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Kein Sport ist Mord!
Muskelmasse bei COPD entscheidet über Wohlbefinden
Sport ist Mord, heisst es so schön. Doch das Gegenteil ist der Fall. Bei COPD-Patienten sinkt ohne Bewegung die Muskelkraft und damit auch die Überlebenschance. Die gute Nachricht ist aber: Mit Training lässt sich das Befinden verbessern. Welche Möglichkeiten es gibt, erläuterte Prof. Arno Schmidt-Trucksäss, Sport- und Bewegungsmedizin, Universität Basel, am Joint-CHEST-SGP-Kongress in Basel.
Arno Schmidt-Trucksäss www.mission-schweinehund.de
Körperliche Bewegung ist der stärkste Prädiktor für Mortalität bei Patienten mit COPD. Diese ist bei physisch inaktiven Patienten um etwa 40 Prozent höher als bei aktiven (1). Ursprung dafür ist die Atembehinderung, die die körperliche Aktivität immer schwieriger werden lässt und zu immer stärker werdender Inaktivität führen kann. Folge der Inaktivität ist ein Konditionsverlust, der zu einer weiteren Zunahme der Dyspnoe selbst bei einfachsten Alltagstätigkeiten beiträgt. Der Grund für diesen Teufelskreis bei COPD liegt im Verlust besonders der schnellen Typ-II-Fasern, die ihre Energie vorwiegend aus der anaeroben Glykolyse generieren. Dadurch nimmt die oxidative Kapazität des Muskels ab, das heisst, die Ausdauer lässt nach, und der Muskel ermüdet schneller. Ausserdem reduziert sich die Kapillardichte, was zu einer Reduktion der Sauerstoffversorgung und damit zu einer weiteren Verschlechterung der Belastung führt. Objektiv messbar ist das beispielsweise im Quadrizepsmuskel, dessen Stärke mit Ansteigen der GOLD-Stadien abnimmt (2). Im Vergleich zu Kontrollpersonen ohne COPD haben Patienten mit COPD im GOLD-Stadium II–IV signifikant weniger Muskelkraft. Im Stadium I ist der Unterschied dagegen noch nicht signifikant (2). Messbar ist der Kraftverlust auch an der täglichen Gehstrecke. Untersuchungen der Universität Basel zeigten mittels Akzelerometrie, dass zwischen GOLD-Stadium II und IV die tägliche Gehdauer von 60 auf 40 Minuten und die Anzahl Schritte von etwa 5000 auf 3200 zurückfallen. Doch am stärksten lässt die Fähigkeit zum Schnellgehen nach: 4 Minuten im Stadium II und gerade noch 20 Sekunden im Stadium IV (3, 4). Dabei zeigt sich auch, dass die Fähigkeit zum Schnellgehen der genaueste Prädiktor für eine sinkende Lebensqualität darstellt.
Spieltrieb soll Fitness verbessern
Bewegung hilft. Doch der Rat zu mehr Bewegung und die Abgabe eines Schrittzählers haben keinen grossen Effekt, wie eine Untersuchung zeigte. Darin hatten von 152 COPD-Patienten in der achtwöchigen Lungenrehabilitation 76 Patienten das Ziel, gestützt durch den Schrittzähler, jede Woche die Schrittzahl um 5 Prozent zu steigern (5). Die anderen 76 Patienten hatten ein normales Programm. Das Resultat war enttäuschend, denn die Dauer, sich danach mit ≥ 3 MET (metabolisches Äqui-
valent), also mit moderater Intensität, bewegen zu können, unterschied sich nach Studienende sowie 6 Monate später in den beiden Gruppen nicht signifikant. Ein anderes Phänomen liess sich bei Gesunden während des Pokémon-Hypes beobachten, so Schmidt-Trucksäss. Die Spieler liefen während des Spiels weit mehr als sonst im Vergleich zu Nichtspielern, doch der Effekt erlosch mit Abflauen der Spieltätigkeit nach 6 Wochen (6). Ziel ist es also, den Menschen dazu zu bringen, anhaltend mehr zu gehen und dabei die Geschwindigkeit zu steigern. «Zusammen mit Spielentwicklern vom Royal Melbourne Institute of Technology haben wir mit Unterstützung von Novartis eine App entwickelt, die, verbunden mit einem Spiel, einen Anreiz für körperliche Bewegung für COPDPatienten schafft», berichtet Schmidt-Trucksäss. Das Spiel erhielt den Namen «Mission: Schweinehund». Die Teilnahmeschwelle ist bewusst niedrig gehalten, der Eingangstest kann zu Hause absolviert werden und braucht keine speziellen Gerätschaften. Entsprechend dem Ergebnis wird das Programm aus 130 verschiedenen Übungen auf den jeweiligen Fitnessgrad des COPD-Patienten zugeschnitten. In diesem Spiel ist der Personaltrainer Barry der Bär, dessen Garten ganz trist aussieht. Durch den körperlichen Einsatz steigert der Teilnehmer nicht nur die eigene Fitness, sondern trägt auch dazu bei, den Garten des freundlichen Bären wieder zum Blühen zu bringen. Die Fortschritte im Garten und in der Fitness sind jederzeit abrufbar und motivieren zum Weitermachen (7). Wertvoll für den betreuenden Arzt ist die Tatsache, dass im Programm die etablierten Tests wie der 6-MinutenGehtest und der Sit-to-Stand-Test integriert sind. Bis jetzt gibt es aber noch keine Daten zum Nutzen für COPDPatienten. Eine vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Untersuchung bei Typ-2-Diabetikern wird demnächst zeigen, ob dieses Spiel mehr bringt als nur die guten Ratschläge (7). Die App ist in Deutschland bereits für iPhone und Android kostenlos verfügbar, in der Schweiz noch nicht.
