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Erdnussallergie zum Abgewöhnen
Neue Perspektiven bei der Vorbeugung und der Behandlung von Nahrungsmittelallergien
Nahrungsmittelallergien kann in geringem Masse vorgebeugt werden, zum Beispiel mit der Zufütterung von fester, allergenhaltiger Nahrung bei Babys zum richtigen Zeitpunkt. Doch auch wenn bereits eine manifeste Nahrungsmittelallergie wie jene gegen Erdnüsse besteht, bietet die transdermale Immuntherapie neue Chancen.
LEAP: Learning Early About Peanut allergy
Nahrungsmittelallergien sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Aufgrund von Meldungen in der Publikumspresse wie «Allergieschock durch Kuss von Erdnussliebhaber» haben nicht nur die Betroffenen erkannt, wie gefährlich selbst Spuren des Allergens für die Patienten sein können. Auch wenn manches reisserisch und nicht ganz wahrheitsgetreu berichtet wird: Patienten fragen nach Diagnosen und Therapien. Vor allem junge Mütter beschäftigt das Thema Allergie und ihre Vorbeugung im Hinblick auf ihre Kinder. Diesem brisanten Forschungsbereich widmet sich wissenschaftlich Prof. Philippe Eigenmann aus Genf. Wie er berichtete, gilt generell, Säuglinge mit einem Risiko für Allergien die ersten 4 bis 6 Monate möglichst zu stillen. Ab 4 Monaten sollte dann Brei aus festen Nahrungsmitteln zugefüttert werden. Hierbei haben sich jedoch die Empfehlungen geändert: Statt potenziell allergene Nahrungsmittel wie Eier, Milchprodukte oder exotische Früchte und Erdnüsse zu vermeiden, sollten auch diese ganz normal in der Beikost enthalten sein. Sie sollen weder vermieden noch besonders stark zugeführt werden – unabhängig von einer erblichen atopischen Disposition (1, 2).
Schützt frühe Exposition vor Nahrungsmittelallergie?
Schützt eine frühe Konfrontation mit Allergenen vor Allergien? Dafür häufen sich die Hinweise. Eigenmann stellte eine epidemiologische Studie aus England vor, bei der die Prävalenz von Erdnussallergien in Grossbritannien und Israel verglichen wurde. Ergebnis: Obwohl im Vereinigten Königreich Kinder im ersten Lebensjahr fast nie Erdnussprodukte zu essen bekommen, leiden dort zehnmal mehr Menschen an einer Erdnussallergie als in Israel, wo reichlich Erdnussprodukte konsumiert werden (und Babys somit viel früher mit den Allergenen in Kontakt kommen) (3). In der interventionellen Studie LEAP konnte das bei 640 Babys mit einem hohen Allergierisiko bestätigt werden (4). In der einen Gruppe wurden erdnusshaltige Nahrungsmittel in der Kost komplett vermieden, in der anderen Gruppe assen die Kinder mindestens 6 g Erdnussprotein, verteilt auf drei oder mehr Mahlzeiten in der Woche. Dieser «Diätplan» wurde beibehalten, bis die Kinder 5 Jahre alt waren. Ergebnis: In der Vermeidungsgruppe hatten von den ursprünglich im Pricktest negativen Kindern 13,7 Prozent eine Erdnussallergie entwickelt, in der Gruppe mit der «Erdnussdiät» waren es nur 1,9 Prozent
ABBILDUNG 1: LEAP-STUDIE: PRÄVALENZ VON ALLERGIEN IM ALTER VON 5 JAHREN
SPT-negative Kohorte (n = 530)
SPT-positive Kohorte (n = 98)
Gesamtkohorte (n = 628)
Erdnussallergieprävalenz (%)
40
40 35,3%
40
30 30
30
20 13,7%
10
20 10,6%
10
1,9%
0 Vermeidungs- Erdnusskonsum-
gruppe
gruppe
0 Vermeidungs- Erdnusskonsum-
gruppe
gruppe
20 17,2%
10
3,2%
0 Vermeidungs- Erdnusskonsum-
gruppe
gruppe
In der LEAP-Studie (hier: Intention-to-treat-Analyse) hatten nach 5 Jahren diejenigen Kinder, die bereits frühzeitig im Leben und regelmässig Erdnussproteine konsumierten, ein deutlich niedrigeres Risiko für die Entwicklung einer Erdnussallergie. Quelle: Du Toit et al. (4).
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(Abbildung 1). Damit konnte der Vorteil der frühen Beifütterung von Erdnussprodukten im Hinblick auf die Allergieentwicklung belegt werden. Eigenmann berichtete weiter von der Studie HealthNuts, die unter anderem aufgrund der LEAP-Daten berechnet hat, wie viele Allergiefälle sich damit verhindern lassen. Ergebnis: Von 1000 Kindern lassen sich mit dieser Strategie voraussichtlich 20 Fälle von Erdnussallergie verhüten (5).
