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Neue Option bei Riesenzellarteriitis
Biologikum ermöglicht Reduktion der kumulativen Steroiddosis
Die zu den Grossgefässvaskulitiden gehörende Riesenzellarteriitis kann zu ernsthaften Komplikationen wie einer Erblindung führen. Im Zentrum ihrer Behandlung steht seit vielen Jahren eine Steroidtherapie. Neue Studien zeigen nun, dass durch eine Behandlung mit dem Interleukin-6-Rezeptor-Antagonisten Tocilizumab, kombiniert mit einer rasch ausschleichenden Steroidtherapie, ein sehr gutes Resultat erzielt und die kumulative Steroiddosis stark reduziert werden können.
Die Chapel-Hill-Nomenklatur unterscheidet vier verschiedene Gruppen von Vaskulitiden (1): neben den Grossgefässvaskulitiden, zu denen auch die Riesenzellarteriitis (RZA) gehört, sind dies die Vaskulitiden der mittelgrossen Gefässe sowie die ANCA-assoziierten und Immun-Komplex-vermittelten Vaskulitiden der kleinen Gefässe. Prof. Peter Villiger vom Inselspital Bern konzentrierte sich in seinen nachfolgenden Ausführungen auf die RZA und beschrieb einleitend die typischen Symptome: «Klassisch sehen wir Patienten mit plötzlich auftretendem Fieber, bis 39 Grad, das auch von Schüttelfrost begleitet sein kann. Es kommt zu oberflächlichen, oft brennenden Kopfschmerzen, einer Kieferklaudikation sowie einer schmerzhaften, manchmal auch sichtbar geschwollenen Arteria temporalis. Daneben können muskuläre Schmerzen, eine Polymyalgia rheumatica, vorliegen.» Er wies zudem darauf hin, dass es sich beim Kopfschmerz um einen neuartigen Schmerz handeln muss, nicht um einen Schmerz, den der Patient bereits kennt. Der Schmerz werde von den Betroffenen meist als einseitig und sehr intensiv beschrieben, erläuterte er. Die RZA ist eng mit der Polymyalgia rheumatica (PMR) assoziiert. «Darüber, ob hier eine pathogenetische Beziehung besteht oder ob es sich um eine Koinzidenz handelt, kann man streiten», meinte er. Es gebe aber sehr viele Argumente dafür, dass RZA und PMR eine ähnliche oder vergleichbare Pathogenese aufweisen. «Denn bei der Abklärung einer RZA finden wir, neben einer Aortitis, sehr oft äusserst eindrückliche entzündliche Veränderungen im Bereich des Schulter- und Beckengürtels», so Villiger weiter.
beschrieb Villiger. Hilfreich bei der Diagnose einer RZA der kranialen Arterien ist die Black-Blood-Sequenz – die entzündete Gefässwand präsentiert sich dabei als weisser Hof, welcher das sich schwarz darstellende Blut umgibt. «Das Ideale an dieser Darstellung ist, dass sich in einem Untersuchungsgang alle extrakraniellen Arterien darstellen lassen», meinte Villiger.
Steroide bei PMR und RZA
Die ACR-EULAR-Empfehlungen sehen für die Behandlung einer PMR 12,5 bis 25 mg Prednison pro Tag vor (2). Nach 4 bis 8 Wochen sollte die Dosis noch bei 10 mg pro Tag liegen. Bei Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Osteoporose oder anderen relevanten Komorbiditäten sollte mit der niedrigeren Dosis gestartet werden. «Ich persönlich setze stets 15 bis maximal 20 mg pro Tag ein», kommentierte Villiger. Damit könne er besser differenzieren, ob es sich um eine klassische PMR handle oder ob allenfalls die Diagnose überdacht werden müsse. Bei der RZA wird eine Prednisondosierung von 1 mg/ kg/Tag empfohlen (3). Nach 3 Monaten sollte die Dosis bis auf 10 bis 15 mg/Tag reduziert worden sein. «Dies ist ein wichtiger Punkt. Bei Patienten, die ich zugewiesen bekomme, sehe ich allerdings, dass dies nur sehr selten eingehalten wird», so Villiger. In der Notfallsituation, bei Gefahr einer Erblindung, sei 1 g Methylprednisolon i.v. über 3 bis 5 Tage angezeigt, ergänzte er. In einer Arbeit wurde der Effekt einer zusätzlichen Gabe von Methotrexat (7,5–15 mg pro Woche) bei RZA untersucht (4). Wie sich zeigte, konnten dadurch das Rezidivrisiko sowie die Steroidexposition reduziert werden.
