Transkript
Chronischer Durchfall
Was dahinterstecken kann
UEG-Week
Diarrhö ist definiert durch mindestens drei flüssige oder weiche Stühle innerhalb von 24 Stunden. Dauern die Symptome über mehr als vier Wochen an, spricht man von chronischer Diarrhö. Diese kann eine erhebliche diagnostische und therapeutische Herausforderung darstellen. Wodurch sich welche Formen unterscheiden, war an der UEG-Week zu erfahren.
«Neun bis zehn Liter Flüssigkeit gelangen täglich in den Darm. Davon wird der grösste Teil im Dünndarm resorbiert und rund 1,5 Liter kommen ins Kolon», sagte Dr. Alexander Charles Ford vom St. James’s University Hospital in Leeds. Durchfälle können über osmotische oder sekretorische Mechanismen, Malabsorption oder gestörte Motilität entstehen. Zumeist sei Diarrhö jedoch multifaktoriell, so Ford. Von einer chronischen Diarrhö spricht man gemäss den Definitionen der meisten Fachgesellschaften, wenn die Symptome über mehr als vier Wochen anhalten. Die Angaben über die Häufigkeit dieses Zustandsbildes schwanken deutlich und bewegen sich zwischen 2 und 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Liste der potenziellen Gründe ist lang und reicht von chronischen Infektionen über Zöliakie und Reizdarm bis zum Kolonkarzinom. «Von den Betroffenen haben die meisten vermutlich keine organische Erkrankung. In einer gastroenterologischen Abteilung bietet sich aber natürlich ein anderes Bild. Unsere Durchfallpatienten leiden häufig unter schweren Krankheiten, wie zum Beispiel unter chronisch entzündlichen Darmerkrankungen», sagte Ford und wies auch auf die Möglichkeit und Häufigkeit von Durchfall als Nebenwirkung von Medikamenteneinnahme hin. Ein eigenes Problemfeld stellt der Missbrauch von Laxanzien dar.
Anamnese und Labor bilden die Basis der Diagnostik
Hinsichtlich der bei chronischer Diarrhö indizierten Abklärung verweist Ford auf die bereits etwas älteren, aber nach wie vor aktuellen britischen Empfehlungen (1), die zunächst
KURZ & BÜNDIG
Mikroskopische Kolitis tritt häufiger auf als Morbus Crohn. Patienten mit Verdacht auf eine entzündliche Darmerkran-
kung sollten biopsiert werden.
Die First-line-Therapie besteht in einer Behandlung mit Budesonid über sechs bis acht Wochen (7).
eine Reihe von Labortests aus dem Blut vorsehen. Dazu gehören unter anderem ein vollständiges Blutbild, Leberwerte, Blutsenkung, Folsäure, Eisen und so weiter. Eine Zöliakie muss mittels Antikörpertest ausgeschlossen werden. Eine Stuhlkultur wird ebenso empfohlen wie Bestimmungen fäkaler Biomarker wie zum Beispiel Calprotectin. Ergeben sich aus diesen Labortests oder aus der Anamnese Hinweise in Richtung bestimmter Pathologien («organic diarrhea»), so folgen weitere diagnostische Schritte – einem detailliert aufgelisteten Algorithmus folgend. Sind die primär erhobenen Befunde unauffällig, ist – besonders bei Patienten unter 45 Jahren – an ein Reizdarmsyndrom zu denken. Dieses wird nach den Rom-IV-Kriterien definiert durch rezidivierende abdominelle Schmerzen zumindest an einem Tag in der Woche in den letzten drei Monaten. Dieses Leitsymptom muss assoziiert sein mit mindestens zwei der folgenden Symptome: Verbesserung nach Stuhlgang und/oder Beginn der Beschwerden mit Änderung in der Stuhlfrequenz und/ oder Beginn der Beschwerden mit Änderung in der Stuhlkonsistenz. Es dürfen keine Alarmsymptome vorhanden sein. Eine im Rahmen der diesjährigen UEG-Week vorgestellte Arbeit zeigt, dass die Rom-IV-Kriterien eine Sensitivität von 80 Prozent bei 85 Prozent Spezifität aufweisen. Eine aktuelle Metaanalyse zeigt bei Reizdarmpatienten ein rund dreifach erhöhtes Zöliakierisiko, weshalb bei Reizdarmdiagnose auf entsprechende Antikörper getestet werden sollte.