Orale Immuntherapie kann helfen
Wenn also Allergen in der Babynahrung die Allergie verhindern kann, kann sie dann auch im späteren Lebensalter durch kontrolliert zugeführtes Allergen vermindert oder sogar geheilt werden? Im Sinne einer oralen Immuntherapie kann das funktionieren. Eigenmann berichtete von einer Studie mit 100 Kindern mit Erdnussallergie im Alter von 7 bis 16 Jahren. Die eine Gruppe vermied streng Erdnussprodukte, die andere erhielt sukzessive über 6 Monate ansteigend Erdnussmehl (2 mg–800 mg/Tag) mit standardisiertem Erdnussprotein. Nach 6 Monaten konnten 62 Prozent in der aktiven Gruppe als desensibilisiert gelten. 84 Prozent vertrugen 800 mg Erdnussprotein täglich. Die Schwelle bis zur allergischen Reaktion lag noch höher: Im Provokationstest vertrugen die Probanden der Verumgruppe bis zu 1400 mg (6). Das klingt nach viel, entspricht aber nur etwa zehn Erdnüssen oder einem knappen Teelöffel Erdnussbutter, wie Eigenmann zu bedenken gab. Dennoch ist die orale Immuntherapie für die
Betroffenen hinsichtlich der Lebensqualität von Vorteil, denn sie müssen wenigstens nicht immer auf Spuren ihres Allergens im Essen achten. Der Nachteil ist der enorme Aufwand für Arzt und Patient. So muss ein klarer Therapieplan beziehungsweise ein Einnahmeprotokoll bestehen, die Patienten müssen in der Lage sein, die ausführlichen Informationen zu dieser oralen Immuntherapie zu verstehen und diese auch durchführen zu können, es müssen häufige Kontrolltermine eingehalten werden, Notfallmedikation muss immer verfügbar sein, und die Patienten müssen sich 3 bis 5 (!) Jahre an das Protokoll halten. Zudem sind noch viele Fragen offen, beispielsweise, wie lange die Toleranz anhält, ob das Protokoll nach einer Pause wiederholt werden muss und ob das dann wieder funktioniert, ob das nur bei Kindern oder auch bei Erwachsenen klappt. Auch wenn alle Vorsichtsmassnahmen eingehalten werden, lässt sich eine schwere Anaphylaxie unter einer oralen Immuntherapie nicht ausschliessen. Daher wird diese Therapieform (noch) nicht allgemein empfohlen, so Eigenmann.
Erdnuss-Desensibilisierung via Haut
Auch Dr. Christophe Dupont aus Paris (F) findet, dass der Aufwand und die Sicherheitsmängel bei der oralen Immuntherapie in einem schlechten Verhältnis zur Erfolgsquote stehen. Auch wenn in der von Eigenmann zitierten Studie eine Erfolgsrate von 62 Prozent angegeben war – andere Studien haben geringere Erfolgsraten ergeben.
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ABBILDUNG 2: DER VIASKIN®-PATCH UND SEIN WIRKUNGSMECHANISMUS
(Bildquelle: dbv technologies)
Nur 40 bis 60 Prozent der Patienten erreichen nach Duponts Aussage in den Provokationstests eine Toleranz gegen das Allergen. Damit stellt sich die Frage nach alternativen Methoden der Immuntherapie. Die subkutane Immuntherapie funktioniert nicht beziehungsweise ist zu riskant bei Nahrungsmittelallergien. Könnte man nicht via Hautoberfläche eine Toleranz induzieren? Schliesslich reagiert die Haut ja auch im Patchtest auf Nahrungsmitttelallergene. Vielleicht klappt das ja auch umgekehrt: mit einer epikutanen Immuntherapie (EPIT®). Und offenbar ist dies wirklich der Fall. Das Unternehmen DBV Technologies hat mit Viaskin® bereits eine solche epikutane Immuntherapie entwickelt (Abbildung 2). Das Prinzip: Die Pflaster enthalten ein kleines Depot mit dem Allergen. Durch das Tragen des Pflasters entwickelt sich eine kleine feuchte Kammer. Durch die feuchte Haut kann das Allergen in die Epidermis eindringen, wird dort von den Langerhans-Zellen aufgenommen, die dann in die Lymphknoten wandern und dort die Immunmodulation induzieren. Drei Jahre lang müssen sechs der münzgrossen Pflaster täglich an den inneren Oberarm oder in der Skapularregion auf den Rücken geklebt werden, wie Dupont erläuterte. Derzeit sind vor allem die Pflaster gegen die Allergene Milch, Hühnerei und Erdnüsse Gegenstand der Forschung. Am Weitesten fortgeschritten ist die EPIT®-Entwicklung gegen die Erdnussallergie. In der vom Hersteller aufgelegten Studie VIPES (Viaskin Peanut’s Efficacy and Safety) wurden 221 Erdnussallergiker im Alter von 6 bis 55 Jahren aufgenommen. Sie erhielten entweder Plazebo oder die Viaskin®-Patches mit 50 mg, 100 mg oder 250 mg Allergen. Als Therapieerfolg wurde gewertet, wenn ein Proband mindestens 1000 mg des Erdnussproteins oder das Zehnfache seiner Ausgangsdosis im Provokationstest vertrug. Nach 1 Jahr hatten in der Gruppe mit der höchsten Dosierung 50,0 Prozent diesen primären
KREUZALLERGIE: PINIENKERNE BEI ERDNUSSALLERGIE WEITGEHEND UNBEDENKLICH
Eigenmann ist Mitglied einer Forschergruppe aus Pädiatern und Allergologen, die sich besonders um die Nussallergie, eine der häufigsten Lebensmittelallergien, kümmert. Und das Hauptaugenmerk gilt hier der Erdnussallergie, auch wenn Erdnüsse nicht im botanischen Sinn Nüsse, sondern Hülsenfrüchte sind. Im Rahmen ihres Forschungsprojektes wurden auch die Kreuzallergien bei den Nüssen erforscht. Ergebnis: Auch mit einer Erdnussallergie heisst es nicht, dass man alle andern Arten von Nüssen meiden muss. Die Forscher konnten feststellen, dass die wenigsten Kreuzallergien zu Erdnuss bei Pinienkernen und Sesamkörnern auftreten. Wer also eine Erdnussallergie hat, geht mit diesen Alternativen kaum ein Risiko ein.
