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Neue Optionen bei fortgeschrittenem hepatozellulärem Karzinom
Sorafenib bleibt vorerst der Therapiestandard
In der Therapie des fortgeschrittenen hepatozellulären Karzinoms bieten MultikinaseInhibitoren nach wie vor die solidesten Daten bezüglich eines Überlebensvorteils. Doch es gibt einige Neuentwicklungen, die die derzeitigen Therapieresultate schon bald toppen könnten. Wichtige Ansätze sind hier die Checkpointblockade sowie die personalisierte Therapie mithilfe von Biomarkern.
Mit über 850 000 Todesfällen pro Jahr ist Leberkrebs weltweit die zweithäufigste zum Tode führende Krebsart, wie Prof. Josep M. Llovet aus Barcelona (E) berichtete (1). Unter den primären Malignomen der Leber ist das hepatozelluläre Karzinom (HCC) mit einem Anteil von 90 Prozent die häufigste Neoplasie. In westlichen Ländern werden 40 Prozent der HCC erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert (2). In dieser Situation kommen derzeit nach den vorliegenden Therapieempfehlungen nur die Multikinase-Inhibitoren Sorafenib und Regorafenib zum Einsatz. Die Fortschritte in der Erforschung der Molekularbiologie des HCC haben das Verständnis der molekularen Veränderungen sowohl an den Tumorzellen selbst als auch in ihrer Tumorumgebung verbessert. So konnten verschiedene neue, zielgerichtete Therapien entwickelt werden, die sich derzeit in der klinischen Prüfung befinden und nach Einschätzung von Llovet schon bald die Prognose von HCC-Patienten verbessern könnten.
WIRKUNGSMECHANISMUS VON SORAFENIB
Sorafenib brachte den Durchbruch
Die konventionelle systemische Chemotherapie hat beim HCC keine Überlebensvorteile gebracht. Auch die randomisierten Studien mit Antiöstrogenen und Vitamin-D-Derivaten hätten keine positiven Effekte gezeigt, erinnerte Llovet. Im Jahr 2007 zeigte die Phase-III-Studie SHARP einen Überlebensvorteil für das «Small molecule» Sorafenib (Nexavar®) im Vergleich zu Plazebo bei Patienten mit fortgeschrittenem HCC (3): Das mediane Gesamtüberleben lag in der Verumgruppe um fast 3 Monate höher als in der Plazebogruppe (10,7 vs. 7,9 Monate, HR = 0,69). Diese Ergebnisse gelten als ein Durchbruch im Management von Patienten mit fortgeschrittenem HCC, wie Llovet betonte. Ähnlich gute Ergebnisse lieferte nur kurz darauf eine asiatische Studie, in der überwiegend Patienten mit HBV-assoziiertem HCC behandelt wurden (4). Viele Folgestudien untermauerten in den darauffolgenden Jahren diese Ergebnisse. Inzwischen ist Sorafenib in der HCCTherapie etabliert und gilt als indiziert bei Patienten mit gut erhaltener Leberfunktion (Child-Pugh-Klasse A) und fortgeschrittenem Tumor (BCLC C) oder auch bei einem intermediären Tumor (BCLC B) und anhaltender Progression trotz Therapie. Die Nebenwirkungen dieser Therapie sind beherrschbar und umfassen Diarrhö, palmoplantare Hautreaktionen, Müdigkeit und Bluthochdruck. Leider gibt es bis anhin keine prädiktiven Biomarker für ein Ansprechen auf Sorafenib. Sorafenib wirkt als Multikinasehemmer und greift sowohl in die Signalkaskaden der Zellproliferation als auch der Angiogenese ein. In der Folgezeit wurden verschiedene andere Small molecules (Sunitinib, Brivanib, Linifanib, Erlotinib) ebenfalls in der Erstlinientherapie beim HCC geprüft, jedoch konnte keines eine Überlegenheit gegenüber Sorafenib nachweisen, wie Llovet hervorhob. So blieb Sorafenib bis heute der Therapiestandard beim fortgeschrittenen HCC.
