Transkript
SGGG
Sind wir bereit für die rasanten Entwicklungen der digitalen Welt?
Ein Zukunftsforscher als Gastredner auf dem SGGG-Kongress
Die Technologie, mit der wir tagtäglich arbeiten, verändert sich rasend schnell. Computer werden immer leistungsfähiger; und wir sind über unsere Smartphones jederzeit mit der ganzen Welt vernetzt. Privat wie beruflich verlassen wir uns mehr und mehr auf Computer, wobei sich die Frage stellt, ob wir bei diesem Entwicklungstempo mithalten können.
Längst befinden wir uns im digitalen Zeitalter, in dem es in besonderem Masse darum geht, die Unterstützung durch Computer richtig für sich zu nutzen. Die Entwicklungsmöglichkeiten scheinen dabei schier endlos. Die Rechenleistung von Computern verdoppelt sich alle 18 Monate, und 90 Prozent aller weltweiten Daten wurden in den vergangenen zwei Jahren generiert, so der Zukunftsforscher Dr. Herman Gyr aus dem Silicon Valley. Er geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020 1,7 MB neue Informationen pro Sekunde pro Mensch auf der Erde geschaffen werden.
Computer lernen täglich und werden besser als der Mensch
Die Computer lernen täglich dazu. Es scheint fast so, als würden Menschen den Computern das Denken beibringen, ihnen zeigen, wie sie immer neue Informationen zur Verbesserung nutzen, und die Geräte dann letztlich intelligenter werden, als wir es selbst sind. Als Beispiel dafür nannte Gyr ein Turnier zwischen Googles AlphaGo und dem Südkoreaner Lee Sedol, damals die Nummer vier der Weltrangliste, im Spiel Go. Es war ein Wettstreit zwischen Computerprogramm und Mensch, das der Mensch, obwohl er in dieser Disziplin zu den Besten gehörte, in vier von fünf Spielen verlor. Dieser Sieg könnte als einer der Meilensteine im Bereich künstliche Intelligenz angesehen werden. Laut Gyr befinden wir uns nicht mehr im digitalen, sondern längst im hyperdigitalen Zeitalter. Dieses wird bestimmt durch die Tatsache, dass Befehle an Rechner nicht mehr in Programmiersprache eingegeben werden müssen, sondern dass sie mittlerweile unsere Sprache verstehen. Das System Watson von IBM ist beispielsweise in der Lage, natürliche Sprache aufzunehmen, die Informationen zu bearbeiten, im Anschluss Bewertungen und Hypothesen aufzustellen, die dann den Nutzern Antworten liefern. Und IBM hat mit Watson noch mehr vor – und wird uns möglicherweise schon bald den Wettstreit zwischen Arzt und Maschine präsentieren: Es ist geplant, Watson zu ermöglichen, auch «medizinische» Informationen zu bearbeiten, um im Anschluss Bewertungen – also Diagnosen – und Hypothesen – also Therapievorschläge – abzugeben. Hierzu bekommt Watson Zugriff auf Milionen von Dokumenten und wird mit jeder Interaktion intelligenter. «Wann werden unsere Patienten
Watson mehr vertrauen als ihrem Doktor?» Diese Frage stellte Gyr in den Raum.
Alexa hört alles
Von Amazon gibt es eine Audiosoftware, die auf den Namen Alexa hört. «Echo», das dazugehörige Gerät, besteht aus einem sprachgesteuerten Computer und einem Lautsprecher. Spricht der Nutzer es mit Alexa an, bietet es diverse Internetdienste. Es kann Musik abspielen, Dinge auf Einkaufslisten schreiben, Wetterangaben machen, die Temperatur im Haus regulieren oder bei Amazon einkaufen. Das Gerät ist ferner in der Lage, Gespräche, die im Raum geführt werden, mitzuhören. Vielleicht kann Alexa eines Tages sogar das Auto auf Befehl aus der Garage fahren lassen.
Sind Computer die besseren Autofahrer?
Denn eine weitere technologische Entwicklung, die bereits die ersten Schritte in die Zukunft unternommen hat, steckt in Autos, die autonom fahren – so am Beispiel des Autobauers Tesla zu sehen. Die derzeitigen Tesla-Fahrzeuge sind nur teilautonom. Doch der Elektroautomobilhersteller vertritt die Meinung, dass die Technik letztlich besser fahren kann als der Mensch. Täglich absolviert der Tesla eine Fahrtstrecke von 2,6 Millionen Meilen, und bei jeder Fahrt lernt das System dazu. Das Unternehmen geht
In seinem Gastreferat beim SGGG-Kongress beschrieb Dr. Herman Gyr,
was uns als Ärzte, aber auch als Privatpersonen in näherer Zukunft
aufgrund der Digitalisierung erwartet.
