Transkript
EADV
Update zu HPV-Infektionen bei Kindern
Fortschritte auf dem Weg zur generalisierten HPV-Prävention
HPV-Infektionen können sehr vielfältige Erkrankungen an Haut und Schleimhäuten auslösen. Wegen ihres kanzerogenen Potenzials sollten sie ernst genommen werden. Die Entwicklung von HPV-Vakzinen war ein effektiver Schritt zu ihrer Eindämmung. Derzeit wird an neuen Impfstoffkonzepten geforscht, die gegen ein noch breiteres Spektrum an Subtypen wirksam sein werden.
In den meisten Fällen verlaufen HPV-Infektionen asymptomatisch. Sie können aber auch viele unterschiedliche Erkrankungen auslösen oder zumindest triggern – nicht nur auf der Haut, sondern auch in der Anogenitalregion und an anderen Schleimhäuten. «Ich bin sicher, dass wir in Zukunft noch viel mehr über Krankheiten lernen werden, die durch HPV ausgelöst werden», betonte Dr. Claudia Heller-Vitouch aus Wien (A) auf dem Jahreskongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) 2016 in Wien.
Kutane HPV-Erkrankungen betreffen besonders häufig Kinder
Als symptomatische HPV-induzierte Erkrankungen sind bei Kindern vor allem die durch die Betasubtypen verursachten gewöhnlichen Warzen (Verrucae vulgares), Plantarwarzen (Verrucae plantares) und plane Warzen (Verrucae planae juveniles) weitverbreitet. Die Übertragung der verursachenden Viren erfolgt durch direkten Kontakt, aber
auch durch Schmierinfektionen. Denn die Viren können auch ausserhalb des Körpers in infektionsfähigem Zustand persistieren – wie lange, ist für die menschlichen HPV nicht gut untersucht. Von bovinen HPV ist allerdings bekannt, dass sie über Monate, vermutlich sogar über Jahre auch ausserhalb des Körpers infektiös bleiben (1). 5 bis 30 Prozent der Kinder und jungen Erwachsenen haben gewöhnliche Warzen – damit treten sie bei Kindern häufiger auf als bei Erwachsenen, von denen 3 bis 10 Prozent betroffen sind (2). Die Warzen können jahrelang persistieren, jedoch kommt es auch oft zur spontanen Regression: In epidemiologischen Studien wurde ein Verschwinden der Warzen bei der Hälfte der betroffenen Kinder innerhalb eines Jahres und bei zwei Dritteln innerhalb 2 Jahre beobachtet (3). Bei Erwachsenen ist dagegen eine Persistenz der Warzen über 5 bis 10 Jahre nicht ungewöhnlich. Zu Komplikationen können Warzen dann führen, wenn die Immunfunktion beeinträchtigt ist – beispielsweise bei Immundefekten und Organ- oder Knochenmarktransplantationen. Hier kann es zu besonders ausgeprägtem und lang anhaltendem, therapieresistentem Warzenbefall kommen. Auf der anderen Seite sollte ein solcher Verlauf einer HPVErkrankung auch zum Anlass genommen werden, nach einem zugrunde liegenden Immundefekt zu suchen.
Transmissions-elektronenmikroskopische Aufnahme von humanen Papillomaviren
(Bild: DKFZ, Prof. Hanswalter Zentgraf)
Keine Therapie ist auch eine Option – solange die Warze nicht stört
Die hohe Rate an Spontanheilungen ist wichtig für die Therapieentscheidung. Denn dies bedeutet: Auch keine Therapie ist eine Option. Dies wird denn auch in der Leitlinie der British Association of Dermatologists, die nach Einschätzung von Heller-Vitouch als sehr gute Leitlinie angesehen werden kann, ausdrücklich erwähnt (4). Wenn aber die Warzen aus ästhetischen Gründen stören oder schmerzen, dann ist eine Intervention angezeigt. Leider gibt es bis heute keine spezifische antivirale Therapie. Die am weitesten verbreiteten Therapiemassnahmen zielen daher darauf ab, das infizierte Epithel zu schädigen oder zu zerstören. Dadurch soll nicht nur das Virus mit zerstört, sondern auch über die Freisetzung der Virusantigene eine immunologische Reaktion gegen das Virus induziert werden. Denn: «Das Immunsystem des Wirtes ist sehr wichtig für den Verlauf der Erkrankung», so Heller-Vitouch weiter.
