Transkript
ESC
Neue Strategien in der Akutversorgung bei Apoplex
Gute Erfolgsraten für direkte Thrombektomie
Bei einem Verschluss von grossen Hirnarterien kann die direkte Thrombektomie ähnlich effektiv sein wie das bisherige Verfahren von Thrombektomie kurz nach Lysetherapie. Diese Erkenntnis könnte eine flächendeckende, interdisziplinäre Versorgung erleichtern.
Begriffsklärung: CBT: catheter-based thrombectomy d-CBT: direct catheter-based thrombectomy
Referenzen und Quellen: 1. Widimsky P et al.: Feasability and safety of direct catheter-based thrombectomy in the treatment of acute ischemic stroke. Prospective registry PRAGUE-16. Registries coronary artery disease, stroke and intervention. Präsentation bei der Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC), 27. bis 31. August 2016 in Rom. 2. Widimsky P: Catheter based therapy of acute stroke: Current evidence. Catheter based therapy of acute stroke. Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC), 27. bis 31. August 2016 in Rom. 3. Powers WJ et al.: 2015 American Heart Association/American Stroke Association Focused Update of the 2013 Guidelines for the Early Management of Patients With Acute Ischemic Stroke Regarding Endovascular Treatment: A Guideline for Healthcare Professionals From the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke 2015; 46: 3020–3035.
Wird ein Schlaganfall nicht sofort behandelt, hat das meist verheerende Folgen für den Patienten. Prof. Petr Widimsky, Chefarzt des Kardiozentrums der Universitätsklinik, Karlsuniversität, Prag (CZE), berichtete, dass bis zu 50 Prozent der Patienten mit einem akuten ischämischen Apoplex stürben und weitere 40 bis 50 Prozent im Anschluss dauerhaft behindert seien. «Das bedeutet, dass nur wenige Patienten einen grossen ischämischen Schlaganfall ohne schwere Folgen überleben», so Widimsky. Mit thrombolytischer Behandlung in einer spezialisierten Stroke-Unit steigt die Chance auf ein Überleben mit funktioneller Unabhängigkeit im Alltag auf zirka 30 Prozent. Dies widerspiegelt sich dann in einem Score von 0 bis 2 auf der modifizierten Rankin-Skala. Dennoch stirbt die Mehrzahl der Patienten oder trägt permanente neurologische Schäden davon.
Endovaskuläre Thrombektomie verbessert das Outcome
Bereits im letzten Jahr konnten mehrere Studien zeigen, dass sich die Chancen auf eine nachfolgende Alltagsselbstständigkeit durch eine zusätzliche kathetergestützte, mechanische Thrombektomie auf 45 bis 50 Prozent der Patienten verbessern lassen. Kann der Eingriff innerhalb der ersten 3 Stunden nach dem Auftreten des Schlaganfalls vorgenommen werden, können sogar bis zu 70 Prozent der Patienten neurologisch unbeschadet ihr Leben weiterführen. Daher wurde die akute Entfernung der Thromben inzwischen für Schlaganfälle mit Verschlüssen grosser Arterien in die Leitlinien aufgenommen. Die Pilotstudie PRAGUE-16 des Teams um Widimsky wollte klären, inwiefern die direkte kathetergestützte Thrombektomie (CBT) ohne vorherige Lysetherapie (d-CBT) vergleichbare Erfolge wie nach erfolgter Überbrückungsthrombolyse (auch als «bridging» bezeichnet) erzielen kann. Darüber hinaus widmete sich die Untersuchung dem Problem, inwieweit die CBT auch erfolgreich in einer interventionellen kardiologischen Abteilung durchgeführt werden könnte, wenn keine entsprechende neurologische Abteilung zur Verfügung steht. «Wir wollten mit unserer Studie die Machbarkeit und die Sicherheit einer d-CBT untersuchen, die in enger Zusammenarbeit zwischen Kardiologen, Neurologen und Radiologen durchgeführt wird – also ein wirklich interdisziplinärer Ansatz», erklärte Widimsky.
PRAGUE-16 ist eine prospektive Beobachtungsstudie. Aufgenommen wurden 103 Patienten mit moderatem bis schwerem Apoplex, die alle innerhalb von 6 Stunden ins Krankenhaus kamen. Bei keinem Studienteilnehmer zeigte sich im primären Computertomogramm (CT) eine Ischämiezone; zusätzlich fand man bei allen in CT oder Angio-CT Zeichen eines Verschlusses einer grossen Hirnarterie. Die Entscheidung darüber, ob der jeweilige Patient zunächst eine Thrombolyse und nachfolgend eine Thrombektomie oder direkt die Thrombektomie erhielt, fällte der behandelnde Neurologe je nach klinischer Situation und CT-Ergebnis. Der Eingriff fand innerhalb von 60 Minuten statt. 73 Patienten erhielten nach dieser Aufteilung eine d-CBT, 30 zunächst eine Lysetherapie. Widimsky betonte an dieser Stelle noch einmal, dass es sich nicht um eine randomisierte, sondern um eine kleine Registerstudie handelte; insofern waren statistische Berechnungen zum Vergleich zwischen den Gruppen nicht sinnvoll.
Beide Behandlungswege erfolgreich
Insgesamt waren die Behandlungen bei 41 Prozent der Patienten wirksam. «Erfolgreich heisst hier, dass 41 Prozent der Patienten laufen und sprechen konnten, als sie das Krankenhaus verliessen», so Widimsky. Nach 3 Monaten wiesen 39 Prozent der d-CBT-Gruppe und 43 Prozent der BTL-Gruppe einen Wert von 0 bis 2 auf der modifizierten Rankin-Skala auf. Er berichtete, dass die Erfolgsrate von anderen Studien, bei denen die Patienten alle in spezialisierten neurologischen Zentren thrombektomiert worden waren, im Schnitt bei 48 Prozent liege. Allerdings war die rein thrombolytische Therapie nur bei 30 Prozent der Patienten erfolgreich. In seiner Zusammenfassung betonte Widimsky: «Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die direkte Thrombektomie eine Alternative zur Thrombektomie nach Lyse sein könnte. Darüber hinaus wäre es möglich, dass in Regionen mit begrenzten Ressourcen in interventioneller Neurologie die moderne Schlaganfalltherapie in enger Zusammenarbeit mit den Neurologen auch von kardiologischen und radiologischen Abteilungen übernommen werden könnte. Auch Patienten mit Kontraindikationen für die Lyse könnten profitieren.» Es bedarf noch grösserer Studien zur Bestätigung dieser Ergebnisse.
Susanne Kammerer
10 • CongressSelection Kardiologie/Diabetologie • Dezember 2016