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Cardiolo y Update
Tumortherapie schädigt noch nach Jahrzehnten das Herz
Karzinompatienten kardioonkologisch begleiten
Tumorpatienten sind in mehrfacher Hinsicht gestraft. Einmal wegen ihres Krebsleidens und ein weiteres Mal wegen der Toxizität der Chemotherapie nicht zuletzt in Bezug auf das Herz. Dies manchmal Jahrzehnte nach der Krebsbehandlung. Um Schäden für das Herz abzumildern, empfiehlt sich eine kardioonkologische Begleitung vor und nach erfolgter Chemotherapie oder Bestrahlung.
Dank immer besserer Krebstherapien gibt es auch mehr Patienten, die ihren Krebs überlebt haben. Krebs ist nicht mehr nur eine tödliche Krankheit, sondern sie ist auch zu einer behandelbaren chronischen Erkrankung geworden. Die Folgen beispielweise für das Herz sind jedoch enorm, nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig, wie Prof. Thomas Suter, Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital Bern, am Cardiology Update in Davos erklärte. Bei Hodgkin-Lymphomen beispielweise steigt die kumulative Inzidenz von Herzerkrankungen mit den Jahren seit der Diagnose. 40 Prozent dieser Patienten haben 30 Jahre später relevante Nebenwirkungen auf das Herz, wie eine Untersuchung zeigte (1). Meist dafür verantwortlich sind neben Bestrahlungen chemotherapeutische Onkologika wie Anthrazykline, Alkylanzien, Antimetaboliten und Mitosehemmstoffe (Tabelle).
Tabelle:
INZIDENZ EINER LINKSVENTRIKULÄREN DYSFUNKTION ALS FOLGE VON CHEMOTHERAPEUTIKA (modifiziert nach [2])
Doch es gibt auch reversible Kardiotoxizität. «Im Gegensatz zu den konventionellen Chemotherapeutika scheinen die neueren Biologicals wie die monoklonalen Antikörper, Small-Molecule-Tyrosinkinasehemmer, Proteasomhemmer, Everolimus oder Temsirolimus eher zu reversiblen kardialen Nebenwirkungen zu führen», so Suter.
Kardiotoxische Folgen
Eine Kardiomyopathie als Langzeitfolge einer onkologischen Therapie zeichnet sich durch eine Reduktion der linksventrikulären Auswurffraktion (LVEF) um mehr als 10 Prozent auf einen Wert unterhalb von 50 Prozent oder als relative Abnahme über 15 Prozent gegenüber dem Ausgangswerts aus. Die Diagnose wird echokardiografisch gesichert (2). Eine Verwendung von BNP und NT-proBNP als prädiktive Biomarker für eine tumortherapieinduzierte Kardiomyopathie wird dagegen noch nicht empfohlen. Chemotherapeutika wie Fluoropyrimidine, Platinverbindungen, VEGF-Inhibitoren können über Vasospasmen, Thrombose und fortschreitende Atherosklerose auch zu koronarer Herzerkrankung (KHK) und akutem Koronarsyndrom (ACS) führen. Auch Arrhythmien, QT-Verlängerungen oder die Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie können das Werk von verschiedensten Onkologika sein.
Konventionelle Chemotherapeutika Anthrazykline (dosisabhängig)
Doxorubicin 400 mg/m2 550 mg/m2 700 mg/m2 Idarubicin (> 90 mg/m2) Epirubicin (> 900 mg/m2) Mitoxanthon (> 120 mg/m2) Liposomale Anthrazykline (> 900 mg/m2) Alkylanzien Cyclophosphamid Ifosphamid (> 10 mg/m2) (12,5–16 mg/m2) Antimetaboliten Clofarabin Mitosehemmer Docetaxel Paclitaxel
Inzidenz (%)
3–5 7–26 18–48 5–18 0,9–11,4
2,6 2
7–28 0,5 17
27
2,3–13 <1
Radiotherapie belastend fürs Herz
Nicht nur Tumortherapeutika, sondern auch eine Bestrahlung kann dem Herz langfristig zusetzen, wie eine Untersuchung zeigte. Darin erhöhte sich das Risiko für ischämische Herzerkrankungen bei bestrahlten Brustkrebspatientinnen linear mit zunehmender Strahlendosis ein paar Jahre nach Strahlenexposition bis zu 20 Jahre danach (3). Zu den Langzeitschäden gehören im Weiteren auch kardiale Dysfunktion, Perikarderkrankungen, Ischämien, Erkrankungen des Herzleitungssystems sowie Mitralklappenregurgitation. Letzterem lässt sich nicht vorbeugen, wie Suter betont, und es kann 20 Jahre nach einer Bestrahlung auftreten. «Ein heute 50-jähriger Patient mit bestrahltem Hodgkin-Lymphom vor 30 Jahren und chemotherapiertem Non-Hodgkin-Lymphom vor 3 Jahren leidet an einer Herzinsuffizienz. Er erhielt inzwischen einen Bypass und einen Schrittmacher vor 15 Jahren, einen Stent vor 5 Jahren und eine Mitralklappenvalvuloplastie vor 3 Jahren. Die Herzinsuffizienz ist schlechter geworden», illustriert Suter die traurige Herz-
16 • CongressSelection Kardiologie • Mai 2017
Foto: MEV
Cardiolo y Update
Kasten 1:
RISIKOFAKTOREN FÜR KARDIOTOXIZITÄT (2)
• Vorangegangene Krebstherapie zum Beispiel mit Anthrazyklinen, Radiotherapie von Brustkorb und Mediastinum
• Vorbestehende Myokarderkrankungen, zum Beispiel koronare Herzkrankheit, Klappenvitien, hypertensive Herzerkrankung, Sarkoidose
• Demografische Faktoren und Risikofaktoren zum Beispiel Alter (< 18 J.; > 50 Jahre für Trastuzumab, > 65 Jahre für Anthrazykline), Hypertonie, Diabetes, Hyperlipidämie, familiäre Disposition, Nikotinkonsum, Alkoholkonsum
Körperliche Bewegung hebt nicht nur die Stimmung, sondern lindert auch die Nebenwirkungen einer Tumortherapie.