Regorafenib für die Zweitlinientherapie
Es blieb die Suche nach einer effektiven Zweitlinientherapie. Auch hier brachten Studien mit diversen Substanzen (z.B. Brivanib, Everolimus, Ramucirumab) vor allem Ernüchterung hinsichtlich des Gesamtüberlebens im Vergleich zu Plazebo (5). Dies änderte sich erst mit Regorafenib (Stivarga®), einem Multikinasehemmer mit ähnlichem Wirkungsmechanismus, aber einer höheren
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Grafik: Bayer Vital GmbH
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Wirkpotenz im Vergleich zu Sorafenib. In der Studie RESORCE wurde Regorafenib gegen Plazebo bei HCCPatienten, bei denen es unter Sorafenib-Therapie zur Toleranz und Progression gekommen war, geprüft. In der Regorafenib-Gruppe konnte das mediane Gesamtüberleben um fast 3 Monate verlängert werden (10,6 vs. 7,8 Monate, HR = 0,63, p < 0,001) (6). Dieser Vorteil bestätigte sich für alle Subgruppen. «Diese Ergebnisse stellen einen beträchtlichen klinischen Nutzen dar und werden in die klinischen Leitlinien als Standard der Zweitlinientherapie aufgenommen werden», betonte Llovet. Nebenwirkungen aufgrund von Toxizität (palmoplantare Hautreaktionen, Müdigkeit und Bluthochdruck) wurden häufiger berichtet als unter Sorafenib; sie führten bei 10 Prozent der mit Regorafenib behandelten Patienten zum Therapieabbruch. Trotz der Fortschritte mit Sorafenib und Regorafenib sind die derzeitigen Therapieerfolge limitiert, sodass weiter intensiv nach neuen Optionen gesucht wird. Derzeit werden drei prinzipielle Ansätze in Studien der Phase III geprüft: Checkpointhemmer, antiangiogene Substanzen und MET-Hemmer. Checkpointblockade – auch beim HCC eine Option Die Hemmung des Immunsystems über Checkpoints ist ein wesentlicher Mechanismus bei der Progredienz von soliden Tumoren – daher wurden als neue Therapieform Inhibitoren dieser Checkpoints entwickelt. Bei Patienten mit malignem Melanom und nicht kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) werden solche Checkpointhemmer bereits mit Erfolg eingesetzt. Inzwischen lägen auch schon die ersten Studienergebnisse beim HCC vor, berichtete Llovet. So haben beispielsweise Pilotstudien mit Tremelimumab, einem monoklonalen Antikörper gegen CTLA-4, zu medianen Überlebensraten von 8,2 Monaten bei Patienten mit fortgeschrittenem HCC geführt. Die PD-1-Hemmer Nivolumab und Pembrolizumab weisen im Vergleich zu CTLA-4-Hemmern ein besseres Verträglichkeitsprofil auf, da sie die Checkpoints direkt auf der Tumorzelle hemmen, während sich der Checkpoint CTLA-4 auf den T-Zellen befindet. Eine Phase-I- bis -II-Studie zum Einsatz von Nivolumab bei Patienten mit fortgeschrittenem HCC hat objektive Ansprechraten von 16 Prozent gezeigt, wobei einige Patienten über sehr lange Zeiträume profitierten (7). Derzeit laufen sowohl mit Nivolumab (Opdivo®) als auch mit Pembrolizumab (Keytruda®) Phase-III-Studien, wobei die Checkpointblockade sowohl als Erstlinien- als auch als Zweitlinientherapie geprüft wird. Sollten diese Studien positive Ergebnisse liefern, dann könnte das nach Einschätzung von Llovet die Leitlinien und Therapiestandards entscheidend verändern. Antiangiogene Therapie aufgrund des Gefässreichtums sinnvoll Aufgrund des Gefässreichtums des HCC erscheine es sinnvoll, antiangiogene Substanzen bei dieser Tumorentität einzusetzen, erläuterte Llovet weiter. Derzeit werden daher Substanzen geprüft, die auf dem gleichen Wirkungsmechanismus wie die Multikinasenhemmer Sorafenib und Regorafenib beruhen, aber eine stärkere Wirksamkeit bieten sollen. Mit dem Multikinase-Inhibitor Lenvatinib wurden in einer Phase-II-Studie bei Patienten mit intermediären und fortgeschrittenen HCC partielle Ansprechraten bei 37 Prozent, eine Stabilisierung der Erkrankung bei 41 Prozent und ein medianes Gesamtüberleben von 18,7 Monaten erzielt (8). CHECKPOINTHEMMER VERLÄNGERT ÜBERLEBEN MIT HCC Bei mit Sorafenib vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem hepatozellulärem Karzinom (HCC) führt der Checkpointhemmer Nivolumab zu einem lang anhaltenden Therapieansprechen mit einer Verlängerung der Überlebenszeit. