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Idiopathische Lungenfibrose im klinischen Alltag
Kleine Schritte in die richtige Richtung
Seit wenigen Jahren sind erstmals wirksame Therapien gegen die idiopathische Lungenfibrose (IPF) zugelassen. Diese verlängern das Leben, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass die IPF nach wie vor eine progrediente und letztlich zum Tode führende Krankheit ist. Experten treten für eine frühe Diagnose und einen unverzüglichen Therapiebeginn ein.
Seit ihrer späten Erstbeschreibung im Jahr 1980 (1) hat sich das Bild der (damals noch kryptogene fibrosierende Alveolitis genannten) idiopathischen Lungenfibrose mehrfach gewandelt. Der Terminus «idiopathic pulmonary fibrosis» (IPF) wurde in einer Arbeit aus den USA eingeführt und umfasste ursprünglich vier verschiedene Formen interstitieller Pneumonie sowie eine Reihe weiterer Erkrankungen mit unterschiedlicher Genese und Prognose (2). Auffallend an diesen frühen Fallserien war, so Prof. Bruno Crestani aus Paris, dass die Prognose mit einem Fünf-Jahres-Überleben in der Grössenordnung von 50 Prozent nicht weit von dem entfernt war, was in neueren Studien beobachtet wurde. Die IPF ist heute eine Ausschlussdiagnose. Von idiopathischer Lungenfibrose spricht man bei Patienten, die das Bild einer «usual interstitial pneumonia» (UIP) zeigen und bei denen keine Ursachen für eine interstitielle Lungenerkrankung gefunden werden können (3). Die präzise Definition lautet: «IPF ist eine spezifische Form einer chronischen, progressiv fibrosierenden interstitiellen Pneumonie unbekannter Ursache, die primär bei älteren Erwachsenen auftritt, auf die Lunge beschränkt bleibt und mit dem histopathologischen und/oder radiologischen Muster einer UIP assoziiert ist.» Wichtig an dieser aus dem Jahr 2011 stammenden Definition ist, so Crestani, nicht zuletzt der Umstand, dass für die Diagnose keine Biopsie mehr benötigt wird, sondern ein UIP-Muster in der hochauflösenden CT genügt.
Computertomografie ist der Biopsie ebenbürtig
Dass die CT die Methode der Wahl ist, zeigen Studien, die beispielsweise ergaben, dass sich bioptisch diagnostizierte IPF-Patienten hinsichtlich des Überlebens nicht von jenen unterscheiden, bei denen die Diagnose einer IPF allein radiologisch gestellt wurde (4). Studiendaten zeigen auch, dass Kliniker IPF-Diagnosen zumindest so zuverlässig stellen wie Radiologen oder Pathologen (5). Die für die IPF-Diagnose erforderliche UIP fällt im HRCT durch das sogenannte «Honigwabenmuster» (honeycombing) auf. Ist das Bild nicht eindeutig, so kann eine Biopsie erforderlich werden. Crestani: «Ich biopsiere diese Patienten aber nicht gerne und meine Patienten wollen auch keine Biopsie.» Nach Biomarkern, die die nicht invasive Diagnostik erleichtern, wird intensiv gesucht. Immer wieder diskutiert wird die Frage, ob es sich bei der IPF tatsächlich um eine pathophysiologische Entität
handelt oder vielleicht nur um einen gemeinsamen Endzustand unterschiedlicher Erkrankungen, zumal honeycombing einen Endzustand nach Untergang von Lungenparenchym und damit sozusagen die Reste zerstörter Lungenbereiche darstellt. Aus diesem Grund sind auch die im Rahmen einer IPF entstandenen Schäden prinzipiell nicht reversibel. Crestani ist allerdings überzeugt, dass IPF eine recht präzise umschreibbare Erkrankung ist. Dafür spreche nicht zuletzt ein recht genau ausgearbeitetes pa-
«IPF ist eine spezifische Form einer chronischen,
pro ressiv fibrosierenden interstitiellen Pneumonie
unbekannter Ursache, die primär bei älteren Erwach-
senen auftritt, auf die Lun e beschränkt bleibt und
mit dem histopatholo ischen und/oder radiolo i-
schen Muster einer UIP assoziiert ist.»
thophysiologisches Modell, das von einer Alteration der Typ-2-Pneumozyten ausgeht. Ursachen können mechanische, endogene und exogene Noxen sein, wobei unter Letzteren beispielsweise Tabakrauch, Viren und Bakterien infrage kommen. Die Pneumozyten schütten in der Folge Zytokine, Chemokine, Lipide, Wachstumsfaktoren und so weiter aus, was die Aktivierung, Migration und Proliferation von Fibroblasten triggert. Das Endergebnis ist eine Narbenbildung in der Lunge. Warum diese Kaskade bei manchen Menschen in Gang kommt und bei anderen nicht, ist unklar. Genetische Faktoren dürften ebenso wie höheres Alter zu einer IPF prädisponieren (6).
