Transkript
Koronares Kalzium als Prädiktor für Risiko
Starke Korrelation mit Gesamtüberleben
ESC
Die Bewertung des individuellen kardiovaskulären Risikos asymptomatischer Personen bildet die Basis für verschiedene Präventionsmassnahmen. Die Messung der koronaren Verkalkung mittels CT könnte die Genauigkeit dieser Risikoklassifikationen erheblich verbessern.
In der Regel wird das kardiovaskuläre Risiko anhand der etablierten Risikoscores – die beispielsweise auf der Framingham-Studie beruhen – und aufgrund einiger klinischer Parameter wie Blutdruck, Cholesterin, Alter und Körpergewicht berechnet. Wie realitätsnah die Ergebnisse für den individuellen Patienten ausfallen, sei eine andere Frage, so Prof. Dr. James Min aus New York (USA). Denn wesentliche Risikofaktoren, wie zum Beispiel die Genetik, bleiben in diesen Scores unberücksichtigt. Min: «Für Frauen unter 80 ist es fast nicht möglich, nach den Framingham-Scores in eine Hochrisikogruppe zu kommen.» Damit könne allerdings das Risiko bei zahlreichen Individuen unterschätzt werden. So gebe es beispielsweise im Hinblick auf das Cholesterin eine breite Überlappung zwischen Personen mit KHK und Personen ohne KHK. Lediglich extrem niedrige Cholesterinwerte schliessen KHK aus, und lediglich extrem hohe Cholesterinwerte führen mit Sicherheit zu KHK. Min verwies auf eine Studie aus dem Jahr 2009, die bei Patienten, die wegen KHK hospitalisiert wurden, zu 77 Prozent «normale» LDL-Spiegel (unter 130 mg/dl) fand (1). Min: «Mit den Scores können wir Risikopatienten mit extrem hohem individuellem Risiko identifizieren, die zum Beispiel unter Diabetes oder ausgeprägtem Bluthochdruck leiden. Wir sind auch in der Lage, bei manchen Individuen eine KHK praktisch auszuschliessen. Bei der grossen Mehrzahl der Menschen, mit denen wir zu tun haben und die ein mittleres Risiko aufweisen, liefern die Scores keine relevanten Aussagen. Das trifft besonders auf Frauen zu.» Versuche, die Scores auf Basis gepoolter Kohorten zu verbessern, brachten keine Verbesserung der Ergebnisse (2). Min: «Wir sollten von den Risikofaktoren wegkommen und uns den Risikomarkern zuwenden.»
Was bringt die Bildgebung?
Ein Weg dazu führt über die direkte Diagnose der koronaren Herzerkrankung mittels Bildgebung. Dazu ist keine CT-Angiografie erforderlich. Eine einfache Methode zur radiologischen Risikoquantifizierung ist die Messung des Kalkgehaltes der Koronargefässe mittels Computertomografie (CT). Die Quantifizierung der Koronarverkalkung erfolgt mit dem sogenannten Kalziumscore (mit den Risikoklassen «average, moderate, high, very high»), der eine Abschätzung der Plaquemenge und damit des indi-
viduellen Risikos ermöglicht. Min: «Wir wissen, dass Kalk in den Koronarien sozusagen die Spitze des Eisbergs repräsentiert und sehr gut mit der gesamten KHK-Pathologie korreliert.» So ergaben histopathologische Untersuchungen bereits vor mehr als 20 Jahren eine gute Korrelation zwischen der Zahl verkalkter Läsionen und der Gesamtzahl atherosklerotischer Plaques in den Herzkranzgefässen (3). Kohortenstudien zeigen, dass der Kalziumscore sowohl kurz- als auch langfristig (bis zu 12 Jahre) gut mit dem Gesamtüberleben korreliert (4). Dieses Ergebnis wurde in prospektiven Populationsstudien reproduziert (5, 6). In diesen Studien lag die kardiovaskuläre Mortalität bei Personen mit niedrigem Kalziumscore praktisch bei null, während sie bei ausgeprägter Kalzifikation extrem hoch anstieg. Min: «Wenn wir beispielsweise den Cholesterinspiegel betrachten, sehen wir Risikoerhöhungen von vielleicht 25 Prozent. Beim Kalziumscore erhöht sich das Risiko von niedrigem auf mittleren Score um den Faktor zehn, das sind 1000 Prozent. Der prognostische Wert ist also viel höher.»
Vor allem zur Entwarnung geeignet
Vor allem eigne sich der Kalziumscore sehr gut zum Ausschluss von Risiko. Bei Personen mit einem Kalziumscore von null besteht über 15 Jahre praktisch kein kardiovaskuläres Risiko. Auf Basis dieser Befunde wurden auch bereits «Reklassifikationen» von Patienten untersucht. So bewegen sich 62,9 Prozent der Patienten, die nach dem klinischen ATP-III-Score in die Risikokategorie «intermediate» fallen, durch Aufnahme des Kalziumscores in die Kategorie mit geringem Risiko. Aus der «Intermediate»Gruppe in die Hochrisikogruppe fallen hingegen 14,1 Prozent (6). Die Überlegungen gehen im Hinblick auf die Bewertung der koronaren Verkalkung auch bereits weiter. So dürfte die Dichte der Läsionen Aussagen über die Vulnerabilität von Plaques ermöglichen.
Reno Barth
Quelle: Session «To screen or not to screen asymptomatic patients by CT» anlässlich des Jahreskongresses der European Society of Cardiology (ESC), 28. August 2016 in Rom.
«Wir sollten von den Risikofaktoren we kommen und uns den Risikomarkern zuwenden.»
CongressSelection Kardiologie/Diabetologie • Dezember 2016 • 19
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Referenzen: 1. Sachdeva A et al.: Lipid levels in patients hospitalized with coronary artery disease: an analysis of 136,905 hospitalizations in Get With The Guidelines. Am Heart J 2009; 157 (1): 111–117.e2. 2. Kavousi M et al.: Comparison of application of the ACC/AHA guidelines, Adult Treatment Panel III guidelines, and European Society of Cardiology guidelines for cardiovascular disease prevention in a European cohort. JAMA 2014; 311 (14): 1416–1423. 3. Rumberger JA et al.: Coronary artery calcium area by electron-beam computed tomography and coronary atherosclerotic plaque area. A histopathologic correlative study. Circulation 1995; 92 (8): 2157–2162. 4. Budoff MJ et al.: Long-term prognosis associated with coronary calcification: observations from a registry of 25,253 patients. J Am Coll Cardiol 2007; 49 (18): 1860–1870. 5. Detrano R et al.: Coronary calcium as a predictor of coronary events in four racial or ethnic groups. N Engl J Med 2008; 358 (13): 1336–1345. 6. Erbel R et al.: Coronary risk stratification, discrimination, and reclassification improvement based on quantification of subclinical coronary atherosclerosis: the Heinz Nixdorf Recall study. J Am Coll Cardiol 2010; 56 (17): 1397–1406.
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