Transkript
SGGG
Präeklampsie: Schwangerschaftserkrankung mit weitreichenden Folgen
Risikofaktoren engmaschig kontrollieren
Etwa jede 10. Schwangerschaft ist durch eine hypertensive Erkrankung beeinträchtigt. Davon sind der grösste Teil Präeklampsien und Eklampsien. Präeklampsien können für Mutter und Kind auch später noch schwerwiegende Folgen haben, daher ist hier die richtige Diagnose besonders wichtig.
Zirka 600 000 Frauen sterben jährlich weltweit im Zusammenhang mit der Schwangerschaft. In England werden alle drei Jahre Daten aus ganz Europa ausgewertet, um zu analysieren, woran die Mütter sterben. Die Auswertung aus dem Jahr 2012 zeigte, dass an erster Stelle der Ursachen für maternale Mortalität die Sepsis (26%) steht, es folgen von Präeklampsie/Eklampsie (19%) und Thrombose/Thromboembolie (18%) sowie Fruchtwasserembolie (13%). 11 Prozent der Todesfälle ereignen sich während der Frühschwangerschaft. Die häufigste indirekte maternale Todesursache war in der Schweiz bis vor Kurzem noch der Suizid, so Prof. Luigi Raio aus Bern auf dem Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) in Interlaken. Von einer Präeklampsie sind häufig Nulliparen betroffen – besonders wenn sie über 35 Jahre alt sind, Übergewicht haben, Mehrlinge erwarten, an Diabetes mellitus leiden oder genetisch vorbelastet sind. Von entscheidender Bedeutung ist eine Hypertonie. Je früher eine Präeklampsie richtig diagnostiziert wird, desto besser. Denn ein Grossteil der Kinder, die von einer Präeklampsie betroffen sind, müssen frühzeitig entbunden werden. «Wir gehen davon aus, dass 15 Prozent aller Frühgeburten durch eine hypertensive Schwangerschaftserkrankung bedingt sind», schilderte Raio. 25 Prozent aller Kinder, die vor ihrer Geburt einer Präeklampsie ausgesetzt waren, sind intrauterin wachstumsretardiert. Kinder und auch die Mütter, die unter einer schweren Präeklampsie litten, haben langfristig ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Dies sollten Gynäkologen als Grundversorger der Frauen im Auge behalten. Etwa 100 Jahre hat es gedauert, um herauszufinden, dass eine Präeklampsie nicht primär ein maternales, sondern vielmehr ein plazentares Problem ist. Zu diesem Schluss
FÜR DIE DIAGNOSE «HYPERTONIE IN DER SCHWANGERSCHAFT» GELTEN FOLGENDE KRITERIEN:
G systolischer Blutdruck ≥ 140 mmHg oder Anstieg um 30 mmHg gegenüber der Früh-
schwangerschaft
G diastolischer Blutdruck ≥ 90 mmHg oder Anstieg um 15 mmHg gegenüber der Früh-
schwangerschaft.
Eine Proteinurie liegt vor, wenn mehr als 300 mg Eiweiss/24 h im Urin ausgeschieden
werden.
kamen die Wissenschaftler, da sich die jungen Mütter postpartal relativ rasch von der Erkrankung erholen. Untersuchungen zeigten, dass die Spiralarterien einer betroffenen Plazenta den Koronararterien einer Person gleichen, die an einem Herzinfarkt verstorben ist.
