Transkript
AIU
Stellschraube Hautmikrobiom
Durch Beeinflussung der Hautflora lassen sich Ekzeme lindern
Moderne Methoden haben die Kenntnisse zur Hautflora erweitert. Ein Ergebnis ist, dass die Haut umso gesünder ist, je mehr Keimspezies sich auf ihr tummeln. Das erklärt, warum manche Therapien greifen (und manche nicht), und eröffnet neue Behandlungsstrategien.
Betrachtet man die reine Anzahl der Zellen, besteht der Mensch jeweils zur Hälfte aus humanen und aus bakteriellen Zellen. Das sind etwa 3 x 1013 Zellen pro Hälfte. Grund genug, sich mit der Hälfte der bakteriellen Zellen am und im Menschen wissenschaftlich zu beschäftigen. Genau das tut Dr. Martin Glatz vom Universitätsspital Zürich. Entsprechend seiner Profession als Dermatologe richtet er sein Augenmerk auf das Mikrobiom der Haut. Dass eine gesunde Hautflora zur Gesundheit beiträgt, sei längst bekannt, berichtete er auf dem Allergy and Immunology Update (AIU) in Grindelwald. Ebenso, dass sich Bakterien, Viren und Pilze auf der Haut und auch in Talgdrüsen, Schweissdrüsen sowie im Haarschaft befänden.
Nicht nur im Dschungel: Kartografie der Keimspezies
Doch die bisherigen Methoden, die Spezies zu identifizieren, waren nicht umfassend. Beispielsweise liessen sich die Spezies der Pilzfamilie Malassezia nur schwer auf Nährböden kultivieren, wie Glatz berichtete. Die Entwicklung neuer Nährböden könne hier Abhilfe schaffen. Doch besonders durch den Einsatz der modernen Gensequenzierung von Hautabstrichen ist das Wissen um die Keimwelt auf unserer Haut enorm gestiegen. Nicht nur, dass man viele neue Keime identifizieren kann – heute weiss man auch, dass verschiedene Hautareale eine unterschiedliche Zusammensetzung des Mikrobioms aufweisen. So finden sich bei demselben Menschen in feuchten, trockenen und fettigen Hautbereichen unterschiedliche Mikroben in ebenfalls unterschiedlichen Mengen (1).
Bei Neurodermitisschub gibt es mehr Streptokokken
Die Zusammensetzung der Hautflora ändert sich nicht nur regional, sie ändert sich auch bei Hauterkrankungen. Glatz berichtete von Untersuchungen bei einer der hartnäckigsten Dermatosen, die nach wie vor eine Herausforderung für den Dermatologen ist: der atopischen Dermatitis (AD). Die wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung betrifft 10 bis 30 Prozent der Kinder und etwa 5 bis 10 Prozent der Erwachsenen. Die Ursachen des atopischen Ekzems sind vielfältig, doch könnte das Mikrobiom auch hier eine Rolle spielen? Offenbar ja, denn wie Glatz berichtete, verändert sich bei einem Ekzemschub die Hautflora: Der Anteil an Staphylococcus aureus ist viel grösser als ausserhalb des Schubes. Entsprechend sinkt auch die Diversität. Anders ausgedrückt: Bei AD-Patien-
ten finden sich während des Schubes wesentlich weniger verschiedene Keimarten (2).
