Transkript
ERS
Wie sicher ist die medikamentöse Tabakentwöhnung?
Neue Daten zu neuropsychiatrischen Effekten
Personen, die mit dem Rauchen aufhören möchten, können verschiedene Optionen zur Unterstützung angeboten werden. Neben den Nikotinersatztherapien wie Pflaster oder Kaugummi stehen heute auch Substanzen wie Vareniclin und Bupropion zur Verfügung. In einer aktuellen, gross angelegten Studie wurde nun die neuropsychiatrische Sicherheit dieser Substanzen genauer untersucht.
Mit Nikotinersatztherapien wird die Chance für einen erfolgreichen Rauchstopp – in Monotherapie – im Vergleich zu Plazebo etwa verdoppelt (1). «Die Wahrscheinlichkeit, rauchfrei zu bleiben, erhöht sich noch, wenn eine Kombination aus kurz und lang wirksamen Nikotinersatztherapien eingesetzt wird», sagte Prof. Keir Lewis aus Swansea/Wales. Die kurz wirksame Therapie diene in diesen Fällen dazu, akute Attacken des Rauchverlangens zu kontrollieren. «Ich selbst setzte Nikotinersatztherapien bei meinen Patienten häufig auch über einen längeren Zeitraum ein. So erreiche ich bei COPD-Patienten meist einen besseren Erfolg, wenn sie die Therapie für mehr als 12 Wochen anwenden. Und bei Patienten, die eine Nikotinersatztherapie über einen Zeitraum von 2 Jahren eingesetzt haben, sehe ich praktisch keine Rückfälle mehr.» Einige Raucher wollen oder können nicht abrupt stoppen, sind aber dazu bereit, ihren Zigarettenkonsum über einen längeren Zeitraum nach und nach zu reduzieren. Wird diese «Cut-down-to-quit-Strategie» durch eine Nikotinersatztherapie unterstützt, erhöhen sich die Chancen auf Erfolg ebenfalls (3). «Untersuchungen zeigten zudem, dass diese Methode kosteneffizient ist», so Lewis.
Daten zur Wirksamkeit von Vareniclin
Vareniclin bindet mit hoher Affinität und Selektivität an den nikotinergen α4β2-Acetylcholinrezeptor und wirkt dort als partieller Agonist (4). Eine Cochrane-Analyse untersuchte vor Kurzem die Wirksamkeit partieller Nikotinrezeptoragonisten zur Tabakentwöhnung (5). Diese konnte zeigen, dass Vareniclin die Chance für einen er-
TABAKENTWÖHNUNG IM WANDEL DER EPOCHEN
Tabakentwöhnung hat bereits eine sehr lange Tradition. «In früheren Zeiten wurden einige recht wirksame, wenn auch drastische Methoden dazu eingesetzt», erzählte Prof. Keir Lewis: «So wurden beispielsweise im 17. Jahrhundert in Persien, der Türkei oder China Raucher bzw. Tabakhändler einfach exekutiert. Und wer im 18. Jahrhundert Tabak konsumierte, wurde vom Papst exkommuniziert», schilderte er die damaligen Gepflogenheiten. In den Vereinigten Staaten sei im 17. Jahrhundert Rauchen lediglich auf Verordnung eines Arztes erlaubt gewesen. «Die damaligen Tabakhandelsgesellschaften gehörten denn oft auch Ärzten», erklärte er.
folgreichen Rauchstopp im Vergleich zu nicht pharmakologisch unterstützten Massnahmen um den Faktor 2 bis 3 erhöhte. Auch im Vergleich zu Nikotinersatztherapien oder Bupropion erwies sich der partielle Nikotinrezeptoragonist als erfolgreicher. Als Nebenwirkungen, die unter Vareniclin bei 10 Prozent der Patienten oder mehr auftreten, sind Übelkeit, Schlaflosigkeit, abnorme Träume, Kopfschmerzen und Nasopharyngitis beschrieben (4). «Die Übelkeit ist aber meist nur mild bis moderat und führt selten zu einem Abbruch der Behandlung», ergänzte Lewis. «Postmarketingdaten haben jedoch Bedenken ausgelöst, dass der Einsatz von Vareniclin möglicherweise zu suizidalen Gedanken, suizidalem Verhalten sowie Depression führen könnte», erläuterte er weiter. In neueren randomisierten, kontrollierten Studien und Metaanalysen konnten diese Hinweise jedoch nicht verifiziert werden (5, 6). «Jedoch waren diese Studien und Metaanalysen nicht dazu ausgelegt, eine Nebenwirkung zu erfassen, die möglicherweise nur sehr selten auftritt. Zudem wurden die Studienteilnehmer wohl kaum danach gefragt, ob sie Suizidgedanken hatten oder nicht», meinte Lewis. Daher wurde nun in einer entsprechend designten Doppelblindstudie namens EAGLES die neuropsychiatrische Sicherheit von Vareniclin, Bupropion und einem Nikotinpflaster bei Patienten mit und ohne psychiatrische Störungen untersucht (7). Die Resultate wurden vor Kurzem in «The Lancet» publiziert.
