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ERS
Was bringt die aktualisierte GOLD-Leitlinie?
Prävention rückt in den Fokus, neue Klassifikation, mehr Individualisierung
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Personalisierte Therapie liegt im Trend. Mit der aktualisierten GOLD-Leitlinie soll auch die COPD-Therapie diesem Ziel ein Stück näher kommen. Darüber hinaus haben sich auch bei der Definition der COPD sowie in der Prävention wichtige Neuerungen ergeben. Auf dem ERS-Kongress befasste sich eine ganze Sitzung mit der neuen Leitlinie.
Bartolome Celli Gerard Criner Nicolas Roche
Die Sichtweise darüber, was eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD: chronic obstructive pulmonary disease) eigentlich ist, hat sich geändert. So seien es nach heutiger Vorstellung nicht mehr nur Atemwegseinengung und chronische Entzündung, betonte Prof. Bartolome R. Celli aus Boston (USA). Die Definition wurde um persistierende Atemwegssysmptome sowie um Anomalitäten der Atemwege und/oder der Alveolen erweitert. Die neue Definition einer COPD lautet nun (1):
«Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist eine häufige, verhinderbare und behandelbare Erkrankung, die charakterisiert ist durch persistierende Atemwegssymptome und eine Einschränkung des Atemflusses, die auf Anomalitäten der Atemwege und/oder der Alveolen, verursacht durch eine erhebliche Exposition gegenüber schädlichen Partikeln oder Gasen, zurückzuführen ist.»
Bereits mit dieser Definition habe sich auch die stärkere Hinwendung zur Prävention ergeben, wie Celli weiter ausführte: Sei es bis anhin immer in erster Linie darum gegangen, wie man den Verlust an Lungenfunktion habe verhindern können, sei in den letzten Jahren deutlich geworden, dass es bereits beim Aufbau der Lungenkapazität grosse Unterschiede gebe (2). Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, ob es Möglichkeiten gebe, durch entsprechende Massnahmen den Aufbau der Lungenfunktion während der Kindheit und der Adoleszenz zu fördern.
Rasanter Funktionsverlust versus schlechte Ausgangslage
Jedoch ergaben sich aus diesem Wissen neue Erkenntnisse zur Pathogenese – so ist inzwischen klar, dass eine COPD nicht immer die Folge eines raschen Abbaus der Lungenfunktion sein muss. Vielmehr gibt es auch die Menschen, die in jungen Jahren eine niedrigere maximale Lungenfunktion aufbauen (Abbildung 1) (2). Obwohl die Lungenfunktion bei diesen Menschen ebenso wie bei Lungengesunden nur langsam abnimmt, fallen diese Personen aufgrund ihrer niedrigeren Maximalwerte in der Jugend mit zunehmendem Alter ebenfalls unter eine Schwelle, unterhalb deren die reduzierte Lungenkapazität zu Atemnot führt. Für diese Patienten, die nach heutigem Kenntnisstand über die Hälfte der COPD-Patienten ausmachten, müssten wohl andere Strategien erwogen
werden als für diejenigen mit einem schnellen Funktionsverlust, betonte Celli. In Zukunft solle daher vermehrt auch auf den Aufbau einer guten Lungenfunktion bei jungen Menschen geachtet werden.
Luftverschmutzung bleibt ein grosses Problem
Vor diesem Hintergrund sei es, wie Celli betonte, erfreulich, dass die Prävalenz des Tabakkonsums – Tabak gilt als wichtigste Noxe weltweit – rückläufig sei. Dagegen bleibt die Luftverschmutzung ein grosses Problem. Dabei ist eine Assoziation zwischen der Luftqualität und der Lungenentwicklung bei Kindern belegt, wie zum Beispiel eine Auswertung von Daten der Children’s Health Study gezeigt hat (3): In dieser Studie wurden drei zeitlich aufeinanderfolgende Kohorten von Kindern über jeweils 4 Jahre miteinander verglichen. Das Durchschnittsalter der Kinder zu Beginn der Beobachtungszeiträume betrug 11 Jahre und am Ende 15 Jahre. Die im Laufe des Gesamtbeobachtungszeitraums (1994–2011) festgestellteVerbesserung der Luftqualität bezüglich Stickstoffdioxid und Feinstaubbelastung war mit einer signifikanten Verbesserung der Lungenfunktion assoziiert. In Zukunft gelte es deshalb, das Potenzial, das sich aus einer Reduktion der schädlichen Belastungen für die zukünftige Lungengesundheit ergebe, noch besser zu fördern, so das Fazit von Celli.
