Transkript
SGAIM
Allergie oder Intoleranz?
Tipps zur Unterscheidung
Lebensmittelallergien und -intoleranzen sind im Hinterkopf vieler Leute, wenn sie ihren Einkaufszettel schreiben. Doch wann handelt es sich um eine Allergie, die mitunter lebensbedrohlich werden kann, und wann um eine Intoleranz? Prof. Peter Schmid-Grendelmeier, Leitender Arzt in der Dermatologischen Klinik, Universitätsspital Zürich, gab am SGAIM in Lausanne Tipps.
Abbildung: Prick-zu-Prick-Test mit verschiedenen Früchten und Gemüsen, alle kreuzreagierend mit dem Hauptallergen von Birkenpollen (Bet v 1)
Um einer Lebensmittelallergie auf die Spur zu kommen, ist die Klinik sehr wichtig. Die häufigsten Symptome betreffen den Mund (80%), gefolgt von Symptomen an Haut (60%), Atemwegen (40%), Magen-Darm-Trakt (20%) oder kardiovaskulär (10%). So äussert sich eine Lebensmittelallergie schon mit oralen Beschwerden wie Jucken oder Brennen bei den ersten Bissen des auslösenden Nahrungsmittelallergens. Allgemeine Symptome treten
dann oft erst etwas später auf, teils erst nach 1 bis 2 Stunden, skizziert Prof. Schmid-Grendelmeier. Patienten mit schwerer Reaktion (Tabelle 1) sollten präventiv mit einem Notfallset, bestehend aus Antihistaminika, oralen Steroiden und Adrenalin-Autoinjektor (z.B. Epipen®, Jext®), ausgerüstet werden, für den Fall, dass ein Bestandteil nicht deklariert war und eine akzidentelle Einnahme erfolgte. Die Abklärung der Allergie basiert neben einer eingehenden Anamnese auf Hauttest und/oder Bestimmung von spezifischem IgE im Serum. Bei Nahrungsmittelallergien kann ein Prick-zu-Prick-Test mit nativem Material sehr wertvoll sein. Eine in das verdächtigte Lebensmittel getauchte Nadel wird anschliessend auf den Unterarm gestrichen, was im positiven Fall eine Quaddel auslöst (Abbildung). Man kann auch das Lebensmittel direkt auf die Haut reiben und so eine lokale Reaktion auslösen. Bei schweren Allergien ist eine serologische Abklärung geeigneter, denn es muss mit einer starken Sensibilisierung gerechnet werden, so Schmid-Grendelmeier. Unter den häufigsten Lebensmittelallergenen figurieren etwa Haselnuss, Apfel, Kiwi, Walnuss, Erdnuss, Pfirsich, Karotte, Sellerie, Tomate und Banane. Reagiert jemand auf sehr viele Nahrungsmittel, sind oft Kreuzreaktionen dafür verantwortlich (Kasten 1). Bei vielen Lebensmitteln kann durch Kochen und den damit verbundenen Erhitzungsprozess das Allergen weitgehend zerstört werden. Rohe Speisen sind somit in vielen Fällen heikler als gekochte. Mit zwei Screeningtestmischungen (Sx1 für inhalative Allergien, Fx5 für Lebensmitteallergien mit den 5 wichtigsten Allergenen Kuhmilch, Hühnerei, Soja, Erdnuss, Weizen, Kabeljau) und einer Bestimmung des Mastzellenenzyms Serum-Tryptase, kann im negativen Fall eine schwere Lebensmittelallergie ausgeschossen werden.
