Transkript
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Sicheres Fahrwasser für die MHT
Nutzen und Risiken der menopausalen Hormonersatztherapie
Die menopausale Hormontherapie war aufgrund erhöhter Risiken lange umstritten. Heute weiss man, unter anderem durch Langzeitstudien, wie eine Hormonersatztherapie zu managen ist und für welche Frau sie einen Nutzen hat.
Der MHT-Expertenbrief (Nr. 42) ist online abrufbar auf der Internetseite der SGGG: www.sggg.ch/fachthemen/ expertenbriefe/
Als die ersten Präparate zur Hormontherapie bei Frauen in der Menopause auf den Markt kamen, herrschte zunächst Euphorie. Estrogenersatz galt fast als Jungbrunnen: Haut, Knochen, Psyche, alles schien mit Hormonersatz jünger zu bleiben, und Hitzewallungen gehörten offensichtlich der Vergangenheit an. Dann kamen die Rückschläge: Die Estrogensubstitution schien die Ursache für einen Risikoanstieg vor allem bei Brustkrebs, Herzinfarkt und Thrombosen zu sein. Heute, nach 20 Jahren Erfahrung mit menopausaler Hormontherapie (MHT), weiss man, wie Frauen gefahrlos durch die Wechseljahre geholfen werden kann. Worauf dabei in der Praxis zu achten ist, hat die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in einem Expertenbrief (Nr. 42) zusammengefasst. Prof. Petra Stute vom Inselspital Bern erläuterte auf dem Gynäkologiekongress in Interlaken die wichtigsten Punkte der MHT für die Praxis. Stute bezog ihre Empfehlungen in erster Linie auf Frauen mit normalem oder spätem Einsetzen der Menopause, wobei das durchschnittliche Alter bei 51 Jahren liegt. Ebenso wies Stute, die an dem Expertenbrief mitgearbeitet hat, darauf hin, dass die Therapie individualisiert erfolgen müsse. Ausserdem solle jährlich kontrolliert werden, ob die Therapie noch erforderlich sei, ob die Dosis angepasst werden müsse oder ob sich das Risikoprofil verändert habe. Bevor Stute auf den Nutzen und die Risiken der MHT einging, schickte sie noch Dosierungsempfehlungen voraus, die in der Schweiz von den amerikanischen Empfehlungen abweichen. Der internationalen Standarddosierung entspricht in der Schweiz die mittlere Dosierung. Stute: «Hier müssen Sie sich nur 2-50-2 merken. 2 mg Estradiol per os entsprechen 50 μg im Estrogenpflaster beziehungsweise zwei Hüben eines Transdermalgelpräparats.» (siehe Tabelle).
Weniger Hitzewallungen, mehr Frakturprävention
Ihren grössten Nutzen hat die MHT bei vasomotorischen Beschwerden wie Schweissausbrüchen und Hitzewallungen. Aber auch andere Symptome des Estrogenmangels (z.B. Müdigkeit, Reizbarkeit, Nervosität, depressive Verstimmung, Leistungdefizite, Störungen der Sexualität) können durch die MHT gebessert werden, sodass die Lebensqualität erhalten bleibt. Die MHT mindert auch Alterserscheinungen: Orale Estrogene antagonisieren das postmenopausale Androgen-
übergewicht und hemmen somit Androgenisierungssymptome wie Akne, Seborrhö, Hirsutismus und Haarausfall. Die altersabhängige Gewichtszunahme ist bei Frauen unter MHT geringer als bei unbehandelten Frauen. Durch Rehydratisierung und verbesserte Kollagenbildung werden Haut und Schleimhäute unter MHT günstig beeinflusst. Unter einer MHT sinkt das osteoporosebedingte Frakturrisiko an allen Lokalisationen signifikant um 25 bis 40 Prozent. Bei erhöhtem Frakturrisiko ist die MHT daher auch bei sonst asymptomatischen Frauen die Therapie der ersten Wahl. Der Beginn einer MHT zum alleinigen Zweck der Prävention von Frakturen nach dem 60. Lebensjahr wird jedoch nicht empfohlen.