Ursachen der Präeklampsie nicht vollständig geklärt
Vor über 400 Jahren hat Julio Cesare Aranzi (1530–1589) herausgefunden, dass der plazentare Kreislauf von dem maternalen Kreislauf getrennt ist. Somit sei heute nachvollziehbar, dass die Plazenta quasi im mütterlichen Blut bade, erläuterte Raio. Die Invasion der Trophoblasten aus dem fetalen Gewebe in die Spiralarterien erfolgt physiologisch in zwei Phasen zwischen der 8. und der 20. Schwangerschaftswoche (SSW). Hierbei geht aufgrund einer Aufsplitterung der Wandarchitektur der Spiralarterien die normale Kontraktilität der Gefässe auf vasoaktive Impulse vor allem im Deziduabereich der Gefässe verloren. «Das System braucht für diese Umstellung die Zeit, um sich auch biochemisch auf den ‹oxidative burst› vorzubereiten», so Raio. Denn zunächst (10.–12. Woche) befindet sich die Frucht noch im hypotoxischen Bereich. Wenn dann plötzlich viel Sauerstoff hineinströmt, entstehen Ozon und damit freie Radikale, die zytotoxisch sind. Ist das biochemische System darauf nicht rechtzeitig vorbereitet, stirbt die Frucht (Abort). Bei (Gestations-)Hypertonie verläuft die Trophoblasteninvasion in die Spiralartierien unzureichend, sodass zum einen die vasoaktive Reaktion der Gefässe erhalten bleibt und zum anderen die Diffusionsstrecke zwischen maternalem und fetalem Kompartiment verlängert wird. Die Durchblutung der Plazenta nimmt ab, und es entwickelt sich eine Plazentainsuffizienz. Eine vorzeitige Plazentaablösung ist häufig die Folge. Aufgrund des Arteriolenspasmus erhöht sich die Nachlast des Herzens, und mit weiterer Zunahme des Widerstandes nimmt die Herzauswurfleistung ab. Deshalb gilt es, den Blutdruck genau zu beobachten.
Blutdruckverhalten in der Schwangerschaft
Während der Schwangerschaft ist das Blutdruckmanagement extrem wichtig. In den ersten SSW sinkt der Blutdruck zunächst physiologisch, weshalb Blutdrucksenker im ersten Trimenon gegebenenfalls abgesetzt werden
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können. Denn heute weiss man, dass eine Blutdrucksenkung im ersten Trimenon sogar das Risiko für eine Plazentainsuffizienz um den Faktor 6 erhöht. In der Zeit um die 20. SSW steigt der periphere Blutdruck dann wieder auf die Ausgangswerte, oder er steigt sogar noch weiter an. «Darum ist die Präeklampsie in den ersten 20 SSW eher etwas Seltenes, weil uns die Natur da entgegenkommt», erläuterte Raio. Je früher es dann nach der 20. SSW zu einer Hypertonie kommt, desto wahrscheinlicher ist eine Präeklampsie. Bei 40 Prozent der Betroffenen tritt die Präeklampsie vor der 30. SSW auf. Je später der Blutdruck ansteigt, desto unwahrscheinlicher ist eine Präeklampsie. Bei der Blutdruckkontrolle gab Raio zu bedenken, dass die Geräte speziell für Schwangere geeicht sein müssen. Darüber hinaus gilt es, die sogenannte Weisskittelhypertonie nicht zu unterschätzen. 30 Prozent aller Patientinnen, denen ein Weisskittelbluthochdruck zugesprochen wird, erleben im weiteren Verlauf ihres Lebens einen Herzinfarkt. Und so wird eine Weisskittelhypertonie zum Beispiel in Kanada bereits als eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor beurteilt. Ferner sollte der Blutdruck der Schwangeren über 24 Stunden gemessen werden. Denn nachts sinkt bei Gesunden der Blutdruck um mehr als 10 Prozent. Wenn das nicht der Fall ist, gilt das als nächtliche Hypertonie. Diese sieht der niedergelassene Gynäkologe natürlich nicht, wenn er tagsüber in der Praxis misst.
Laborparameter für die Diagnostik
Bei schwerer Präeklampsie ist das Plasmavolumen, verglichen mit demjenigen gesunder Schwangerer, um 30 bis 50 Prozent vermindert, wodurch sich eine Blutverdickung entwickelt. Die relative Hypovolämie entsteht durch den generalisierten Vasospasmus und eine gesteigerte Gefässpermeabilität. So kommt es zu Flüssigkeitsverlusten in das Interstitium (Ödembildung). Es finden sich meist ein erhöhter Hämatokritwert (> 40%) sowie eine Abnahme der Thrombozyten.
