Transkript
EADV
Einfluss von Genen, Lebensweise, Ernährung und Sonnenexposition
Welche Faktoren lassen altern?
Fotos: kd
Die steigende Lebenserwartung rückt das Thema Alterung in den Fokus der Forschung. Als sichtbarstes Zeichen des Alterungsprozesses werden Hautveränderungen durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren bestimmt. Am europäischen Dermatologenkongress (EADV) beschäftigten sich Fachleute intensiv mit dem Thema.
Der Schriftsteller Albert Camus meinte, dass
von einem bestimmten Alter an jeder Mensch
für sein Gesicht verantwortlich sei. Ist das so?
Welche Rolle spielen genetische Voraussetzun-
gen, welche äussere Einflüsse und welche tat-
sächlich die individuelle Lebensführung? In der
bereits Anfang der 1990er-Jahre begonnenen,
mit insgesamt 15 000 Teilnehmern sehr gros-
sen prospektiven «Rotterdam-Studie» sollten
Tamar Nijsten
Faktoren untersucht werden, die kardiovaskuläre, neurologische, ophthalmologische, endo-
krinologische und psychiatrische Erkrankun-
gen bei älteren Menschen determinieren (1).
«Beiläufig», so Prof. Dr. Tamar Nijsten aus
Rotterdam (NL), «sammelten wir auch viele
Daten zur Hautalterung.» Diese wurden von
Fachleuten in der Langzeituntersuchung alle
vier Jahre neben der gesamtgesundheitlichen
Situation evaluiert. Dazu wurden die Fotogra-
fien der Gesichter von Forensikern über digi-
Christopher Griffith
tale Bilderfassungsprogramme auf Alterungsprozesse hin analysiert (2). Die niederländi-
schen Wissenschaftler sammelten auf diese Weise die
Gesichtsdaten von rund 8000 Personen im Alter von 51 bis
98 Jahren. 3500 von ihnen kamen nun in die Auswertung.
Durch MC1R-Gen «alt aussehen»
Die erste Frage, die sich die Forscher stellten, lautete: Welche Rolle spielen bei der Alterung der Haut die genetischen Faktoren? Aus Zwillingsstudien weiss man, dass zu 55 Prozent genetische Ursachen für die Falten im Gesicht verantwortlich sind. An der Universität Leiden (NL) wurde zudem festgestellt, dass die Nachkommen von Menschen, die ein hohes Alter erreicht hatten, jünger aussehen, als dies tatsächlich der Fall ist. Bislang konnten in verschiedenen kleineren Untersuchungen keine Genloci für solche Phänomene gefunden werden. Auch in der kleineren niederländischen Genome-Wide Association Study (GWAS) mit 599 Teilnehmern war es nicht möglich, signifikante genetische Effekte zu detektieren. «Das war ein bisschen enttäuschend», so Nijsten. Was jedoch in einer weiteren Studie aus dem Jahr 2016 gefunden werden konnte, war tatsächlich ein Gen für «älteres Aussehen» (3). Für die Untersuchung wurden 25 Freiwillige gebeten, anhand von digitalen Fotos das Alter von knapp 2700 betagteren Niederländern der Rotterdam-Studie zu
schätzen. Die stärkste genetische Assoziation zum angenommenen Gesichtsalter war der Polymorphismus des MC1RGens (p < 0,001). Lag dieses Gen nämlich in homozygoter Form vor, wurden deren Träger um durchschnittlich zwei Jahre älter geschätzt als solche Personen, die dieses Gen nicht in dieser Form trugen. Diese Assoziation war unabhängig von Alter, Geschlecht, Hautfarbe und Sonnenschäden (Falten oder Pigmentflecken) beziehungsweise Sonnenexposition. Dies sei der erste gefundene genetische Faktor, der offenbar manche Menschen älter erscheinen lässt, als sie tatsächlich sind, erklärte Nijsten. Unterschiedliche Alterung bei Geschlechtern Als ein zentrales Ergebnis der neuen Analyse der RotterdamStudie wurde festgestellt, dass Frauen – zumindest in den jüngeren Seniorenjahren – weniger schnell altern als Männer (1). So weisen Frauen bis zu einem Alter von 75 Jahren insgesamt weniger Falten und weniger tiefe Falten auf als das andere Geschlecht. Danach, so der niederländische Dermatologe, würden Frauen allerdings aufholen und nach dem 75. Lebensjahr sogar mehr Falten im Gesicht tragen als ihre männlichen Pendants. Als einer der stärksten Prädiktoren für Falten erwies sich erwartungsgemäss das Alter selbst. Auch ein niedriger BMI war in beiden Geschlechtern ein Faltentreiber. Demgegenüber wirkt helle Haut ebenso wie die Tendenz zum Sonnenbrand eher als faltenprotektiv. Bestätigt wurde auch, dass Rauchen