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Das Mikrobiom – eine wesentliche Säule für die respiratorische Gesundheit
Warum vaginale Entbindung, Stillen und Kuhstall vor allergischen Erkrankungen schützen
Eine vaginale Geburt und der frühe Kontakt zu unterschiedlichen Keimen können sich günstig auf die kindliche Gesundheit auswirken. Denn die Entwicklung des Mikrobioms beginnt unmittelbar nach der Geburt und wird durch frühe Ernährungsarten und die Keimdiversität im Lebensumfeld beeinflusst.
Atemwegsinfekte gehören auch in den Industrieländern zu den häufigsten Gründen für Arztbesuche, stationäre Aufnahmen und Antibiotikaverschreibungen von Säuglingen und Kleinkindern. Nicht nur genetische Gegebenheiten und Umweltfaktoren, sondern auch das Mikrobiom des Nasenrachenraums mit seiner Mischung aus kommensalen und potenziell pathogenen Keimen können die Suszeptibilität gegenüber Infektionen beeinflussen. In neuerer Zeit richtet sich das Forschungsinteresse immer mehr auf die Untersuchung von Zusammenhän-
gen zwischen dem Aufbau des Mikrobioms und dem Auftreten von Krankheiten in der Kindheit und im späteren Leben, denn es bestehen Assoziationen zwischen der Zusammensetzung des Mikrobioms und Erkrankungen wie Pneumonie, Asthma und Otitis media.
Floraunterschiede je nach Entbindungsart?
In den Industrieländern hat sich die Häufigkeit von Kaiserschnittgeburten seit 1990 fast verdoppelt. Dr. Debby Bogaert aus Utrecht/Niederlande und ihre Kollegen gin-
AllergiePass – im Google Play Store:
– Im iTunes Store:
DIGITALER ALLERGIEPASS FÜR DAS SMARTPHONE
Mit dem neuen elektronischen AllergiePass haben Betroffene auf dem Smartphone alle Informationen zu ihren Allergien und Intoleranzen in digitaler Form bei sich: Sie können ein persönliches Profil erstellen und eingeben, welche Allergien und Intoleranzen sie haben, welche Symptome sie zeigen und welche Medikamente sie – auch im Notfall – nehmen müssen. Diese Angaben können jederzeit aktualisiert und ergänzt werden. Der AllergiePass kann mit dem elektronischen Patientendossier verknüpft werden. Die Post-E-Health-Plattform vernetzt die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen und ermöglicht einen sicheren Austausch und eine schnelle Übermittlung von Patientendaten. «Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte erhalten mit dem elektronischen AllergiePass auf praktische Art und Weise einen umfassenden Zugang zu allergierelevanten medizinischen Daten ihrer Patienten. Dies erhöht die Behandlungssicherheit im Notfall und insbesondere für Betroffene von schweren Allergien», so Prof. Andreas Bircher aus Basel, der mit der SGAI den gedruckten Allergiepass entwickelt hatte. Der AllergiePass von aha! Allergiezentrum Schweiz und der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) wurde in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post und Health Info Net (HIN) umgesetzt und ist die digitale Erweiterung des gedruckten Allergiepasses. Die App steht im iTunes- und Google Play Store kostenlos zum Download bereit.
Quelle: Medienmitteilung des aha! Allergiezentums Schweiz, www.aha.ch
Foto: aha! Allergiezentrum Schweiz
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gen der Frage nach, inwiefern der Geburtsweg und die Art der Ernährung zu einer unterschiedlichen Flora im Nasopharynx führen und sich in der Folge auf Häufigkeit von Atemwegsinfekten auswirken können. Innerhalb einer nicht selektierten Geburtenkohorte von 102 Kindern führten sie eine longitudinale Studie zur Zusammensetzung des Mikrobioms von der Geburt bis zum Alter von 6 Monaten durch. Alle untersuchten Kinder erreichten ein Gestationsalter von über 37 Wochen. 62 davon wurden vaginal entbunden, 40 kamen per Kaiserschnitt zur Welt. Babys, die auf normalem Wege geboren wurden, hatten dabei eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit, gestillt zu werden, als die nach einer Schnittentbindung (59,7% vs. 32,5%).
