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Highlights vom EAU-Kongress 2017
Ausgewählte Präsentationen rund um die benigne Prostatahyperplasie
Auch in diesem Jahr schloss der Kongress der European Association of Urology wieder mit der «Souvenir Session», in deren Rahmen renommierte Urologen ihre persönlichen Highlights der Konferenz vorstellen. In mehreren Referaten ging es dabei um verschiedene Pathologien der Prostata.
Prof. Piotr Radziszewski, Medizinische Universität Warschau, präsentierte ausgewählte Arbeiten zu den Themen benigne Prostatahyperplasie (BPH)/untere Harnwegssymptome (LUTS). Darunter eine Studie, die einerseits eine Erhöhung des myogenen Tonus bei Patienten mit BPH zeigt und darüber hinaus auch eine mit Tamsulosin vergleichbare Wirkung von Sildenafil auf diesen Muskeltonus nachweist. Dies sei ein interessanter Erklärungsversuch für den Wirkmechanismus von PDE-5-Inhibi-toren bei der BPH (1). Einschränkungen der Autophagozytose dürften an der Entstehung einer BPH beteiligt sein. Dies könnte, so Radziszewski, auch die Assoziation von Adipositas und BPH erklären. Jedenfalls fand eine in London vorgestellte Studie bei adipösen Männern mit LUTS nicht nur eine verstärkte systemische Inflammation, sondern auch eine reduzierte Autophagozytose (2). Die gleiche Gruppe zeigte auch, dass metabolisches Syndrom und Rauchen bei Männern mit BPH und LUTS das Risiko von Nykturie verdoppeln (3). Radziszewski: «Die Botschaft ist einfach. Sagen Sie Ihren Patienten, sie sollen abnehmen und nicht rauchen.»
Prostatahyperplasie und systemische Inflammation
Generell werde gegenwärtig, so Radziszewski, die Rolle der Inflammation im Rahmen von BPH und LUTS immer besser verstanden und zunehmend als potenzielles Therapieziel erkannt. Wie häufig das Problem ist, zeigt eine Analyse der grossen ERSPC-Studie, die bei Männern über 65 eine LUTS-Prävalenz von 30 bis 35 Prozent fand. Erfreulicherweise wurde dabei jedoch über vier Jahre nur eine sehr geringe Tendenz zur Progression festgestellt (4). Hinsichtlich der Therapie sind die Optionen nach wie vor begrenzt. Eine japanische Arbeit zeigte nun, dass eine Dreifachtherapie mit Tamsulosin, Dutasterid und Imidafenacin im Vergleich zu einer dualen Therapie mit Tamsulosin und Dutasterid zu besserer Symptomkontrolle bei Patienten mit BPH führt (5). Aktuelle Daten gibt es auch zur Phytotherapie. In einer Phase-IV-Studie erwies sich Sägepalme (Serenoa repens) in der Behandlung von LUTS als gleichwertig im Vergleich zu Tadalafil (6). Bei hypogonadalen Männern mit Typ-2-Diabetes reduzierte eine Testosteronsubstitution über acht Jahre nicht nur die kardiovaskuläre Ereignisrate, sondern auch LUTS (7). Die Einnahme von Statinen war in einer epidemiologischen Studie assoziiert mit einem geringeren Bedarf an operativen Eingriffen wegen BPH (8). Auch Prof. Chris Bangma, Erasmus Medical Center Rotterdam, weist auf Ergebnisse aus der ERSPC-Studie hin, die nun ein ideales Alter für das PSA-Screening erkennen lassen. Dieses liegt bei 55 Jahren (9). Das Screening sollte personalisiert werden, wobei bei Männern mit sehr niedrigen Werten ein Abstand von 5 Jahren zwischen den Untersuchungen völlig ausreicht. Zunehmend werden auch Algorithmen präsentiert beziehungsweise untersucht, die neben der PSA-Bestimmung auch bildgebende Verfahren nützen. So konnte für die Kombination des genbasierten Prostate-Cancer-3-Tests und MRT ein hoher negativ-prädiktiver Wert erreicht werden (10). In einer niederländischen Studie gelang es, in einem Screeningszenario durch Einsatz von MRT 70 Prozent aller unnötigen Biopsien zu vermeiden und Überdiagnosen um die Hälfte zu reduzieren (11). Bangma: «Um Genaueres zu wissen, müssen wir die Ergebnisse mehrerer laufender Studien zum Einsatz von MRT im Prostatascreening abwarten.»
