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PCSK9-Inhibitoren: Für wen zu welchem Preis?
Auf der Suche nach den Indikationen für die neuen Cholesterinsenker
Die Zulassung der ersten PCSK9-Inhibitoren wirft wichtige Fragen auf, beispielsweise nach der Indikation für die Behandlung oder danach, wie weit man bei der LDL-CReduktion überhaupt gehen darf.
Die Frage, wie weit man das LDL-Cholesterin senken soll, wurde schon sehr früh diskutiert. Die Ergebnisse der Treating-to-new-Targets-Studie (2005) und der PROVE-IT-Studie (2004) demonstrierten, dass die intensive LDL-C-Reduktion bei Patienten mit stabiler KHK und akutem Koronarsyndrom im Vergleich zur Standardtherapie die kardiovaskuläre Ereignisrate signifikant reduzierte (1, 2). Eine aktuelle Studie zeigt nun auf, welchen Anteil Statine und andere Faktoren daran haben, dass die Todesfälle infolge KHK in einigen Ländern stagnieren oder abnehmen (3). Von einer optimalen Behandlung der Dyslipidämien ist man aber immer noch weit entfernt. Wie eine neue Analyse des EUROASPIRE-Registers unter Beteiligung von 24 europäischen Ländern zeigte, erreichte nur zirka ein Fünftel der eingeschlossenen KHK-Patienten ihre LDL-CZielwerte (4). Prof. David Carballo vom Universitätsspital Genf machte unter anderen pharmakologische Gründe dafür verantwortlich. «Die maximale LDL-C-Reduktion, die mit Statinen erzielt werden kann, liegt bei 50 Prozent», sagte der Kardiologe am gemeinsamen Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaften für Kardiologie, Herz- und thorakale Gefässchirurgie sowie Pneumologie in Lausanne.
Noch mehr LDL-C-Reduktion mit PCSK9-Inhibitoren
Eine Möglichkeit, um das LDL-C weiter zu reduzieren, ist die Kombination mit einem Nichtstatin. «Die einzige Kombination, die im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten Studie (RCT) einen klinischen Benefit gezeigt hat, ist die eines Statins mit dem Cholesterin-Resorptionshemmer Ezetimib (Ezetrol®)», so der Spezialist. Eine noch grössere Reduktion des LDL-C lässt sich durch die Behandlung mit PCSK9-Inhibitoren (PCSK9-I) erzielen. Vorerst ist die Behandlung mit den beiden zugelassenen
WIE WERDEN PCSK9-INHIBITOREN IN DER SCHWEIZ AKTUELL ERSTATTET?
In der Schweiz sind 2 PCSK9-I von Swissmedic zugelassen. Beide stehen aktuell nicht
auf der Spezialitätenliste (SL) des BAG und werden daher nicht automatisch von den
Krankenkassen übernommen. Eine Erstattung ist im Einzelfall möglich nach Art 71b KVV.
Der patientenindividuell vereinbarte Grad der Erstattung kann je nach Pathologie und
Krankenkasse variieren.
AZA
Antikörpern Evolocumab und Alirocumab beschränkt auf Personen mit familiärer Hypercholesterinämie, sowie Personen mit einer klinisch manifesten atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankung, deren LDL-C unter maximal verträglicher Statindosis nicht ausreichend gesenkt werden kann. Die Indikationserweiterung wird von den Ergebnissen der Outcomestudien abhängig sein – und vermutlich auch vom Preis. In den USA betragen die jährlichen Behandlungskosten von Evolocumab (Repatha®) und Alirocumab (Praluent®) etwa 14 000 bis 14 500 US-Dollar (5). In Deutschland liegt der Preis bei zirka 7500 Euro pro Jahr. Publikumspreise in der Schweiz können aufgrund der Erstattungssituation (siehe Infokasten) nicht angegeben werden.