Endpunkt erreicht. Wie Dupont berichtete, traten keine schweren Nebenwirkungen durch die Studienmedikation auf. Allerdings wurden in allen Gruppen milde bis mässige lokale Reaktionen beobachtet. Die Studie wurde bei 38 Teilnehmern mit der höchsten Allergendosis von 250 mg 2 Jahre lang weitergeführt (OLFUS-VIPES). Danach hatten 76 Prozent den Endpunkt erreicht. Im Provokationstest vertrugen die 25 verbliebenen Studienpatienten im Mittel 2160 mg des Erdnussproteins (kumulative Reaktionsdosis). Auffällig war, dass unter den Probanden mit dem grössten Erfolg vor allem Kinder waren. In der Subgruppenanalyse waren nach den 2 Jahren Verlängerung 83,3 Prozent dieser Kinder von 6 bis 11 Jahren erfolgreich desensibilisiert worden, ihre kumulative Reaktionsdosis betrug 2453 mg Erdnussprotein.
Toleranzinduktion funktioniert vor allem bei Kindern
Dass Kinder offenbar am meisten von dieser Form der Toleranzinduktion per epikutaner Immuntherapie profitieren, bestätigt eine weitere Studie der Gruppe Consortium of Food Allergy Research (CoFAR), die Dupont ebenfalls zitierte. Darin wurden 74 junge Allergiker von 4 bis 25 Jahren aufgenommen (7). Das Design war ähnlich wie jenes der VIPES-Studie. Und auch das Ergebnis: In der 250-mg-Gruppe erreichten nach 52 Wochen 48 Prozent der Teilnehmer den Endpunkt, was hiess, dass sie im Vergleich zum Ausgangswert das Zehnfache der Erdnussproteindosis tolerierten. Gerechnet auf die Altersgruppe von 4 bis 11 Jahren waren es jedoch mit 61 Prozent deutlich mehr: Auch in dieser Studie waren keine schweren Nebenwirkungen aufgetreten. Die lokalen Beschwerden stuften die Untersucher als mild bis mässig ein. Dass diese Nebenwirkungen wohl weitgehend erträglich waren, bestätigt auch die Compliance in beiden Studien: 97 Prozent der Probanden hielten die epikutane Pflasterimmuntherapie durch. Damit sei die EPIT® eine aussichtsreiche und Erfolg versprechende Form der Immuntherapie bei Nahrungsmittelallergien, so schloss Dupont.
Angelika Ramm-Fischer
Referenzen: 1. de Silva D et al.: Primary prevention of food allergy in children and adults: systematic review. Allergy 2014; 69(5): 581–589. 2. Muraro A et al. on behalf of EAACI Food Allergy and Anaphylaxis Guidelines Group: EAACI Food Allergy and Anaphylaxis Guidelines. Primary prevention of food allergy. Allergy 2014; 69(5): 590–601. 3. du Toit G et al.: Early consumption of peanuts in infancy is associated with a low prevalence of peanut allergy. J Allergy and Clin Immunol 2008; 122(5): 984–991. 4. Du Toit G et al.: Randomized Trial of Peanut Consumption in Infants at Risk for Peanut Allergy. NEJM 2015; 372: 803–813. 5. Koplin JJ et al.: Understanding the feasibility and implications of implementing early peanut introduction for prevention of peanut allergy. J Allergy Clinical Immunology 2016; 138(4): 1131–1141. 6. Anagnostou K et al.: Assessing the efficacy of oral immunotherapy for the desensitisation of peanut allergy in children (STOP II): a phase 2 randomised controlled trial. Lancet 2014; 383: 1297–1304. 7. Jones SM et al.: Epicutaneous immunotherapy for the treatment of peanut allergy in children and young adults. J Allergy Clinical Immunology 2016, in press. doi: 10.1016/j.jaci.2016.08.017
Quelle: Symposium IV: «Allergy in Childhood: Food allergy in childhood: what has changed?» beim Allergy and Immunology Update (AIU), 21. Januar 2017 in Grindelwald.
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