Kasten 2:
WAS IST UNTER KARDIOONKOLOGIE ZU VERSTEHEN?
• Prävention, Erkennung und Behandlung von kardiovaskulären Komplikationen infolge einer Krebstherapie
• Optimierung der kardialen Situation vor einer potenziell kardiotoxischen Krebsbehandlung
• Überwachung von kardialen Langzeitkomplikationen bei Krebsüberlebenden
karriere eines seiner Patienten. Auch vaskuläre Probleme gibt es 5 bis 10 Jahre nach Bestrahlung von Mediastinum, Kopf und Nacken. Diese Patienten müssen revaskularisiert werden. Nicht zu vergessen sind die Patienten, die im Kindesalter ihren Krebs überlebt haben. 40 Prozent von ihnen haben 20 bis 40 Jahre später kardiovaskuläre Erkrankungen als Langzeitfolge ihrer Therapie, so Suter. Aus diesem Grund ist es wichtig, Patienten mit vorangegangener Krebstherapie kardiologisch zu begleiten. «An unserer Klinik bestellen wir diese Patienten 1 Jahr nach der Krebstherapie und dann alle 5 Jahre für eine kardiale Untersuchung ein, um rechtzeitig Massnahmen treffen zu können», erklärt Suter.
Therapeutische Möglichkeiten bei kardialen Nebenwirkungen
Die European Society of Cardiology hat in einem Positionspapier zur Kardiotoxizität von Onkologika festgehalten, welche Möglichkeiten es bei Auftreten von kardialen Nebenwirkungen gibt. Danach sollten als Erstes die Risikofaktoren (Kasten 1) ausgeschlossen oder behandelt werden, so auch Komorbiditäten wie Hypertonie, koronare arterielle Herzerkrankungen, Herzinsuffizienz oder periphere arterielle Erkrankungen. Bei einer Therapie mit Anthrazyklinen sollte die Dosis (mg/m2) begrenzt werden: Daunorubicin < 800; Doxorubicin < 360; Epirubicin < 720; Mitoxantron < 160; Idarubicin < 150. Zusätzlich sind die Gabe von ACE-Hemmern oder Angiotensin-IIRezeptorantagonisten, Betablockern, Statinen sowie Bewegung an der frischen Luft empfohlen. Im Fall einer Chemotherapie mit Trastuzumab empfiehlt die ESC den Einsatz von ACE-Hemmern und Betablockern (2).
Training verbessert Wohlbefinden
Während oder nach einer Tumortherapie soll auf körperliche Bewegung geachtet werden. Denn sie bringt, so die ESC-Empfehlung, eine Verbesserung der kardiorespiratorischen und der kardiovaskulären Funktion. Mit dem
Training steigen Kraft und Beweglichkeit, die Muskelmasse, die Immunfunktion sowie Körperbild und Stimmung. Sportliches Training lindert auch Nebenwirkungen wie Nausea, Fatigue oder Schmerzen. Es führt zu einer Reduktion der Hospitalisationsdauer und reduziert Stress, Depression und Angstzustände.
Valérie Herzog
Quelle: New ESC Positionpaper on cancer treatments and cardiovascular ESC-Positionspapier Kardio-
toxicity. Cardiology Update 14. Februar 2017, Davos.
toxizität von Krebstherapien
Referenzen: 1. Aleman BM et al.: Late cardiotoxicity after treatment for Hodgkin lymphoma. Blood 2007; 109: 1878–1886. 2. Zamorano JL et al.: 2016 ESC Position Paper on cancer treatments and cardiovascular toxicity developed under the auspices of the ESC Committee for Practice Guidelines: The Task Force for cancer treatments and cardiovascular toxicity of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2016; 37: 2768–2801. 3. Darby SC et al.: Risk of ischemic heart disease in women after radiotherapy for breast cancer. N Engl J Med 2013; 368: 967–998.
www.rosenfluh.ch/qr/ esc-positionspapier
Take Home Messa es
® Überlebende von Krebstherapien haben oft Jahrzehnte nach der Therapie kardiale
Nebenwirkungen.
® Kardiale Dysfunktion und Herzinsuffizienz können nach Anthrazyklinen und
mediastinaler Bestrahlung auftreten.
® Vaskuläre und koronare arterielle Erkrankungen treten häufig nach Bestrahlung
von Mediastinum und Brust auf.
® Klappenerkrankungen können nach Bestrahlung von Mediastinum und Brust
auftreten.
CongressSelection Kardiologie • Mai 2017 • 17