30 • CongressSelection Dermatologie • Januar 2017
EADV
Für die direkte Schädigung existieren viele unterschiedliche Optionen, die in destruktive und antiproliferative Verfahren unterteilt werden. Die Angaben über die Effektivität schwanken je nach Studie sehr stark; für die häufig eingesetzten chirurgischen Interventionen liegen, wie in der britischen Leitlinie angemerkt wird, keine qualitativ hochwertigen Studien vor. Als eine neue Option wurde in den letzten Jahren die intraläsionale Immuntherapie versucht. Dabei werden Antigene anderer Erreger, wie Candida, Mumpsviren oder Tuberkulin, zur immunologischen Stimulation in die Warze gespritzt. Die Erfolgsraten unterschieden sich allerdings bis anhin nicht von denjenigen konventioneller Warzentherapien, berichtete Heller-Vitouch. Auch komplementäre Therapien, wie Akupunktur, Phytotherapeutika, Homöopathie und Psychotherapie, werden zum Warzenmanagement eingesetzt, ihr tatsächlicher Einfluss ist aber aufgrund der hohen Spontanheilungsrate schwer abschätzbar.
Anogenitale HPV-Infektionen – ein Signal für möglichen sexuellen Missbrauch
Werden bei Kindern anogenitale HPV-assoziierte Krankheitsformen diagnostiziert, dann steht die wichtige Frage im Raum, ob die Infektion ein Zeichen für sexuellen Missbrauch des Kindes sein könnte. Wie Heller-Vitouch betonte, ist es sehr wichtig, einen solchen Missbrauch möglichst frühzeitig zu erkennen, um die Betroffenen vor weiteren Übergriffen zu schützen und eine Therapie einzuleiten. Auf der anderen Seite kann eine Fehlinterpretation gerade in diesem Bereich zu ernsten Konsequenzen für das Kind selbst, dessen Familie und für den vermeintlichen Täter führen. Während klassische Geschlechtskrankheiten wie Gonorrhö oder Syphilis definitiv als Beweis für sexuellen Missbrauch anzusehen sind, ist es bei anderen Infektionen, beispielsweise mit Chlamydien, Herpesviren oder Trichomonaden, nicht so eindeutig (5). Bei anogenitalen Warzen ist diese Beurteilung besonders schwierig. Denn die Übertragung der HPV-Subtypen, die für anogenitale Warzen verantwortlich sind, kann einerseits über sexuellen Missbrauch geschehen sein. Es sind andererseits aber auch gewöhnliche Transmissionswege möglich, wie eine Autoinokulation, direkter Kontakt mit einer infizierten Erziehungsperson oder aber auch mit kontaminierten Objekten und Oberflächen. Darüber hinaus ist auch eine vertikale Übertragung möglich, die sowohl hämatogen vor der Geburt als auch durch Kontakt mit infizierten Geweben und Sekreten während der Geburt erfolgen kann (6). Da die Inkubationszeit von HPV durchaus 2 bis 5 Jahre betragen kann, ist auch dann, wenn sich erste Läsionen erst mehrere Jahre nach der Geburt entwickeln, eine vertikale Transmission möglich (5). Bei entsprechenden Untersuchungen von Vaginal- und Buccalabstrichen der Mütter sowie von Buccalabstrichen der Kinder wurde eine Konkordanz der HPV-Infektionen bei 57 bis 69 Prozent der betroffenen Kinder gefunden (5). Somit ergeben sich folgende Konsequenzen für die Praxis: Aus medizinischer Sicht ist eine exakte Diagnose wichtig. Dazu ist eine vollständige medizinische Untersuchung, einschliesslich einer sorgfältigen Untersuchung der Genital- und der Analregion mit Fotodokumentation sinnvoll. Als weitere Massnahme empfahl Heller-Vitouch die Testung auf andere sexuell übertragbare Erkrankungen (STD: sexually transmitted diseases) sowie die Familienanamnese und die Testung der Kontaktpersonen hin-
HPV-ASSOZIIERTE MALIGNOME BETREFFEN AUCH MÄNNER
Vielerorts wird die HPV-Impfung nur für Mädchen und junge Frauen empfohlen. Dass allerdings auch Männer von HPV-assoziierten anogenitalen Warzen sowie HPV-assoziierten Tumoren betroffen sind, machen die Zahlen deutlich, die von Prof. Alexander Kreuter aus Oberhausen (D) vorgestellt wurden (siehe Abbildung). Insofern ist es, wie er betonte, sinnvoll, dass auch die Knaben vor Beginn ihres Sexuallebens geimpft werden. In Deutschland ist dies, obwohl von der Deutschen Gesellschaft für Urologie empfohlen, noch nicht flächendeckend möglich, da die Ständige Impfkommission (STIKO) eine entsprechende Empfehlung noch nicht ausgesprochen hat. Die Schweiz kann sich diesbezüglich durchaus wieder als Vorreiter fühlen, denn hier wird die Impfung inzwischen auch für Knaben empfohlen. Für Knaben und junge Männer zwischen 11 und 26 Jahren ist die Impfung seit Juli 2016, wie ja derzeit auch für die Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren, kostenlos möglich.
