Transkript
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Leberzirrhose
Portalen Druck senken, Dekompensation verhindern
Foto: AZA
Statt der makroskopischen Bezeichnung «Zirrhose» wurde für die durch Fibrosierung charakterisierte Erkrankung der Leber der Terminus «kompensierte, fortgeschrittene chronische Lebererkrankung» (compensated advanced chronic liver disease – cACLD) vorgeschlagen. Unabhängig von dieser Diskussion schreitet die klinische Forschung zu Zirrhose/cACLD voran.
Jaime Bosch
Der Terminus «Zirrhose» wurde im frühen 19. Jahrhundert geprägt und ist, so Prof. Jaime Bosch aus Barcelona (E), «nicht besonders glücklich», da er sich auf eine Gelbfärbung der Leber bezieht, die im Rahmen einer Zirrhose auftreten kann, aber keineswegs muss. Bosch: «Besser wäre es gewesen, auf knotige Veränderungen und Verhärtung des Organs hinzuweisen.» Heute wird zwischen mikro- und makronodulärer Zirrhose unterschieden. Für die Diagnose ist eine Biopsie erforderlich; jedoch führt diese, da bei der Gewinnung fibrotische Areale verfehlt werden können, in 20 bis 25 Prozent der Fälle zu Fehldiagnosen im Sinne einer Unterdiagnose. Bosch wies auch auf die schlechte Korrelation zwischen Histopathologie und klinischem Bild hin. Hinzu kommen die bekannten Nachteile: Die Biopsie ist invasiv und kann nicht in engen Abständen wiederholt werden, was eine Verlaufsbeobachtung erschwert. Ein weiterer Nachteil des Terminus «Zirrhose» liegt in den potenziell dahinterliegenden multiplen Ätiologien – infrage kommen Alkohol, NASH, Infektionen, Autoimmunhepatitis, aber auch biliäre und kardiale Ursachen. Jedenfalls wissen wir, so Bosch, dass es sich um eine Erkrankung mit weltweit hoher Prävalenz handelt, die besonders in Osteuropa häufig auftritt (1) und zu erheblicher Mortalität führt. Leberzirrhose und hepatozelluläres Karzinom dürften mehr Todesopfer fordern als Brustkrebs (2). Bosch weist auch auf das negative Image der Krankheit hin: Zirrhose wird als selbst verschuldete Folge von Alkoholismus oder Drogenkonsum wahrgenommen und – auch von vielen Ärzten – mit einer sehr ungünstigen Prognose assoziiert. Beides treffe jedoch bei Weitem nicht in allen Fällen zu.
Weg von der Morphologie: Neue Terminologie gefordert
Angesichts dieser Situation hat eine internationale Gruppe
von Hepatologen vor einigen Jahren vorgeschlagen, den
Terminus «Zirrhose» zu verlassen, um zu einer mehr an der
Klinik orientierten Terminologie zu finden. Daher sollte
stattdessen von kompensierter, fortgeschrittener chronischer
Lebererkrankung (compensated advanced chronic liver
disease – cACLD) gesprochen werden (3). Bosch: «Die neue
Terminologie wird der Tatsache besser gerecht, dass es sich bei Fibrose und Zirrhose um ein Kontinuum und nicht um eigenständige Entitäten handelt.» In der Bezeichnung «kompensiert» liegt eine wichtige Information. Denn kompensierte und nicht kompensierte Zirrhose (oder eben fortgeschrittene chronische Lebererkrankung) unterscheiden sich hinsichtlich der Prognose deutlich. Bosch: «Die Mortalität von Patienten mit kompensierter Zirrhose unterscheidet sich nicht wesentlich von jener gesunder Vergleichspersonen.» Das ändert sich allerdings dramatisch, sobald es zur Dekompensation kommt. Die Prognose der dekompensierten Zirrhose ist sehr ungünstig, mit einer 2-Jahres-Mortalität in der Grössenordnung von 50 Prozent. (4). Bosch: «Kompensierte und dekompensierte Zirrhose sind in dieser Hinsicht wie unterschiedliche Erkrankungen zu betrachten.» Innerhalb der Population mit dekompensierter Zirrhose ist noch eine Subpopulation mit besonders ungünstiger Prognose zu nennen, die klinisch durch refraktären Aszites, Hyponatriämie, rekurrierende Varizenblutungen und Gelbsucht auffällt. Der Übergang von der kompensierten zur dekompensierten Zirrhose wird durch sogenannte Transition-Events markiert. Diese stehen meist in Zusammenhang mit portaler Hypertension. Bosch nannte Aszites, Varizenblutungen und hepatische Enzephalopathie. Die Zahl der betroffenen Patienten steigt über die Jahre linear an. Als Risikomarker konnten ein Lebervenen-Druckgradient (hepatic venous pressure gradient, HVPG) ab 10 mmHg, Adipositas und niedriges Serumalbumin identifiziert werden. Patienten, die keinen dieser Risikofaktoren aufweisen, haben ein minimales Risiko, einen Transition-Event durchzumachen (5). Der Prädiktionswert liegt bei 90 Prozent. Bosch: «Wenn es uns also gelingt, diese drei Faktoren zu beeinflussen, dann haben wir gute Chancen, die Dekompensation der Zirrhose zu verhindern.»
