Transkript
Kontrazeption im Hinblick auf Brustkrebs
Risikoabschätzung bei BRCA1/BRCA2-Mutationsträgerinnen
SGGG
Für die Kontrazeption stehen den Frauen viele unterschiedliche Produkte zur Verfügung. Die Wahl des richtigen Präparats ist sowohl von individuellen Wünschen als auch von medizinischen Indikatoren abhängig.
Die Erstverordnung mit einem Kontrazeptivum erfordert eine sorgfältige Anamnese. Während sich die Frau entsprechend ihren Wünschen unter anderem zwischen Verhütungspflaster, Intrauterinpessar (IUD: «intrauterine device»), Dreimonatsspritze und der Pille entscheiden kann, sollten bei der Auswahl auch Lebensgewohnheiten und mögliche Grunderkrankungen mit einbezogen werden.
Wie häufig sind BRCA-Mutationen?
Jede 10. Frau wird im Laufe ihres Lebens mit Brustkrebs konfrontiert. Das Risiko, an einem Ovarialkarzinom zu erkranken, liegt dagegen mit 1,8 Prozent deutlich niedriger, allerdings bei hoher Mortalität. Zurzeit gehen Wissenschaftler davon aus, dass rund 10 Prozent aller Fälle von Brustkrebs erblich bedingt und vor allem Frauen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation betroffen sind. Weltweit treten die BRCA-Mutationen bei 0,3 Prozent der Bevölkerung auf. Wenn eine Trägerin der Mutation eine hormonelle Empfängnisverhütung wünscht oder eine Hormonersatztherapie (HRT) erforderlich ist, sollten potenzielle Vorteile gegenüber potenziellen Risiken abgewogen werden, so Prof. Gabriele Merki-Feld aus Zürich. Der genaue Mechanismus, wie Östrogene das Brustkrebsrisiko für BRCA-Mutationsträgerinnen verändern, ist bis jetzt noch unbekannt. Doch einige epidemiologische Studien wurden zu dieser Thematik bereits veröffentlicht. So wurde beispielsweise beobachtet, dass sich das Brustkrebsrisiko bei BRCA1Mutationsträgerinnen reduzierte, wenn ihnen die Tuben und Ovarien entfernt wurden.
Brustkrebsrisiko bei hormoneller Kontrazeption
Ferner wurde in epidemiologischen Studien der Zusammenhang zwischen kombinierter hormoneller Kontrazeption (Combined Hormonal Contraceptives = CHC [Pille, Verhütungsring, Patch]) und Brustkrebs bei Frauen ohne Prädisposition untersucht. Dabei konnte ein Brustkrebsrisiko bei CHC-Anwendung wie folgt aufgezeigt werden: • aktuelle Einnahme: RR (Risk Ratio) 1,24 • 10 Jahre nach Einnahme: RR 1,07 • Frauen, die mit CHC in einem Alter < 20 Jahre begon-
nen hatten: RR 1,59 (1). Eine weitere Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich das Brustkrebsrisiko um das Dreifache bei Schwestern und
Töchtern von Frauen mit Brustkrebs erhöhte, wenn sie CHC anwendeten, dies insbesondere bei höher dosierten Präparaten (2). In beiden Studien (1, 2) war die BRCA-Situation in der Population unbekannt. In Bezug auf Ovarialkrebs zeigten CHC bei BRCA-Mutationsträgerinnen einen positiven Effekt. Denn die Odds Ratio (OR) lag für BRCA1 bei 0,5 und für BRCA2 bei 0,4. Je länger die CHCEinnahme andauert, desto mehr sinkt das Ovarialkrebsrisiko (3–6).
Fazit zu BRCA1
• Risikoabschätzung: CHC erhöhen das Risiko für Brustkrebs bei BRCA1-Trägerinnen (RR: 1,2–1,47). Das Risiko ist besonders hoch, wenn Frauen CHC bereits vor ihrem 20. Lebensjahr einnehmen (OR: 1,36–1,6). Das Risiko steigt mit der Dauer der Anwendung (> 5 Jahre OR: 1,36–1,5). CHC reduzieren das Risiko für Ovarialkrebs um mehr als 50 Prozent.
• Empfehlungen: CHC sind als Langzeitverhütung für BRCA1-Mutationsträgerinnen nicht die erste Wahl, insbesondere nicht bei Jugendlichen. Als Alternative ist die Kupferspirale eine sichere und effiziente Option. CHC verringert das Risiko für Ovarialkrebs (RR 0,5), allerdings könnte eine induzierte Ovariektomie bei einem Alter > 35 Jahre die sicherere Option sein. Eine gute und spezialisierte Beratung ist angeraten.
Fazit zu BRCA2
• Risikoabschätzung: Die Daten in Bezug auf die CHC-Einnahme und das Brustkrebsrisiko sind nicht eindeutig beziehungsweise widersprüchlich. Das könnte damit zusammenhängen, dass die meisten Studien recht klein waren, was möglicherweise die fehlende Signifikanz erklärt. Darüber hinaus weisen BRCA2-Mutationsträgerinnen ein geringeres Brustkrebsrisiko als
Tabelle:
KREBSRISIKO IN ABHÄNGIGKEIT VON DER BRCA-MUTATION
Brustkrebsrisiko: Ovarialkrebsrisiko: Dickdarmkrebsrisiko
Quelle: Gadducci et al. (3)
BRCA1 54–85% 18–60% erhöht
BRCA2 45% 11–27% ?