Klassifikation: Lungenfunktion plus Klinik ergibt COPD-Klasse
Auch die Klassifikation der COPD wurde in der neuen Leitlinie modifiziert. Wie Prof. Gerard J. Criner aus Philadelphia (Pennsylvania, USA) erläuterte, wurde hierbei die eindimensionale Schweregradeinteilung, wie sie im Jahr 2007 eingeführt wurde, mit der neueren ABCD-Einteilung von 2011 kombiniert. Denn es hatte sich herausgestellt, dass die alte, an der Einschränkung der Lungenfunktion ausgerichtete Einteilung bezüglich der Überlebensprognose aussagekräftiger war. Um aber auch die Symptome und die Exazerbationshäufigkeit zu berücksichtigen, soll nun zu den Schweregraden (1–4) die Symptomatik und die Exazerbationshäufigkeit nach dem ABCD-Schema ergänzt werden (Abbildung 2). Die Spirometrie wird als zwingend erforderlich erachtet, um die Diagnose einer COPD stellen zu können. Wenn nach Inhalation eines schnell wirkenden Bronchodilatators der
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FEV1/FVC-Quotient unter 0,70 liegt, gilt eine persistierende Atemflusseinschränkung als gesichert. Die weitere COPD-Diagnostik soll dazu dienen, den Schweregrad der Erkrankung näher zu bestimmen, einschliesslich der Atembeeinträchtigung, des Einflusses der Erkrankung auf den Gesundheitszustand sowie des Risikos für zukünftige Ereignisse wie Exazerbationen und Klinikeinweisungen. Dabei sollen auch häufige Begleiterkrankungen Berücksichtigung finden.
Therapie wird individualisierter und dynamischer
Entsprechend der Klassifikation seien auch die Therapieempfehlungen präzisiert und im Sinne einer personalisierten Therapie an die vier klinischen Ausprägungen (ABCD) angepasst worden, berichtete Prof. Nicolas Roche aus Paris. Die COPD-Therapie hat dabei zwei wesentliche Ziele: einerseits die Reduktion von Symptomen, andererseits aber auch die Risikoreduktion. Diese Risikoreduktion umfasst die Prävention einer Krankheitsprogression, die Prävention von Exazerbationen sowie die Reduktion des Mortalitätsrisikos. Dagegen geht es bei der symptomatischen Zielsetzung um eine Linderung von Symptomen, aber auch um die Verbesserung der Belastbarkeit und des gesamten Gesundheitszustandes. Eine wichtige Message der neuen GOLD-Leitlinie sei dabei die Forderung nach einer stärkeren Individualisierung der Therapie, betonte Roche. Dementsprechend gibt es auch unterschiedliche Therapiealgorithmen in Abhängigkeit der ABCD-Klassifikation (Abbildung 3). Eine ganze Reihe von Therapieprinzipien und zusätzlichen Massnahmen stehen hierfür zur Verfügung. Eine zentrale Bedeutung haben die inhalativen Bronchodilatatoren. Hierzu wurde die Gewichtung präzisiert: Bei leichteren Schweregraden soll demnach mit einem lang wirksamen Antimuskarinikum (LAMA: long acting muscarinic antagonist) begonnen werden. Denn es habe sich gezeigt, dass LAMA hinsichtlich der Prävention von Exazerbationen den lang wirksamen Beta-2-Agonisten (LABA: long acting beta2 agonist) offenbar überlegen seien, so Roche weiter. Bei unzureichender