Transkript
ERS
Luftverschmutzung im Wandel der Zeit
Vom Kohlesmog zu Verkehrskollaps und Hitzeschock
Was Umweltverschmutzung anrichtet, bekam London 1952 zu spüren. Der «Great Smog» tötete mehr als 10 000 Londoner. Die Probleme, die zu dieser Katastrophe führten, konnten gelöst werden. Dennoch schafft die Grossstadt nach wie vor suboptimale Bedingungen für die Lunge. Besonders trifft es Menschen mit respiratorischen Erkrankungen.
Im Dezember 1952 führte die Kombination aus Kohleheizungen, Industrieabgasen und einer extrem ungünstigen Wetterlage zu einer Katastrophe, die als «London Fog Incident» oder «The Great Smog» in die Geschichte einging (Abbildung 1). Die Sichtweite in der Stadt sank zeitweise auf 30 cm, das öffentliche Leben brach zusammen und mehr als 10 000 Menschen starben entweder unmittelbar an respiratorischen oder kardialen Symptomen oder an den Folgen des Ereignisses. Eine Besonderheit der Londoner Smogkatastrophe lag auch in der Aufarbeitung. Es wurden nicht nur die medizinischen Folgen dokumentiert und publiziert (1,2), sondern auch Massnahmen entschlossen umgesetzt, um solche Ereignisse in Zukunft zu verhindern. Insbesondere wurde Kohle als Heizmaterial verboten.
Kleinere Partikel – grössere Probleme
Diese Massnahmen waren wirksam und der mit Russ kontaminierte Smog verschwand. Dass die Luft in der Londoner City allerdings nach wie vor nicht ideal ist, wurde vor fast zehn Jahren in der sogenannten Oxford Street Study nachgewiesen. In dieser experimentellen Arbeit wurden Probanden mit Asthma bronchiale über jeweils zwei Stunden der Atemluft in der vielbefahrenen Oxford Street und im nahegelegenen Hyde Park ausgesetzt. Die Studie fand asymptomatische, aber signifikante Einschränkungen der Lungenfunktion (FEV1, FVC) durch die verunreinigte Luft der Oxford Street (3). Prof. Jung-
feng Zhang aus Durham/North Carolina berichtete auch von einer noch unpublizierten Oxford Street Study II, in der das Experiment mit COPD-Patienten wiederholt wurde; dabei wurden neben den respiratorischen auch kardiovaskuläre Risikoparameter, wie zum Beispiel die arterielle Steifigkeit, bestimmt. Die Ergebnisse waren hinsichtlich der Lungenfunktion mit jenen der Oxford Street Study I vergleichbar. Zusätzlich fanden sich jedoch sowohl bei den Probanden mit COPD als auch bei gesunden Kontrollpersonen Hinweise auf eine Zunahme des kardiovaskulären Risikos, wobei COPD-Patienten stärker betroffen waren. Die relativ grossen Russpartikel spielen heute in den Industrienationen kaum noch eine Rolle. Die aktuellen Problempartikel sind deutlich kleiner. Paradoxerweise verbindet die ganz kleinen Teilchen mit einem Durchmesser um die 10 nm mit den grossen Russpartikeln jedoch eine Gemeinsamkeit: Werden sie eingeatmet, verbleiben sie zum grössten Teil im Körper. Dr. Flemming Cassee aus Utrecht/Niederlande verwies in diesem Zusammenhang auf Versuche mit Nanogold: Feinste Goldpartikel verteilten sich nach dem Einatmen im gesamten Organismus und wurden langsam über die Niere ausgeschieden. Drei Monate nach der Exposition war im Urin der Probanden noch immer Gold nachweisbar. Im Gegensatz dazu wurden etwas grössere Teilchen mit Durchmessern zwischen 0,1 μm und 1 μm fast vollständig wieder ausgeatmet.