Referenzen und Quellen: • Session D3T10.3 «Topical and systemic therapies of skin diseases» beim 25. Jahreskongress der
European Academy of Dermatology and Venereology (EADV), 1. Oktober 2016 in Wien. • Hartwig S et al.: Estimation of the epidemiological burden of HPV-related anogenital cancers, pre-
cancerous lesions, and genital warts in women and men in Europe: Potential additional benefit of a nine-valent second generation HPV vaccine compared to first generation HPV vaccines. Papillomavirus Research 2015; 1: 90–100. • Informationstext «Humane Papillomviren» des BAG auf www.bag.admin.ch
JÄHRLICHE INZIDENZ HPV-ASSOZIIERTER DYSPLASIEN UND MALIGNOME IN EUROPA
(32 EU-Länder + Schweiz)
Männer Frauen
2390 8906
400 948
1306 Peniskarzinom
3386 Karzinome an Vulva und Vagina
3996 2378
Analkarzinom Oropharyngealkarzinom
34 708 22 975 388 980
Zervixkarzinom Hochgradige Dysplasien, nicht zervikal (Vulva, Vagina, Anus)
Hochgradige Dysplasien, zervikal
443 517
Genitale Warzen
Quelle: nach Hartwig S et al. 2015
sichtlich anogenitaler Warzen oder STD. Ergänzt werden sollte dies durch eine gründliche psychosoziale Begutachtung, die Erfassung von sozialen Risikofaktoren im familiären Umfeld (Drogen-, Medikamenten- bzw. Alkoholabusus, Anzeichen häuslicher Gewalt, mentale Auffälligkeiten, Kindesmisshandlungen in der Vorgeschichte) sowie von Verhaltensauffälligkeiten, die auf einen sexuellen Missbrauch hinweisen könnten (5). Aus juristischer Sicht sollte bei jedem Kind, bei dem im Alter von über 3 Jahren die Diagnose anogenitaler Warzen gestellt wird, die für den Schutz des Kindes zuständige Behörde über den Verdacht auf einen möglichen sexuellen Missbrauch informiert werden. Diese Behörde sollte vom Arzt aber auch auf die Möglichkeit der konventionellen Ansteckung bei dieser Erkrankung hinge-
CongressSelection Dermatologie • Januar 2017 • 31
EADV
wiesen werden. Bei Kindern unter 3 Jahren sollte die zuständige Behörde dann informiert werden, wenn sich während der Untersuchung noch weitere Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch finden (5).
HPV-Infektionen als Präkanzerosen
Ein wichtiger Aspekt von HPV-Infektionen ist deren Assoziation mit prämalignen und malignen Haut- und Schleimhautveränderungen. Ein Extrembeispiel ist die Epidermodysplasia verruciformis, eine seltene, autosomal-rezessive Erkrankung, die zu massiver Warzenbildung bei Infektionen mit HPV vom Betatyp prädisponiert. Beteiligt sind vor allem die Subtypen 5 und 8, die nahezu jeder in seiner Haut hat, die jedoch normalerweise vom Immunsystem gut kontrolliert werden können. Von den Patienten mit Epidermodysplasia verruciformis entwickeln 25 bis 30 Prozent bereits vor dem 30. Lebensjahr maligne Hauttumoren, besonders in UV-exponierten Hautarealen.
Effektive Prävention durch Impfung
Die effektivste Massnahme gegen HPV-Infektionen ist ihre Prävention. Dies wurde in den letzten Jahren mit den HPV-Impfstoffen und deren Weiterentwicklungen zunehmend möglich, wie Heller-Vitouch betonte. Bereits vor 10 Jahren wurde eine quadrivalente HPV-Vakzine eingeführt, mit der eine Immunisierung nicht nur gegen die HPV-Typen 16 und 18, die zusammen für etwa 70 Prozent der weltweiten Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sind, sondern auch gegen die Typen 6 und 11, die etwa 90 Prozent der Genitalwarzen verursachen, möglich wurde. Diese Vakzine besteht aus sogenannten Virus-like Particles (VLP): Kapseln aus Virusproteinen, die keine Nukleinsäuren und damit keine viralen Gene enthalten. Die Impfung induziert eine starke protektive Immunantwort mit einem höheren Antikörpertiter als die natürliche Infektion. Dass die Impfung wirklich schützt, konnte zum Beispiel durch den Rückgang von Patienten, die wegen genitaler Warzen behandelt wurden, in einer australischen Untersuchung gezeigt werden (7). Es seien bereits auch erste Effekte der Impfprogramme auf zervikale Dysplasien nachweisbar, berichtete Heller-Vitouch. Inzwischen wurde auch ein Neunfachimpfstoff entwickelt, der neben den vier bereits genannten noch die Antigene der ebenfalls für Gebärmutterhalskrebs verantwortlichen Typen 31, 33, 45, 52 und 58 enthält. Dieser Impfstoff ist sowohl in den USA als auch in der Europäi-
Take Home Messa es
® Kinder sind besonders häufig von kutanen HPV-Infektionen betroffen: Bis zu
30 Prozent haben gewöhnliche Warzen.
® Bei der Hälfte der betroffenen Kinder verschwinden die Warzen innerhalb eines
Jahres von selbst wieder.