Mikroskopische Kolitis: Häufiger als Morbus Crohn
Eine relativ seltene Erkrankung, an die jedoch bei Patienten mit chronischer Diarrhö gedacht werden muss, ist die mikroskopische Kolitis. Ford nennt einige Faktoren, die bei passender Symptomatik den Verdacht in diese Richtung lenken sollten. Dazu gehört zum Beispiel eine Autoimmunerkrankung in der Anamnese oder eine kürzlich begonnene medikamentöse Therapie, beispielsweise mit einem Statin. Generell ist die Anamnese wichtig für die Differenzialdiagnose gegenüber einem Reizdarmsyndrom. So treten Durchfälle im Zusammenhang mit einem Reizdarm bevorzugt nach Mahlzeiten auf, während bei mikroskopischer Kolitis nächtliche
CongressSelection Gastroenterologie | Februar 2018
15
UEG-Week
Diarrhöen typisch sind. Des Weiteren fällt ein Reizdarmsyndrom in der Regel durch intermittierende Symptomatik auf, während die Beschwerden bei der mikroskopischen Kolitis permanent vorhanden sind. Die Abgrenzung kann schwierig sein, zumal eine mikroskopische Kolitis in der Endoskopie ein weitgehend normales Bild zeigen kann. In einem unauffälligen Kolon mittels Biopsien nach Hinweisen auf die Erkrankung zu suchen, ist möglich, jedoch aufwendig und nicht immer erfolgversprechend. Ein Score-System, dass die Diagnose einer mikroskopischen Kolitis anhand klinischer Faktoren ermöglichen soll, befindet sich in Arbeit. Ein Vorschlag wurde bereits publiziert und validiert. Bei einem hohen Cutoff ist mittels des Score-Systems eine Diagnose mit 90-prozentiger Sensitivität möglich. Die Zahl der erforderlichen Biopsien konnte deutlich reduziert werden (4). Obwohl die mikroskopische Kolitis als seltene Erkrankung gilt, ist die Prävalenz höher, als oft angenommen wird, wie Dr. Andreas Münch vom Universitätsspital Linköping in Schweden ausführt. Bei älteren Patienten steckt hinter rund 20 Prozent aller Fälle von chronischer Diarrhö ungeklärter Ursache letztlich eine mikroskopische Kolitis. Soweit es die epidemiologischen Daten erkennen lassen, ist die Erkrankung in nördlichen Ländern deutlich häufiger als im Süden. Münch: «Schwedische Daten zeigen für die mikroskopische Kolitis Inzidenzzahlen, die zwischen jenen von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa liegen. Die mikroskopische Kolitis ist also häufiger als Morbus Crohn und damit eine durchaus verbreitete chronisch entzündliche Darmerkrankung.» Dänische Daten zeigen ein Ansteigen der Inzidenz über die letzten Jahre (5).
Hoher Leidensdruck bei mikroskopischer Kolitis
Münch weist auf die heftigen und wässrigen, nicht jedoch blutigen Durchfälle hin, die für diese Erkrankung typisch sind und die die Lebensqualität der Betroffenen massiv beeinträchtigen. Im Gegensatz zu Ford vertritt Münch die Ansicht, dass grundsätzlich alle Patienten mit Verdacht auf eine entzündliche Darmerkrankung biopsiert werden sollten und eine Diagnose nach klinischem Score dafür keinen vertretbaren Ersatz bietet. Wie bei anderen chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wird bei der mikroskopischen Kolitis zwischen aktiver Erkrankung und Erkrankung in Remission unterschieden. Von Krankheitsaktivität geht man bei mindestens drei Stuhlentleerungen oder mindestens einem wässrigen Stuhl pro Tag aus (6). Münch unterstreicht die Bedeutung des wässrigen Stuhls, da dieser ab der ersten Entleerung massiven Einfluss auf die Lebensqualität hat und Patienten daher eine Behandlung wünschen. Der Mechanismus, der hinter dem wässrigen Durchfall steht, wird noch nicht vollständig verstanden. Es wird vermutet, dass es im Rahmen einer mikroskopischen Kolitis zu einer Downregulation sogenannter Aquaporine (Proteine, die Kanäle in der Zellmembran bilden, um den Durchtritt von Wasser zu erleichtern) kommt, wodurch die Absorption von Wasser im Kolon verhindert wird. Dieser Ansatz wird gegenwärtig unter anderem von Münch und seiner Gruppe beforscht. Betreffend die Therapie der mikroskopischen Kolitis wurde von der European Microscopic Colitis Group ein Algorithmus vorgeschlagen (7), der als First-line-Therapie eine Behandlung mit Budesonid über sechs bis acht Wochen vorsieht.