Tabelle 1:
Allergieschweregrad nach H.L. Müller
Grad I Grad II Grad III Grad IV
Urtikaria Angioödem, Nausea, Erbrechen, Diarrhö, Übelkeit Dyspnoe, Husten, Stridor, Dysphagie, Schwäche, Benommenheit Blutdruckabfall, Kollaps, Inkontinenz, Bewusstseinsverlust, Zyanose
Kasten 1:
Typische Kreuzreaktionen
• Birke mit rohen Früchten, Sellerie • Beifuss mit Gewürzen und Sellerie • Milben mit Meeresfrüchten • Latex mit exotischen Früchten • Erdnuss mit Soja, teilweise auch mit Birkenpollen
2 • CongressSelection Allgemeine Innere Medizin • August 2017
SGAIM
Intoleranzen meist mengenabhängig
Hat jemand nach Lebensmittelgenuss Magen-Darm-Beschwerden, ist eher an eine Intoleranz zu denken. Oft können die Beschwerden aber auch sehr diffus sein. Die eigentliche Diagnose der Laktoseintoleranz basiert auf der entsprechenden Anamnese (Besserung unter laktosearmer Kost, allenfalls Laktosebelastungstest oder Gentest). Die Beschwerden können von Migräneattacken, Schlafproblemen über Juckreiz bis zu Blähungen und verstopfter Nase gehen, berichtet Schmid-Grendelmeier. Häufige Intoleranzen bestehen auf Fruktose, Laktose, Gluten oder auch Histamin. Allergien sollten ausgeschlossen werden. Bei einer vermuteten Kuhmilchintoleranz kann der Fx5Screeningtest zum Ausschluss einer eigentlichen Kuhmilchallergie angewendet werden, der hierfür sehr sensitiv ist. Laktosefreie Milchprodukte oder die Einnahme von Lacdigest® 1 bis 2 Stunden vor Milchgenuss erleichtern diesen Patienten das Leben. Eine Fruktoseintoleranz oder die viel häufigere Fruktosemalabsorption äussert sich in gastrointestinalen Beschwerden und kommt meistens davon, dass zu viel Fruktose in Form von Früchten und fruktosehaltigem Süssstoff konsumiert wurde. Eine Ernährungsanpassung bringt bereits Linderung.
Sündenbock Weizen
Weizen muss für vieles herhalten. IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien auf Weizenallergene sind sehr selten. Gut bekannt ist die Glutenintoleranz, die über IgA gegen Anti-Endomysium/Anti-Transglutaminase testbar ist. Es gibt aber auch die sehr seltene nicht-IgE-vermittelte, nicht zöliakieassoziierte Weizenüberempfindlichkeit mit Symptomen wie Diarrhö, Abdominalschmerzen, Fatigue, Kopf-, Gelenk- oder Muskelschmerzen. Mögliche Ursachen sind hier hochregulierte Amylase-TrypsinInhibitoren oder auch FODMAP-reiche Nahrungsmittel (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole), deren Ursprung nur über Eliminationsdiät gefunden werden kann. Vollkornbrot anstelle von Weissbrot und eventuell die Umstellung auf FODMAP-arme Lebensmittel können hier möglicherweise eine Lösung sein.
«Allergisch» auf Wein?
Eine Histaminintoleranz ist eine Reaktion auf Verzehr von histaminreichen Nahrungsmitteln wie beispielsweise
Kasten 2:
Schwere allergische Reaktion nach Orangensaft
Eine Frau hatte 13 Minuten nach Orangensaftgenuss Urtikaria, gefolgt von Asthma und einem Kollaps. Die Suche nach dem Allergen brachte mit den gängigen Screening-Tests keine Lösung. Die komponentenassoziierte Mikroarraytechnik ergab schliesslich eine starke Reaktion auf Tropomyosine, berichtete Schmid-Grendelmeier. Diese Eiweisse kommen in Insekten, Milben, Parasiten und Meeresfrüchten vor, aber nicht im Orangenfleisch. Im Verarbeitungsprozess werden Orangen jedoch zu Haltbarkeitszwecken und damit sie schön glänzen mit einer aus zerstampften Insekten bestehenden Paste gewachst. Durch die am Glasrand dekorativ aufgesteckte Orangenscheibe kam das Tropomyosin schliesslich in den Saft.
Tabelle 2:
In der Schweiz verfügbare Antihistaminika der 2. Generation
Wirkstoff Bilastin Cetirizin Desloratadin Fexofenadin
Levocetirizin Loratadin
Handelsname Bilaxten® Zyrtec®, Generika Aerius®, Generika Telfast®, Telfastin Allergo®, Generika Xyzal®, Generika Claritine®, Generika
reifem Käse, Wurst oder Rotwein. Die Symptome können sich unter anderem als Magen-Darm-Beschwerden, Durchfall, Kopfschmerzen, verstopfte Nase, Nasenlaufen oder Niesen äussern. Alkohol fördert darüber hinaus die Histaminausschüttung und hemmt gleichzeitig den Abbau. Ursache ist ein verminderter Abbau des Histamins im Darm durch die Diaminoxidase. Antihistaminika (Tabelle 2), histaminreduzierte Kost und die Einnahme von Daosin® (Diaminoxdiase) vor den Mahlzeiten lindern die Symptome.
Valérie Herzog
Quelle: «Allergologie: Grenze zwischen einer echten Allergie und Intoleranzen». Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine und Innere Medizin (SGAIM), 3. bis 5. Mai 2017 in Lausanne.
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