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Es muss nicht immer das Majorallergen sein
Neue Abklärungsmöglichkeiten bei komplexen allergologischen Fragen
Die IgE-Testung mit Allergenkomponenten ist eine wichtige, moderne Methode für die Allergiediagnostik, die Risikostratifizierung und die Immuntherapieselektion. Dr. Peter Jandus aus Genf sprach über die komponentenbasierte Allergiediagnostik und stellte zwei knifflige Allergiefälle vor.
Schon lange bevor die IgE-Antikörper im Jahr 1966 identifiziert wurden, hatten Otto Carl Prausnitz und sein Assistent Heinz Küstner erkannt, dass eine Serumkompo-
Fallbeispiel 1: Allergie auf rotes Fleisch
• Bei einem 27-jährigen, aus Sri Lanka stammenden Mann ohne Allergieanamnese kam es zu Pruritus, Dyspnoe, Angioödem, Nausea, Erbrechen und Bauchschmerzen, 2 Stunden nachdem er Rindfleisch verzehrt hatte.
• Auf der Notfallstation wurde während der Reaktion ein erhöhter Tryptasewert gemessen (10,8 µg/l, Basiswert: 4,4 µg/l).
• Es wurde eine Fleischallergie vermutet, aber der Hautpricktest mit kommerziellen Extrakten von Rindfleisch, Lammfleisch, Schweinefleisch, Truthahnfleisch, Hühnerfleisch und Milch war durchwegs negativ.
• Die Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper war positiv bezüglich Rindfleisch (2,40 kU/l) und Alpha-Gal (Galaktose-alpha-1,3-Galaktose).
• Negativ (< 0,35 kU/l) waren folgende IgE-Bestimmungen: Milch, nBos d 5 (Beta-Lactoglobulin von Milch), Huhn.
• Diagnose: Allergie auf rotes Fleisch (verzögerte Soforttypreaktion). • Zur Sensibilisierung gegenüber Alpha-Gal kann es durch einen Zeckenbiss kommen. • Alpha-Gal ist eine Zuckerseitenkette, die in rotem Fleisch, in Gelatine aus Säugetieren
und im Speichel von Zecken vorkommt.
Fallbeispiel 2: Allergie auf Krebstiere (Krustazeen)
• Eine 49-jährige Afrikanerin ohne vorbestehende allergische Erkrankungen entwickelte im Jahr 2012 2-mal, jeweils nach einer Mahlzeit, ein juckendes Angioödem der Zunge und der Lippen. Danach spürte sie während 3 Jahren täglich Pruritus. Das strikte Meiden von Gluten brachte keine Besserung. Sie berichtete auch, dass sie keine Shrimps vertrage und mit Übelkeit darauf reagiere, wobei an eine Histaminintoleranz gedacht wurde.
• Der Basiswert der Tryptase war normal: 3,6 µg/l. • Der Hautpricktest (Atopie-Standard, kommerzielle Extrakte) ergab eine Sensibilisierung auf
Hausstaubmilben: Dermatophagoides pteronyssinus ++, Dermatophagoides farinae +. • Der Hautpricktest (kommerzielle Extrakte) auf Gemüse und Gewürze fiel negativ aus. • Der Hautpricktest (kommerzielle Extrakte) auf Krustazeen ergab: Shrimps negativ, Austern
positiv. • Die Messung spezifischer IgE-Antikörper gegen Shrimps war positiv: 0,75 kU/l. • Der ImmunoCAP® ISAC ergab überraschenderweise eine Sensibilisierung auf ein anderes
Allergen als Tropomyosin, das Majorallergen der essbaren Krustazeen und Mollusken (Weichtiere): IgE-Antikörper gegen nPen m 2 positiv: 1,6 ISU-E (moderat bis hoch). • Negativ waren: Pen a 1 (Tropomyosin, Penaeus aztecus), Der p 10, Der p 1, Der p 2, Der f 1, Der f 2. • Pen m 2 (Argininkinase) wurde als Allergen des Black-Tiger-Shrimps (Penaeus monodon) im Jahr 2003 in Taiwan identifiziert (2). • Ein Teil der Patienten mit Shrimpallergie ist gegenüber Pen m 2 sensibilisiert. Es handelt sich um ein Minorallergen. In einer italienischen Studie wiesen 4 von 40 Shrimpallergikern (10%) im ImmunoCAP® ISAC spezifische IgE gegen rPen m 2 auf (3). Klinisch waren die Reaktionen auf Shrimps bei den betroffenen Patienten meistens schwer.
nente, die sie Reagin nannten, die Hautreaktivität von einem sensibilisierten Patienten auf eine nicht sensibilisierte Person übertragen konnte. Weil Küstner allergische Symptome nach einer Fischmahlzeit entwickelt hatte, versuchte Prausnitz nachzuweisen, dass Küstner allergisch auf Fisch war. Dazu injizierte sich Prausnitz Serum von Küstner in die Bauchhaut. Nachdem Prausnitz Fisch gegessen hatte, wurde die Haut an der Injektionsstelle des Serums heiss, rot und geschwollen. Das war im Jahr 1921. Heute stehen zahlreiche praktischere und viel genauere IgE-Tests für die Allergiediagnostik zur Verfügung.