Nach Absetzen der Therapie ist jedoch, so Münch, bei rund 60 Prozent der Patienten mit einem Rezidiv zu rechnen. Eine Erhaltungstherapie mit Budesonid kann eine Lösung sein, wobei die niedrigstmögliche Dosierung zum Einsatz kommen soll. Bei budesonidrefraktären Patienten werden AntiTNF-Therapien in Studien untersucht.
Vom Reizdarm abzugrenzen: das Gallensäureverlust-Syndrom
Eine weitere potenzielle Ursache chronischer Durchfälle ist,
so Prof. Julian Walters vom Imperial College London (UK),
das Gallensäureverlust-Syndrom (Bile Acid Diarrhea). Die
Erkrankung beruht auf einer Störung des enterohepatischen
Kreislaufs, in dem Gallensäuren in das Duodenum sezerniert
und nach Erfüllung ihrer Funktion im terminalen Ileum
resorbiert werden. In diesem Kreislauf werden physiologi-
scherweise rund 95 Prozent der Gallensäuren resorbiert, der
tägliche Gallensäureverlust über den Stuhl sollte bei rund
einem halben Gramm liegen. Diese Menge muss durch Syn-
these neuer Gallensäuren in der Leber ausgeglichen werden.
Gelangen grosse Mengen an Gallensäuren (infolge von Über-
produktion oder mangelnder Resorption) ins Kolon, so führt
dies zu einer chologenen Diarrhö und, falls der Verlust nicht
kompensiert werden kann, zusätzlich zu Steatorrhö (8).
Die Diagnose ist, so Walters, möglich über die quantitative
Bestimmung der Gallensäuren im Stuhl. Dies erfordert die
Sammlung des Stuhls über 24 Stunden, was in Kombination
mit dem Leitsymptom Diarrhö die Methode so unbeliebt
macht, dass sie praktisch nur im Rahmen von Studien einge-
setzt wird. Goldstandard im klinischen Alltag ist daher die
SeHCAT-Szintigrafie, die mit zahlreichen Aufnahmen meh-
rere Zyklen des Gallensäurekreislaufs abbildet und folglich
mit einer erheblichen Strahlenbelastung verbunden ist (9).
Die Prävalenz liegt in Europa bei einem geschätzten Prozent
der Bevölkerung, zumal bei Patienten mit Reizdarmsyndrom
mit vorherrschender Durchfallsymptomatik zu 25 bis 33 Pro-
zent von Auffälligkeiten in der SeHCAT-Szintigrafie aus-
zugehen ist. Damit ist das Gallensäureverlust-Syndrom deut-
lich häufiger als die chronisch-entzündlichen Darmerkran-
kungen (10).
In der Therapie bewähren sich die früher in der Therapie der
Hypercholesterinämie eingesetzten Austauscherharze wie
Colestyramin. Walters unterstreicht jedoch, dass die Thera-
pie auch ihre Tücken hat. Sie ist bei Weitem nicht immer
wirksam, sie hat potenzielle Nebenwirkungen, insbesondere
Blähungen. Langfristig droht die Gefahr von Hypovitamino-
sen infolge von Malabsorption. Mögliche Antworten liegen
in Dosistitration und Supplementation von Vitaminen. Auch
eine fettreduzierte Ernährung bewährt sich (8, 11).
L
Reno Barth
Quelle: Symposium «Chronic diarrhea: Diagnostic and therapeutic approach». Präsentiert an der 25. UEG-Week, 29.10. bis 1.11.2017 in Barcelona.
Referenzen unter www.rosenfluh.ch
16 CongressSelection Gastroenterologie | Februar 2018