Transkript
EAU
BPH-Patienten mit unteren Harnwegssymptomen
Welche Therapien sich anbieten
Untere Harnwegssymptome sind bei Patienten mit benigner Hyperplasie verbreitet. Das Auftreten dieser Symptome steigt altersabhängig. Unter den über 70-jährigen BPH-Patienten sind fast 80 Prozent betroffen. Am 32. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU) in London fasste Prof. Tiago Antunes-Lopes, Urologie, Hospital de S. Joao, University of Porto, Portugal, die derzeitigen Therapieoptionen zusammen.
EAU-Guideline zu nicht neurogenen LUTS bei Männern: www.rosenfluh.ch/qr/eau-luts
Viele Patienten mit benigner Prostatahyperplasie (BPH) suchen erst einen Arzt auf, wenn untere Harnwegssymptome (lower urinary tract symptoms, LUTS) ihnen das Leben schwermachen. Da LUTS viele Ursachen haben können, urologische wie nicht urologische, muss erst die Differenzialdiagnose von BPH und überaktiver Blase (OAB) berücksichtigt werden (1) (Tabelle), so Prof. Tiago Antunes-Lopes. In den letzten Jahren hat die Blase die Prostata als alleinige LUTS-Quelle abgelöst. Das betrifft alle LUTS-Typen: Speicher- und Entleerungsymptome wie auch Nykturie. In der Pharmakotherapie gegen LUTS bei BPH ist denn auch die Blase das Zielorgan. Die Therapie mit Alpha-1Blockern ist dabei der klassische Ansatz, der Einsatz von Antimuskarinika ist heute ebenfalls empfohlen (2). Zwei neue Substanzklassen für männliche Speicher-LUTS erweitern seit Kurzem die therapeutischen Möglichkeiten: Beta-3-Adrenorezeptoragonisten und PDE-5-Hemmer (2). Laut Antunes-Lopes ist bei persistierenden Problemen trotz Alpha-1-Blocker eine Zugabe eines Antimuskarinikums oder eines Beta-3-Agonisten einen Versuch wert. Denn während Alpha-1-Blocker in der Entleerungsphase aktiv sind, ist es ein Beta-3-Agonist nur in der Speicherphase, und Antimuskarinika sind es über beide Phasen.
Tabelle:
MÖGLICHE URSACHEN DER LUTS
Differenzialdiagnose Blasenkrebs Prostatakrebs Prostatitis Blasenstein Interstitielle Zystitis Strahlenzystitis Harnwegsentzündung Harnröhrenstriktur Neurogene Blasendysfunktion Detrusorunterfunktion Primäre Blasenhalshypertrophie Nächtliche Polyurie
Medikamente Antidepressiva Anticholinergika Diuretika Narkotika Antihistaminika Bronchodilatanzien
Andere Risikofaktoren Typ-2-Diabetes mellitus Adipositas Hypertonie Alter Rauchen Alkohol
Bei der älteren Patientengruppe (3) sind PDE-5-Hemmer ebenfalls eine Option, wenn Alpha-1-Blocker alleine nicht ausreichen.
Alpha-1-Blocker mit Antimuskarinika
Weil Alpha-1-Blocker gemäss betroffenen Männern den Harnfluss verbessern und die Nykturie reduzieren, nicht aber Drang und Häufigkeit (4), kann bei Männern, die kein Residualvolumen von über 150 ml haben, eine Kombination mit einem Antimuskarinikum erwogen werden (1). Antimuskarinika blockieren den muskarinischen M3-Rezeptor und führen während der Füllungsphase zu einer Reduktion der «Mikrobewegungen» der glatten Muskulatur, was eine Erhöhung der Blasenkapazität ermöglicht, und sie bewirken eine Reduktion der Detrusoraktivität (5). Während der Entleerung können sie auch zu verminderten Kontraktionen führen, was eine komplette Blasenentleerung ermöglicht (6). Zur Verfügung stehende Antimuskarinika sind Oxybutynin, Tolterodin, Solifenacin, Darifenacin, Trospiumchlorid und Fesoterodin. Von ihnen zeigten Tolterodin, Solifenacin und Darifenacin eine grössere Blasenselektivität als Oxybutynin (7). Die Befürchtung, bei Männern durch Antimuskarinika oder Alpha-1-Blocker/Antimuskarinika-Kombinationen mehr akute Harnretentionen zu provozieren, wurde in verschiedenen doppelblind randomisierten Studien bei über 2700 Männern mit LUTS nicht bestätigt. Die gefundene Inzidenz von katheterisierungspflichtigem akutem Harnverhalt lag zwischen 0 und 1,5 Prozent (7). Allerdings wurden bei diesen Studien Männer mit Residualvolumina >200 ml und maximalem Harnfluss < 10 ml/s ausgeschlossen. Bei ihnen sollten Antimuskarinika demnach laut Antunes-Lopes vermieden werden.
Alpha-1-Blocker und Beta-3-Agonisten
Mirabegron ist zurzeit der einzige Beta-3-Rezeptoragonist. Es wird vermutet, dass die Substanz die Entspannung des Detrusormuskels in der Speicherphase erhöht, ohne die Kontraktilität während der Miktion zu tangieren (8). Etliche Phase-III-Studien bestätigten die zuvor gefundene Wirksamkeit und Sicherheit hinsichtlich signifikant reduzierter Miktionsfrequenz und einer signifikanten Reduktion der Drangepisoden unter Mirabegron 50 mg gegenüber Plazebo (2, 9). Auch die Inzidenz von Harnrete-
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tionen stieg unter Mirabegron im Vergleich zu Plazebo und den aktiven Kontrollen nicht an – sie war sogar niedriger (2, 9). In einer jüngeren Studie wurde die Kombination Tamsulosin 0,2 mg plus Mirabegron 50 mg versus Tamsulosinmonotherapie bei 76 Männern mit BPH und überaktiver Blase untersucht (10). Unter der Kombination zeigte sich nach zwei Monaten eine signifikante im Overactive Bladder Symptom Score (OABSS) angegebene Verbesserung betreffend Drang, Frequenz tagsüber und Lebensqualität. Zwar war das Residualvolumen auch höher, doch führte dies nur in 1 Fall zu akutem Harnverhalt. Die Studienautoren schliessen daraus, dass diese Kombination bei Patienten mit BPH, die unter Tamsulosin allein noch immer unter OAB leiden, eine wirksame und sichere Option ist.