Kontrolle wird die Erweiterung auf eine Kombinationstherapie empfohlen, wobei in den meisten Fällen der Kombination LAMA mit einem LABA der Vorzug gegeben wird. Die beim Asthma sehr verbreitete Kombination aus LABA und Inhalationssteroid (ICS) hat demnach bei der COPD eine untergeordnete Bedeutung und sollte nur in besonderen Fällen erwogen werden. Modifikationen der COPD-Therapie wurden in der Vergangenheit nur als Steigerung bei ungenügendem Ansprechen und somit quasi nur eindimensional gesehen. Das hat sich nun ebenfalls geändert. Denn auch die frühere Auffassung, dass die COPD immer progredient verläuft, gilt heute als obsolet: In mehreren Studien wurde gezeigt, dass auch eine langfristige Verbesserung der Lungenfunktion möglich ist. Dementsprechend könne man nach der neuen Leitlinie die Therapie hoch-, aber auch wieder herunterfahren, betonte Roche: «Man sollte heute in der Betreuung von Patienten mit COPD dynamischer sein.» In Zukunft gelte es auch, zu klären, ob die Dreierkombination aus LAMA, LABA und ICS weitere Vorteile bringe, und wenn ja, ob es bestimmte Patienten seien, die von dieser weiteren Therapieeskalation profitieren könnten.
Abbildung 1: Verlauf der Lungenfunktion im Laufe des Lebens
keine COPD
normal kleine Lungen, keine COPD Normaler Augangs-FEV1 mit schnellem Funktionsverlust kleine Lungen mit langsamem Funktionsverlust
Alter (Jahre)
COPD
Quelle: nach Lange P et al. (2)
Abbildung 2: Neue GOLD-Klassifikation der COPD
Quelle: nach GOLD (1)
Abbildung 3: GOLD-Algorithmen zur Pharmakotherapie (grün: bevorzugte Optionen)
Gruppe C
LAMA + LABA
LABA + CSI
Weitere Exazerbation(en)
LAMA
Gruppe D
Ro umilast erwägen, wenn FEV1 < 50% SOLL
und Pat. chronische Bronchitis hat
Makrolid erwägen (bei früheren Rauchern)
Weitere Exazerbation(en)
LAMA + LABA + CSI
Weitere Exazerbation(en)
LAMA
LAMA + LABA
Persistierende Symptome/weitere Exazerbation(en)
LABA + CSI
Gruppe A Fortführen, beenden oder
andere Bronchodilatator-Klasse probieren
Wirkung beurteilen
Bronchodilatator
Bevorzugte Behandlung =
Gruppe B
LAMA + LABA
Persistierende Symptome
Lang wirkender Bronchodilatator (LABA oder LAMA)
Quelle: nach GOLD (1)
CongressSelection Pneumologie • November 2017 • 3
ERS
Take Home Messa es
® Bei COPD-Patienten ist nicht immer ein rascher Abbau der Lungenfunktion zu beobach-
ten. Es gibt auch Patienten, bei denen nach einem unzureichenden Aufbau der Lungenfunktion in der Jugend ein langsamer, altersmässiger Abfall zu einer COPD führt. Diese Klientel macht nach heutigem Wissen über die Hälfte der COPD-Patienten aus.
® In Zukunft sollte, im Sinne einer COPD-Prävention, vermehrt auf den Aufbau einer guten
Lungenfunktion bei jungen Menschen geachtet werden. Der Schutz vor Inhalationsnoxen spielt dabei eine wichtige Rolle.
® Die neue GOLD-Klassifikation der COPD ist eine Kombination aus der Schweregradeintei-
lung anhand der Lungenfunktionseinschränkung und der klinischen Klassifikation anhand von Symptomatik und Exazerbationshäufigkeit.