(Foto: AZA)
Herman Gyr ist Mitbegründer der Enterprise Development Group in Palo Alto, Kalifornien. Zu seinen Kunden gehören Unternehmen wie Apple Computer, BBC, BP, Johnson & Johnson, Kaiser Permanente, die Universität von Stanford, Swiss, Swisscom, Die Post und Toyota. Herman Gyr stammt ursprünglich aus der Schweiz (er ist der Bruder des SGGG-Mitglieds und Chefarztes Dr. Thomas Gyr). Er lebt jedoch seit vielen Jahren im Silicon Valley, wo intensiv an unserer Zukunft gearbeitet wird.
(Foto: Renate Weber)
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SGGG
sollen die Busse dann mit ihren Passagieren allein unterwegs sein.
Es geht auch ohne Fahrer: Seit Juni 2016 wird in der Innenstadt von Sitten der Testbetrieb des «Smart Shuttle» durchgeführt. Zwei autonom fahrende Busse sind auf einer Rundstrecke von zirka 1,5 km unterwegs. PostAuto und das MobilityLab Sion-Valais (Stadt Sitten, Kanton Wallis, HeS-So, EPFL, schweizerische Post) wollen mit ihren Partnern mit diesem Projekt herausfinden, ob der Einsatz von autonomen Shuttles im öffentlichen Raum technisch sowie betrieblich machbar ist und einen Kundenmehrwert bietet.
(Foto: PostAuto)
davon aus, dass schon bald einer Zulassung nichts mehr im Wege stehen wird. Dann habe man ein vollständig autonomes Fahrzeug auf den Strassen. Übrigens: In der Schweiz ist dies bereits Realität. Durch die engen Gassen der Stadt Sitten im Kanton Wallis fahren seit Juni dieses Jahres kleine selbstfahrende Busse mit bis zu 20 km/h. Die 4,80 m langen Elektrofahrzeuge können auf der rund 1,5 km langen Rundstrecke zwischen Bahnhof und Stadtzentrum Passagieren auf bis zu elf Sitzplätzen Platz bieten. In der derzeitigen Testphase sind zwar noch Sicherheitsfahrer mit an Bord, die eine Vollbremsung einleiten könnten, doch ab Oktober 2017
Der digitale Zwilling in der Arztpraxis
Auch in Bezug auf den menschlichen Körper hat die technologische Entwicklung eine grosse Bedeutung. Längst können wir Daten darüber sammeln, wie viele Kilokalorien wir während unserer Joggingrunde verbrennen, wir lassen zählen, wie viele Schritte wir dabei machen, wie hoch Herzfrequenz und Blutdruck sind, wie schnell wir laufen, wie lang die Strecke ist und wie oft unser ungeborenes Kind pro Stunde vielleicht getreten hat. In der medizinischen Betreuung können wir noch einen Schritt weiter gehen. Vielleicht gehört es schon bald zum Alltag eines niedergelassenen Arztes, dass all diese Daten direkt in die Arztpraxis weitergeleitet werden. So könnte dort ein digitaler Zwilling entstehen. Es ist denkbar, dass es dann auch möglich sein wird, essenzielle beziehungsweise lebensbedrohliche Ereignisse schon im Vorfeld zu sehen, so Gyr, der damit zum Nachdenken anregte. Vielleicht ist es schon bald Realität, dass der Patient eines Tages von seinem Arzt angerufen wird mit der Bitte, in seine Praxis zu kommen. Denn der digitale Zwilling zeige Anzeichen dafür, dass der Patient morgen einen Herzinfarkt bekommen werde. Für manche mag ein solches Szenario nach ScienceFiction klingen, doch für Gyr sind es die Signale der Zukunft, auf die jeder Einzelne vorbereitet sein sollte. Diese Entwicklungen werden vor allem auch Auswirkungen auf die medizinische Praxis haben. Dies verlange schon heute ein aktives Engagement von jedem Mediziner, so das Fazit von Gyr: «Denkende Computer und Roboter sind jetzt Teil unseres Lebens; sie gehen nicht mehr weg, sondern sie werden immer schlauer. Es ist also höchste Zeit, dass wir uns mit ihnen anfreunden!»
Christina Thonack/Adela Žatecky
Quelle: Gastreferat «Take hold of the future!» beim Jahreskongress
der SGGG, 24. Juni 2016 in Interlaken.
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