Bildgebung bei Diagnose hilfreich
Neben Laboruntersuchungen, welche bei Patienten mit einer RZA erhöhte BSG- und CRP-Werte als Zeichen einer systemischen Entzündung ergeben, kommen in der Diagnostik insbesondere auch bildgebende Verfahren zum Einsatz. Wie Villiger erklärte, wird in Bern bei Verdacht auf eine RZA jeweils eine MR-Angiografie durchgeführt. Dabei sei es wichtig, jeweils ein Bild vor der Gabe des Kontrastmittels mit einem Bild unmittelbar nach der Injektion und einer dritten Aufnahme, zehn Minuten später, zu vergleichen. Die Gefässwand müsse sich in der dritten Aufnahme im Vergleich zur zweiten heller darstellen, so
Tocilizumab als neue Behandlungsoption
Als Einstieg ins Thema der Antizytokinbehandlung bei RZA wies Villiger auf die typischen histologischen Befunde bei dieser Erkrankung hin: «Wir sehen hier sehr viele mononukleäre Zellen, aber keine Granulozyten oder Plasmazellen. T-Zellen und Monozyten scheinen die Hauptakteure zu sein, während B-Zellen und Antikörper keine Rolle spielen.» Daraus lasse sich eine rationale Therapie ableiten. «Monozyten geben uns einen Grund dafür, TNF-α-Blocker oder einen Interleukin-6-RezeptorAntagonisten einzusetzen. Bei den T-Zellen gäbe es die Möglichkeit, diese zu eliminieren oder zu hemmen.» In
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einem Editorial zur Rolle der TNF-α-Blocker bei der RZA wird zudem ausgeführt, weshalb Anti-TNF-Antikörper in gewissen Situationen, zum Beispiel bei therapierefraktären Patienten, einen guten Platz haben (5). Villiger ging im Weiteren auf zwei Studien mit Tocilizumab bei RZA ein, dem in der Schweiz in dieser Indikation noch nicht zugelassenen Interleukin-6-Rezeptor-Antagonisten (6, 7). Er bemerkte dazu: «Die Resultate dieser beiden Arbeiten sind weitgehend deckungsgleich. Die kleinen Differenzen erklären sich unter anderem durch die Patientenpopulation oder durch die intravenöse beziehungsweise subkutane Verabreichung von Tocilizumab.» In der in Bern durchgeführten 1-jährigen doppelblinden, randomisierten Phase-II-Studie erhielten RZA-Patienten (neu diagnostiziert oder mit Rezidiv) entweder alle 4 Wochen 8 mg/kg Tocilizumab i.v. (n = 20) oder Plazebo (n = 10) (6). Alle Patienten bekamen zudem 1 mg/kg Prednison pro Tag. Dieses wurde nach einem vorgegebenen Schema über 12 Wochen ausgeschlichen. Während es in der Plazebogruppe im Verlauf des Jahres zu vielen Rückfällen kam, trat in der Tocilizumabgruppe lediglich ein Rezidiv auf, in der Woche 11 der Behandlung, wie der Redner erläuterte. Nach 52 Wochen lag die kumulative Steroiddosis in der Plazebogruppe mit 110 mg/ kg im Vergleich zu 43 mg/kg in der Tocilizumabgruppe signifikant höher (p = 0,0005). «Mit anderen Worten: Wir haben unter Tocilizumab fast keine Rezidive gehabt und enorm viel Steroide gespart», brachte es Villiger auf den Punkt. Er wies darauf hin, dass die Steroiddosis in der Studie sehr rasch reduziert wurde: «Eine Reduktion der Dosis um 0,1 mg/kg pro Woche ist problemlos möglich. So sind wir etwa in Woche 12 bis 16 bei null.» Die Studie von Stone et al. umfasste vier Arme (7). In zwei Armen wurde während 26 Wochen 162 mg Tocilizumab subkutan verabreicht (wöchentlich bzw. alle 2 Wochen), begleitet von einer ausschleichenden Prednisonbehandlung. Die beiden anderen Arme erhielten Plazebo sowie ausschleichend Steroide über 26 oder 52 Wochen. In Bezug auf eine anhaltende steroidfreie Remission erwies sich Tocilizumab, wöchentlich oder alle 2 Wochen gegeben, kombiniert mit einem Steroidtapering über 26 Wochen, gegenüber den Vergleichsarmen (Steroidtapering über 26 beziehungsweise 52 Wochen plus Plazebo) als signifikant überlegen. Die Studie zeigte zudem, dass es bei den Patienten der Plazebogruppe mit ausschleichender Steroiddosis über 26 Wochen insbesondere in den letzten Wochen der Prednisongabe zu einem deutlichen Anstieg der Rezidive kam. «Die letzten Reduktionsschritte, von etwa 5 Milligramm auf 0, scheinen bei diesen Patienten offensichtlich matchentscheidend gewesen zu sein», kommentierte der Redner: «Dies deckt sich gut mit unseren Erfahrungen. So haben wir immer wieder Patienten, bei denen es mit einer Steroiddosis von 4 oder 3 Milligramm gut geht, mit 2 dann aber nicht mehr. Dieser Tiefdosisbereich scheint therapeutisch relevant zu sein.»
