Transkript
SGGG
Gemeinsamkeiten von Tumoren und der Mistel
Eigenschaften für die Tumortherapie nutzen
Die Misteltherapie gehört zu den am besten untersuchten Komplementärund Alternativmedizintherapien (CAM). 40 bis 70 Prozent aller gynäkologischen Krebspatientinnen nutzen CAM. Allerdings verheimlicht ein Grossteil dies gegenüber ihrem Arzt. Schon aus diesem Grund sollten Ärzte die Mistel und die Misteltherapie kennen.
Die Mistel (Viscum album) hat als Pflanze einige Eigenschaften, die mit denjenigen eines Tumors vergleichbar sind. Ein Tumor wächst unkontrolliert, hat keine eigenen Gefässe, keinen eigenen Rhythmus, verfügt nur über eine geringe Gestaltungskraft und bildet tumorspezifische Proteine (TNF, Angiogenesefaktoren). Die Mistel wächst ebenfalls unkontrolliert, hat keine eigenen Gefässe, keinen eigenen Rhythmus, verfügt über eine geringe Gestaltungskraft (die Blätter erinnern an Keimblätter), sie verfügt über eine gesteigerte Autonomie und bildet spezifische Proteine/Toxine (Lektine, Viscotoxine). Diese Gemeinsamkeiten liessen sich in der Therapiebegleitung von Tumoren gut nutzen, erläuterte Dr. Teelke Beck aus Richterswil. Patientinnen, die die Mistel unterstützend zu einer Chemotherapie einsetzen, bekommen dies zu 56 Prozent von Freunden, zu 29 Prozent von der Familie und nur zu 1 Prozent von ihrem Arzt empfohlen. Hauptsächlich entscheiden sich Krebspatienten für eine Misteltherapie, um ihre Lebensqualität zu steigern. Doch aufgrund der grossen Variabilität der Mistelprodukte und ihrer unterschiedlichen Anwendungsarten lassen sich keine pauschalen Äusserungen über die Wirksamkeit treffen. Betrachtet man aber einzelne Studien, finden sich in einigen von ihnen Krebspatienten – die mit Mistelextrakt behandelt wurden – mit verbesserter Funktion des Immunsystems, besserer Lebensqualität, verringerten Nebenwirkungen der Chemotherapie und höheren Überlebensraten, so Dr. rer. nat. Wilfried Tröger aus Freiburg.
Evidenz für die Misteltherapie
Insbesondere wegen der immunstimulierenden Eigenschaften und der damit einhergehenden Verstärkung der entzündlichen Abwehrvorgänge stellt sich die Frage, ob eine Misteltherapie zeitgleich zur Chemotherapie eingesetzt werden kann oder ob deren Toxizität diejenige der Chemotherapie hemmt und damit deren Wirksamkeit reduziert. Um diese Frage zu beantworten, wurden zwei Versuche
durchgeführt, so Tröger: eine In-vitro-Untersuchung mit humanen Zellkulturen sowie eine randomisierte Studie mit einem 5-Jahres-Follow-up. Im ersten Versuch wurden, jeweils in Kombination mit Iscador®, Zellkulturen verschiedener Krebsarten (Mammakarzinom, Pankreaskarzinom, Bronchialkarzinom) mit Zytostatika und Mistelextrakt) behandelt. Es wurden sowohl die Proliferation als auch die Apoptose untersucht mit dem Ergebnis, dass weder die chemotherapieinduzierte Zytostase noch die Zytotoxizität vermindert wurde. Vielmehr schützte der Mistelextrakt die DNA der gesunden Zellen vor den schädlichen Wirkungen der Zytostase. Darüber hinaus zeigte das Mistelpräparat einen zusätzlichen zytotoxischen Effekt in höheren Dosen. Diese Zellkulturversuche zeigen somit keine ungünstige Wechselwirkung zwischen dem Mistelextrakt und den Chemotherapeutika (1). Der zweite Versuch war eine randomisierte Studie mit 60 Brustkrebspatientinnen, die keine Metastasen aufwiesen und sechs Zyklen CAF (Cyclophosphamid, Adriamycin, 5-Fluorouracil, 3-wöchentlich) einnahmen. Die Patientinnen erhielten eine adjuvante Chemotherapie entweder allein oder in Kombination mit Mistel (Viscum album). Der primäre Endpunkt war die Lebensqualität, die mit dem EORTCFragebogen bewertet wurde. Die komplementäre Misteltherapie verbesserte die Lebensqualität in den meisten Bereichen. Zudem wurde in der Mistelgruppe eine Tendenz zu seltener auftretenden Neutropenien beobachtet. Das 5-Jahres-Follow-up dieser Studie zeigte weder einen Gruppenunterschied bei der Rezidivierung noch bei der Metastasierung.
Wann sollte eine Misteltherapie vermieden werden?
Im Allgemeinen sollten Mistelpräparate nicht bei Infektionen oder Fieber eingenommen werden. Bei einigen Präparaten werden Schilddrüsenprobleme als Kontraindikation genannt. Bei erhöhtem Hirndruck, beispielsweise aufgrund von Metastasen im Gehirn
Mistelkraut (Viscum album) © David Monniaux, wikimedia commons
oder bei Hirntumoren, ist ebenfalls Vorsicht geboten. Engmaschige Kontrollen des Krankheitsverlaufs werden bei Patienten mit Leukämien, Lymphomen, Nierenzellkarzinomen oder Melanomen in Kombination mit einer Misteltherapie angeraten. Bei manchen Mistelpräparaten werden diese Krebserkrankungen aber auch als Kontraindikation genannt. Von der Anwendung in der Stillzeit, bei Schwangeren und Kindern raten ebenfalls viele Hersteller ab (3).
Christina Thonack
Referenzen: 1. Weissenstein U et al.: Interaction of standardized mistletoe (Viscum album) extracts with chemotherapeutic drugs regarding cytostatic and cytotoxic effects in vitro; BMC Complementary and Alternative Medicine. The official journal of the International Society for Complementary Medicine Research (ISCMR) 2014: 6. DOI: 10.1186/1472-688214-16. 2. Tröger W et al.: Five-Year Follow-Up of Patients with early stage breast cancer after a randomized study comparing additional treatment with Viscum Album (L.) Extract to chemotherapy alone. Breast Cancer: Basic and Clinical Research 2012; 6:173–180. 3. Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums.
Quelle: Lunchsymposium «Misteltherapie – Harte Fakten kurz und knackig serviert» (Veranstalter: Iscador) beim Jahreskongress der SGGG, 23. Juni 2016 in Interlaken.
10 • CongressSelection Gynäkologie • Oktober 2016