Biologische Kriegsführung
Da liegt der Gedanke nahe, das Mikrobiom zu beeinflussen, um die Ekzeme zu lindern beziehungsweise Schübe zu verhindern. Und das geschieht auch schon. Bekanntlich ist die Hautpflege eine der Hauptstützen der AD-Therapie, denn eine gut gepflegte, durchfeuchtete Haut ist ein guter Schutz gegen neue Ekzeme. Das ist nicht nur klinische Erfahrung, sondern wurde auch in einer Studie mit 108 Babys mit hohem AD-Risiko nachgewiesen: Die ADHäufigkeit sank in der Pflegegruppe um 50 Prozent (3). Doch warum wirken Cremes? Das liegt nicht nur an der Wiederherstellung einer intakten Barrierefunktion, die das Eindringen von Allergenen und Keimen verhindert, sodass die Entzündungskaskade erst gar nicht in Gang kommt. Durch die Pflegecremes steigt auch die Vielfalt der Hautkeimspezies. Und einige dieser Keime sind nicht nur selbst apathogen, sondern hemmen andere pathogene Bakterien. Ein Beispiel für diese «biologische Kriegsführung» ist Streptococcus salivarius. Wird die Haut gut mit blanden Cremes gepflegt, steigt der Anteil von Strep. salivarius, wie Glatz in einer eigenen, noch nicht veröffentlichten Studie mit 19 Babys mit hohem AD-Risiko belegte. Dieser Effekt beruht vermutlich darauf, dass die Unterart Strep. salivarius K12 antimikrobielle Peptide, auch «Salivaricin» oder BLIS (bacteriocinlike inhibitory substance) genannt, produziert, die unter anderem gegen Pneumokokken und Eiterkeime wirken. In Präparaten gegen Halsschmerzen und zur Verbesserung der Mund-Rachen-Flora wird dies bereits therapeutisch genutzt.
Nicht nur oben drauf, sondern auch innen drin
Die Hautkeime beeinflussen sich allerdings nicht nur gegenseitig, sie interagieren auch direkt mit dem Immunsystem der Haut. Besonderes Augenmerk haben die Forscher auf Malassezia gerichtet. Beispielsweise finden sich bei Hautgesunden IgG- und IgM-Antikörper gegen Malassezia spp. Eine regelrechte Sensibilisierung lässt sich bei AD-Patienten nachweisen – sowohl im Patch- als auch im Pricktest: 30 bis 80 Prozent der AD-Patienten haben einen positiven Pricktest (SPT: skin prick test) mit Malassezia-spp.-Extrakt. Leider, so Glatz, gibt es kaum kom-
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merzielle standardisierte Malasseziaextrakte, sodass dieser Test in der klinischen Praxis entfällt. Dieser Sensibilisierung kann man allerdings per Labor auf die Spur kommen: Für diese Malassezia-spp.-spezifischen IgE-Antikörper gibt es entsprechende Laborkits. Die Sensibilisierung auf Malassezia spp. läuft vermutlich so ab: AD-Patienten haben einen erhöhten pH-Wert der Haut. Dieser führt zu einer gesteigerten Freisetzung der Malasseziaallergene. Infolge der gestörten Barrierefunktion können diese und vermutlich auch die Bakterien selbst in die AD-Haut eindringen. Dort werden die Bakterien und die freigesetzten Oberflächenstrukturen von Toll-like-Rezeptoren vom Typ 2 (TLR2) der Keratinozyten und der dendritischen Zellen erkannt, die wiederum die Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen bedingen – die Entzündungskaskade nimmt ihren Anfang (4).
Bakteriencreme beruhigt die AD-Haut
Die Hautflora kann das Immunsystem nicht nur negativ, sondern auch positiv beeinflussen, wieder im Sinne einer «biologischen Kriegsführung». Beispielsweise macht man sich das nicht pathogene Bakterium Vitreoscilla filiformis zunutze. Offenbar ist es in der Lage, regulatorische T-Zellen sowie tolerogene dendritische Zellen zu induzieren (5). Wie Glatz weiter ausführte, funktioniert das auch klinisch: 75 AD-Patienten applizierten entweder eine Creme mit 5 Prozent eines Vitreoscilla-filiformis-Lysats oder nur die Cremegrundlage. Nach 30 Tagen hatten sich die Ekzeme im SCORAD (SCORe of Atopic Dermatitis) in der Verumgruppe signifikant gebessert. Die Analyse des Mikrobioms in den behandelten Hautarealen ergab, dass der Anteil an Staph. aureus deutlich gesenkt wurde. Angenehmer Nebeneffekt: Die Patienten der Verumgruppe hatten auch signifikant weniger schlaflose Nächte (6).
