiterter Status, Labor und Bildgebung (MRI mit Fokus auf Läsionen). Ergibt sich eine positive Diagnose, kann der Patient zur Beantwortung spezifischer Fragen an eine Memory Clinic überwiesen werden. Diese betreffen beispielsweise die Bestimmung des Demenztyps zur Abstimmung der medikamentösen Therapie, bei unklaren Diagnosen, bei Verhaltensauffälligkeiten oder atypischen Symptomen oder Verläufen.
Warum die Abklärung wichtig ist
Vor dem Hintergrund, dass keine kausale Therapie zur Verfügung steht, wäre es aber falsch, in diagnostischen Nihilismus zu verfallen. Denn das Stadium der Demenz bestimme den Umgang mit der Erkrankung, betont Dr. Florian Riese,
26 CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | August 2018
Empfehlungen für Demenzabklärung
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a002948
MoCa-Test kostenlos herunterladen
www.mocatest.org
IQCODE-Fragebogen für Fremdanamnese
http://rsph.anu.edu.au/files/German_short.pdf
CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | August 2018
SGAIM
Klinik für Alterspsychiatrie, Psychi-
atrische Universität Zürich. Durch
die Demenzerkrankung ist das ganze
Leben des Patienten beeinflusst. Eine
leichte kognitive Störung (mild
cognitive impairment, MCI) ist keine
Demenz, es bestehen Gedächtnisein-
schränkungen ohne Alltagsrelevanz.
Bei einer leichten Demenz dagegen
bemerken die Angehörigen Ein-
schränkungen im Alltag, wie bei-
spielsweise Schwierigkeiten bei der
Gerätebedienung oder bei der Orien-
tierung in fremder Umgebung, das
Verlegen von Dingen, das Wiederho-
len von gleichen Fragen. Die Alltags-
routine funktioniert jedoch noch gut.
Bei einer mittelgradigen Demenz ma-
chen sich die Angehörigen Sorgen,
den Patienten allein zu lassen, weil
gefährliche Situationen auftreten kön-
nen. Handelt es sich um eine schwere
Demenz, benötigt der Patient unter
anderem Hilfe bei der Körperpflege
oder bei der Essenszubereitung. Im
Endstadium sind basale Körperfunk-
tionen beeinträchtigt, die Patienten
essen nur noch wenig, Infektionen
treten auf, der Tod naht. Nichts sei
gemäss Riese weniger hilfreich als
eine nackte Diagnose ohne Angabe
des Schweregrades. Denn für die wei-
tere Planung und Behandlung ist der
Schwergrad essenziell. Eine Fahr-
tüchtigkeit ist bei mittel- bis schwer-
gradiger Demenz nicht mehr gege-
ben. Das Stadium bestimmt auch die
weitere Planung wie das Erstellen
von Vorsorgeaufträgen, Patienten-
verfügungen oder die Einschaltung
der Kindes- und Erwachsenenschutz-
behörde (KESB).
L
Valérie Herzog
Referenz 1. Bürge M et al.: Die Empfehlungen der Swiss Memory Clinics für die Diagnostik der Demenzerkrankungen. Praxis 2018; 107: 435–451.
Quelle: «Demenz – Abklärung in der Hausarztpraxis», Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine und Innere Medizin (SGAIM), 30. Mai bis 1. Juni 2018, Basel.
27