® Die Indikation zur Warzentherapie besteht nur dann, wenn die Warze ästhetisch
stört oder Beschwerden verursacht.
® Anogenitale HPV-Infektionen können bei Kindern auch durch vertikale und durch
harmlose Kontamination erfolgt sein und sind keinesfalls zwingend ein Zeichen
für sexuellen Missbrauch.
® Mit neuen HPV-Impfstoffen wird ein immer breiterer Schutz vor immer mehr HPV-
Typen möglich.
schen Union bereits zugelassen und auch schon in vielen Ländern verfügbar (Anm. d. Red: Die Zulassung in der Schweiz steht noch aus.). Mit diesem Impfstoff wird eine Protektion gegen fast 90 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs möglich sein. Grundsätzlich sollte die Impfung möglichst vor dem Beginn der sexuellen Aktivitäten stattfinden.
Zukunft der HPV-Impfung: kreuzreaktive Vakzine
In Zukunft könnte mit einem neuen Ansatz eine noch breitere Abdeckung möglich werden: Während bei den derzeit zugelassenen HPV-Vakzinen VLP-Partikel aus den typspezifischen Major-Proteinen (L1) gebildet werden, die eine geringe Kreuzreaktivität haben, wurde inzwischen ein anderer Ansatz versucht: Eine Arbeitsgruppe um Christina Schellenbacher aus Wien hat ein chimäres VLP entwickelt, das neben dem Major-Kapsidprotein L1 von HPV16 auch einen antigenen Teil des Minor-Kapsidproteins (L2) enthält (8). Das so entstandene, als RG1VLP bezeichnete Produkt zeichnet sich durch eine sehr breite Kreuzreaktivität aus. Im Mäuseversuch konnte mit einer auf RG1-VLP basierenden Impfung eine noch breitere neutralisierende Kreuzreaktivität gegen Hoch- und Niedrig-Risiko-Typen von schleimhautaffinen HPV nachgewiesen werden. Zudem wurden aber auch Antikörper gegen kutane HPV-Typen gebildet (8). «Wenn wir all diese HPV-Typen mit der Impfung miterfassen können, dann erreichen wir eine Protektion von 95 Prozent oder sogar noch mehr der HPV-HochrisikoInfektionen», so das Fazit von Heller-Vitouch: «Das könnte der Anfang vom Ende des Zervixkarzinoms sein – und möglicherweise auch das Ende anderer HPV-assoziierter Erkrankungen.»
Adela Žatecky
Referenzen: 1. Jarrett WF: The naturaly history of bovine papilloma-virus infections. In: Klein, G. (ed.), Advances in Viral Oncology1985 (5. Aufl.): 83–101. 2. Van Haalen FM et al.: Warts in primary schoolchildren: prevalence and relation with environmental factors. Br J Dermatol 2009; 161 (1): 148–152. 3. Bruggink SC et al.: Natural Course of Cutaneous Warts Among Primary Schoolchildren: A Prospective Cohort Study. Ann Fam Med 2013; 11 (5): 437–441. 4. Sterling JC et al.: British Association of Dermatologists’ guidelines for the management of cutaneous warts 2014. Br J Dermatol 2014; 171 (4): 696–712. 5. Hornor G: Ano-genital warts in children: Sexual abuse or not? J Pediatr Health Care 2004; 18 (4): 165–170. 6. Syrjanen S, Puranen M: Human papillomavirus infections in children: the potential role of maternal transmission. Crit Rev Oral Biol Med 2000; 11 (2): 259–274. 7. Chow EP et al.: Ongoing decline in genital warts among young heterosexuals 7 years after the Australian human papillomavirus (HPV) vaccination programme. Sex Transm Infect 2015; 91 (3): 214–219. 8. Schellenbacher C et al.: Efficacy of RG1-VLP Vaccination against Infections with Genital and Cutaneous Human Papillomaviruses. Journal of Investigative Dermatology 2013; 133: 2706–2713.
Quelle: Session D2T04.2 «Skin infections (bacterial, viral, parasitic and fungal)» beim 25. Jahreskongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV), 30. September 2016 in Wien.
32 • CongressSelection Dermatologie • Januar 2017