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EADV
HIV – Plädoyer für frühzeitige und konsequente Therapie
Medikamentöse Virussuppression ist nicht nur Therapie, sondern auch Prävention
HIV-Infizierte leben heute länger und in stabilem Gesundheitszustand mit der Infektion – eine grosse Errungenschaft für die Therapie, aber auch eine grosse Herausforderung für die Prävention. Eine therapeutische Virussuppression verhindert nicht nur die Progression des Immundefekts, sondern auch die Virusübertragung. Dies ist ein wichtiges Argument für einen frühzeitigen Start der antiviralen Therapie.
Es ist über 35 Jahre her, dass in Los Angeles erstmals eine Häufung von Pneumonien mit dem Erreger Pneumocystis carinii beobachtet wurde. Nur einen Monat später wurde ein ungewöhnliches Auftreten von Kaposi-Sarkomen sowie Pneumocystis-carinii-Pneumonien, in erster Linie bei homosexuellen Männern, in New York und Kalifornien berichtet. Damals ahnte man noch nicht, dass sich diese Phänomene in den darauf folgenden Jahren zu einer gewaltigen Pandemie ausweiten würden, erinnerte Prof. Thomas Quinn aus Baltimore (USA). Seit damals haben sich weltweit 76 Millionen Menschen mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV) infiziert, davon leben heute noch etwa 37 Millionen HIV-Infizierte. Allerdings haben nur etwa 17 Millionen Zugang zu antiviralen Therapien. Für diese haben die über 30 heute verfügbaren Medikamente die Infektion von einer fatalen in eine behandelbare, chronische Erkrankung verwandelt. Doch insbesondere diejenigen, die nicht behandelt werden, sorgen auch heute noch für eine weitere Verbreitung der Infektion. So haben sich im Jahr 2015 etwa 2,1 Millionen Menschen neu mit HIV angesteckt.
Zielvorgabe von UNAIDS: 90-90-90
Selbst in Industrieländern wie den USA ist das Ansteckungsrisiko für einzelne Bevölkerungsgruppen immer noch sehr hoch – so haben beispielsweise afroamerikanische Männer, die Sex mit Männern haben, ein Lebenszeitrisiko von 50 Prozent, sich mit HIV zu infizieren. Auf der Basis des heutigen Wissens hat UNAIDS in einem aktuellen Strategiepapier hochgesetzte Ziele formuliert. Konkret wird darin gefordert (1): • 90 Prozent der HIV-Infizierten weltweit sollten ihren
Serostatus kennen • 90 Prozent dieser HIV-Infizierten sollten eine antire-
trovirale Therapie erhalten • 90 Prozent der antiretroviral Behandelten sollten eine
adäquate Virussuppression erreichen. Denn ein HIV-Infizierter mit adäquater Virussuppression sei nicht infektiös, betonte Quinn. Doch von diesen geforderten Zielen ist man noch weit entfernt. Dennoch: Wer heute als HIV-Infizierter eine antiretrovirale Therapie erhält, hat eine ungleich bessere Prognose, als dies in den Anfängen der Epidemie der Fall war. Während in den Achtzigerjahren die durchschnittliche verbleibende Lebenserwartung eines jungen Erwachsenen nach HIV-Neudiagnose bei etwa 12 Jahren lag, beträgt sie heute 53 Jahre (2). «Es gibt in der heutigen Zeit keine Entschuldigung für einen Tod durch AIDS – insbesondere
wegen der vielen verschiedenen Medikamente, die heute weit verfügbar sind», betonte Quinn.
Heutiger Fokus: HIV-Prävention
Durch die Fortschritte in der Therapie wurde es möglich, im Kampf gegen AIDS verstärkt auf die Prävention zu fokussieren. Für das Ziel, jede neue HIV-Infektion zu verhindern, sind Verbesserungen in vier Kerngebieten erforderlich: • breitflächige Testung sowie anschliessende Versor-
gung, um HIV-Positiven einen frühzeitigen Zugang zur antiretroviralen Therapie zu ermöglichen • umfassende Unterstützung der Menschen, die mit HIV leben, um sie in der Versorgung zu halten und ihre gute Therapieadhärenz zu gewährleisten • generelle Virussuppression bei HIV-Infizierten • vollständiger Zugang zur Präexpositionsprophylaxe bei denjenigen, bei denen diese Massnahme sinnvoll ist. Dass gerade auch die antiretrovirale Therapie eine wirksame Präventionsmassnahme bezüglich der weiteren Verbreitung der Infektion darstellt, machte Quinn an der Ergebnissen einer Studie mit HIV-diskordanten Paaren deutlich: In einem Zeitraum von 10 Jahren kam es bei 0,07 Prozent (3 von 1751) der HIV-negativen Partner von HIV-positiven, frühzeitig behandelten und virussupprimierten Personen zu einer Serokonversion. Insgesamt wurde in dieser Studie durch die frühzeitige antiretrovirale Therapie das Risiko für Ansteckung des Partners um 93 Prozent reduziert (3). In einer aktuellen Arbeit wurde beim Vergleich von insgesamt 51 Ländern der Zusammenhang zwischen Therapie und Ansteckungsraten evaluiert. Dabei zeigte sich: Je höher unter den HIV-Infizierten der Anteil an antiretroviralen Therapien war, desto niedriger war in diesem Land die HIV-Inzidenz (4).
Fazit
Insgesamt sind, wie Quinn abschliessend betonte, weltweit grosse Fortschritte in der Eindämmung der HIV-Epidemie erzielt worden. Mit den richtigen Massnahmen ist nach seiner Einschätzung das UNAIDS-Ziel «90-90-90» durchaus realistisch. «Das gelingt aber nur bei konsequenter Umsetzung der Versorgung, der Ädhärenz in der Pharmakotherapie sowie durch Änderungen im Verhalten», so Quinn: «Nur dann ist eine Zeit, eine Welt ohne AIDS vorstellbar.»
Adela Žatecky
«Es ibt in
der heuti en Zeit keine Entschuldi un für einen Tod
durch AIDS.»
Quelle: Plenary lectures A beim 25. Jahreskongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV), 29. September 2016 in Wien.
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Referenzen: 1. UNAIDS: 90-90-90. An ambitious treatment target to help end the AIDS epidemic. Online unter www.unaids.org/sites/default/files/ media_asset/90-90-90_en_0.pdf. 2. Marcus JL et al.: Narrowing the gap in life expectancy for HIV+ compared with HIV-individuals. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI), Boston 2016, Abstract 54. 3. Cohen MS et al.: Antiretroviral Therapy for the Prevention of HIV-1 Transmission. N Engl J Med 2016; 375: 830–839. 4. Hill A et al.: Higher antiretroviral treatment coverage is associated with lower adult HIV infection rates: analysis of 51 low and middle-income countries. 20th International AIDS Conference, Melbourne 2014, Abstract LBLBPE29
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