Abbildung 1a: «Der Grosse Smog» vom Dezember 1952 am Trafalgar Square, London (Foto: NT Stobbs, © creative commons)
Abbildung 1b: Trafalgar Square heute: Event der Kampagne «Healthy Lungs for Life» im September 2016 am Trafalgar Square, London. Mehr zu dieser Kampagne: siehe Seite 4 (Foto: freedomes)
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ERS
COPD-Patient (GOLD II-IV) Hitzestress
hitzeassoziierte Exazerbation
Morbidität
Vulnerabilität Vulnerabilität
Mortalität
Abbildung 2: Mögliche Klimaeinflüsse auf den Verlauf der COPD (nach Christian Witt)
Nanopartikel passieren Gas-Blut-Barriere
Leider sind gerade die kleinsten Nanopartikel in Dieselabgasen und Tabakrauch reichlich enthalten. Sie haben im Verhältnis zum Volumen eine grosse Oberfläche, was sie reaktiver macht. Während die etwas grösseren Partikel von den Alveolarmakrophagen innerhalb von 24 Stunden komplett phagozytiert werden, dringen die kleinsten Teilchen direkt in die Epithelzellen ein. Letztlich passieren Nanopartikel die Gas-Blut-Barriere und gelangen in den gesamten Organismus. Nanopartikel zeigen nicht nur offensichtliche Wirkungen auf die Atemwege, sondern haben auch systemische Effekte. Diskutiert werden Beeinträchtigung der Endothelfunktion mit Vasokonstriktion, Neuroinflammation und Neurodegeneration sowie vegetative Dysregulation. Alle diese Prozesse führen zu einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos, wofür es mittlerweile auch Evidenz aus Studien am Menschen gibt. So stieg nach einer zweistündigen Exposition mit Dieselabgasen bei gesunden Probanden der Blutdruck, während die Reaktivität des Gefässendothels (gemessen mit verschiedenen Provokationsmodellen) abnahm. Dies könne, so Cassee, als Hinweis auf eine Versteifung der Arterien gewertet werden (4). Derartige Effekte waren typisch für Dieselabgase und wurden weder mit reinen Kohlenstoffpartikeln in der Atemluft noch mit gefilterten Dieselabgasen beobachtet. In einer weiteren Studie wurde die Neigung zur Thrombosebildung unter Abgasbelastung bestimmt. Die Ergebnisse waren die gleichen. Dieselabgase erhöhten das Risiko, gefilterte Dieselabgase verloren diesen Effekt (5). Man könne daraus, so Cassee, schliessen, dass Partikelfiter sinnvolle Massnahmen zur umweltmedizinischen Schadensbegrenzung darstellen.
mulation von C-Fasern stellt sich ein erhöhter Atemwegswiderstand ein, die Lunge wird anfälliger für Bronchokonstriktion und es kommt zur Entzündung in der Mukosa. Dass sich damit die Situation von Patienten mit COPD verschlechtert, ist naheliegend. Hitze kann in dieser Population zu erhöhter Morbidität infolge von Exazerbationen und letztlich auch zu erhöhter Mortalität führen (Abbildung 2). Allerdings sind, so Witt, nicht alle Menschen mit eingeschränkter Lungenfunktion empfindlich für Hitzestress. Viele Fragen sind ungeklärt, und erst langsam fügt sich die Evidenz zu einem sinnvollen Bild. Beispielsweise ist in Diskussion, ob es möglicherweise einen eigenen Phänotyp des «Hitze-Exazerbierers» gibt.
Im Sommer mehr Hospitalisierungen
So zeigen Studiendaten aus mehreren europäischen Städten, dass im Sommer die Zahl der Hospitalisierungen wegen respiratorischer, nicht jedoch wegen kardiovaskulärer Erkrankungen steigt (6). Diesen Zusammenhang reflektieren auch die Daten aus Berliner Krankenhausnotaufnahmen. Insgesamt sind Morbidität und Mortalität von COPD-Patienten während Hitzewellen in Deutschland erhöht, wie eine aktuelle Metaanalyse zeigt (7). Generell führt bereits eine leichte Erhöhung der maximalen Temperaturen in einer Stadt zu einem signifikanten Anstieg der Mortalität, wobei Menschen mit Atemwegserkrankungen besonders betroffen sind (8). Die Komplexität der Zusammenhänge zeigt andererseits eine prospektive deutsche Studie, die bei COPD-Patienten in den Sommermonaten ein reduziertes Exazerbationsrisiko fand (9). Insgesamt müssen diese Fragen unter dem Gesichtspunkt eines breiter gefassten Konzepts von «Vulnerability» gesehen werden. Dieses wurde 2002 von der WHO eingeführt und unterscheidet zwischen Besonderheiten vulnerabler Gruppen und risikobehafteter Umgebung. In der Berliner Charité ging man dieser Fragestellung auch bereits mit einer Interventionsstudie nach. Untersucht wurde, ob sich Patienten während der Sommermonate schneller von Exazerbationen erholen, wenn sie sich in einem klimatisierten Krankenzimmer aufhalten. Die Studie zeigte, dass sich Patienten bei einer Raumtemperatur von 23 Grad leichter mobilisieren lassen als bei Temperaturen jenseits der 30 Grad (10).