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Zwischenauswertung der Studie CheckMate 040, die zeitgleich zur Vorstellung der Ergebnisse auf dem Europäischen Leberkongress in «Lancet» online publiziert wurde*. CheckMate ist eine offene Multikohortenstudie der Phase I/II, in der insgesamt 262 Pa- tienten mit einem fortgeschrittenen hepatozellulären Karzinom (HCC) mit dem PD-1-Hem- mer Nivolumab behandelt wurden. Der Grossteil der Patienten (n = 182) war zuvor bereits mit Sorafenib behandelt worden, und etwa drei Viertel der Patienten hatten bereits ex- trahepatische Metastasen. In einer Plenarsitzung präsentierte Prof. Jörg Trojan aus Frank- furt (D) eine Zwischenauswertung der Subpopulation, die zuvor mit Sorafenib behandelt worden war und Nivolumab in einer Dosierung von 3 mg/kg intravenös alle zwei Wochen erhielt. Der primäre Endpunkt war die objektive Ansprechrate (ORR: objective response rate); sie wurde sowohl zentral von einem verblindeten Reviewer als auch von einem Studienarzt ermittelt. Sekundäre Endpunkte waren unter anderem Ansprechdauer, Erkrankungskontrollrate und Gesamtüberleben. Insgesamt ergaben sich eine ORR von 14,5 Prozent bei verblindeter Auswertung sowie eine von 19,3 Prozent bei Studienarztauswertung. Die 12-Monats-Überlebensrate lag in dieser Kohorte bei 59,9 Prozent. Dabei profitierten Patienten mit Virushepatitis offenbar etwas mehr als nicht infizierte Patienten: Während die Nichtinfizierten auf eine mediane Gesamtüberlebenszeit von 16,7 Monaten kamen, war der Median bei den Hepatitis-B- und -C-Infizierten zum Zeitpunkt der Auswertung noch nicht erreicht und wird demnach noch höher liegen. Das Nebenwirkungsprofil von Nivolumab war beherrschbar und stimmte mit den Erfah- rungen bei anderen Tumorentitäten überein. Die Häufigkeit von Nebenwirkungen vom Grad 3 und 4, bei denen ein Zusammenhang mit der Studienmedikation angenommen wurde, lag bei 16,6 Prozent. Eine wichtige Beobachtung, die sich nach den Erfahrungen bei anderen Tumorentitäten nun auch beim HCC bestätigte: «Wenn es zum Therapieansprechen kommt, dann hält es lange an», betonte Trojan. AZA SPEZIFISCHE STÄRKUNG DER IMMUNANTWORT DURCH BLOCKADE DES PD-1-SIGNALWEGS * El-Khoueiry AB et al.: Nivolumab in patients with advanced hepatocellular carcinoma (CheckMate 040): an open-label, non-comparative, phase 1/2 dose escalation and expansion trial. Lancet 2017; online. doi: 10.1016/S0140-6736(17)31046-2. Quelle: General Session II beim 52. Jahrestreffen der European Association for the Study of the Liver (EASL), 21. April 2017 in Amsterdam. Ein anderer antiangiogenetischer Ansatz ist die Hemmung von Typ-2-Rezeptoren für den «vascular endothelial growth factor» (VEGFR2) – hier befinden sich die beiden Vertreter Ramuricumab und Apatinib in der klinischen Prüfung als Zweitlinientherapie. Grafik: BMS CongressSelection Gastroenterologie • Juni 2017 • 27 EASL MET-Hemmer – auf grosse Hoffnung folgte Ernüchterung Als ein weiterer Ansatz galten bis vor Kurzem die Hemmer der MET-Kinase – dieses Enzym ist bei etwa 50 Prozent der HCC-Patienten überexprimiert. Allerdings wurde die entsprechende Phase-III-Studie zum Einsatz des