COPD-Fatigue überlisten
Ein weiteres Hindernis für physische Aktivität bei COPDPatienten ist die Fatigue. Diese kann sich bei schwerer COPD durch physische Aktivität noch vergrössern. Das kann beispielsweise umgangen werden, wenn nicht lineares Training zur Anwendung kommt, so Schmidt-Trucksäss.
6 • CongressSelection Allergologie/Pneumologie • August 2017
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Das heisst, ein Intervalltraining, das die Intensität nicht kontinuierlich steigert, sondern die Intensitätslevel in der Reihenfolge durchmischt. Als Ergebnis im Ausdauertest zeigte sich die kontinuierlich gesteigerte Trainingsintensität in einer Untersuchung überlegen (8). Ein weiteres Mittel, die Fatigue zu überlisten, ist das Einbeintraining, weil weniger Muskelmasse aufs Mal involviert ist. In einer Studie zeigte sich ein stärkerer Kraftzuwachs nach 8 Wochen, wenn nur ein Bein zur selben Zeit trainiert wurde, verglichen mit beiden Beinen gleichzeitig, wie beispielsweise beim Radfahren (9). «Meiner Meinung nach wird diese Erkenntnis in Lungenrehabilitationsprogrammen noch viel zu wenig umgesetzt», so SchmidtTrucksäss abschliessend.
Valérie Herzog
Referenzen: 1. Waschki B et al.: Physical activity is the strongest predictor of all-cause mortality in patients with COPD: a prospective cohort study. Chest 2011; 140: 331–342. 2. Shrikrishna D et al.: Quadriceps wasting and physical inactivity in patients with COPD. Eur Respir 2012; 40: 1115–1122.
3. Jehn M et al.: Associations of daily walking activity with biomarkers related to cardiac distress in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Respiration 2013; 85: 195–202. 4. Jehn M et al.: Daily walking intensity as a predictor of quality of life in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Med Sci Sports Exerc 2012; 44: 1212–1218. 5. Nolan CM, Pedometer Step Count Targets during Pulmonary Rehabilitation in Chronic Obstructive Pulmonary Disease. A Randomized Controlled Trial. Am J Respir Crit Care Med 2017; 195: 1344–1352. 6. Howe KB et al.: Gotta catch'em all! Pokémon GO and physical activity among young adults: difference in differences study. BMJ 2016; 355: i6270. 7. Höchsmann C et al.: Mobile Exergaming for Health-Effects of a serious game application for smartphones on physical activity and exercise adherence in type 2 diabetes mellitus-study protocol for a randomized controlled trial. Trials 2017; 18: 103. 8. Klijn P et al.: Nonlinear exercise training in advanced chronic obstructive pulmonary disease is superior to traditional exercise training. A randomized trial. Am J Respir Crit Care Med 2013; 188 (Suppl 2): S 193–200. 9. Bjoergen S et al.: Assessing the effect of high-repetitive single limb exercises (HRSLE) on exercise capacity and quality of life in patients with chronic obstructive pulmonary disease (COPD): study protocol for randomized controlled trial. Eur J Appl Physiol 2009; 106: 501–507.
Quelle: «What is new in physical activity in lung disease», im Rahmen des gemeinsamen Kongresses von CHEST® (American College of Chest Physicians) und SGP (Schweizerische Gesellschaft für Pneumologie), 7. bis 9. Juni 2017, Basel.
Fitness-App für COPD-Patienten
CongressSelection Allergologie/Pneumologie • August 2017 • 7