Risikobewertung
Laut Expertenbrief gilt: Innerhalb des günstigen Fensters (Beginn der MHT innerhalb der ersten 10 Jahre nach der Menopause resp. vor dem 60. Lebensjahr) übersteigt der Nutzen die Risiken. Zu den Problemfeldern, die schon bei Einführung der MHT bekannt waren, gehört das Endometriumkarzinom. Durch eine Estrogenmonotherapie steigt das Risiko eines Endometriumkarzinoms auf das bis zu 9-Fache an. Das wird durch eine ausreichende Gestagengabe verhindert. Zum Endometriumschutz ist daher systemisch ein Gestagen oder ein mikronisiertes Progesteron in Transformationsdosis erforderlich (bei zyklischer Gabe mindestens 12 Tage/Monat). Unter kontinuierlich-kombinierter Estrogen-Gestagen-Gabe findet sich eine geringere Inzidenz von Endometriumhyperplasien und -karzinomen als bei unbehandelten Kontrollen. Alarmierend waren immer Meldungen über ein gestiegenes Brustkrebsrisiko unter MHT. Heute weiss man: Zwar kann die kombinierte Gabe von Estrogen und Gestagen (also der Normalfall) das Risiko für ein Mammakarzinom erhöhen, doch der im Zusammenhang mit einer MHT in der Literatur angegebene Risikoanstieg von Brustkrebs variiert stark, ist aber im Durchschnitt klein (< 0,1 % pro Jahr, entsprechend einer Inzidenz von < 1 Fall pro 1000 Frauen pro Anwendungsjahr). Wie sich die MHT auf kardiovaskuläre Erkrankungen auswirkt, war ebenfalls lange umstritten. Die MHT senkt die Insulinresistenz, was auch zahlreiche Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bessert (z.B. ein gestörtes Lipidprofil oder das metabolische Syndrom); zudem
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verlangsamt die MHT atheromatöse Veränderungen der Arterienwand. Eine kombinierte Estrogen-GestagenGabe mit Beginn innerhalb des günstigen Fensters zeigt abhängig vom eingesetzten Gestagen einen neutralen bis positiven Effekt. Anders sieht es beim Risiko für ischämische Schlaganfälle aus: Dieses steigt unter oraler MHT altersabhängig an. Es gibt hierbei kein günstiges Fenster. Das absolute Risiko bleibt jedoch bei Frauen < 60 Jahre laut grossen Beobachtungsstudien mit 1 bis 2 Fällen auf 10 000 Frauenjahre gering. Das Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) steigt unter Estrogengabe an. Unter MHT beträgt in der Gruppe der 50- bis 59-Jährigen das zusätzliche VTE-Risiko mit Estrogen plus Gestagen 11 und mit Östrogen allein 4 Fälle pro 10 000 Frauenjahre. Das höchste Risiko findet sich in den ersten Monaten nach Therapiebeginn.
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Workshop «Neue Expertenbriefe der SGGG» am Jahreskongress der SGGG, 22. Juni 206 in Interlaken.
Tabelle:
VERWENDETE ESTROGENDOSIERUNGEN
(im Handel erhältliche Dosierungen, Bioäquivalenz nicht untersucht):
hoch
mikronisiertes 17β-Estradiol (per os, mg)
4,0
Estradiol-Valerat (per os, mg)
Transdermales 17β-Estradiol • Pflaster (µg)
• Gel (mg)
100
konjugierte equine Estrogene 1,25/0,93 (per os, mg)2
mittel 2,0
niedrig 1,0
ultraniedrig 0,5
2,0 1,0
0,5
50 ca. 1,0–1,5
0,625
25 14 (nur USA1) ca. 0,5–0,75
0,3/0,45
1 Zulassung nur für Osteoporoseprävention (nur in den USA erhältlich)
2 In der Schweiz nicht auf dem Markt.
3 0,9 nur in den USA erhältlich.
Quelle: modifiziert nach SGGG-Expertenbrief Nr. 42
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