MET-Inhibitors Tivantinib als Zweitlinientherapie nach entsprechender Biomarkertestung auf Aktivierung dieses Signalweges abgebrochen, da bezüglich des primären Endpunktes der Gesamtüberlebenszeit kein Vorteil gegenüber Plazebo festgestellt werden konnte. Weiter geprüft wird dagegen Cabozantinib, ein Small molecule, das sowohl MET als auch VEGFR2 hemmt. Nach guten Phase-II-Ergebnissen wird Cabozantinib derzeit in einer Phase-III-Studie als Zweitlinientherapie beim fortgeschrittenen HCC geprüft. Auf dem Weg zur biomarkergestützten Krebstherapie Nachdem mehrere der neuen Therapieansätze in HCCGesamtpopulationen keine signifikanten Ergebnisse gebracht haben, ist man immer mehr zu einer Präzisierung der Indikation unter Berücksichtigung von Biomarkern Take Home Messa es ® Bei den meisten Betroffenen wird das hepatozelluläre Karzinom (HCC) immer noch in fortgeschrittenen Krankheitsstadien diagnostiziert. In diesen Stadien gilt Sorafenib nach wie vor als Standardtherapie. ® Regorafenib hat ein ähnliches Profil wie Sorafenib mit einer etwas höheren Potenz. Sein Einsatz in der Zweitlinientherapie bringt Überlebensvorteile für Patienten, bei denen es unter Sorafenib zur weiteren Krankheitsprogression gekommen ist. ® Als weitere neue Option gilt die Therapie mit den Checkpointhemmern Nivolumab und Pembrolizumab, die in Phase-III-Studien bereits eine Verbesserung der Langzeitüberlebensraten bei mit Sorafenib vorbehandelten Patienten gezeigt haben. übergegangen, so Llovet abschliessend. Insofern scheint sich auch auf diesem Sektor die personalisierte Krebstherapie zu etablieren: Nach Testung des Krebsgewebes auf diejenigen Biomarker, die Aufschlüsse über die Aktivierung bestimmter Signalwege geben, soll ein gezielter Einsatz der Signalblocker mit besseren Resultaten möglich werden. Entsprechende Studien laufen bereits. Adela Žatecky Referenzen: 1. Llovet JM et al.: Hepatocellular Carcinoma. Nat Rev Dis Primers 2016; 2 : 16018. 2. EASL-EORTC: Clinical practice guidelines: management of hepatocellular carcinoma. J Hepatol 2012; 56: 908–943. 3. Llovet JM et al.: Sorafenib in advanced hepatocellular carcinoma. N Engl J Med 2008; 359: 378–390. 4. Cheng A-L et al.: Efficacy and safety of sorafenib in patients in the Asia-Pacific region with advanced hepatocellular carcinoma: a phase III randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Oncol 2009; 10: 25–34. 5. Llovet JM u. Hernandez-Gea V: Hepatocellular carcinoma: reasons for phase III failure and novel perspectives on trial design. Clin Cancer Res 2014; 20: 2072–2079. 6. Bruix J et al.: Regorafenib for patients with hepatocellular carcinoma who progressed on sorafenib treatment (RESORCE): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet 2017; 389(10064): 56–66. 7. El-Khoueiry AB et al.: Phase I/II safety and antitumor activity of nivolumab in patients with advanced hepatocellular carcinoma: Interim analysis of the CheckMate-040 dose escalation study. J Clin Oncol 2016; 34(Suppl; Abstract 4012). 8. Ikeda K et al.: Phase 2 study of lenvatinib in patients with advanced hepatocellular carcinoma. J Gastroenterol 2016;doi:0.1007/s00535-0161263–1264. Quelle: EASL Postgraduate Course «A multidisciplinary approach to patients with liver diseases» beim 52. Jahrestreffen der European Association for the Study of the Liver (EASL), 20. und 21. April 2017 in Amsterdam. Die Künstlergruppe Smartup Visuals aus London wandelt Inhalte in Informationsgrafiken um – auf dem EASL-Stand war sie bei ihrer Arbeit zu bewundern. Hier ein Beispiel der dort entstandenen Werke. (© Smartup Visuals). 28 • CongressSelection Gastroenterologie • Juni 2017