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Pulmonale Embolie – ambulant oder stationär?
Empfehlungen zur Risikostratifizierung
Eine ambulante Behandlung der Pulmonalembolie ist bei selektionierten Patienten mit niedrigem Risiko machbar und sicher. Zur Risikostratifizierung von hämodynamisch stabilen Patienten empfehlen die ESC-Guidelines die Anwendung des Pulmonary Embolism Severity Index.
Tabelle 1:
RISIKOABSCHÄTZUNG MITTELS PESI UND SPESI
Parameter
Alter männliches Geschlecht Malignom chronische Herzinsuffizienz chronische Lungenerkrankung Puls ≥ 110 Schläge/min systolischer Blutdruck < 100 mmHg Atemfrequenz > 30/min Körpertemperatur < 36 °C Bewusstseinsstörungen Sauerstoffsättigung < 90% Auswertung/Risiko in Klammern: 30-Tage-Mortalität
PESI (Originalversion) Alter in Jahren 10 30 10 10 20 30
20 20 60 20 Klasse I: ≤ 65 Punkte sehr niedrig (1,1–2,1%)
Klasse II: 66–85 Punkte niedrig (2,7–3,1%)
sPESI (vereinfachter Score) 1 (für Alter < 80 J.) – 1 1 – 1 1
– – – 1 Gesamtpunktzahl 0 (< 1,0%) ≥ 1 (10,9%)
Klasse III: 86–105 Punkte moderat (5,4–6,5%)
Klasse IV: 106–125Punkte hoch (10,3–10,4%)
Quelle: Jiménez et al. (1)
Klasse V: > 125 Punkte sehr hoch (22,2–24,5%)
Symptomatische Pulmonalembolien (PE) sind in rund 95 Prozent der Fälle hämodynamisch stabil und stellen den behandelnden Arzt vor die Entscheidung einer ambulanten oder stationären Behandlung. «Die Verfügbarkeit der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) hat die ambulante Behandlung der Pulmonalembolie vereinfacht», sagte Prof. Drahomir Aujesky vom Universitätsspital Bern. Dies betreffe vor allem die Behandlung mit Rivaroxaban (Xarelto®) und Apixaban (Eliquis®), die direkt – das heisst ohne vorhergehende Heparinbehandlung – eingesetzt werden können. Für eine ambulante Behandlung sprechen aber auch noch andere Gründe,
beispielsweise die in den letzten Jahren beobachtete Abnahme der 30-Tages- und der Langzeitmortalität, die vergleichsweise niedrigen Kosten und die gute Lebensqualität. Seit Ende der 1990er-Jahre wurde zudem eine Reihe von retrospektiven und seit 2011 auch prospektiven Studien publiziert, die zeigen, dass eine ambulante Behandlung unter gewissen Voraussetzungen machbar und sicher ist. «Ungeachtet dieser Gründe werden in der Schweiz hämodynamisch stabile Patienten mit nicht massiver PE meistens hospitalisiert», sagte Aujesky. Dabei sei die Unsicherheit, welche PE ein tiefes Risiko hätten, eines der grössten Hindernisse für eine ambulante Therapie. Mit dem Ziel, Patienten in Risikoklassen einzuteilen, haben Aujesky und Kollegen vor 10 Jahren einen klinischen Score, den Pulmonary Embolism Severity Index, (PESI) entwickelt. Aufgrund seiner Komplexität wurde der ursprünglich auf 11 klinischen Parametern basierende Risikoscore vereinfacht. Die Risikoeinschätzung des Simplified PESI (sPESI) basiert auf nur noch 6 Parametern (Tabelle 1) (1). Ob die ambulante Behandlung von Patienten mit PE und einem tiefen Risiko (PESI I–II) sicher ist, untersuchte die OTPE-Studie mit 344 Patienten, die auf 19 Notfallstationen in Frankreich, Belgien, der Schweiz und den USA rekrutiert wurden. Die Risikostratifizierung erfolgte allein aufgrund des PESI-Scores. Nach der 1:1-Randomisierung wurden die Betroffenen entweder ambulant (Entlassung < 24 Stunden nach Hospitalisation) oder im stationären Setting zunächst mit niedermolekularem Heparin (Enoxaparin > 5 Tage) behandelt, gefolgt von einer oralen Antikoagulation (> 90 Tage). Wie die Ergebnisse zeigten, traten in beiden Gruppen nur wenige Komplikationen