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Hohe Treffsicherheit bei «Active Surveillance»
Auch die Suche nach neuen Biomarkern für die Diagnose des Prostatakarzinoms geht weiter. Bangma weist in diesem Zusammenhang auf das Serumglykoprotein LRG1 hin, dass sich als Prädiktor für die Aggressivität von Prostatakarzinomen erwiesen hat (12). Hinsichtlich der Frage, wie nach einer negativen Biopsie weiter vorgegangen werden kann, sind Daten nach wie vor rar. Dazu wurde im Rahmen des EAU 2017 eine einzige Arbeit vorgestellt. Sie zeigt, dass bei negativer Biopsie und negativer MRT die Wahrscheinlichkeit eines signifikanten Karzinoms in den nächsten drei Jahren auch dann gering ist, wenn das PSA erhöht bleibt (13). Hinsichtlich einer Strategie der «Active Surveillance» bei Patienten mit Prostatakarzinom zeigen aktuelle Daten unter anderem, dass diese häufiger von Zentren mit hohem Patientenvolumen eingesetzt wird (14). Und offenbar wird dabei alles richtig gemacht. Denn genetische Analysen zeigen, dass lediglich bei 2 Prozent der Patienten unter «Active Surveillance» ein Hochrisikoprofil vorliegt (15). Bangma: «Das zeigt, dass unsere Risikoeinschätzung anhand der Klinik weitgehend korrekt ist. In der Zukunft können wir genetische Marker einsetzen, aber es muss sich erst zeigen, ob das Vorteile bringt.» Ein zunehmend relevantes Problem im Zusammenhang mit Prostatabiopsien stellen resistente Bakterienstämme dar. Bisweilen wird eine Resistenztestung anhand eines Rektalabstrichs und eine daraus abgeleitete gezielte antibiotische Prophylaxe gefordert. Eine in London vorgestellte Arbeit zeigte allerdings, dass dieses Vorgehen im Vergleich zu einer konventionellen, empirischen Antibiotikaprophylaxe keine Reduktion von Urosepsis bringt (16). Das «lab on a chip» zur schnellen und sicheren Resistenztestung werde, so Bangma, nach wie vor sehnlich erwartet. In der Behandlung des lokalisierten Prostatakarzinoms gibt eine aktuelle Studie, so Prof. Dr. Peter Albers vom Universitätsklinikum Düsseldorf, Sicherheit, dass ein Gleason-6-Karzinom keine sofortige kurative Therapie benötigt. Die Analyse von fast 3000 Patienten nach einer radikalen Prostatektomie zeigte, dass ein Gleason-6-Karzinom über 8 Jahre zu einer karzinomspezifischen Mortalität von annähernd null führt. Lediglich bei 1,2 Prozent der Patienten wurde in der Folge eine hormonelle Therapie erforderlich (17). Albers: «Die einzige Schlussfolgerung, die man 2017 aus diesen Daten ziehen kann, ist, dass diese Patienten keine sofortige kurative Therapie bekommen sollten.» Dies ist umso bedeutsamer, als es auch neue Daten zu den Komplikationsraten der radikalen Prostatektomie (RPE) gibt. Diese zeigen beispielsweise in einem grossen europäischen Zentrum in den Jahren von 2005 bis 2016 einen Anstieg von 7,9 auf 10,6 Prozent (18). Die Autoren der Studie führen dies auf den Umstand zurück, dass immer mehr Hochrisikopatienten operiert werden. Womit als Aussage bleibt: Die RPE ist zumindest nicht sicherer geworden. Für die zytoreduktive RPE bei Patienten mit oligometastatischer Erkrankung wurden deutlich höhere Komplikationsraten nachgewiesen, die die Autoren einer multinationalen Studie jedoch für akzeptabel halten (19). Albers rät jedoch zu einer kritischen Haltung gegenüber diesen Eingriffen. Schlechte Neuigkeiten gab es im Hinblick auf die fokale Therapie des Prostatakarzinoms. In einer Phase-1b-Studie, die den Einsatz von MRT-geleiteter transurethraler Ultraschallablation untersuchte, wur-
den nach der Prozedur bei 55 Prozent der Patienten noch Krebszellen in der Prostata gefunden. Bei 31 Prozent waren es klinisch signifikante Residuen (20).