Echte Statinintoleranz schwierig zu diagnostizieren
Als diagnostisches Problemfeld gilt die Frage nach einer möglichen Statinintoleranz (SI). Die häufigste unerwünschte Wirkung im Zusammenhang mit der Statintherapie sind muskuläre Beschwerden wie Myalgien, Myositis, seltener auch die Rhabdomyolyse. Da muskuläre Beschwerden aber auch unabhängig von einer Statinbehandlung auftreten können, ist die Diagnose der SI erschwert. Zur Abklärung der Beschwerden hat die European Atherosclerosis Society im Rahmen eines Consensus Statements ein standardisiertes Vorgehen vorgeschlagen (Abbildung) (6). Die Verträglichkeit bei SI-Patienten wurde sowohl unter Evolocumab als auch unter Alirocumab untersucht. Um herauszufinden, ob es sich bei den in die GAUSS-3-Studie (Evolocumab) eingeschlossenen Patienten um eine wahre SI handelt, erhielten diese nach ihrer Randomisierung zunächst Atorvastatin, gefolgt von Plazebo, oder umgekehrt (7). Patienten, die nur unter Atorvastatin muskuläre Beschwerden aufwiesen, wurden zu Evolocumab oder Ezetimib randomisiert. Von den zirka 250 Patienten, die an der zweiten Phase teilgenommen hatten, berichteten 29 Prozent unter Ezetimib und 21 Prozent unter Evolocumab über muskuläre Beschwerden. Die Wirksamkeit und die Sicherheit von Alirocumab bei SI-Patienten wurden in der Studie ODYSSEY ALTERNATIVE untersucht (8). Auf Verlangen der FDA wurde zur Überprüfung der SI ein dritter Studienarm mit Atorvastatin durchgeführt. Wie die Ergebnisse zeigten, traten auch unter Alirocumab und Ezetimib muskuläre Be-
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MANAGEMENT VON PATIENTEN MIT STATINASSOZIIERTEN MUSKELSYMPTOMEN (6)
Erwäge, ob bei den statinassoziierten Muskelsymptomen eine Fortführung oder Reinitiierung der Statintherapie angebracht ist
Symtome und CK < 4 X ON1 Unterbrechung der Statintherapie für 2–4 Wochen (Wash-out)
persistierende Symtome: erneuter Beginn mit Statintherapie
Symptomverbesserung: Therapiebeginn mit 2. Statin in üblicher
Dosierung oder Startdosis
CK > 4 X ON +/- Rhabdomyolyse
Unterbrechung der Statintherapie für 6 Wochen, bis sich CK/Kreatinin und Symptome normalisiert haben
Symptomfreiheit: Statintherapie fortführen
erneute Symptome
1) 3. potentes Statin2 in niedriger Dosierung 2) potentes Statin2 an alternierenden Tagen
oder ein-/zweimal pro Woche
1) 2. potentes Statin2 in niedriger Dosierung 2) potentes Statin2 an alternierenden Tagen
oder ein-/zweimal pro Woche
Ziel: LDL-C-Zielwert mit maximal tolerierbarer Statindosis zu erreichen
Ezetimib
A) + Cholesterinabsorptionshemmer
B) + Fibrate (mit Ausnahme von Gem brozil)
C) A + B
Bei Nichterreichen des Zielwerts muss eine zusätzliche Therapie erwogen werden mit: PCSK9-Inhibitoren, CETP-Inhibitoren
1) Oberer Normbereich 2) hochwirksame Statine wie beispielsweise Atorvastatin oder Rosuvastatin
schwerden auf – allerdings weniger häufig als unter Atorvastatin.
Studien mit klinischen Endpunkten werden erwartet
Was die Wirksamkeit der PCSK9-Inhibitoren betrifft, so zeigten die Studien GAUSS-2 und -3 mit Evolocumab eine suffiziente LDL-C-Reduktion über 12 und 24 Wochen (7, 9). In der GAUSS-3-Studie konnten die LDL-C-Werte unter Evolocumab um zirka 50 Prozent reduziert werden. «Das ist deutlich mehr, als mit Ezetimib in dieser Studienpopulation erreicht werden kann», sagte Prof. Ulf Landmesser, Leiter der Klinik für Kardiologie an der Berliner Charité. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam auch die Studie ODYSSEY ALTERNATIVE mit Alirocumab (8). Welchen Impact die Behandlung mit PCSK9-I auf die kar-
Take Home Messa es
® Eine LDL-C Reduktion > 50 Prozent kann durch die Kombination eines Statins mit
einem Nichtstatin erzielt werden.
® Die Behandlung mit PCSK9-Inhibitoren ist vorerst beschränkt auf spezielle Indika-
tionen.