auf. Was den primären Endpunkt (wiederholte venöse thromboembolische Ereignisse [VTE] innerhalb von 90 Tagen) und die Sicherheit (grosse Blutungen in 14 Tagen, Sterberate innert 90 Tagen) betraf, waren die Resultate in beiden Gruppen vergleichbar (2). «Diese Resultate bestätigen, dass bei Patienten mit tiefem Risiko, basierend auf der Einschätzung nach PESI, eine ambulante Behandlung der Pulmonalembolie sicher durchgeführt werden kann und dass keine zusätzlichen Biomarkerbestimmungen oder ein Echo notwendig ist, um solche Patienten zu selektionieren», sagte Aujesky. Der PESI hat auch Eingang in die 2014 publizierten ESC/ERS-Guidelines zu Diagnose und Management der
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akuten Pulmonalembolie gefunden (3). Der dort empfohlene Work-up (Abbildung) beginnt mit der Beurteilung des hämodynamischen Zustands. Sofern keine Kontraindikationen bestehen, wird bei Patienten im Schock oder mit Hypotonie nach Bestätigung einer PE primär eine Reperfusionsbehandlung empfohlen. Bei stabilen Patienten wird eine Risikostratifizierung anhand des PESI oder des sPESI vorgeschlagen, mit der Option zur ambulanten Therapie bei Patienten der Risikoklassen 1 und 2 beziehungsweise mit einem sPESI = 0. Unsicherheiten bestehen nach wie vor auch betreffend Dauer der antikoagulatorischen Behandlung nach VTE. «Die Wahl des Wirkstoffs und die Behandlungsdauer hängen vom klinischen Kontext ab, das heisst davon, ob ein Ereignis provoziert, beispielsweise infolge einer Immobilität, unprovoziert oder krebsassoziiert auftritt», so der Spezialist. Die kürzlich erschienenen ACCP-Guidelines empfehlen bei provozierten VTE eine Behandlungsdauer von 3 Monaten (4). Eine verlängerte Behandlung (> 3 Monate) ist bei Patienten mit unprovozierten VTE und einem niedrigen bis moderaten Blutungsrisiko indiziert sowie bei krebsassoziierten VTE (Tabelle 2).
Regina Scharf
Referenzen: 1. Jiménez D, et al.: Simplification of the pulmonary embolism severity index for prognostication in patients with acute symptomatic pulmonary embolism. Arch Intern Med. 2010; 170(15): 1383–9. 2. Aujesky D, Roy PM, Verschuren F, et al.: Outpatient versus inpatient treatment for patients with acute pulmonary embolism: an international, open-label, randomised, non-inferiority trial. Lancet. 2011; 378(9785): 41–8. 3. Konstantinides SV et al.: 2014 ESC guidelines on the diagnosis and management of acute pulmonary embolism. Eur Heart J. 2014; 35(43): 3033–69, 3069a–3069k. 4. Kearon C, Akl EA, Ornelas J, et al.: Antithrombotic Therapy for VTE Disease: CHEST Guideline and Expert Panel Report. Chest. 2016; 149(2): 315–352.
Quelle: Gemeinsame Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaften für Kardiologie (SGK), Herz- und thorakale Gefässchirurgie (SGHC) und Pneumologie (SGP), 15.–17. Juni 2016 in Lausanne.
ABBILDUNG: ALGORITHMUS ZUR RISIKOABSCHÄTZUNG BEI PULMONALEMBOLIE
Quelle: nach Konstantinides SV et al. (3)
Tabelle 2:
ACCP-EMPFEHLUNGEN ZUR ANTITHROMBOTISCHEN THERAPIE VON VTE
Kontext der PE provoziert unprovoziert G niedriges/moderates Blutungsrisiko G hohes Blutungsrisiko Zusammenhang mit Tumorekrankung
Medikamente der 1. Wahl NOAC* (2B)
NOAC* (1/2B) NOAC* (2B) LWMH* (2C)
Dauer 3 Monate (1B)
verlängert+ (2B) 3 Monate (1B) verlängert+ (1B)
* Kontraindikationen: schwere Niereninsuffizienz, Therapie mit unfraktionierten (UFH) oder niedermolekularen Heparinen (LWMH) empfohlen + regelmässige Neubeurteilung Quelle: nach Kearon C et al. (4)
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