Transkript
SSAI
Nussallergien – immer noch eine medizinische Herausforderung
Cashew- und Walnussallergie im Fokus
Die Schweiz ist Europameisterin, wenn es um die Häufigkeit von Sensibilisierungen auf Nahrungsmittel geht. Fast ein Viertel der Erwachsenen und sogar 29 Prozent der Schulkinder sind auf mindestens ein Nahrungsmittel sensibilisiert. Bei der grossen Anzahl Sensibilisierter diejenigen Personen zu identifizieren, bei denen wirklich eine Nahrungsmittelallergie besteht, stellt eine gewaltige Herausforderung für allergologisch tätige Ärzte dar. Über Neuigkeiten auf dem Gebiet der Nahrungsmittelallergien sprach Prof. Barbara Ballmer-Weber aus Luzern bei der Jahresversammlung 2017 der SSAI.
Während für Europa kaum verlässliche epidemiologische Angaben zur Prävalenz verschiedener Nahrungsmittelallergien im Erwachsenenalter erhältlich sind, gibt es gute Daten zur Prävalenz von Sensibilisierungen. Im Rahmen des EuroPrevall-Projektes an acht europäischen Zentren durchgeführte Serum-IgE-Untersuchungen bei Erwachsenen im Alter von 20 bis 54 Jahren ergaben für Nahrungsmittelsensibilisierungen Prävalenzen, die von 6,6 Prozent in Island bis 23,6 Prozent in der Schweiz reichten (1). In der Schweiz wurden überdies aktuelle Daten bei 2312 Schulkindern im Alter von 7 bis 10 Jahren erhoben. Gegenüber irgendeinem Nahrungsmittel waren insgesamt 29 Prozent der Schulkinder sensibilisiert, berichtete die Referentin. Die häufigsten Sensibilisierungen betrafen Nüsse (z.B. Haselnuss, Erdnuss, Walnuss), Früchte (z.B. Banane, Pfirsich, Apfel, Kiwi) und Gemüse (z.B. Sellerie, Karotte, Tomate). Anders als bei den Erwachsenen waren 10 Prozent der Schulkinder auf Milch sensibilisiert und 8 Prozent auf Hühnerei.
Cashewnussallergie ist besonders aggressiv
Gemäss den Daten des europäischen Anaphylaxieregisters wurden 70 Prozent der Anaphylaxien bei Kindern und Jugendlichen durch Nahrungsmittel ausgelöst (2). Neben Erdnuss und Haselnuss – den bekannten, für Anaphylaxien im Kindesalter verantwortlichen Nüssen – sind neu auch Cashewnuss und Walnuss als Anaphylaxie-Auslöser aufgetaucht. Als Allergene von Cashewnuss (Anacardium occidentale) wurden drei Speicherproteine mit hoher Stabilität identifiziert: das 2S-Albumin Ana o 3, das S7-Globulin Ana o 1 und das 11S-Globulin Ana o 2. Die Allergie auf Cashewnuss stelle eine aggressive Form von Nahrungsmittelallergie dar, sagte die Referentin. Bei allergischen Kindern löse Cashewnuss viel häufiger schwere Reaktionen aus als beispielsweise Erdnuss und mache auch häufiger die intramuskuläre Verabreichung von Adrenalin erforderlich. Der Allergenkomponententest (ImmunoCAP®) unter Verwendung des rekombinanten 2S-Albumins rAna o 3 ist ein sehr hilfreicher diagnostischer Test. In einer Studie erwies sich rAna o 3 als der beste Marker, um zwischen
Cashewnussallergie und Toleranz zu unterscheiden (3). Weil Cashew und Pistazie miteinander verwandt und immunologisch fast identisch sind, kann von einem CashewPistazie-Allergiesyndrom gesprochen werden (3). In der erwähnten Studie erlaubte der Test mit rAna o 3 auch zuverlässig die Diskriminierung zwischen Pistazienallergie und Toleranz (3). Durch den Nachweis der Sensibilisierung gegenüber rAna o 3 konnten 94 Prozent der Cashewnussallergiker und 96 Prozent der Pistazienallergiker korrekt identifiziert werden (3). Eine weitere, kürzlich publizierte Studie konnte bei 42 auf Cashew allergischen und 19 toleranten Kindern zeigen, dass der Nachweis von spezifischen, gegen Ana o 3 gerichteten IgE-Antikörpern einen guten Prädiktor für eine relevante Cashewnussallergie darstellt (4). Es wurde berechnet, dass bei einer Sensibilisierung gegen Ana o 3 (Konzentration mindestens 2 kU/l) mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent eine echte Cashewallergie vorliegt. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass der Test möglicherweise eine beträchtliche Anzahl von oralen Provokationstests überflüssig machen könnte (4).
