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Cardiolo y Update
«Ein Ausbau der Pharmakotherapie nach Spitalaustritt ist extrem wichtig»
Interview mit Prof. Thomas F. Lüscher am Cardiology Update in Davos
Am Cardiology Update, das alle zwei Jahre in Davos stattfindet, haben heuer gegen 600 Teilnehmer aus 58 Ländern teilgenommen. Hier wurden sie unter anderem zu den Themen Prävention, Herzinsuffizienz, akutes Koronarsyndrom, KHK, Antikoagulation, Rhythmusstörungen und vielen weiteren auf den letzten Stand gebracht. Über das Wichtigste hat der Veranstalter Prof. Thomas F. Lüscher, Klinikdirektor der Kardiologie und Leiter des Herzzentrums am Universitätsspital Zürich und des Center for Molecular Cardiology am Campus Schlieren der Universität Zürich, im Interview informiert.
Was ist wichtig in der kardiovaskulären Prävention? Prof. Thomas F. Lüscher: Es hat sich einiges getan. Man wird beispielsweise in der Lage sein, durch die neuen PCSK-9-Hemmer die Atherosklerose mittels weiterer Cholesterinsenkung erstmals rückgängig zu machen. Diese Medikation ist zwar teuer, doch ein echter Fortschritt. In der Diabetestherapie, wo eigentlich bis vor Kurzem auch nichts richtig half, gibt es nun mit dem SGLT-2-Hemmer Empagliflozin und dem GLP-1-Rezeptoragonist Liraglutid erstmals eine Therapie, die auch die Mortalität senkt.
Sollen jetzt alle Typ-2-Diabetiker mit Empagliflozin oder Liraglutid behandelt werden? Ich gebe Empagliflozin sehr grosszügig. Diabetes ist der Krebs der Gefässe, kardiale Patienten brauchen so ein Medikament. Die Glukose mit dem Urin auszuscheiden, scheint besser zu sein, als wenn man die Glukose in die Gewebe pumpt, wie das mit Insulin der Fall ist. Entsprechend steigt mit Insulin das Gewicht an. Wenn also Metformin nicht ausreicht, gebe ich Empagliflozin oder gegebenenfalls Liraglutid.
«Diabetes ist der Krebs der Gefässe, kardiale Patienten brauchen so ein Medikament.»
Typ-2-Diabetiker sind kardiovaskuläre Hochrisikopatienten. Sieht der Kardiologe die Diabetiker, oder sind diese eher beim Diabetologen? Ich glaube, wir sehen sicher mindestens so viele Diabetiker. Denn jeder sechste Patient von unseren jährlich 3600 stationären und 10 000 Ambulanten hat Diabetes. Deshalb ist es wichtig, dass Kardiologen über Diabetes Bescheid wissen, um die Therapie einzuleiten oder zu optimieren oder Empfehlungen an Hausärzte zu machen.
Für die Prävention ist HOPE-3 eine wichtige Studie. Was hat sie untersucht, und was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Die Mission des kanadischen, aber ursprünglich aus Indien stammenden Studienleiters Prof. Salim Yusuf ist es, eine kostengünstige Medizin zu ermöglichen. In seiner Studie wurde eine Dreifach-Fixkombination bestehend aus Rosuvastatin 10 mg und Candesartan 16 mg/Hydrochlorothiazid 12,5 mg versus Rosuvastatin alleine oder Candesartan/HCTZ versus Plazebo primärpräventiv bei Patienten mit einem oder mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren verglichen. Beim Blutdruck waren die Resultate sehr beeindruckend. Candesartan/HCTZ senkte ihn stärker. Die Dreifachkombination reduzierte ausserdem nach fünf Jahren auch das Risiko für kardiovaskulären Tod, Herzinfarkt oder Hirnschlag.