® Das LDL-C sollte unter PCSK9-Inhibitoren nicht auf Werte < 0,2–03 mmol/l redu-
ziert werden.
diovaskulären Ereignisse hat, ist bislang noch unklar. Einen ersten Eindruck vermitteln die Ergebnisse der OSLER-Studie (Evolocumab) und der Studie ODYSSEY LONGTERM (Alirocumab) (10, 11). In beiden Studien konnten die CV-Events im Vergleich zur Standardtherapie um zirka 50 Prozent reduziert werden. «Da es sich in beiden Fällen um retrospektive Analysen handelte und die kardiovaskuläre Ereignisrate tief war, lassen die Daten keine definitive Aussage zu», so Prof. Landmesser. Eine grosse Netzwerkmetaanalyse unter Einschluss von 17 RCT mit PCSK9-I hat darüber hinaus eine deutliche Reduktion der Gesamtmortalität gezeigt (12). Mehr Informationen zum kardiovaskulären Outcome wird die FOURIER-Studie (Evolocumab) liefern, deren Ergebnisse Anfang des nächsten Jahres erwartet werden, sowie die Studien ODYSSEY OUTCOME (Alirocumab) und SPIRE-1 und -2 mit Bococizumab.
LDL-C ja, aber nicht zu viel
«Nachdem unsere Sorge in den letzten Jahrzehnten den erhöhten LDL-C-Werten gegolten hat, werden wir zunehmend auch mit zu niedrigen Werten konfrontiert», sagte Prof. em. Walter Riesen aus Diessenhofen im Hinblick auf die PCSK9-I. Untersuchungen bei Personen mit primären Dyslipidämien wie einer Abetalipoproteinämie haben gezeigt, dass ein fehlendes LDL unter anderem mit neurologischen und ophthalmologischen Komplikationen assoziiert ist. Bei Personen mit genetisch bedingten, sehr
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niedrigen LDL-C-Werten (0,5–1,3 mmol/l) finden sich keine Hinweise auf diese Komplikationen. Niedrige LDL-C-Werte stehen ausserdem im Verdacht, die Risiken für Krebserkrankungen, Frühgeburten und psychiatrische Erkrankungen wie Depression und Angststörung zu erhöhen. Studien, die die Kausalität zwischen einem tiefen LDL-C-Wert und dem Auftreten von Krebserkrankungen untersucht haben, zeigten allerdings das Gegenteil (13). «Die Krebserkrankung erhöht das Risiko niedriger LDL-C-Werte und nicht umgekehrt», sagte Riesen. Entwarnung gab der Spezialist auch, was das Risiko von Frühgeburten betrifft. Dagegen weisen die Untersuchungsergebnisse zum Auftreten von Depressionen und Angststörungen auf einen Zusammenhang mit niedrigen LDL-C-Werten hin (14, 15). Generell sind Personen mit tiefem LDL-C-Wert sehr gesund und haben ein niedriges CV-Risiko, zu diesem Schluss kommen LaRosa et al. in einer Studie (16). Niedrige LDL-C-Werte schienen unproblematisch zu sein, wichtig war, dass LDL vorhanden war. In der IMPROVE-IT-Studie mit 4 LDL-C-Gruppen zwischen < 0,79 mmol/l und > 1,8 mmol/l konnten keine signifikanten Unterschiede bei den unerwünschten Wirkungen beobachtet werden (17). Auch unter den mit PCSK9-I erzielten, sehr niedrigen LDL-C-Werten (< 0,6 mmol/l und < 0,4 mmol/l) war keine signifikante Zunahme von unerwünschten Ereignissen zu beobachten. Allerdings zeigte sich in einer Studie mit Evolocumab ein Trend zu mehr neurokognitiven Ereignissen (18). Eine Zunahme
«Aus meiner Sicht ist 0,2–0,3 mmol/l
ein utes LDL-C-Level»
von neurokognitiven Ereignissen wurde auch in der oben erwähnten Netzwerkmetaanalyse von 17 RCT mit PCSK9-I gezeigt (12). Mehr Informationen dazu werden die für 2018 erwarteten Ergebnisse der EBBINGHAUSStudie bringen, die diesen Endpunkt untersucht. «Bezüglich ihrer Sicherheit scheinen die beiden PCSK9-I Evolocumab und Alirocumab vergleichbar zu sein», sagte Riesen. Bis zu LDL-C-Werten von < 0,4 mmol/l sei mit Ausnahme der neurokognitiven Störungen keine Zunahme unerwünschter Ereignisse beobachtet worden. «Aus meiner Sicht ist 0,2–0,3 mmol/l ein gutes LDL-CLevel», so der Experte.