Neuropsychiatrische Sicherheit bestätigt
In die Studie wurden 8144 Raucher zwischen 18 und 75 Jahren aufgenommen. Die Behandlungsdauer betrug 12 Wochen, daran schloss sich ein behandlungsfreies Follow-up von weiteren 12 Wochen an. Wie Lewis betonte, handelte es sich dabei um schwere Raucher mit im Durchschnitt mehr als 10 Zigaretten pro Tag und einem Tabakgesamtkonsum von über 28 Packungsjahren. Die Hälfte von ihnen wies stabile/behandelte psychiatrische Störungen auf (z.B. Schizophrenie, bipolare Störung, Depression, Angststörungen). «Es waren schwere, langjährige Raucher mit psychischen Störungen dabei, das ist in der Tat eine interessante Population, die sonst kaum je in eine Studie aufgenommen würde», meinte Lewis. Die Studie zeigte schliesslich keine signifikante Zunahme der neuropsychiatrischen Ereignisse unter Vareniclin
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oder Bupropion im Vergleich zum Nikotinpflaster oder Plazebo, weder in der Gruppe mit noch in der Gruppe ohne psychiatrische Erkrankungen (Tabelle). Vareniclin, Bupropion und das Nikotinpflaster erwiesen sich zudem als effektiver in der Raucherentwöhnung als Plazebo, wobei sich Vareniclin als wirksamer als Bupropion und das Nikotinpflaster zeigte.
Fazit
Lewis fasste schliesslich zusammen: «Die EAGLES-Studie liefert uns Evidenz dafür, dass Vareniclin und Bupropion nicht mit einem erhöhten Risiko für neuropsychiatrische Nebenwirkungen im Vergleich zu Plazebo verbunden sind.» Einschränkend wies er darauf hin, dass sich die Resultate der Studie möglicherweise nicht auf Patienten mit instabilen oder unbehandelten psychiatrischen Erkrankungen übertragen lassen und dass weder leichte Raucher noch Raucher mit einer unmittelbaren Suizidalität in die Studie eingeschlossen worden waren.
Therese Schwender
Referenzen: 1. Clinical Practice Guideline Treating Tobacco Use and Dependence 2008 Update Panel, Liaisons, and Staff. A clinical practice guideline for treating tobacco use and dependence: 2008 update. A U.S. Public Health Service report. Am J Prev Med 2008; 35: 158–176. 2. Piper ME et al.: A randomized placebo-controlled clinical trial of 5 smoking cessation pharmacotherapies. Arch Gen Psychiatry 2009; 66: 1253–1262. 3. Wang D et al.: «Cut down to quit» with nicotine replacement therapies in smoking cessation: a systematic review of effectiveness and economic analysis. Health Technol Assess 2008; 12: iii–iv, ix–xi, 1–135. 4. Fachinformation Champix® (Vareniclin). www.swissmedicinfo.ch 5. Cahill K et al.: Nicotine receptor partial agonists for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev 2016 May 9; (5): CD006103. 6. Thomas KH et al.: Risk of neuropsychiatric adverse events associated with varenicline: systematic review and meta-analysis. BMJ 2015; 350: h1109. 7. Anthenelli RM et al.: Neuropsychiatric safety and efficacy of varenicline, bupropion, and nicotine patch in smokers with and without psychiatric disorders (EAGLES): a double-blind, randomised, placebo-controlled clinical trial. Lancet 2016; 387: 2507–2520.
TEILNEHMENDE MIT EINEM NEUROPSYCHIATRISCHEN EREIGNIS
(Nebenwirkung während Behandlung und ≤ 30 Tage nach letzter Dosis) % (n)
Kohorte Ohne psychiatr. Erkrankungen Mit psychiatrischen Erkrankungen Total (beide Kohorten)
Vareniclin 1,3 (13/999) 6,5 (67/1026) 4,0 (80/2016)
Bupropion 2,2 (22/989) 6,7 (68/1017) 4,5 (90/2006)
Nikotinpflaster Plazebo
2,5 2,4
(25/1006)
(24/999)
5,2 4,9
(53/1016)
(50/1015)
3,9 3,7
(78/2022)
(74/2014)
Tabelle: EAGLES-Studie: Häufigkeit neuropsychiatrischer Ereignisse in den verschiedenen Patientenund Behandlungsgruppen (7)
Take Home Messa es
® Die Wahrscheinlichkeit, rauchfrei zu bleiben, erhöht sich, wenn eine Kombination
aus einer kurz und einer lang wirksamen Nikotinersatztherapie eingesetzt wird.
® Vareniclin erhöht die Chance auf einen erfolgreichen Rauchstopp um den Faktor
2 bis 3.
® Vareniclin und Bupropion sind nicht mit einem erhöhten Risiko für neuropsych-
iatrische Nebenwirkungen verbunden.
Quelle: Satellitensymposium «Smoking cessation and pulmonary disorders» (Veranstalter: Pfizer), anlässlich des 26. Jahreskongresses der European Respiratory Society (ERS), 6. September 2016 in London.
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