Portaler Druckgradient identifiziert Risikopatienten
Um dies zu erreichen, hilft ein Blick auf die Pathophysiologie des portalen Hochdrucks, der die Folge sowohl von erhöhtem Widerstand als auch von verstärktem Blutfluss sein kann. Im Falle der Leberzirrhose ist der primäre und initiale Faktor der Anstieg des Widerstands in der Leber. Ab einem
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Pathophysiologie der portalen Hypertonie
Veränderungen im Verlauf der Zirrhoseprogression
PrFimakätroerr
Δ Druck = Widerstand Blutfluss
AAdnatpwtoivret
Erhöhter Druck
(strukturell/dynamisch)
Erhöhter Blutfluss
(splanchnische Vasodilatation)
Neue Therapien
Derzeitige Therapien
Portale Hypertonie
HPVG >10 mmHg
Ausbildung von Kollateralen und Varizen
Aszites, Blutung, hepatische Enzephalopathie
Quelle: Vortrag Jaime Bosch
HVPG von 10 mmHg kommt es zur Bildung von Kollateralen und Varizen. Dies führt aber zum Anstieg des Blutflusses infolge lokaler Vasodilatation und damit zu einem weiteren Anstieg des portalen Blutdrucks. Bosch: «Alle gegenwärtig verfügbaren Medikamente beeinflussen den Blutfluss und wirken daher erst, wenn die portale Hypertension bereits ein gewisses Ausmass erreicht hat.» So konnte für Propanolol bei Patienten mit klinisch signifikanter portaler Hypertension
«Die Leber hat die Kapazität, Kollagen zu absorbieren und aus dem zirrhotischen Zustand wieder herauszukommen, wenn die Ursache der Fibrosierung entfernt wird.»
eine gute Wirkung auf den portalen Blutdruck gezeigt werden, die bei geringerem portalem Druck jedoch fast vollständig ausbleibt. In der Folge wurde versucht, durch Einsatz von Betablockern bei Risikopatienten mit einem HVPG über 10 mmHg die Dekompensation zu verhindern. Die Intervention verlängerte das dekompensationsfreie Überleben signifikant und erheblich und reduzierte die Inzidenz von Aszites auf rund die Hälfte (6).
Leberfibrose ist reversibel
Wünschenswert wäre allerdings eine frühere Beeinflussung dieses Teufelskreises. Der Schlüssel dazu dürfte in einer Verhinderung der Fibrosierung und damit in der Reduktion des erhöhten Strömungswiderstandes liegen. Man dürfe sich, so Bosch, in diesem Zusammenhang Fibrose nicht als irreversible Veränderung denken. Studien im Tiermodell haben gezeigt, dass sich Fibrose durchaus auch spontan und vollständig zurückbilden kann. Bosch: «Die Leber hat die Kapazität, Kollagen zu absorbieren und aus dem zirrhotischen Zustand wieder herauszukommen, wenn die Ursache der Fibrosierung entfernt wird.»
Beim Menschen konnte dies sehr gut an Hepatitis-C-Patienten beobachtet werden, bei denen die Zirrhose nach erfolgreicher antiviraler Therapie langsam, aber schliesslich vollständig verschwand. Bereits wenige Wochen nach komplettem virologischem Ansprechen ist eine leichte, aber signifikante Senkung des HVPG nachweisbar (7). Leider sei gegenwärtig nicht vorhersehbar, bei welchen Patienten es nach erfolgreicher Behandlung der Hepatitis zu einer Ausheilung der Zirrhose komme. Bosch: «Es gibt einen Point of no Return. Aber wir wissen nicht, wo er ist und wie wir ihn identifizieren können. Hier besteht jedenfalls noch erheblicher Forschungsbedarf.» Eine lange Dauer und eine schwere Ausprägung der Fibrose/Zirrhose beeinflussen jedenfalls die Heilungschancen ungünstig.
Portale Drucksenkung mit Lebensstiländerungen und Statinen
Nicht unterschätzt werden dürfen Lebensstilmassnahmen.
So konnte gezeigt werden, dass Gewichtsreduktion bei über-
gewichtigen Patienten mit Zirrhose nicht infektiöser Ursache
den HVPG senkt – und zwar im gleichen Ausmass wie bei
Hepatitispatienten die antivirale Therapie. Die Wirkung
wird auf die Inhibition proinflammatorischer Zytokine und
bakterieller Translokation zurückgeführt (8).
