Transkript
ERS
Argumente für ein Screening auf Lungenkrebs
Neubewertung von Nutzen und Risiken dank Spiral-CT
Angesichts der relativ hohen Häufigkeit, der oftmals späten Diagnose und der eingeschränkten Behandlungsoptionen ist Lungenkrebs nach wie vor ein besonders gefürchtetes Malignom. In der Schweiz wurde nun ein Screeningprogramm zur Früherkennung ins Leben gerufen.
Eine frühzeitige Diagnose des Lungenkarzinoms könnte die Prognose verbessern, sie ist jedoch eher die Ausnahme, da die Erkrankung im Frühstadium meist symptomlos verläuft. «Bis in die Neunzigerjahre konnte auch für Screeningprogramme auf Lungenkrebs keine Wirksamkeit demonstriert werden», sagte Dr. Karl Klingler vom LungenZentrum Hirslanden. Die Basis für effektives Screening wurde durch die technische Weiterentwicklung geschaffen. Mit der Einführung von Spiral-CT-Scannern wurde es möglich, den gesamten Thorax in einem Atemzug abzubilden. Angesichts dieser neuen Option wurde 1991 das Early Lung Cancer Action Program (ELCAP) ins Leben gerufen (1). Mittlerweile ist es ein weltweites Programm unter dem Titel I-ELCAP, an dem 80 Institutionen in 10 Ländern und insgesamt mehr als 77 000 Patienten teilnehmen. In der Schweiz wurden bereits mehr als 1000 Personen im Rahmen von I-ELCAP untersucht.
Der Algorithmus zählt
Wie erfolgreich Screening sein kann, zeigte die Publikation der Daten zu fast 60 000 Patienten aus I-ELCAP. Von den diagnostizierten Lungenkarzinomen befanden sich 85 Prozent im Stadium I. Wurde das Karzinom innerhalb eines Monats chirurgisch entfernt, lag das karzinomspezifische 10-Jahres-Überleben bei 92 Prozent (2). Klingler unterstreicht, dass man das I-ELCAP-Screening nicht als einmalige Untersuchung, sondern als einen Prozess versteht, bei dem auch wiederholte Untersuchungen und ein definierter Algorithmus zum Umgang mit den Ergebnissen von Bedeutung sind. Um Übertherapien zu vermeiden, ist insbesondere das Management von kleinen, unklaren Läsionen wichtig. Im Rahmen von I-ELCAP wurde erstmals die Bedeutung der Konsistenz kleiner Knoten (nicht solide, teilweise solide, solide) beschrieben. Der aktuelle Algorithmus sieht keine weiteren Aktionen bei nicht soliden Noduli jeder Grösse vor. Auch bei soliden und teilweise soliden Noduli werden nach dem ersten Screening keine Massnahmen gesetzt, solange diese nicht grösser als 5 Millimeter sind. Dieser vorsichtige Umgang mit positiven Ergebnissen ist erforderlich, da es sich bei der grossen Mehrzahl der kleinen Noduli nicht um Karzinome handelt.
Screeningrogramm in der Schweiz bereits umgesetzt
In der Schweiz werden die Erkenntnisse aus I-ELCAP nun im Rahmen des «Nationalen Programms zur Früherkennung von Lungenkrebs®» der gemeinnützigen Stiftung für Lungendiagnostik in die Praxis umgesetzt. Dieses Programm wird auch in Form eines Registers wissenschaftlich ausgewertet. Um Fragen der Zuverlässigkeit, des
Diagnosealgorithmus und der Sinnhaftigkeit der gesetzten Massnahmen evaluieren zu können, sind Register von höchster Bedeutung. Klingler betonte, dass randomisierte, kontrollierte Studien wie das National Lung Screening Trial (NLST) des amerikanischen NIH, die anstehenden Fragen nicht beantworten werden. Klingler: «Das Problem dieser Studien ist das fixe Protokoll, das keine Änderungen und Anpassungen erlaubt und damit nicht den Gegebenheiten in der Praxis entspricht.» So werden in NLST nur Personen im Alter zwischen 55 und 74 Jahren eingeschlossen, die mindestens 30 Packungsjahre geraucht haben. «Wir sehen in der Schweiz aber einen deutlichen Anstieg von Lungenkrebs ab dem Alter von 50 Jahren. Gleichzeitig hat es aus unserer Sicht aber auch keinen Sinn, das Screening mit 74 zu beenden, da wir viele Patienten haben, die auch mit 85 noch fit genug für die operative Entfernung eines kleinen Karzinoms sind. Daher beginnen wir in der Schweiz das Screening mit 50 und haben keine obere Altersgrenze, solange der Patient noch fit für eine Operation ist», sagt Klingler. Weiter setzen die Schweizer Screeningkriterien nur 20 Packungsjahre voraus. Screeningkandidaten sind Personen, die in den vergangenen 10 Jahren mit dem Rauchen aufgehört haben oder sich an einem Programm zur Tabakentwöhnung beteiligen. Da es sich um eine Screeningmassnahme in einer Population handelt, die sich mit dem Rauchen freiwillig einem Risiko ausgesetzt hat, wird das Screening von den Krankenversicherungen nicht erstattet. Es gelang jedoch, die Kosten für das initiale CT auf 149 Franken zu senken. Werden dabei Auffälligkeiten festgestellt, werden die Kosten für alle weiteren Untersuchungen und Massnahmen von den Versicherungen übernommen. Die ersten Ergebnisse sind noch nicht publiziert, Klingler weist jedoch auch auf einen Zusatznutzen der CT-Untersuchung hin. So wurden bei zahlreichen Patienten Kalzifikationen der Koronarien sowie Fälle von Nieren- und Brustkrebs zufällig entdeckt.
Reno Barth
Referenzen: 1. Henschke CI et al.: Early Lung Cancer Action Project: overall design and findings from baseline screening. Lancet 1999; 354(9173): 99–105. 2. International Early Lung Cancer Action Program Investigators. Survival of patients with stage I lung cancer detected on CT screening. N Engl J Med 2006; 355(17): 1763–1771.
Quelle: Industry Practical Workshop «Diagnosis to therapy: Navigating the lung cancer journey» (Veranstalter: Medtronic), anlässlich des 26. Jahreskongresses der European Respiratory Society (ERS), 5. September 2016 in London.
50 • CongressSelection Pneumologie • November 2016