Bei den meisten Patientinnen mit Präeklampsie sind die Nierendurchblutung und die glomeruläre Filtrationsrate vermindert. Somit steigen Plasmakreatinin und Harnsäure an. Die Proteinurie bei Präeklampsie beruht auf Veränderungen in den Glomerula (glomeruläre kapilläre Endotheliose). Nach der Entbindung normalisiert sich die Nierenfunktion in der Regel wieder. Per Definition liegt eine Proteinurie vor, wenn mehr als 300 mg Protein/24 h im Urin ausgeschieden werden. Es kann auch die Protein-Kreatinin-Ratio im Spontanurin (Mittelstrahlurin) zur Beurteilung einer Proteinurie herangezogen werden. Der Referenzwert liegt hier bei ≥ 30 mg Protein/mmol Kreatinin.
Christina Thonack
Quelle: Workshop Nr. 18/AFMM «Hypertensive Erkrankungen/Präeklampsie» beim Jahreskongress der SGGG, 24. Juni 2016 in Interlaken.
Take Home Messa es
® Präeklampsie gehört zu den häufigsten Ursachen für eine maternale und perina-
tale Morbidität beziehungsweise Mortalität. Bei 40 Prozent der Betroffenen tritt die Präeklampsie vor der 30. SSW auf.
® Für die Diagnostik spielt das Feststellen einer Hypertonie und die Kontrolle dieser
eine erhebliche Rolle. Laborparameter wie Hämatokrit-, Protein-, Kreatinin-, und Harnsäurewerte können ebenfalls hinzugezogen werden.
® Eine schwere Präeklampsie kann spätere kardiovaskuläre Folgen für das Kind und
auch für die Mutter nach sich ziehen. Cave!: Grundsätzlich gelten in der Schwangerschaft andere Laborparameter als die normalen Standartwerte.
KONGRESSNOTIZEN
Geburten in der Schweiz: weniger Präeklampsien, mehr Gestationsdiabetes
Im Jahr 2007 veröffentlichte das Bundesamt für Statistik Daten über Schwangerschaften und Geburten in Schweizer Krankenhäusern aus dem Jahr 2004. Die Daten gaben auch Aufschluss über die Komplikationen bei Schwangerschaften und Geburten. Am Unispital in Basel wurde jüngst eine ähnliche statistische Analyse mit Daten aus dem Jahr 2011 durchgeführt. Die statistische Analyse lieferte detaillierte Informationen über die Diagnosen (ICD10) und die Behandlung (CHOP) von Müttern im Krankenhaus vor, während und nach der Entbindung. Darin zeigten sich Veränderungen
der Ergebnisse bezüglich Schwangerschaften, Geburten und der entsprechenden Komplikationen. Im Jahr 2011 wurden in den Krankenhäusern 78 487 Frauen entbunden. In der Schweiz insgesamt waren es 79 712 Entbindungen. Vergleichsweise waren es im Jahr 2004 in Schweizer Krankenhäusern 69 952 Frauen, die entbunden haben. Somit brachten 98,5 Prozent aller gebärenden Frauen in der Schweiz ihre Kinder in einem Krankenhaus zur Welt. 2004 waren es 97,5 Prozent. Das durchschnittliche Alter der Mütter im Jahr 2004 lag bei
30 Jahren, im Vergleich dazu lag es bei 31,3 Jahren im Jahr 2011. In Bezug auf Komplikationen während der Schwangerschaft konnte eine Verringerung der Präeklampsierate und eine Erhöhung der Zahl von Schwangerschaftsdiabetes nachgewiesen werden. CT
Quelle: Poster: Konstantinidou E et al.: Giving birth in Switzerland: Comparing deliveries in hospitals from 2004 and 2011. SGGG 2016, Poster 119 beim SGGG-Jahreskongress, 22.–24. Juni 2016 in Interlaken.
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