Zahlreiche Substanzen, die über unterschiedliche Mechanis-
men in die Pathophysiologie der Fibrosierung eingreifen sol-
len, werden gegenwärtig in Studien untersucht. Dazu gehö-
ren auch die Statine, die über ihre pleiomorphen Effekte die
Fibrosierung beeinflussen. In einer doppelblinden Studie
konnte gezeigt werden, dass Simvastatin bei Zirrhosepatien-
ten den portalen Druck reduziert. Auch ein Überlebensvorteil
konnte durch Simvastatin gezeigt werden, der jedoch nicht
mit einer signifikanten Reduktion von Varizenblutungen ein-
hergeht (9). Dazu passen auch Daten aus epidemiologischen
Studien, die bei Patienten mit kompensierter HCV-Zirrhose
eine Assoziation zwischen der Einnahme von Statinen und
einem reduzierten Risiko von Dekompensation und Tod zei-
gen (10). Bosch: «Der gleiche Effekt wurde auch bei Zirrhose
infolge von Alkohol, NASH und Hepatitis B beobachtet.»
Ebenfalls untersucht werden die Wirkungen einer Zirrhose
auf die Blutgerinnung. Prokoagulatorische Effekte führen zur
Gerinnselbildung in der Leber, die zur Progression der Zir-
rhose beitragen kann. Im Tiermodell lässt sich die Entwick-
lung der Fibrose mittels Enoxaparin günstig beeinflussen.
Dies konnte mittlerweile auch in einer randomisierten Studie
am Menschen, die auch einen Überlebensvorteil zeigte, de-
monstriert werden (11). Auch Antikoagulanzien werden in
dieser Indikation untersucht.
Zusammenfassend hielt Bosch fest, dass «Zirrhose» keine
ideale Bezeichnung ist und die Pathophysiologie und die Kli-
nik der Erkrankung durch den Terminus «kompensierte,
fortgeschrittene chronische Lebererkrankung» (compensa-
ted advanced chronic liver disease – cACLD) besser beschrie-
ben werden.
L
Reno Barth
Quelle: Jean-Pierre Benhamou: Clinical state-of-the-art lecture: «Is it time to abandon the term cirrhosis?», beim 53. Jahrestreffen der European Association for the Study of the Liver (EASL), 13. April 2018 in Paris.
Literatur unter www.rosenfluh.ch
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Referenzen: 1. GBD 2015 Mortality and Causes of Death Collaborators: Global, regio-
nal, and national life expectancy, all-cause mortality, and cause-specific mortality for 249 causes of death, 1980–2015: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2015. Lancet 2016; 388(10053): 1459–1544. 2. Blachier M et al.: The burden of liver disease in Europe: a review of available epidemiological data. J Hepatol 2013; 58(3): 593–608. 3. Hytiroglou P et al.: Beyond «cirrhosis»: a proposal from the International Liver Pathology Study Group. Am J Clin Pathol 2012; 137(1): 5–9. 4. D'Amico G et al.: Natural history and prognostic indicators of survival in cirrhosis: a systematic review of 118 studies. J Hepatol 2006; 44(1): 217–231. 5. Ripoll C et al.: Hepatic venous pressure gradient predicts clinical decompensation in patients with compensated cirrhosis. Gastroenterology 2007; 133(2): 481–488. 6. Villanueva C et al.: Development of hyperdynamic circulation and response to β-blockers in compensated cirrhosis with portal hypertension. Hepatology 2016; 63(1): 197–206. 7. Lens S et al.: Effects of All-Oral Anti-Viral Therapy on HVPG and Systemic Hemodynamics in Patients With Hepatitis C Virus-Associated Cirrhosis. Gastroenterology 2017; 153(5): 1273–1283.e1. 8. Berzigotti A et al.: Effects of an intensive lifestyle intervention program on portal hypertension in patients with cirrhosis and obesity: The SportDiet study. Hepatology 2017; 65(4): 1293–1305. 9. Abraldes JG et al.: Simvastatin lowers portal pressure in patients with cirrhosis and portal hypertension: a randomized controlled trial. Gastroenterology 2009; 136(5): 1651–1658. 10. Mohanty A et al.: Statins Are Associated With a Decreased Risk of Decompensation and Death in Veterans With Hepatitis C-Related Compensated Cirrhosis. Gastroenterology 2016; 150(2): 430–40.e1. 11. Villa E et al.: Enoxaparin prevents portal vein thrombosis and liver decompensation in patients with advanced cirrhosis. Gastroenterology 2012; 143(5): 1253–1260.e1-4.
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