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diejenigen mit BRCA1-Mutation auf. Zwei Studien deuten auf eine Zunahme des Risikos hin, wenn CHC länger als 5 Jahre eingenommen wurden. • Empfehlungen: Eine CHC-Verwendung ist möglich, jedoch sollten die Vorteile gegenüber den Risiken individuell von Frau zu Frau abgewogen werden. CHC sollten nur als tatsächliche Verhütung eingesetzt werden. Die Einnahmedauer sollte begrenzt werden. Alternativ sollte die Kupferspirale der Patientin vorgestellt werden.
Christina Thonack Referenzen: 1. Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer. Breast cancer and hormonal contraceptives: collaborative reanalysis of individual data on 53 297 women with breast cancer and 100 239 women without breast cancer from 54 epidemiological studies. Lancet 1996; 347(9017): 1713–1727. 2. Grabrick DM et al.: Risk of breast cancer with oral contraceptive use in women with a family history of breast cancer. JAMA 2000; 284(14): 1791–1798.
3. Gadducci A et al.: Gynaecologic challenging issues in the management of BRCA mutation carriers: oral contraceptives, prophylactic salpingo-oophorectomy and hormone replacement therapy. Gynecol Endocrinol 2010; 26(8): 568–577. 4. McLaughlin JR et al.: Reproductive risk factors for ovarian cancer in carriers of BRCA1 or BRCA2 mutations: a case-control study. Lancet Oncol 2007; 8(1): 26–34. 5. Perri T et al.: Fertility treatments and invasive epithelial ovarian cancer risk in Jewish Israeli BRCA1 or BRCA2 mutation carriers. Fertil Steril 2015; 103(5): 1305–1312. 6. Cibula D et al.: Oral contraceptives and risk of ovarian and breast cancers in BRCA mutation carriers: a meta-analysis. Expert Rev Anticancer Ther 2011; 11 (8): 1197–1207.
Quelle: 7. Hauptthema «Hot Topics in der Kontrazeption» beim Jahreskongress der SGGG am 23. Juni 2016 in Interlaken.
Pille vergessen ist out
Kontrazeption ist eine Frage der persönlichen Bedürfnisse
Die Kontrazeption unterliegt vielen individuellen Kriterien sowohl bezüglich der medizinischen Indikation als auch bezüglich der persönlichen Wünsche und Lebensgewohnheiten der Frau.
Für die Kontrazeption steht Frauen eine Vielzahl von unterschiedlichen Produkten zu Verfügung. Angefangen von der klassischen Pille über die Spirale, den Verhütungsring bis hin zum Verhütungspflaster. Für Frauen, die über eine längere Zeit hinweg verhüten, aber nicht täglich eine Pille einnehmen möchten, bieten sich Verhütungspflaster, Verhütungsringe oder Spiralen an. Präparate, die kontinuierlich Hormone in niedriger Dosis abgeben, sind besonders gut geeignet für Patientinnen, die viel verreisen und Zeitzonen überbrücken müssen. So beispielsweise der Vaginalring NuvaRing®, der in die Vagina eingeführt wird und dort für 3 Wochen verbleibt. Innerhalb von 24 Stunden setzt er 15 µg Ethinylestradiol und 0,120 mg Etonogestrel frei. Somit gilt der Vaginalring als niedrig dosiertes hormonales Verhütungsmittel, das bekanntlich über drei Wochen hinweg ununterbrochen angewendet wird. Bei korrekter Anwendung zählt diese Methode zu den zuverlässigsten reversiblen Verhütungsmethoden. Ähnliches gilt für das Verhütungspflaster Lisvy®, das seit 2015 in der Schweiz auf dem Markt ist. So wie der Vaginalring garantiert das Pflaster eine kontinuierliche Hormonabgabe, die nicht wie die Pille gewissen Tages-
schwankungen unterliegt. Das Pflaster ist hauchdünn, transparent und gibt binnen 24 Stunden 60 µg Gestoden und 13 µg Ethinylestradiol ab. Diese Dosis ist mit einer kombinierten oralen Kontrazeption mit 20 µg Ethinylestradiol vergleichbar. Sie liegt knapp oberhalb der Konzentration des Vaginalrings, aber deutlich unterhalb der Konzentration des Pflasters Evra® (binnen 24 h 600 µg Ethinylestradiol und 6 mg Norelgestromin). Diese pharmakokinetischen Aspekte sind deshalb besonders bedeutsam, da Evra® nach seiner Einführung eine etwas erhöhte Thromboserate bei den Nutzerinnen zeigte. Zurückgeführt wurde dies auf die im Vergleich zum Vaginalring grössere «area under the curve» (AUC) (1). Bei Lisvy® wiederum liegt die AUC nur knapp oberhalb des NuvaRings® (2).
Christina Thonack
Referenzen: 1. Thacker HL et al.: How should we advise patients about the contraceptive patch, given the FDA warning? Cleveland Clinic Journal of Medicine 2006; 73(1): 45–47. 2. Deutsche Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung; www.bzga.de
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