Regina Scharf
Quelle: Gemeinsame Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaften für Kardiologie (SGK), Herz- und thorakale Gefässchirurgie (SGHC) und Pneumologie (SGP), 15.–17. Juni 2016 in Lausanne.
Referenzen: 1. LaRosa JC et al.: Intensive lipid lowering with atorvastatin in patients with stable coronary disease. N Engl J Med 2005; 352(14): 1425–1435. 2. Cannon CP et al.: Intensive versus moderate lipid lowering with statins after acute coronary syndromes. N Engl J Med 2004; 350(15): 1495–1504. 3. Wadhera RK et al.: A review of low-density lipoprotein cholesterol, treatment strategies, and its impact on cardiovascular disease morbidity and mortality. J Clin Lipidol 2016; 10(3): 472–489. 4. Reiner Ž et al.: Lipid lowering drug therapy in patients with coronary heart disease from 24 European countries – Findings from the EUROASPIRE IV survey. Atherosclerosis 2016; 246: 243–250. 5. Institute for Clinical and Economic Review (ICER): ICER Draft Report on Effectiveness, Value, and Pricing Benchmarks for PCSK9 Inhibitors for High Cholesterol Posted for Public Comment. https://icer-review.org/ announcements/pcsk9-draft-report-release/ 6. Stroes ES et al.: Statin-associated muscle symptoms: impact on statin therapy-European Atherosclerosis Society Consensus Panel Statement on Assessment, Aetiology and Management. Eur Heart J 2015; 36(17): 1012–1022. 7. Nissen SE et al.: Efficacy and Tolerability of Evolocumab vs Ezetimibe in Patients With Muscle-Related Statin Intolerance: The GAUSS-3 Randomized Clinical Trial. JAMA 2016; 315(15): 1580–1590. 8. Moriarty PM et al.: Efficacy and safety of alirocumab vs ezetimibe in statin-intolerant patients, with a statin rechallenge arm: The ODYSSEY ALTERNATIVE randomized trial. J Clin Lipidol 2015; 9(6): 758–769. 9 Stroes E et al.: Anti-PCSK9 antibody effectively lowers cholesterol in patients with statin intolerance: the GAUSS-2 randomized, placebo-controlled phase 3 clinical trial of evolocumab. J Am Coll Cardiol 2014; 63(23): 2541–2548. 10. Sabatine MS et al.: Efficacy and safety of evolocumab in reducing lipids and cardiovascular events. N Engl J Med 2015; 372(16): 1500–1509. 11. Robinson JG et al.: Efficacy and safety of alirocumab in reducing lipids and cardiovascular events. N Engl J Med 2015; 372(16): 1489–1499. 12. Lipinski MJ et al.: The impact of proprotein convertase subtilisinkexin type 9 serine protease inhibitors on lipid levels and outcomes in patients with primary hypercholesterolaemia: a network meta-analysis. Eur Heart J 2016; 37(6): 536–545. 13. Benn M et al.: Low-density lipoprotein cholesterol and the risk of cancer: a mendelian randomization study. J Natl Cancer Inst 2011; 103(6): 508–519. 14. Shin JY et al.: Are cholesterol and depression inversely related? A meta-analysis of the association between two cardiac risk factors. Ann Behav Med 2008; 36(1): 33–43. 15. Suarez EC: Relations of trait depression and anxiety to low lipid and lipoprotein concentrations in healthy young adult women. Psychosom Med 1999; 61(3): 273–279. 16. LaRosa JC et al.: Safety and effect of very low levels of low-density lipoprotein cholesterol on cardiovascular events. Am J Cardiol 2013; 111(8): 1221–1229. 17. Cannon CP et al.: Ezetimibe Added to Statin Therapy after Acute Coronary Syndromes. N Engl J Med 2015; 372(25): 2387–2397. 18. Henry CA et al.: Clinical efficacy and safety of evolocumab for lowdensity lipoprotein cholesterol reduction. Vasc Health Risk Manag 2016; 12: 163–169.
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