für eine Zunahme von Falten im Gesicht verantwortlich ist. Dass bei Frauen Haarausfall mit signifikant weniger Gesichtsfalten korreliert, ist für die Betroffenen wahrscheinlich ein schwacher Trost. Frauen mit niedrigerem Bildungsniveau haben ein höheres Faltenrisiko, ebenso wie Alkoholikerinnen. Bei Männern konnten diesbezüglich keine Korrelationen festgestellt werden. Mehr Falten durch ungesunde Ernährung Extrem schwierig sei es, eine Korrelation zwischen Ernährung und Faltenbildung beziehungsweise Faltenprotektion nachzuweisen, so Nijsten. So hätten laut einer älteren Arbeit Gemüse, Fisch und Oliven eine eher protektive Funktion, während gesättigte Fettsäuren und Zucker das Gegenteil bewirkten (4). Auch Vitamin C soll der Faltenvorbeugung dienen (5), ebenso wie gelbes und grünes Gemüse beziehungsweise Karotinoide (6). «Das sind Dinge, die wir eigentlich alle schon wissen», so der Experte. Allerdings seien all diese Studien relativ klein gewesen und hätten sich nicht auf die 22 CongressSelection Dermatologie | Januar 2018 EADV komplette Ernährung, sondern nur auf einzelne Nahrungsmittel konzentriert. Dies könne bei Interaktionen zu falsch positiven Ergebnissen führen. Die Rotterdam-Studie war mit 2753 Teilnehmern hingegen sehr breit aufgestellt. So mussten 389 Fragen allein zu den Ernährungsgewohnheiten beantwortet werden. Da die «Faltenbildung» auch stark von der sportlichen Aktivität beeinflusst wird, wurde auch die körperliche Bewegung mittels eines Index erfasst. Eine erste, einfach zusammengefasste Analyse der Daten zeigt, dass Menschen mit gesunder Ernährung (mehr Gemüse, mehr Früchte, mehr Fisch) in beiden Geschlechtern weniger Falten im Gesicht aufweisen als Personen mit ungesunder Ernährung (viel prozessierte Nahrung, wenig frisches Obst und Gemüse, viel Fleisch u.a.). Obwohl In-vitro-Studien gezeigt haben, dass sich Vitamin D sowohl positiv auf die Fibroblastenfunktion auswirkt als auch Keratinozyten vor der Apoptose schützt, erbrachten umfangreiche Analysen der Rotterdam-Daten keinen direkten Effekt von Vitamin D auf die Hautalterung. Chronische Sonnenexposition Als der wichtigste extrinsische Faktor für Hautalterung gilt die chronische Sonnenexposition. Typisch für Photoaging sind eine raue Haut, feine und grobe Falten, Lentigo solaris (oder Lentigo senilis «Altersflecken») und Teleangiektasien in Form von rötlichen, sichtbaren erweiterten Kapillargefässen. Während die lichtbedingte Hautalterung bei Menschen aus fernöstlichen Ländern eher durch Lentigo mit weniger Falten gekennzeichnet («atrophisch») sei, dominiere bei Kaukasiern nach einem Leben in der Sonne eher das faltige hypertrophische Gesicht, erklärte Prof. Christopher Griffith aus Manchester (GB). Bekannt ist das Beispiel des 69-jähri- KURZ & BÜNDIG Für die Hautalterung sind sowohl genetische als auch extrinsische Faktoren verantwortlich. Genloci zur Hautalterung sind kaum bekannt. Das MC1R-Gen in homozygoter Form lässt dessen Träger im Schnitt zwei Jahre älter aussehen. Rotterdam-Studie: – Frauen bis 75 Jahre besitzen zahlenmässig weniger und auch weniger tiefe Falten als Männer. Bei über 75-Jährigen gleicht sich das aus. – Prädiktoren für Falten: Alter, niedriger BMI, Rauchen, Sonnenexposition, Alkohol. Faltenprotektiv: Gesunde Ernährung (Gemüse, Obst, Fisch, weniger Fleisch und prozessierte Nahrung) Vitamin D: kein Einfluss auf Hautalterung Chronische Sonnenexposition bewirkt geringere Kollagen- produktion, erhöhte Produktion von Matrix-Metalloproteinasen (MMP), Verlust von Fibrillin und Elastin. All das führt zur Faltenbildung. Atrophe faltenlose Gesichtstypen besitzen ein höheres Hautkrebsrisiko als hypertrophe. gen amerikanischen Truckers William Edward McElligott, dessen Foto vor einigen Jahren im «New England Journal of Medicine» veröffentlicht wurde. Während die rechte Gesichtshälfte des LKW-Fahrers wie die eines 69-Jährigen aussah, erschien die linke Seite wie die eines 89-Jährigen. Dort war die Haut an der Wange übersät mit tiefen Falten, aber auch sein linkes Auge hing tiefer. Der Grund: Die linke Gesichtshälfte war während der langen Fahrten jahrzehntelang