Schon ein Hundertstel einer Cashewnuss löst Symptome aus
Bereits eine so winzige Menge wie ein Hundertstel einer Cashewnuss (entspricht 1 mg Protein) löste bei 46 Prozent allergischer Kinder im Alter zwischen 2 und 17 Jahren subjektive und bei 11 Prozent objektive Symptome aus. Diese erstaunlich grosse allergene Potenz der Cashewnuss wurde in einer Studie anlässlich von doppelblinden, plazebokontrollierten Nahrungsmittelprovokationen festgestellt (5). Von 179 Kindern mit Cashew-Sensibilisierung und klinischen Reaktionen in der Anamnese waren 137 (76,5%) im Provokationstest positiv. Die häufigsten Symptome waren gastrointestinale Beschwerden (Nausea, Erbrechen, Bauchschmerzen, Diarrhö), orale allergische Symptome oder Hautsymptome (Rötung, Juckreiz, Urtikaria, Angioödem). Zu anaphylaktischen Reaktionen kam es bei 49 von 137 bei der Provokation positiven Kindern (36%), und 8 Kinder (6%) mussten mit Adrenalin behandelt werden (5).
16 • CongressSelection Allergologie/Pneumologie • August 2017
SSAI
Bekannte Allergene der Walnuss (Baumnuss, Juglans regia)
• Speicherproteine – Jug r 1 (2S-Albumin) – Jug r 2 (7S-Globulin) – Jug r 4 (11S-Globulin)
• Lipidtransferprotein – Jug r 3
• Mit Pollen kreuzreagierende Proteine – Jug r 5 (PR-10-Protein) – Jug r (Profilin)
(nach Prof. Barbara Ballmer-Weber)
Verbindung zwischen Walnuss- und Birkenpollenallergie aufgeklärt
Die Walnuss (Baumnuss) gehört mit 24 verschiedenen Arten zur Gattung Juglans. In Europa werden üblicherweise Nüsse der Spezies Juglans regia gegessen. Kürzlich wurde in der Walnuss das Bet v 1-homologe Protein Jug r 5 identifiziert (6). Diese Entdeckung bilde die Erklärung dafür, dass viele Birkenpollenallergiker auch an einer Walnussallergie litten, sagte die Referentin. Sie hat eine Studie zur Walnussallergie initiiert, die bisher in der Schweiz 31 Patienten (medianes Alter 33 Jahre) mit positivem oralem Walnussprovokationstest oder mit Anaphylaxie in der Anamnese einschliessen konnte. Von den einbezogenen Walnussallergikern waren 55 Prozent gegenüber dem Extrakt sensibilisiert. Auf Jug r 1 waren 32 Prozent sensibilisiert, 35 Prozent auf Jug r 2, 19 Prozent auf Jug r 4, 26 Prozent auf Jug r 3 und 68 Prozent auf Jug r 5. Von den 8 Patienten mit Anaphylaxie waren alle auf den Extrakt sensibilisiert und fast alle auf das 2S-Albumin Jug r 1, das als Markerallergen für schwere systemische Reaktionen dienen kann. Patienten jedoch, die nur mit einem oralen Allergiesyndrom reagierten, waren meistens auf das zu Bet v 1 homologe Protein Jug r 5 sensibilisiert, so die Referentin.