Positive Daten zur Stammzelltherapie bei erektiler Dysfunktion
Prof. Jens Otto Reimers Sønksen vom Herlev-Gentofte Hospital in Dänemark weist auf eine der häufigsten Komplikationen der radikalen Prostatektomie hin, die jedoch auch in der Folge anderer operativer Eingriffe im Beckenbereich auftreten kann: erektile Dysfunktion. Leider sind alle Versuche, die Situation zu verbessern, bisher höchstens begrenzt erfolgreich geblieben. Auch der innovative Ansatz, durch Einlegen von Chitosanmembranen die Regeneration der Nervenfasern zu unterstützen, hat leider keinen signifikanten Einfluss auf die Inzidenz von erektiler Dysfunktion nach RPE, wie eine im Rahmen des EAU 2017 vorgestellte Studie zeigte. Auch die Kontinenz-
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rate nach RPE wurde durch die Membranen nicht beeinflusst (21). Gute Daten gibt es hingegen für die Stammzelltherapie. Eine Phase-1-Studie mit komplett impotenten Patienten nach RPE zeigte gutes Ansprechen nach Infusionen von Stammzellen, die zuvor aus patienteneigenem Fett aus einer Fettabsaugung isoliert worden waren, in die Corpora cavernosa. Innerhalb von sechs Monaten hatten sich 8 von 14 Patienten so weit erholt, dass spontaner Geschlechtsverkehr wieder möglich wurde (22). Sønksen: «Da es sich um eine Phase-I-Studie handelt, darf man daraus lediglich schliessen, dass die Prozedur machbar und sicher ist. Alles Weitere müssen grössere und verblindete Studien zeigen. Erst dann können wir diese Methode evidenzbasiert einsetzen.» Nicht zuletzt weist Sønksen auf die Bedeutung eines kürzlich präsentierten Positionspapiers der EAU zur Testosteronsubstitution hin. Dieses unterstreicht die Rolle des Urologen in der Diagnostik von Hypogonadismus sowie in der langfristigen Betreuung der betroffenen Patienten (23).
Reno Barth
Quelle: Souvenir session by the EAU Scientific Committee. 32. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 24. bis 28. März 2017 in London.
Referenzen: 1. Lee S et al.: Myogenic tone is significantly increased in benign prostatic hyperplasia and can be attenuated by sildenafil and tamsulosin, with outcome associated to patient age and prostate volume. Eur Urol Suppl 2017; 16; e106. 2. De Nunzio C et al.: Impairment of autophagy is associated with obesity and inflammation in patients with benign prostatic hyperplasia and lower urinary tract symptoms. Eur Urol Suppl 2017; 16; e105. 3. De Nunzio C et al.: Metabolic syndrome and smoking are associated with an increased risk of nocturia in male patients with benign prostatic enlargement. Eur Urol Suppl 2017; 16; e398. 4. Venderbos et al.: The prevalence and progression of lower urinary tract symptoms in an ageing population – results from the European Randomized study of Screening for Prostate Cancer (Rotterdam). Eur Urol Suppl 2017; 16; e393.