Unterschiede schon in der ersten Lebenswoche
Direkt nach der Geburt wurde eine gemischte Bakterienflora aus fäkalen, vaginalen Haut- und Umweltkeimen gefunden. Dabei gab es Bakterien-DNA von Fäkalkeimen nur nach einer vaginalen Geburt. Keime, die der vaginalen Bakterienflora zugeordnet werden, fanden sich bei den Neugeborenen aber unabhängig von der Entbindungsart. Das respiratorische Mikrobiom der Studienkinder entwickelte sich innerhalb eines Tages von der gemischten Zusammensetzung zu einem von Streptokokkus (St.) viridans dominierten Profil. Dies geschah gleichermassen bei allen Kindern. Innerhalb der ersten Lebenswoche traten aber schnell Änderungen auf. Bei den meisten Babys veränderte sich das Muster im Sinne einer Dominanz von Staphylococcus (S.) aureus. In der Entwicklung zwischen dem Alter von 2 Wochen und 6 Monaten wurde die S.-aureus-Besiedlung dann geringer. Es folgte eine Differenzierung in Richtung einer Bakterienpopulation, die von Corynebacterium pseudodiphteriticum/propinquum, Dolosigranulum pigrum, Moraxella catarrhalis/nonliquefaciens, St. pneumoniae und/oder Haemophilus influenzae beherrscht wurde. Bei Kindern nach Kaiserschnitt bestand das S.-aureus-dominierte Mikrobiom länger als bei den anderen Kindern, deren Flora sich rascher in Richtung Corynebacterium und Dolosigranulum entwickelte. Nach einer Sektio war die Ausbildung des Mikrobiomprofils also verzögert. Es wies speziell einen geringeren Anteil an Corynebacterium und Dolosigranulum auf, die aber zur Gesundheitsförderung beitragen können. Dabei erwies sich im Ganzen das Mikrobiom der Kinder nach vaginaler Entbindung als stabiler. Die instabilere Flora der Schnittentbundenen korrelierte mit einer grösseren Anfälligkeit für respiratorische Infekte. Das Stillen steigerte die positive kommensale Besiedlung mit Corynebacterium und Dolosigranulum aus. In der Praxis sollten also besonders Mütter von Kaiserschnittkindern verstärkt zum Stillen angehalten werden, forderte Bogaert.
Mikrobiomkomponenten können Infekte fördern
Der Nasopharynx ist ein Sammelbecken für Erreger, die Atemwegsinfektionen auslösen können. Diese Infekte haben über entzündliche Veränderungen der Atemwege auch einen Einfluss auf die Ausbildung von kindlichem Asthma. In einer Studie wurde das Mikrobiom von Kindern in gesunden Phasen und während akuter Atemwegsinfekte untersucht. Dabei fielen Unterschiede in der Zusammensetzung bei Kindern mit häufigeren Erkrankungen auf. Nach der anfänglichen Kolonisierung mit Staphylokokken oder Corynebakterien stellten sich stabilere Mikrobiome mit Alloiococcus oder Moraxella ein. Mora-
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WENIGER GIEMEN BEI AUFENTHALT IM STALL
Kein Kontakt zum Stall Weniger als 2 h pro Woche
Mehr als 2 h pro Woche
0,1 0,2 0,4 0,6 0,8 1
2
Relatives Risiko (Odds Ratio) des Kontakts zum Stall und Giemen im ersten Lebensjahr
Abbildung: Je mehr Zeit Kinder im Stall verbringen, desto stärker sind sie vor Giemen im ersten Lebensjahr geschützt. Quelle: nach Loss GJ et al.: The Early Development of Wheeze. Environmental Determinants and Genetic Susceptibility at 17q21. Am J Respir Crit Care Med 2016; 193: 889–897.
xella und Haemophilus waren bei Infekten häufiger vertreten. Die frühe asymptomatische Besiedlung mit Streptokokken war ein starker Prädiktor für Asthma. Die Zusammensetzung des Mikrobioms hat demnach Einfluss auf die Schwere der Infektion und die Affektion der unteren Luftwege. Die kann sich wiederum auf die Asthmaentstehung auswirken.