® Die Spirometrie wird heute als zwingend erachtet, um die Diagnose einer COPD zu stellen.
® Die Ziele der COPD-Therapie sind einerseits die Symptomreduktion, andererseits aber
auch die Reduktion des Exazerbations- und des Mortalitätsrisikos.
® Die Therapie beginnt bei leichteren Schweregraden vorzugsweise mit einem LAMA. Bei
unzureichender Kontrolle wird die Erweiterung auf eine Kombinationstherapie empfohlen, wobei in den meisten Fällen der Kombination LAMA mit einem LABA der Vorzug gegeben werden sollte.
® Bei langfristiger Besserung der Lungenfunktion kann eine Reduktion der Therapie erwo-
gen werden.
Fazit
Zum heutigen Stand der Therapie fasste Roche zusammen: Eine Heilung der COPD sei zwar nach wie vor nicht in Sicht, doch das sei kein Grund mehr für therapeutischen Nihilismus. Vielmehr sei heute Optimismus angesagt, denn wir hätten viele effektive therapeutische Optionen, und gute Medikamente würden durch nicht pharmakologische Ansätze ergänzt. Die Herausforderung für die Ärzte bestehe also darin, die verschiedenen pharmakologischen Optionen in eine gute Strategie umzuwandeln. Wir bräuchten daher Empfehlungen mit massgeschneiderten und dynamischen Behandlungsanweisungen, damit die klinisch tätigen Ärzte bei jedem konkreten Patienten wüssten, welche Strategie am besten passe und wie diese bei sich ändernden Befunden angepasst werden solle. Und Roche abschliessend: «Das ist der Weg, auf dem wir in Zukunft zu einer personalisierten Therapie der COPD kommen.»
AZA
Quelle: Session «Latest GOLD Update» beim ERS-Kongress 2017, 12. September 2017 in Mailand.
Referenzen: 1. http://goldcopd.org/gold-reports/ 2. Lange P et al.: Lung-Function Trajectories Leading to Chronic Obstructive Pulmonary Disease. N Engl J Med 2015; 373(2): 111–122. 3. Gauderman J et al.: Association of Improved Air Quality with Lung Development in Children. N Engl J Med 2015; 372(10): 905–913.
Foto: European Lung Foundation (ELF)
«Healthy Lungs for Life» kämpft für saubere Luft
Der Blick in der Pneumologie richtet sich immer mehr in Richtung Prävention. Das wohl deutlichste Zeichen dieser Entwicklung ist die Kampagne «Healthy Lungs for Life» – ein gemeinsames Projekt der ERS und der European Lung Foundation (ELF). Seit ihrem Start im Jahr 2014 wird mit dieser Kampagne das Bewusstsein der Allgemeinbevölkerung und Politik wie auch von Mitarbeitern des Gesundheitssystems auf die Bedeutung der Lungengesundheit gelenkt. Das jährlich wechselnde Motto, das jeweils auf dem ERSJahreskongress verkündet wird, lautet für 2017/18 «saubere Luft atmen». Damit sollen die Bedeutung der Luftqualität im Innen- und Aussenbereich betont sowie die Vorteile eines tabakrauchfreien Lebens für sich und andere thematisiert werden. Wie auch schon in den vergangenen Jahren, so fanden auch beim diesjährigen ERS-Kongress Informationstage für die Bevölkerung statt. Dort gab es nicht nur Informationen über die Bedeutung einer guten Luftqualität für die Gesundheit, sondern auch Tipps für den Rauchstopp sowie kostenlose Lungenfunktionstestungen. Darüber hinaus gab es auch eine Informationsveranstaltung zur erfolgreichen Tabakentwöhnung auf dem ERS-Kongress selbst.
Weitere Informationen zu «Healthy Lungs for Life»: http://www.europeanlung.org/en/projects-and-research/projects/healthy-lungs-for-life/home/
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