5. Yamanishi T: A 52-week randomized comparative study of a triple therapy (tamsulosin, dutasteride, and imidafenacin) versus a dual therapy (tamsulosin and dutasteride) in benign prostatic hyperplasia patients with overactive bladder (DIrecT Study). Eur Urol Suppl 2017; 16; e534. 6. Morgia G et al.: Comparison between tadalafil 5 mg vs. Serenoa repens/selenium/lycopene for the treatment of benign prostatic lower urinary tract symptoms secondary to benign prostatic hyperplasia. A phase IV, randomized, multicenter, non-inferiority clinical study. SPRITE study. Eur Urol Suppl 2017; 16; e535. 7. Haider A et al.: Testosterone therapy (TTh) improves urinary function and reduces major adverse cardiovascular events (MACE) in hypogonadal men with type 2 diabetes (T2DM) treated up to 8 years in comparison to an untreated control group. Eur Urol Suppl 2017; 16; e541. 8. Lin CC et al.: The effect of statins on the risk of receiving transurethral resection of prostate in the outpatients of genitourinary clinic – a study by applying nation-wide population based database. Eur Urol Suppl 2017; 16; e543. 9. Carlsson S et al.: At what age should a PSA-based screening program start? 20-year results from the Göteborg randomized population-based prostate cancer screening study. Eur Urol Suppl 2017; 16; e235. 10. Perlis N et al.: Defining a cohort of men who may not require repeat prostate biopsy based on PCA3 and MRI: The double negative effect. Eur Urol Suppl 2017; 16; e350. 11. Alberts A et al.: Value of magnetic resonance imaging in populationbased prostate cancer screening: Comparison of 3 biopsy strategies in the 5th screening round of the ERSPC Rotterdam. Eur Urol Suppl 2017; 16; e501. 12. Guldvik IJ et al.: Identification and validation of a novel blood-based biomarker of aggressive prostate cancer. Eur Urol Suppl 2017; 16; e626. 13. Boesen LP et al.: Clinical outcome following a low-suspicious multiparametric prostate MRI or benign MRI-targeted biopsies for prostate cancer detection: A 3-year follow-up study of men with prior negative transrectal ultrasound guided biopsies. Eur Urol Suppl 2017; 16; e493. 14. Löppenberg B et al.: Variation in the use of active surveillance for low-risk prostate cancer. Eur Urol Suppl 2017; 16; e794. 15. Cooperberg M et al.: The diverse genomic landscape of low-risk prostate cancer. Eur Urol Suppl 2017; 16; e246. 16. Mulhem W et al.: Rectal swab cultures and targeted prophylactic antimicrobial regimes do not reduce the risk of sepsis following transrectal prostate biopsy. Eur Urol Suppl 2017; 16; e632. 17. Mandel P et al.: Oncologic long-term outcome in patients with pathologic Gleason 3+3 score at radical prostatectomy. Eur Urol Suppl 2017; 16; e1060. 18. Pompe RS et al.: Contemporary complications after radical prostatectomy. Eur Urol Suppl 2017; 16; e930. 19. Heidenreich A et al.: Cytoreductive radical prostatectomy (cRP) is feasible in men with hormone-naive, metastatic prostate cancer (mPCA). Eur Urol Suppl 2017; 16; e29. 20. Chin J et al.: MRI-guided transurethral ultrasound ablation in patients with localized prostate cancer: 24-month outcomes of a prospective phase I clinical trial. Eur Urol Suppl 2017; 16; e7. 21. Porpiglia F et al.: The role of chitosan membranes application on the neurovascular bundles during robot-assisted radical prostatectomy: Preliminary results of a phase II study. Eur Urol Suppl 2017; 16; e249. 22. Haahr M et al.: Safety and potential effect of a single intracavernous injection of autologous adipose-derived regenerative cells in patients with erectile dysfunction following radical prostatectomy: 12-month follow-up. Eur Urol Suppl 2017; 16; e368. 23. Mirone V et al.: European Association of Urology Position Statement on the Role of the Urologist in the Management of Male Hypogonadism and Testosterone Therapy. European Urology. In Press. http://dx.doiorg/ 10.1016/j.eururo.2017.02.022.
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