Frühe Diagnose dürfte Therapieergebnis verbessern
Eine IPF sollte früh diagnostiziert werden, damit andere (potenziell kurativ behandelbare) Erkrankungen ausgeschlossen werden können. Wird eine IPF-Verdachtsdiagnose bestätigt, so verfolgt die Therapie das Ziel einer Verlangsamung der Progression und damit einer Verbesserung der langfristigen Prognose. Allerdings ist die Diagnose einer IPF in einem frühen Stadium umso schwieriger. Die Interpretation des CT kann problematisch sein und Biomarker stehen gegenwärtig nicht zur Verfügung. Vor besonderen Schwierigkeiten stehe man, so Dr. Sergio Harari aus Mailand, wenn keine eindeutige Diagnose möglich ist und man mit Zustandsbildern wie einer «wahrscheinlichen
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UIP» konfrontiert ist. Die Frage, ob und wie eine wahrscheinliche UIP beziehungsweise nicht klassifizierbare Fibrose behandelt werden sollen, kann gegenwärtig nicht evidenzbasiert beantwortet werden. Maher wies auch auf zahlreiche ungelöste Probleme im praktischen Umgang mit der Erkrankung hin. Gegenwärtig werden nur rund 50 Prozent der Patienten mit antifibrotischen Medikamenten behandelt, und eine palliative Versorgung kommt im Endstadium der Erkrankung viel zu selten zum Einsatz (7). Gegenwärtig sind zwei Therapien der IPF zugelassen, die sich in Studien als wirksam erwiesen haben (8, 9) und die auch auf schlüssigen pathophysiologischen Konzepten beruhen. Pirfenidon (Esbriet®) hat antifibrotische und entzündungshemmende Eigenschaften und reduziert unter anderem die Akkumulation von Entzündungszellen und die Fibroblastenproliferation. Im Gegensatz dazu ist Nintedanib (Ofev®) ein Tyrosinkinase-Inhibitor, der unter anderem den Rezeptor für den FibroblastenWachstumsfaktor (FGF) blockiert. Insgesamt ist die Prognose der IPF aber nach wie vor schlecht – schlechter als die der meisten onkologischen Erkrankungen, wie Dr. Toby Maher aus London betont. In um die Jahrtausendwende diagnostizierten Kohorten waren nach zehn Jahren nicht einmal 20 Prozent der Patienten am Leben. Seit der Einführung der antifibrotischen Therapien ist eine gewisse Verbesserung erkennbar. Wobei sehr unterschiedliche Verläufe beobachtet werden. Neben den relativ gesehen mehr oder weniger milden Verlaufsformen mit einer Lebenserwartung von einigen Jahren werden auch rapide progredierende Erkrankungen gesehen, die innerhalb von Monaten zum Tode führen. Bei manchen Patienten wechseln einander auch Perioden relativer Stabilität und Perioden rasanten Verfalls ab (10). Die verfügbaren Therapien haben zu einer Verbesserung der Lage beigetragen. Eine Analyse gepoolter Daten zu Pirfenidon zeigt unter Therapie ein Zehn-Jahres-Überleben in der Grössenordnung von 40 Prozent im Vergleich zu den 20 Prozent aus historischen Kohorten. Der Überlebensbenefit durch Therapie mit Pirfenidon wurde mit 2,47 Jahren berechnet (11). Folglich besteht in der internationalen Leitlinie unter Beteiligung der European Respiratory Society (ERS) auch die Empfehlung für Pirfenidon und Nintedanib (12).
Therapiebegleitende Programme verbessern die Compliance
Maher unterstrich, dass dies keine ideale Situation ist, dass damit allerdings die Vorteile klar aufseiten der Therapie im Vergleich zum Abwarten liegen. Ein verzögerter Therapiebeginn lässt sich angesichts der Daten kaum begründen und wird auch von den Patienten nicht gewünscht, wie eine kürzlich publizierte Befragung zeigte. In dieser Befragung waren 87 Prozent der Patienten der Ansicht, dass die Verzögerung der Krankheitsprogression durch die Medikamente deren Nebenwirkungen mehr als
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® Idiopathische Lungenfibrose ist eine Ausschlussdiagnose.
® Charakteristisch für die IPF ist das Bild einer «usual interstitial pneumonia» (UIP) im CT.
® Gegenwärtig sind zwei Therapien für die IPF zugelassen.
