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EASD
Entzündungshemmung ist auch bei Typ-2-Diabetes ein heisses Thema
Interview mit Prof. Marc Donath, Universitätsspital Basel
Am diesjährigen EASD-Kongress waren bei den präsentierten klinischen Studien zwei Schwerpunkte auszumachen: kardiovaskuläre Effekte von bereits eingesetzten Antidiabetika und der Einsatz von SGLT-2-Hemmern bei Typ-1-Diabetikern. Über diese und andere Kongressthemen sprachen wir mit Prof. Marc Donath vom Universitätsspital Basel.
Prof. Marc Donath, Chefarzt Endokrinologie, Diabetologie & Metabolismus, Universitätsspital Basel, ist in Bern geboren und in Genf und Paris aufgewachsen. Prof. Donath hat für seine Forschungen schon mehrfach Preise erhalten, darunter den Cloetta-Preis 2014 für die Erforschung des Entstehungsmechanismus des Typ-2-Diabetes.
TOSCA-Studie
In der randomisierten, multizentrischen TOSCA-Studie aus Italien erhielten 3028 Typ-2-Dia-
betiker, die unter Metformin nicht genügend gut eingestellt waren, zusätzlich Pioglitazon
oder Sulfonylharnstoffe (Glimepirid oder Gliclazid). Als Endpunkt war eine Kombination von
Tod jeglicher Ursache, nicht tödlichem Myokardinfarkt, nicht tödlichem Hirnschlag oder drin-
gend erforderlicher Revaskularisation definiert. Zu Beginn der Studie hatten 11 Prozent der
Teilnehmer ein kardiovaskuläres Ereignis in ihrer Vorgeschichte. Nach knapp 5 Jahren wurde
die Studie gestoppt, weil weniger kardiovaskuläre Ereignisse eingetreten waren als ange-
nommen. Zu diesem Zeitpunkt waren unter Pioglitazon 105 (1,5/100 000 Personenjahre) Er-
eignisse aufgetreten, unter den Sulfonylharnstoffen 108 (1,5/100 000 Personenjahre). Die
Langzeiteffekte auf die Mortalität und Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen jeglicher
Ursache waren somit unter beiden Therapieregimen ähnlich. Signifikanz erreichte dagegen
die unter Pioglitazon tiefere Hypoglykämierate (10 vs. 34%; p = 0,0001). Zu einer moderaten
Gewichtszunahme um etwa 2 kg kam es in beiden Gruppen, die Raten von Herzinsuffizenz,
Blasenkrebs und Frakturen unterschieden sich nicht signifikant.
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Quelle: Vaccaro O: «Effects on the incidence of cardiovascular events of the add-on of pioglitazone as compared with a sulfonylurea in type 2 diabetic patients inadequately controlled with metformin: the TOSCA.IT study». Präsentiert am EASD 2017, 11. bis 15. September 2017 in Lissabon.
1. Vaccaro O et al.: Effects on the incidence of cardiovascular events of the add-on of pioglitazone as compared with a sulfonylurea in type 2 diabetic patients inadequately controlled with metformin (TOSCA.IT): a randomised multicentre trial. Lancet Diaabetes Endocrinol 2017 Sep 13; Epub ahead of print.
Wie sehen Sie die Bedeutung von SGLT-2-Hemmern auch bei Typ-1-Diabetes? Prof. Marc Donath: Da bin ich persönlich sehr skeptisch. SGLT-2-Hemmer verbessern zwar den Blutzucker, doch stimulieren sie weder die Insulinproduktion, noch verbessern sie den Insulineffekt. Ein Typ-1-Diabetiker hat einen Mangel an Insulin, und man bekämpft mit einem SGLT-2-Hemmer nur einen Teil eines Symptoms. Das Problem dabei ist, dass die Insulindosis anhand des Blutzuckers eingestellt wird. Mit einem SGLT-2-Hemmer scheidet der Körper einen Teil der Glukose mit dem Urin aus. Dadurch weiss man nicht, wie viel Insulin der Patient tatsächlich braucht. Bei übergewichtigen Typ-1-Diabetikern, wie es sie in den USA oft gibt, wäre ein Einsatz vielleicht gerechtfertigt, um den HbA1c und das Gewicht zusätzlich zu senken. Doch in der Schweiz, wo der Durchschnitts-Typ-1-Diabetiker eher schlank ist, sehe ich keine Notwendigkeit dafür. Denn dieser braucht das Insulin nicht nur für die Blutzuckerkorrektur, sondern auch für seinen Gesamtstoffwechsel. Insulin ist ja auch ein anaboles Hormon.
In Italien wurden in der TOSCA-Studie die kardiovaskulären Effekte von Pioglitazon versus Sulfonylharnstoff/Metformin untersucht. Pioglitazon war in kardiovaskulärer Hinsicht nicht besser, aber auch nicht schlechter als die Vergleichsmedikation. Was bedeutet dieses Resultat? Man neigt heutzutage in der Diabetologie etwas zur Schwarz-Weiss-Sicht. Sobald ein Medikament gewisse Nebenwirkungen hat, wird es aus den Therapieoptionen eliminiert. Das Problem bei Pioglitazon ist die starke Verbesserung der Insulinsensitivität, dadurch nehmen die Patienten zu. Bei bereits stark übergewichtigen Patienten fällt das nicht mehr weiter ins Gewicht. Bei einem schlanken Schweizer dagegen schon. Bei ganz bestimmten Patienten ist es aber durchaus sinnvoll, Pioglitazon einzusetzen. Insofern ist dieses Resultat wichtig. Einem Buschauffeur beispielsweise können wegen der drohenden Hypoglykämien keine Sulfonylharnstoffe oder Insulin gegeben werden. Hier ist ein Einsatz von Pioglitazon sinnvoll, auch im Bewusstsein, dass es laut der TOSCAStudie kardiovaskulär neutral ist.