Der Blutdruckzielwert ist mit der SPRINT-Studie wieder einmal ins Rutschen gekommen? Was gilt bei wem? Die SPRINT-Studie testete eine Blutdruckreduktion auf 120 mmHg versus 135 bis 139 mmHg bei Patienten mit hohem Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis, aber ohne Schlaganfall oder Diabetes. Die Blutdrucksenkung auf 120 mmHg brachte ein um 25 Prozent tieferes Risiko für Infarkt, Hirnschlag, Herzinsuffizienz oder kardiovaskulären Tod als die Senkung auf bloss 135 bis 139 mmHg. Bei noch herzgesunden Patienten ohne Diabetes scheint mir daher ein Blutdruck von 120 bis 130 mmHg optimal zu sein. Bei herzkranken älteren Patienten müssen Nierenfunktion und Schwindel berücksichtigt werden. Eine kürzliche Subanalyse von SPRINT zeigte interessanterweise auch bei älteren Patienten über 75 Jahre dennoch einen Vorteil der stärkeren Blutdrucksenkung.
Ist bei der Hypertonie eine Dreifachkombi mit Statinen und Antihypertonika beziehungsweise eine Polypill sinnvoll? Massenepidemiologisch ist es in ärmeren Ländern durchaus sinnvoll, primärpräventiv so das Risiko zu reduzieren. Man könnte sich auch überlegen, ob es in Ländern der Dritten Welt dazu überhaupt vorgängig irgendeine Messung braucht und ob diese Medikation nicht auch durch Pflegefachleute oder Apotheker abgegeben werden könnte. Die periodische Überwachung durch einen Arzt bliebe aber dennoch wichtig. In reicheren Ländern wie
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der Schweiz geht der Trend jedoch in Richtung individualisierte Therapie mit vorgängiger Bestimmung des jeweiligen Risikos.
Ein weiteres Thema am Kongress ist das Mikrobiom. Wie hängt das mit dem Herz zusammen? Wir haben ja bekanntlich hundert Trillionen Bakterien in uns und auf der Haut. Es handelt sich dabei um etwa 500 bis 1000 verschiedene Bakteriensorten. Diese Bakterien verdauen, was wir essen. Sie essen sozusagen mit. Je nach Nahrung entstehen dabei Abbauprodukte, die mehr oder weniger Trimethylamin enthalten, das in der Leber zu Trimethylaminoxid (TMAO) umgewandelt wird. Wir konnten nun interessanterweise zeigen, dass Infarktpatienten mit hohen TMAO-Werten ein höheres Risiko für einen Reinfarkt und Tod aufweisen als solche mit tiefen Werten. Vegetarische und vegane Ernährung verursacht praktisch kein TMAO, omnivore Ernährung mit Fleisch, Fisch und Eiern dagegen viel. Es wird nun interessant sein, diätetische Interventionen anzuschauen sowie Substanzen, die die Bildung von Trimethylamin hemmen können.
Thomas F. Lüscher am Cardiology Update 2017
Bedeutet das jetzt, dass man besser auf Fisch und Eier verzichten soll? In unseren Untersuchungen hatten Amerikaner viel höhere TMAO-Werte als wir. Das verwundert auch nicht, da sie viel Steak essen und ausserdem ja bereits zum Frühstück Wurst und Eier zu sich nehmen. Ich denke, dass Früchte, rohes Gemüse sowie Salat in diesem Zusammenhang sehr gut sind. Das hat auch eine grosse Ernährungsstudie von Prof. Salim Yusuf ergeben. Des Weiteren sind wenig Kohlenhydrate, wenig Fleisch, dagegen Fisch wegen der Omega-3-Fettsäuren auf dem Speisezettel ebenfalls gut.
Wo stehen wir bezüglich der Herzinsuffizienz? Hier gibt es neue Guidelines. Heiss diskutiert wird beispielsweise die Frage, wer einen implantierbaren Kardioverter-Defibrillator (ICD) erhalten soll. Eine neue, im «New England Journal of Medicine» publizierte Arbeit aus Norwegen zeigte erstaunlicherweise, dass ein ICD bei einer dilatativen Kardiomyopathie keine Wirkung zeigt. Hier wird die Indikation demnach wieder enger werden – vielleicht mit Ausnahme jüngerer Patienten. Auch bei der kardialen Resynchronisation fokussiert sich die Indikation nun auf eine QRS-Dauer über 130.