® Fragen zur Therapie-Adhärenz stellen sich auch in der Behandlung der IPF.
aufwiegt. Maher: «Die Patienten haben mehr Angst vor einer Progression der IPF. Und eine symptomatische IPF ist immer progredient.» Hinsichtlich der Nebenwirkungen der Therapie wies Prof. Dr. Wim Wuyts aus Antwerpen darauf hin, dass die meisten Nebenwirkungen der beiden zugelassenen antifibrotischen Therapien beherrschbar sind und nicht zu Therapieabbrüchen führen. Für beide Therapien wurden auch bereits Langzeitdaten publiziert. Sie zeigen im Vergleich zu den klinischen Studien keine unerwarteten Sicherheitssignale. So ergab ein 2017 veröffentlichter Review von Patienten unter Therapie mit Pirfenidon oder Nintedanib eine ähnliche Verträglichkeit wie in den klinischen Studien (13). Die häufigsten Nebenwirkungen waren unter Pirfenidon Nausea und Hautausschläge. Unter Nintedanib traten am häufigsten Diarrhöen auf. Ungeachtet der hohen Patientenzustimmung zum Nutzen der Therapie bestehen selbst in der Behandlung der IPF Compliance-Probleme. Soweit aus Studien bekannt, ist für Pirfenidon die Verschlechterung der IPF der häufigste Grund für den Therapieabbruch, gefolgt von Ausschlag, Übelkeit und Fotosensitivität. In den Studien zu Nintedanib wurde die Therapie wegen Durchfall und Übelkeit und viel seltener wegen Progression der IPF abgebrochen. Dazu Dr. Marlies Wijsenbeek vom Erasmus Medical Center in den Niederlanden: «Obwohl viele Patienten Nebenwirkungen erleben, sind diese Nebenwirkungen nicht ausschlaggebend für die Adhärenz.» Professioneller Support ist hilfreich. Studiendaten zeigen, dass Patienten in betreuten Programmen ihre Therapie länger durchhalten als Patienten, die gewissermassen sich selbst überlassen bIeiben (14).
Reno Barth
Quelle: State of the Art Session «Interstitial Lung Disease and Pulmonary
Vascular Diseases», und Satellitensymposium «Addressing the challen-
ges of IPF treatment» (Sponsor: F. Hoffmann-La Roche Ltd) beim ERS
2017, 9.–13. September 2017 in Mailand.
Referenzen: 1. Turner-Warwick M et al.: Cryptogenic fibrosing alveolitis: response to corticosteroid treatment and its effect on survival. Thorax 1980; 35(8): 593–599. 2. Katzenstein AL, Myers JL: Idiopathic pulmonary fibrosis: clinical relevance of pathologic classification. Am J Respir Crit Care Med 1998; 157(4 Pt 1): 1301–1315. 3. Raghu G et al.: An official ATS/ERS/JRS/ALAT statement: idiopathic pulmonary fibrosis: evidencebased guidelines for diagnosis and management. Am J Respir Crit Care Med 2011; 183(6): 788–824. 4. Mogulkoc N et al.: Pulmonary function in idiopathic pulmonary fibrosis and referral for lung transplantation. Am J Respir Crit Care Med 2001; 164(1): 103–108. 5. Walsh SL et al.: Multicentre evaluation of multidisciplinary team meeting agreement on diagnosis in diffuse parenchymal lung disease: a case-cohort study. Lancet Respir Med 2016; 4(7): 557–565. 6. Selman M, Pardo A: Revealing the pathogenic and aging-related mechanisms of the enigmatic idiopathic pulmonary fibrosis. an integral model. Am J Respir Crit Care Med 2014; 189(10): 1161–1172. 7. Maher TM et al.: Unmet needs in the treatment of idiopathic pulmonary fibrosis-insights from patient chart review in five European countries. BMC Pulm Med 2017; 17(1): 124. 8. King TE Jr et al.: A phase 3 trial of pirfenidone in patients with idiopathic pulmonary fibrosis. N Engl J Med 2014; 370(22): 2083–2092. 9. Richeldi L et al.: Efficacy and safety of nintedanib in idiopathic pulmonary fibrosis. N Engl J Med 2014; 370(22): 2071–2082. 10. Ley B et al.: Clinical course and prediction of survival in idiopathic pulmonary fibrosis. Am J Respir Crit Care Med 2011; 183(4): 431–440. 11. Fisher M et al.: Predicting Life Expectancy for Pirfenidone in Idiopathic Pulmonary Fibrosis. J Manag Care Spec Pharm 2017; 23(3-b Suppl): S17–S24. 12. Raghu G et al.: An Official ATS/ERS/JRS/ALAT Clinical Practice Guideline: Treatment of Idiopathic Pulmonary Fibrosis. An Update of the 2011 Clinical Practice Guideline. Am J Respir Crit Care Med 2015; 192(2): e3–19. 13. Galli JA et al.: Pirfenidone and nintedanib for pulmonary fibrosis in clinical practice: Tolerability and adverse drug reactions. Respirology 2017; 22(6): 1171–1178. 14. Duck A et al.: IPF Care: a support program for patients with idiopathic pulmonary fibrosis treated with pirfenidone in Europe. Adv Ther 2015; 32(2): 87–107.
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