Kontakt mit Stalltieren schützt vor Asthma
Die Prävalenzen von Asthma, Atopie und starkem Giemen hängen auch davon ab, ob Kinder auf einem Bauernhof aufwachsen oder nicht. Insgesamt hat der Kontakt mit Stalltieren einen protektiven Einfluss. Ein genetischer Polymorphismus des Chromosoms 17q21 ist bei 75 Prozent der Bevölkerung vorhanden und mit einem erhöhten Risiko für Asthma bei frühem, virusinduziertem Giemen verantwortlich. Die aktuelle europäische PASTURE-Stu-
Take Home Messa es
® Unterschiede bei der Geburt und Säuglingsernährung können das nasopharyngeale
Mikrobiom beeinflussen.
® Der Aufbau des respiratorischen Mikrobioms beginnt unmittelbar nach der Geburt.
® Früher Kontakt mit grosser Keimvielfalt kann vor der Entwicklung von Asthma
schützen.
® Ein landwirtschaftliches Umfeld bietet Kindern eine schützende Keimdiversität.
® Kinder mit verstärkter Neigung zu respiratorischen Infekten zeigen instabilere
Mikrobiome.
die mit über 1100 Kindern stellte die Frage, inwiefern sich die Stalltierexposition auch beim Vorliegen von 17q21 positiv auswirkt. Interessanterweise kam gerade bei Kindern mit diesem Genotyp der Schutz vor Asthma durch den Aufenthalt in Ställen besonders zum Tragen. Für den grössten Effekt sollten die Kinder mehr als zwei Stunden pro Woche bei den Tieren zubringen (siehe Abbildung).
Die Diversität der Keime ist wichtig
Kinder in landwirtschaftlicher Umgebung sind einem erheblich grösseren Keimspektrum ausgesetzt als Kinder ohne Kontakt mit den Bakterien und Pilzen, die auf einem Bauernhof zu finden sind. Diese Diversität verhält sich umgekehrt proportional zur Asthmahäufigkeit. «Besonders auf den breit gefächerten Cocktail von Keimen kommt es an», sagte Prof. Erika von Mutius aus München/Deutschland: «Je mehr Bakterien und Pilze dabei sind, desto seltener tritt Asthma auf.» In einer Studie wurde die Vielfältigkeit von Keimen im Staub der Matratzen untersucht, auf denen Schulkinder zwischen 6 und 12 Jahren schliefen. Auch hier wurde zwischen Kindern vom Bauernhof und solchen, die nicht im landwirtschaftlichen Umfeld lebten, unterschieden und die Asthmahäufigkeit beobachtet. Der Kontakt zur Landwirtschaft führte zu einer grösseren Fülle und Biodiversität der Keime innerhalb des Matratzenstaubs. Für Asthma gab es eine umgekehrte Assoziation zur Vielfalt der Keime aus dem Matratzenstaub, aber auch zu den entsprechend untersuchten Nasenabstrichen und deren Mikrobiomen. Demnach lag das Risiko für Asthma bei grosser Verschiedenartigkeit im Keimvorkommen innerhalb des Matratzenstaubs je nach Messgrösse bei 0,48 beziehungsweise 0,41. «Es ist wichtig, dass die Kinder Kontakt zu verschiedenartigen Keimen haben, bevor sie anfangen zu giemen», sagte von Mutius. In den Nasen der Kinder, die nicht auf dem Bauernhof zu Hause waren, wurde eine ausgeprägte Besiedlung mit Moraxella entdeckt, die auch mit einer verstärkten Inzidenz von Asthma vergesellschaftet war. «Die landwirtschaftliche Umgebung schützt vor Asthma, und dieser Schutz wird über eine angeborene, unspezifische Immunreaktion vermittelt», resümierte von Mutius.
Susanne Kammerer
Quelle: Symposium «Microbiome in health and disease», anlässlich des 26. Jahreskongresses der European Respiratory Society (ERS), 6. September 2016 in London.
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