Welche Rolle spielt der Hausarzt? Der Hausarzt ist extrem wichtig bei der Herzinsuffizienz. Im Spital ist die Medikamentendosis auf «Spitalmodus» eingestellt. Nach Spitalaustritt sollte der Hausarzt versuchen, die Dosierungen jedes einzelnen Wirkstoffs nach Massgabe des Blutdrucks und der Herzfrequenz auf die maximal verträgliche Höhe zu steigern. Ein Ausbau der Pharmakotherapie ist extrem wichtig, um Rehospitalisation zu vermeiden und das Überleben zu verlängern. Dosisreduktionen, wie sie leider immer wieder vorgenommen werden, bringen dem Patienten dagegen keinen Vorteil, im Gegenteil. Das sollte unbedingt vermieden werden, wenn der Patient keine Nebenwirkungen zeigt.
Wie hoch muss beispielsweise ein Statin dosiert sein, damit es seine präventive Funktion erfüllt? Alle ACS-Patienten erhalten in den grossen Zentren ein hoch dosiertes Statin, zum Beispiel Rosuvastatin 20 mg
oder Atorvastatin 80 mg. Wie das schweizweite Register leider aufdeckte, haben nach einem Jahr nur noch 56 Prozent der ACS-Patienten die ursprünglich verordnete Dosis oder überhaupt noch ein Statin. Dabei muss man wissen, dass das Statin bei diesen Patienten in einer Dosierung verordnet werden sollte, die einen LDL-Cholesterinwert unter 1,5 mmol/l sicherstellt; gegebenenfalls muss noch Ezetimib dazugegeben werden. Das Risiko für einen erneuten Infarkt ist besonders gross, wenn die Zielwerte nicht erreicht werden.
Was ist der Stellenwert von Ivabradin bei der Herzinsuffizienz? Ivabradin ist sehr wichtig, denn es wirkt sehr selektiv auf den Sinusknoten und hat keine Wirkung auf den Blutdruck. Bei Herzinsuffizienzpatienten mit niedrigem Blutdruck müssen Betablocker mit Vorsicht eingesetzt werden. Da ist es nützlich, dass man mit Ivabradin ein Mittel zur Verfügung hat, das die Herzfrequenz weiter senkt, ohne den Blutdruck zu beeinflussen.
«Ve etarische und ve ane Ernährun verursachen praktisch kein TMAO.»
Was sind die Highlights beim akuten Kononarsyndrom? Beim akuten Koronarsyndrom (ACS) ist die aktuelle Diskussion die, wie lange man eine «Double Antiplatelet Therapy» oder DAPT geben soll. Hier geht der Trend in Richtung personalisierte Therapie. Das heisst, man wägt individuell das Blutungsrisiko und das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis gegeneinander ab und verordnet dann DAPT für 6, 12 oder sogar 36 Monate. Ein weiteres Highlight ist das Takotsubo-Syndrom, das lange als Seltenheit gegolten hat. Es hat sich herausgestellt, dass es beim ACS eine relativ häufige Diagnose darstellt. Wir sehen nur schon in Zürich jede Woche so einen Patienten. Wenig bekannt war darüber hinaus, dass man daran sterben kann.
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Was ist der Trend in der strukturellen Intervention? Die TAVI beziehungsweise die transkatheterale Aortenklappenimplantation ist auf dem Vormarsch. Zu Beginn erhielten dies nur Patienten mit grösstem Risiko. Mittlerweile implantieren wir die Klappen auf diese Weise auch bei Patienten mit mittlerem Risiko. Wir hatten jüngst eine 93-jährige Patientin, der wir in einer halben Stunde mittels TAVI die Klappe ersetzt haben. Am nächsten Tag fragte sie bereits, wann sie nach Hause gehen könne. Die Frage hier ist natürlich, wieweit sich die Indikation ausweiten wird. Wir wissen auch noch nicht, wie lange so eine Klappe hält. Doch die Operationsindikationen werden zweifellos zurückgehen.
Inwieweit spielt hier der Patientenwunsch eine Rolle? Man muss dem Patienten genau erklären, was die Konsequenzen seiner Wahl sind. Es gibt beispielsweise Patienten, die keine Blutverdünnung wollen. Operativ eingesetzte biologische oder TAVI-Klappen haben bei jüngeren Patienten eine eingeschränkte Lebensdauer von etwa 15 Jahren. Entsprechend muss man einen jüngeren Patienten aufklären, dass eine Wahl für eine biologische Klappe in 10 bis 18 Jahren eine Reoperation notwendig machen wird.