Die Arbeit von Stone et al. zeigte im Weiteren, dass etwa ein Drittel der Patienten, die während 26 Wochen Steroide erhalten hatten, nach 52 Wochen weiterhin in Remission waren. «Bei einem Drittel unserer Patienten haben wir die Chance, dass sie ausser einer halbjährigen Steroidtherapie keine andere Behandlung mehr brauchen», erläuterte Villiger. Abschliessend fasste er zusammen: «Bis zur Zulassung von Tocilizumab in der Schweiz würde ich vorschlagen, die Kostengutsprache dann zu beantragen, wenn Sie einen RZA-Patienten mit erheblichen Steroidrisikofaktoren wie Diabetes, Osteoporose oder Arteriosklerose vor sich haben. In allen anderen Fällen setzen Sie Steroide ein, die Sie über 12 bis 16 Wochen ausschleichen. Tritt ein Rezidiv auf, kommt dann Tocilizumab zum Zug.»
Therese Schwender
Referenzen: 1. Jennette JC et al.: 2012 revised International Chapel Hill Consensus Conference Nomenclature of Vasculitides. Arthritis Rheum 2013; 65: 1–11. 2. Dejaco C et al.: 2015 Recommendations for the management of polymyalgia rheumatica: a European League Against Rheumatism/American College of Rheumatology collaborative initiative. Ann Rheum Dis 2015; 74: 1799–1807. 3. Mukhtyar C et al.: EULAR recommendations for the management of large vessel vasculitis. Ann Rheum Dis 2009; 68: 318–323. 4. Mahr AD et al.: Adjunctive methotrexate for treatment of giant cell arteritis: an individual patient data meta-analysis. Arthritis Rheum 2007; 56: 2789–2797. 5. Salvarani C et al.: Do we need treatment with tumour necrosis factor blockers for giant cell arteritis? Ann Rheum Dis 2008; 67: 577–579. 6. Villiger PM et al.: Tocilizumab for induction and maintenance of remission in giant cell arteritis: a phase 2, randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2016; 387: 1921–1927. 7. Stone JH et al. Trial of Tocilizumab in Giant-Cell Arteritis. N Engl J Med 2017; 377: 317–328.
Quelle: Rheuma Top 2017. Symposium für die Praxis. 24. August 2017 in Pfäffikon.
Take Home Messa es
® Die klassischen Symptome einer Riesenzellarteritis sind plötzlich auftretendes hohes
Fieber (bis 39 Grad), Schüttelfrost, oberflächliche, oft brennende Kopfschmerzen, Kieferclaudicatio sowie eine schmerzhafte, manchmal auch sichtbar geschwollenen Arteria temporalis.
® Daneben können muskuläre Schmerzen (Polymyalgia rheumatica) auftreten.
® Nach Möglichkeit sollen vor Therapiebeginn bildgebende Verfahren (MR-Angiographie,
PET-CT, Doppler) durchgeführt werden.
® Bei Visusverlust ist immediat 1 g Methylprednisolon zu infundieren.
® Methotrexat ist eine valable, steroidsparende Therapieoption.
® Falls Glucocorticoid-Risikofaktoren, wie ein Diabetes mellitus, eine Arteriosklerose oder
eine Osteoporose vorliegen, sollte Tocilizumab als primäre Option eingesetzt werden.
® In allen anderen Fällen Therapie mit Steroiden starten, diese über 12 bis 16 Wochen aus-
schleichen. Bei Rezidiv Tocilizumab einsetzen.
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