Major- und Minorallergene
Mittels komponentenbasierter Allergiediagnostik (component resolved diagnostics = CRD) können Allergensensibilisierungen auf molekularer Ebene unter Verwendung gereinigter natürlicher oder rekombinanter allergener Moleküle erfasst werden (molekulare Allergiediagnostik). Pollen beispielsweise stellen ein Konglomerat mehrerer allergener Proteine dar. 80 Prozent der allergischen Patienten sind polysensibilisiert. Laufend werden weitere allergene Moleküle entdeckt, sodass die Liste der Allergene immer länger wird. Es wird unterteilt in Majorallergene, die durch IgE-Antikörper von mehr als 50 Prozent der auf die Allergenquelle allergischen Patienten erkannt werden, und in Minorallergene, die durch IgE-Antikörper von weniger als 50 Prozent der allergischen Population erkannt werden. «Major» und «Minor» beziehe sich nicht auf die klinische Relevanz dieser Allergenkomponenten, so der Referent. Auch Patienten mit Sensibilisierung auf Minorallergene können allergische Symptome entwickeln. Die Allergenkomponenten gehören zu verschiedenen Proteinfamilien. Die Allergene der PR-10-Proteinfamilie, zu der beispielsweise die Birkenpollen-Allergenkomponente Bet v 1 gehört, sind einander sehr ähnlich (fast homolog). Aufgrund der Kreuzreaktivität mit verwandten Proteinen von Obst, Gemüse und Nüssen kann der Kontakt mit Birkenpollen Symptome von allergischer Rhinitis und der Genuss von Obst Symptome des oralen Allergiesyndroms (z.B. Juckreiz im Mund) auslösen.
Welcher Test bei welcher Fragestellung?
Zur spezifischen IgE-Bestimmung mittels ImmunoCAP® stehen 650 Allergene zur Verfügung. Der molekulare Diagnostiktest ImmunoCAP® ISAC (Immune Solid-phase Allergen Chip) ermöglicht die gleichzeitige Messung spezifischer IgE-Antikörper für 112 Allergenkomponenten (rekombinant), die aus 51 verschiedenen Allergenquellen stammen. Kürzlich veröffentlichte eine Arbeitsgruppe aus Wales die Ergebnisse eines Vergleichs verschiedener
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Testmethoden bei der Abklärung von Allergien (hauptsächlich Nahrungsmittelallergien) (1). Berücksichtigt wurden die Daten von 118 Allergiepatienten (90 Frauen, 28 Männern), bei denen diagnostische Schwierigkeiten bestanden und neben dem Hautpricktest sowie dem ImmunoCAP®-Test auch eine Testung mittels ImmunoCAP® ISAC durchgeführt wurde. Im Rahmen dieser Studie wurden keine oralen Provokationstests zur Sicherung der Diagnose von Nahrungsmittelallergien durchgeführt. Folgende Detektionsraten (prozentualer Anteil der Testresultate, welche die klinische Diagnose bestätigten) wurden für die Tests errechnet (jeweils als einziger Test durchgeführt) (1):
Nussallergie:
Orales Allergiesyndrom:
Anaphylaxie bei Weizenallergie:
ImmunoCAP® 71%, ISAC 65%, Hautpricktest 56%
ISAC 88%, ImmunoCAP® 69%, Hautpricktest 33%
ImmunoCAP® 100%, ISAC 67%
Für die möglichen Diskrepanzen zwischen den Resulta-
ten von Tests, die unter Verwendung von Extrakten
(Hautpricktest) durchgeführt wurden, und von Tests mit
molekularen Allergenen gibt es verschiedene Erklärungs-
möglichkeiten (siehe Kasten).
Alfred Lienhard
Kasten:
Mögliche Diskrepanzen zwischen Testresultaten
Test mit Extrakt Test mit molekularen Allergenkomponenten
Test positiv Test negativ
Test negativ Test positiv
Interpretation der Diskrepanz
1. Die Serum-IgE-Antikörper binden nur an Extraktmoleküle, die (noch) nicht im molekularen Test enthalten sind 2. Der molekulare Test ist weniger sensitiv als der Test mit Extrakt 1. Die Serum-IgE-Antikörper binden an eine Allergenkomponente, die im Extrakt fehlt oder nur in geringer Menge enthalten ist 2. Der Test mit Extrakt ist weniger sensitiv als der molekulare Test
(nach Dr. Peter Jandus)
Referenzen: 1. Griffiths RL et al.: Comparison of the performance of Skin Prick, ImmunoCAP and ISAC tests in the diagnosis of patients with allergy. Int Arch Allergy Immunol 2017; 172: 215–223. 2. Yu CJ et al.: Proteomics and immunological analysis of a novel shrimp allergen, Pen m 2. J Immunol 2003; 170: 445–453. 3. Giuffrida MG et al.: Shrimp allergy beyond tropomyosin in Italy: clinical relevance of arginine kinase, sarcoplasmic calcium binding protein and hemocyanin. Eur Ann Allergy Clin Immunol 2014; 46: 172–177.
Quelle: «Allergen component diagnosis – a must for every patient?», Vortrag bei der gemeinsamen Jahresversammlung 2017 der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SSAI), 1. Juni 2017 in St. Gallen.
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