«Krebspatienten vor einer Tumortherapie
kardiolo isch untersuchen und sie bezü lich Risiko-
faktoren optimieren.»
Wer wird in Zukunft eine TAVI erhalten? Ich bin überzeugt, dass Patienten ab Alter 60 in Zukunft eine TAVI erhalten werden. Bei Jüngeren wird dies wie gesagt schwierig sein, da es sich um Bioklappen handelt, die möglicherweise nicht genügend lang halten. Dies später dann mittels «Valve-in-Valve-Implantation» zu korrigieren, wäre eine Möglichkeit. Es braucht dafür aber eine grosse Aortawurzel, da sonst ein Druckgradient resultieren kann.
Was ist auf dem Gebiet der Rhythmusstörungen aktuell? Im Moment läuft eine grosse Diskussion darüber, ob beim Vorhofflimmern eine Radiofrequenzenergie- oder Kryoablation besser ist. Bei der Blutverdünnung stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) eingesetzt werden sollen, sondern, welche, und wer überhaupt noch Marcoumar erhalten soll. Das sind eigentlich nur noch Patienten mit mechanischen Klappen oder schwerer Niereninsuffizienz.
Gibt es Neues bei der Blutverdünnungsstrategie? Zurzeit wird die Dreifachantikoagulation diskutiert. Die PIONEER-Studie mit tief dosiertem Rivaroxaban plus Clopidogrel plus eventuell ASS hat gezeigt, dass mit einer niedrigen Rivaroxabandosis viele Blutungen verhindert werden können. Die Frage stellt sich nun, wie lange man nach einem Infarkt eine Dreifachkombination geben soll, um einem Hirnschlag oder einer Stentthrombose vorzubeugen. Wichtig ist auch, dass wir uns bewusst sind, dass wir nicht heilen, sondern nur die Ereignisrate nach einem Infarkt auf immer noch stattliche 10 bis 15 Prozent im ersten Jahr senken. Entsprechend werden die neuen PCSK-9-Hemmer in Zukunft eine wichtige Rolle in dieser Patientengruppe haben, was die Ereignisrate sehr drastisch reduzieren würde. Doch so eine Therapie wäre teuer und wird im Moment vom BAG noch nicht bewilligt.
Ein weiteres Thema am Kongress ist die Kardiotoxizität von Onkologika. Wer überwacht, wer koordiniert? Wir haben in Zusammenarbeit mit Onkologen, Hämatologen, Kardiologen und Gynäkologen ein neues kardioonkologisches Zentrum gegründet. Denn Chemotherapeutika können akut wie auch langfristig zu einer Verschlechterung der Herzfunktion führen, dies auch noch nach zwanzig Jahren. Das Ziel unseres Zentrums ist, dass man Krebspatienten vor einer Tumortherapie kardiologisch untersucht und sie bezüglich Risikofaktoren optimiert. Während und nach der Therapie sollen sie halbjährlich bis jährlich kardiologisch kontrolliert werden, um die kardialen Folgen mit frühzeitigen Interventionen abmildern zu können. Die Evidenz ist momentan noch schlecht, wir müssen den Nutzen eines solchen Vorgehens noch belegen. Doch ich denke, dass das Bedürfnis besteht, weil die Patienten dank der heutigen Chemotherapien viel länger leben und so die langfristigen kardiotoxischen Nebenwirkungen bei ihnen vermehrt zum Tragen kommen.
Was ist die Zukunft der Kardiologie? Wo geht die Reise hin? Wenn sich die PCSK-9-Hemmer ausbreiten, wird das die Kardiologie verändern. Die Chirurgie wird massiv zurückgehen. Enge Stellen werden gestentet, und mit dem PCSK-9-Hemmer bleibt das Cholesterin auf 1,5 mmol/l oder darunter, was nachgewiesenermassen zu einer Regression der Plaques führt und etliche kardiale Ereignisse vermeiden wird. Der Mensch ist das einzige Tier in der Evolution mit so hohen LDL-Cholesterin-Spiegeln. Mäuse, Ratten, auch Schimpansen haben viel tiefere LDLCholesterin-Spiegel, unter 1 mmol/l, und sie haben keine Herzprobleme, wie wir sie haben.
Das Interview führten Christine Mücke und Valérie Herzog.
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