durch das Seitenfenster ungeschützt der Sonne und der UVAStrahlung ausgesetzt. Verlust an Stützstrukturen Experimente zeigen, dass die Kollagenproduktion (Typ-1Kollagen) der besonnten Hautflächen im Vergleich zu den bedeckten signifikant geringer ist (7). Ein Verlust dieses Strukturproteins ist korreliert mit Anzeichen von lichtbedingter Faltenbildung. Dabei spielen bestimmte Enzyme eine wichtige Rolle. So induziert UV-B-Licht die Produktion von Matrixmetalloproteinasen (MMP). Solche Kollagenasen spalten die Peptidbindung zwischen Prolin und anderen Aminosäuren, was wiederum den Abbau von Kollagen fördert (8). Zwar gleiche die Haut immer wieder diesen Verlust aus, allerdings nicht vollständig, sagte Griffith. Mit der Zeit führt dann der Matrixverlust zur Bildung von Falten. Ein weiteres entscheidendes Protein im Bindegewebe der Haut ist Fibrillin. So ist Fibrillin-1 der Hauptbestandteil der Mikrofibrillen, welche die elastischen Fasern mit ihrem Kern aus Elastin wie ein Mantel umgeben. Sie bilden eine elastische Verbindung zwischen Epidermis und Dermis. In manchen Fällen zeigen Biopsien von lange sonnenexponierten Hautarealen den kompletten Verlust solcher Fasern (9). Durch den Abbau des Fibrillin-Stützgerüstes, so Griffith, würden auch die Proteinfasern aus Elastin «zusammenbrechen». Faltige Gesichter mit geringerem Hautkrebsrisiko Ein sehr faltiges Gesicht mag für die Betroffenen eine un- schöne Alterserscheinung sein. Tatsächlich könnte eine sol- che hypertrophe Haut aber auch Vorteile besitzen. So traten gemäss einer britischen Studie bei Menschen mit «groben Falten» viel weniger häufig Teleangiektasien im Gesicht auf als bei atrophen Gesichtstypen (4% vs. 32%) (10). Noch wichtiger: Es scheint einen Zusammenhang zwischen der Ab- wesenheit von Falten und dem Auftreten von hellem Haut- krebs zu geben. So litten Menschen, die signifikant weniger Gesichtsfalten aufwiesen, überraschenderweise deutlich häu- figer unter Hautkrebs als die Kontrollgruppe (p = 0,001). In einer weiteren Untersuchung war bei atrophischen Hautty- pen ein um den Faktor 8,8 höheres Risiko für aktinische Ke- ratosen als bei faltigen Menschen (Faktor 1,2) festzustellen. Und von einem weiteren Risiko wurde am EADV berichtet: Speziell Frauen, die älter aussehen, als ihr tatsächliches Alter vermuten lässt, haben ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Damit scheint die Haut auch Hinweise auf mögliche kardio- vaskuläre Risiken zu geben. L Klaus Duffner Quelle: Session «Aging and treatment options» beim 26. Kongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV), 16. September 2017 in Genf. CongressSelection Dermatologie | Januar 2018 23 EADV Referenzen: 1. Hamer MA et al.: Lifestyle and Physiological Factors Associated with Facial Wrinkling in Men and Women. J Invest Dermatol 2017; 137(8): 1692–1699. 2. Hamer MA et al.: Validation of image analysis techniques to measure skin aging features from facial photographs. Skin Res Technol 2015; 21(4): 392–402. 3. Liu F et al.: The MC1R Gene and Youthful Looks. Current Biology 2016, 26 (9) 1213–1220. 4. Purba MB et al.: Skin wrinkling: can food make a difference? J Am Coll Nutr 2001; 20 (1): 71–80. 5. Cosgrove et al.: Dietary nutrient intakes and skin-aging appearance among middle-aged American women. Am J Clin Nutr 2007; 86(4): 1225–1231. 6. Nagata C et al.: Association of dietary fat, vegetables and antioxidant micronutrients with skin ageing in Japanese women. Brit Journal of Nutrition 2010; 103(10): 1493–1498. 7. Griffiths CE et al.: Restoration of collagen formation in photodamaged human skin by tretinoin (retinoic acid) N Engl J Med 1993; 329(8): 530–535. 8. Lahmann C et al.: Matrix metalloproteinase-1 and skin ageing in smokers. Lancet 2001; 357(9260): 935–936. 9. Watson REB et al.: Fibrillin-Rich Microfibrils are Reduced in Photoaged Skin. Distribution at the Dermal–Epidermal Junction. J I D 1999; 112 (5): 782–787. 10. Brooke RC et al.: Discordance between facial wrinkling and the presence of basal cell carcinoma. Arch Dermatol 2001; 137(6): 751–754. 24 CongressSelection Dermatologie | Januar 2018