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EASD
Welche Optionen gibt es für diesen Buschauffeur? Wenn der Patient eigentlich Insulin haben sollte, dies aber angesichts eines drohenden Berufsverbots nicht infrage kommt, braucht es oft eine Kombination. Im konkreten Fall bestand diese aus einem SGLT-2-Hemmer, einem DPP-4-Hemmer und zusätzlich noch Metformin. Aber damit war bei ihm der Typ-2-Diabetes noch immer nicht ausreichend kontrolliert. Deshalb erhält er nun zusätzlich Pioglitazon.
Am Kongress wurden auch etliche andere kardiovaskuläre Outcome-Studien von bereits gebräuchlichen Antidiabetika präsentiert. Es ist grundsätzlich gut zu wissen, ob und wie ein Antidiabetikum den makrovaskulären Komplikationen entgegenwirkt. Doch sollte man dabei die mikrovaskulären Komplikationen wie etwa die Vermeidung der Mikroangiopathie nicht ausser Acht lassen. Und das erreicht man natürlich mit einer konsequenten Blutzuckersenkung.
CANTOS-Studie
Herzerkrankungen sind auch entzündungsbedingt. Durch die Reduktion der Entzündung mit dem Interleukin-1-Hemmer Canakinumab, der zurzeit bei autoinflammatorischen Fiebersyndromen und bei systemischer juveniler idiopathischer Arthritis eingesetzt wird, sinkt auch das Risiko eines Reinfarkts bei Patienten mit vorangegangenem Herzinfarkt. Das zeigte die in 39 Ländern durchgeführte CANTOS-Studie, die bei 10 061 Patienten mit erfolgtem Herzinfarkt und mit anhaltend hohen Werten von hsCRP (high sensitive C-reactive protein) nach aggressiver Lipidsenkung doppelblind randomisiert 50, 150 oder 300 mg Canakinumab oder Plazebo subkutan alle 3 Monate während 4 Jahren erhielten. Als primärer Endpunkt waren nicht tödlicher Herzinfarkt, nicht tödlicher Hirnschlag oder kardiovaskulär bedingter Tod definiert. Als sekundärer Endpunkt galten Hospitalisationen zur notfallmässigen Revaskularisation infolge instabiler Angina pectoris. Unter den Dosierungen von 150 und 300 mg sank das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis signifikant um 15 respektive 14 Prozent, jenes für den sekundären Endpunkt um 17 Prozent.
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Quelle: Ridker P et al.: Antiinflammatory Therapy with Canakinumab for Atherosclerotic Disease. N Engl J Med 2017 Aug 27; Epub ahead of print. DOI: 10.1016/ S0140-6736(17)32247-X.
Was ist Ihrer Meinung nach die momentan beste Option dafür? Die beste antidiabetische Therapie erreicht man zurzeit mit GLP-1-Analoga. Diese Substanzklasse hat den Vorteil, das Gewicht sowie das kardiovaskuläre Risiko zu senken. Es gibt sie in Form von einmal wöchentlich zu applizierenden Spritzen und bald auch in einer Minipumpe, die subkutan implantiert wird und GLP-1-Analoga osmotisch freisetzt. Sie wird alle sechs Monate gewechselt. So müssen die Patienten sich nicht mehr die ganze Zeit selber spritzen.
Sie hatten eine Präsentation zur Bedeutung der Entzündungshemmung bei Typ-2-Diabetes. Wo stehen wir momentan? In der Entwicklung des Diabetes sowie der daraus resultierenden Komplikationen spielt die Entzündung eine wichtige Rolle. Therapien, die auf die Entzündungshemmung abzielen, haben das Potenzial, den Blutzucker zu
verbessern sowie Langzeitkomplikationen wie beispielsweise kardiovaskulären Ereignissen vorzubeugen, ohne eine Hypoglykämiegefahr zu bergen. In der in diesem Sommer publizierten CANTOS-Studie konnte beispielsweise bei Herzpatienten mit vorangegangenem Herzinfarkt gezeigt werden, dass unter einer Interleukin-1Hemmer-Therapie mit Canakinumab das Risiko für einen Reinfarkt signifikant sinkt. Fast 40 Prozent der teilnehmenden Patienten hatten auch einen Typ-2-Diabetes. Daher wird der Einfluss von Canakinumab nun auch bei Typ-2-Diabetes untersucht. In diese Untersuchung bin ich direkt involviert. Canakinumab hat natürlich auch Nebenwirkungen. Es wurde eine erhöhte Mortalität aufgrund von Infekten beobachtet. Doch Infekte sind behandelbar, und den Nutzen einer IL-1-Hemmung schätze ich höher ein.
Das Interview führte Valérie Herzog.
Foto: Susanne Wysocki/EASD
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