Risikoabschätzung bei Nahrungsmittelallergien
Das Risiko, an einer durch Nahrungsmittel ausgelösten Anaphylaxie zu sterben, wird bei Nahrungsmittelallergikern auf 1,18 pro Million und Jahr geschätzt (7). Das Risiko ist ähnlich gering wie in der Allgemeinbevölkerung das Risiko, ermordet zu werden (in Europa) oder bei einem Brand umzukommen (7). Das Risiko, als Nahrungsmittelallergiker eine ärztlich bestätigte Anaphylaxie zu erleiden, ist geringer als das Risiko in der Allgemeinbevölkerung, wegen eines Motorfahrzeugunfalls in die Notfallstation eingeliefert zu werden (7).
Ein augmentierender Einfluss auf Nahrungsmittelallergien wird bei der Verwendung von Antazida diskutiert. Magenenzyme sind bei pH-Werten von 1 bis 3,5 aktiv und werden bei zunehmendem pH gehemmt. Da Antazida den pH-Wert über 4 erhöhen, könnten verdauungslabile Proteine intakt und allergen bleiben und systemische Reaktionen auslösen. So wurde beispielsweise berichtet, dass eine Antazidabehandlung die Sensibilisierung gegen Haselnuss erleichtern kann. Während einer dreimonatigen Behandlung mit verschiedenen Antazida entwickelten 5 von 153 gastroenterologischen Patienten spezifische IgE-Antikörper auf Haselnuss (8). Von den 5 sensibilisierten Patienten reagierten 4 auch im Hautpricktest auf Haselnussextrakt. Bei 3 der 5 Patienten war die orale Provokation positiv. 2 der 5 Patienten berichteten über klinische Symptome (orales Allergiesymptom nach Haselnusskonsum, akute Urtikaria nach dem Konsum von haselnusshaltiger Schokolade). Weitere Untersuchungen zum Einfluss von Antazida sind erforderlich.
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Burney PG et al.: The prevalence and distribution of food sensitization in European adults. Allergy 2014; 69: 365–371. 2. Grabenhenrich LB et al.: Anaphylaxis in children and adolescents: The European Anaphylaxis Registry. J Allergy Clin Immunol 2016; 137: 1128–1137. 3. Savvatianos S et al.: Sensitization to cashew nut 2S albumin, Ana o 3, is highly predictive of cashew and pistachio allergy in Greek children. J Allergy Clin Immunol 2015; 136: 192–194. 4. Lange L et al.: Ana o 3-specific IgE is a good predictor for clinically relevant cashew allergy in children. Allergy 2017; 72: 598–603. 5. Van der Valk JP et al.: Multicentre double-blind placebo-controlled food challenge study in children sensitised to cashew nut. PLoS ONE 2016; 11: e0151055. 6. Wangorsch A et al.: Identification and implication of an allergenic PR-10 protein from walnut in birch pollen associated walnut allergy. Mol Nutr Food Res 2017; 61: 1600902. 7. Turner PJ et al.: Can we identify patients at risk of life-threatening allergic reactions to food? Allergy 2016; 71: 1241–1255. 8. Schöll I et al.: Antiulcer drugs promote oral sensitization and hypersensitivity to hazelnut allergens in BALB/c mice and humans. Am J Clin Nutr 2005; 81: 154–160.
Quelle: Vortrag «Food allergies – what´s new?» von Barbara BallmerWeber am SSAI-Symposium 1 im Rahmen der gemeinsamen Jahresversammlung 2017 der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SSAI), 1. Juni 2017 in St. Gallen.
Medikamentöse Verstärkungsfaktoren
Möglicherweise können nichtsteroidale Entzündungshemmer allergische Reaktionen auf Nahrungsmittel verstärken. Vermutlich erleichtern diese Medikamente die Absorption von Nahrungsmittelallergenen und wirken auch direkt auf Effektorzellen (7). Ob ACE-Hemmer und Betablocker allergische Reaktionen verstärken, wird kontrovers diskutiert. Bis anhin gebe es keine Evidenz, dass diese beiden Medikamentengruppen tatsächlich allergische Reaktionen verstärkten, ausser wenn ACE-Hemmer und Betablocker gleichzeitig verwendet würden, so die Referentin.
CongressSelection Allergologie/Pneumologie • August 2017 • 17