Antibiotika – eine Therapieoption?
Man könnte denken, dass Antibiotika auf der Haut besonders fatal wären, weil sie nicht nur allergen wirken, sondern zudem auch die «guten» Bakterien vernichten. Dem ist eher nicht so. Glatz berichtete von einer Studie mit ekzematösen Mäusen, die Antibiotika erhielten. Die Ekzeme heilten ab, und die mikrobielle Vielfalt wurde wiederhergestellt, was neuen Entzündungen entgegenwirkte (7).
Antimykotika bei AD – ja oder nein?
Weniger zögerlich als bei Antibiotika ist man in der ADBehandlung mit Antimykotika, die häufig als Zusatztherapie eingesetzt werden. Auch bei anderen Hauterkrankungen, die mit Malassezia spp. assoziiert sind, beispielsweise bei seborrhoischer Dermatitis, werden Antimykotika wie Ketokonazol eingesetzt. Wie Glatz wei-
ter erläuterte, sei der Erfolg keineswegs immer gegeben. Die Ursache ist relativ banal: Auch Malassezia spp. entwickeln Resistenzen. Doch dass man diese nachweisen kann, ist erst der Erforschung des Hautmikrobioms zu verdanken. Denn in diesem Zusammenhang sind erst die Nährböden entwickelt worden, auf denen Malassezia wachsen kann. Erst dadurch ist eine Testung auf wirksame Antimykotika – ähnlich dem Antibiogramm – ermöglicht worden.
Fazit
Wie Glatz zusammenfasste, hat die Forschung zur Hautflora folgende Ergebnisse gebracht: • Die Mikrobiomforschung hilft zu verstehen, warum be-
stimmte Therapien wirken. • Die Beeinflussung des Mikrobioms hilft bei der Be-
handlung von Hauterkrankungen. • Das Mikrobiom selbst kann therapeutisch genutzt wer-
den. • Die Mikrobiomforschung hilft zu verstehen, warum be-
stimmte Therapien nicht (mehr) wirken. Trotz aller Erfolge: Die Erforschung der Hautflora steht noch immer am Anfang. Weitere Forschungsanstrengungen, um an die Geheimnisse unserer «Untermieter» auf der Haut zu kommen, sind nach Einschätzung von Glatz weiterhin nötig.
Angelika Ramm-Fischer
Referenzen: 1. Grice EA et al.: Topographical and temporal diversity of the human skin microbiome. Science 2009; 324(5931): 1190–1192. 2. Kong HH et al.: Temporal shifts in the skin microbiome associated with disease flares and treatment in children with atopic dermatitis. Genome Res 2012; 22: 850–859. 3. Simpson EL et al.: Emollient enhancement of the skin barrier from birth offers effective atopic dermatitis prevention. J Allergy Clin Immunol 2014; 134(4): 818–823. 4. Glatz M et al.: The Role of Malassezia spp. in Atopic Dermatitis. J Clin Med 2015; 4(6): 1217–1228. 5. Volz T et al.: Nonpathogenic Bacteria Alleviating Atopic Dermatitis Inflammation Induce IL-10-Producing Dendritic Cells and Regulatory Tr1 Cells. Journal of Investigative Dermatology 2014; 134: 96–104. 6. Gueniche A et al.: Effects of nonpathogenic gram-negative bacterium Vitreoscilla filiformis lysate on atopic dermatitis: a prospective, randomized, double-blind, placebo-controlled clinical study. Br J Dermatol 2008; 159(6): 1357–1363. 7. Kobayashi T et al.: Dysbiosis and Staphylococcus aureus colonization drives inflammation in atopic dermatitis. Immunity 2015; 42(4): 756–766.
Quelle: Symposium 1: «Let’s start provocative: Exercise induced anaphylaxis» beim Allergy and Immunology Update (AIU), 20. Januar 2017 in Grindelwald.
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