Reno Barth
Hitze in der Stadt als neue Herausforderung
Während die Hoffnung besteht, dass technologische Entwicklung und gesetzliche Regulation die Folgen von Abgasbelastung reduzieren werden, steht man einem anderen Problem in weiten Teilen Europas noch ziemlich hilflos gegenüber: der zunehmenden Sommerhitze. Dies betrifft insbesondere Städte, die historisch wenig Probleme mit hohen Temperaturen hatten. «Wir haben mehr Hitze, mehr Feinstaub, mehr Ozon und mehr Allergene», sagt Prof. Christian Witt von der Charité Berlin: «Welche Effekte hat das auf die Lunge?» Das Zusammenspiel von Hitze und Umweltbelastung scheint sich besonders ungünstig auszuwirken. Die Hyperventilation infolge Hitze führt zu Flüssigkeitsverlust über die Lunge und in der Folge zu einer abnehmenden Lungenperfusion. Durch Sti-
Take Home Messa es
® Nanopartikel können die Gas-Blut-Barriere durchdringen und verteilen sich im ge-
samten Organismus.
® Experimentelle Studien zeigen, dass Belastung durch Dieselabgase die Endothel-
funktion beeinträchtigen und das Thromboserisiko erhöhen kann.
® Partikelfilter minimieren die unerwünschten Auswirkungen von Dieselabgasen auf
den Organismus.
® Sommerhitze belastet Personen mit respiratorischen Erkrankungen besonders stark.
® Während der Sommermonate können COPD-Exazerbierer in klimatisierten Kran-
kenzimmern schneller mobilisiert werden.
CongressSelection Pneumologie • November 2016 • 3
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Referenzen: 1. Abercrombie GF: December fog in London and the Emergency Bed Service. Lancet 1953; 1(6753): 234–235. 2. Logan WP: Mortality in the London fog incident, 1952. Lancet 1953; 1(6755): 336–338. 3. McCreanor J et al.: Respiratory effects of exposure to diesel traffic in persons with asthma. N Engl J Med 2007; 357(23): 2348–2358. 4. Mills NL et al.: Combustion-derived nanoparticulate induces the adverse vascular effects of diesel exhaust inhalation. Eur Heart J 2011; 32(21): 2660–2671. 5. Lucking AJ et al.: Particle traps prevent adverse vascular and prothrombotic effects of diesel engine exhaust inhalation in men. Circulation 2011; 123(16): 1721–1728. 6. Michelozzi P et al.: High temperature and hospitalizations for cardiovascular and respiratory causes in 12 European cities. Am J Respir Crit Care Med 2009; 179(5): 383–389. 7. Witt C et al.: Auswirkungen von Klimaveränderungen auf Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen. Dtsch Ärztebl Int 2015; 112: 878– 883. 8. Baccini M et al.: Heat effects on mortality in 15 European cities. Epidemiology 2008; 19(5): 711–719. 9. Rabe KF et al.: Seasonal distribution of COPD exacerbations in the Prevention of Exacerbations with Tiotropium in COPD trial. Chest 2013; 143(3): 711–719. 10. Witt C et al.: Urban Heat Stress Related Disease Deterioration-Patients With Chronic Lung Disease Will Be Mobilized Earlier Through Innovative Radiant Indoor Climatization During Hospital Stay. Am J Respir Crit Care Med 2016; 193: A2010.
Quelle: Sessions «Hot topics – Traffic air pollution in urban areas» und «Lung Health Risks of the urban climate» anlässlich des 26. Jahreskongresses der European Respiratory Society (ERS), 3.–7. September 2016 in London.
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