PDE-5-Hemmer gegen LUTS
Bei älteren Männern kommt zur LUTS-Problematik bei BPH oft noch eine erektile Dysfunktion hinzu. Möglicherweise liegen den beiden Symptomatiken ähnliche Ursachen zugrunde. Zur Diskussion steht die Involvierung des NO/zyklischen Guanosinmonophosphats, aber auch die oft vorhandene Atherosklerose im Gefässsystem des Beckens (7, 11). PDE-5-Hemmer scheinen die Symptome beider Störungen zu verbessern. Eine Metaanalyse über zwölf Studien bei Männern mit erektiler Dysfunktion und LUTS, die einerseits PDE-5-Hemmer versus Plazebo (n = 3214) und andererseits PDE-5-Hemmer plus Alpha-1-Blocker versus Alpha-1-Blocker alleine (n = 216) zusammenfasste, zeigte, dass sich unter Mitwirkung von PDE-5-Hemmern der International Prostate Symptom Score (IPSS) zusätzlich zum International Index of Erectile Function Score (IIEF) signifikant verbesserte. Der maximale Harnfluss verbesserte sich jedoch nur unter der Kombination PDE5-Hemmer plus Alpha-1-Blocker signifikant (12). Tadalafil ist als einziger PDE-5-Hemmer bei Patienten mit
Take Home Messa es
® Untere Harnwegssymptome können viele Ursachen
haben.
® Wenn Alpha-1-Blocker die Symptome nicht befriedi-
gend beheben, kann eine Kombination mit Antimus-
karinika oder Beta-3-Agonisten erwogen werden.
® Bei Männern scheinen Antimuskarinika nicht zu
mehr Harnretention zu führen.
® Ältere Männer mit BPH und erektiler Dysfunktion
können von einer Kombination von Alpha-1-Blo-
cker/PDE-5-Hemmer profitieren.
erektiler Dysfunktion und BPH zugelassen. In einer Datenanalyse von vier zwölfwöchigen plazebokontrollierten Tadalafilstudien (5 mg/Tag) bei 1499 BPH-Patienten mit LUTS ging man der Frage nach, welcher Effekt (Speicher und Entleerung) an der Verbesserung des IPSS-Score mehr Anteil hatte. Zu 42,7 Prozent kam die Verbesserung infolge Wirkung auf die Speicherung zustande. Der Effekt auf Speicherung und Entleerung zeigte sich konstant und zudem unabhängig von der Speicherdysfunktion zu Studienbeginn (13).
Valérie Herzog
Referenzen: 1. Gratzke C et al.: EAU Guidelines on the Assessment of Non-neurogenic Male Lower Urinary Tract Symptoms including Benign Prostatic Obstruction. Eur Urol 2015; 67: 1099–1109. 2. Gravas S et al.: Management of non-neurogenic male lower urinary tract symptoms (LUTS), incl. benign prostatic obstruction. EAU-Guidelines 2016. 3. Dimitropoulos K et al.: New therapeutic strategies for the treatment of male lower urinary tract symptoms. Res Rep Urol 2016; 26: 51–59. 4. Yamaguchi O et al.: Place of overactive bladder in male lower urinary tract symptoms. World J Urol 2009; 27: 723–728. 5. Vahabi B et al.: Physiological and pathophysiological implications of micromotion activity in urinary bladder function. Acta Physiol (Oxf) 2015; 213: 360–370. 6. Hegde SS: Muscarinic receptors in the bladder: from basic research to therapeutics. Br J Pharmacol 2006; 147: 80–87. 7. Osman N et al.: Antimuscarinics, β-3 Agonists, and Phosphodiesterase Inhibitors in the Treatment of Male Lower Urinary Tract Symptoms: An Evolving Paradigm. Urol Clin North Am 2016: 43: 337–349. 8. Yamaguchi O et al.: Beta3-adrenoceptors in urinary bladder. Neurourol Urodyn 2007; 26: 752–756. 9. Silva J et al.: Current medical treatment of lower urinary tract symptoms/BPH: do we have a standard? Curr Opin Urol 2014; 24: 21–28. 10. Ichihara K et al.: A randomized controlled study of the efficacy of tamsulosin monotherapy and its combination with mirabegron for overactive bladder induced by benign prostatic obstruction. J Urol 2015; 193: 921–926. 11. Köhler TS et al.: The relationship between erectile dysfunction and lower urinary tract symptoms and the role of phosphodiesterase type 5 inhibitors. Eur Urol 2009; 55: 38–48. 12. Gacci M et al.: A systematic review and meta-analysis on the use of phosphodiesterase 5 inhibitors alone or in combination with α-blockers for lower urinary tract symptoms due to benign prostatic hyperplasia. Eur Urol 2012; 61: 994–1003. 13. Chapple CR et al.: Effect of tadalafil on male lower urinary tract symptoms: an integrated analysis of storage and voiding international prostate symptom subscores from four randomised controlled trials. Eur Urol 2015; 67: 114–122.
Quelle: «What to do if my BPH patient maintains bothersome storage LUTS». 32. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 24. bis 28. März 2017 in London.
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