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Tipps, wie Sie Ihre Informationen erfolgreich an Patienten übermitteln können …
… und was Sie dabei beachten sollten
Obwohl nach «critical incidents» im Bereich Kommunikation befragte Kollegen nur in jedem 50. Fall antworteten, dass es Probleme beim Informieren des Patienten gab, scheinen Patienten wesentlich häufiger nicht alles verstanden zu haben, was der Arzt ihnen mitteilen wollte. Laut Prof. Wolf Langewitz, Universitätsspital Basel, kann diese Diskrepanz in der Wahrnehmung ein Problem darstellen, für welches er verschiedene Lösungsansätze vorstellte.
Zunächst einmal: Was sollte der informierte Patient wissen? Den Goldstandard beschreibt der Experte wie folgt: Der Patient soll in der Lage sein, seine eigene Krankheit zu verstehen und deren Symptome zuzuordnen. Er soll Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen einer allfälligen Behandlung, wie auch von alternativen Optionen, kennen und wissen, was passiert, wenn man nichts unternimmt. Dadurch soll der informierte Patient dem Arzt als Partner begegnen und präzise Fragen stellen können. Diese Definition zeigt den Zeitgeist: weg vom Paternalismus – der Arzt wird schon wissen, was für den Patienten richtig ist – und hin zum Patienten, der dem Arzt auf Augenhöhe begegnen kann, indem er ein wenig teilhaben kann am Wissen der Fachperson.
Der durchschnittlich be abte Mensch kann sich
7 (± 2) neue Informationen merken.
Was wollen Ärzte ihren Patienten mitgeben?
In einer neueren Studie aus dem Jahr 2015 wurde untersucht, welche Informationen Ärzte als wichtig empfinden und wie sich ihre Auffassung von der ihrer Patienten unterscheidet (1). Dazu wurde mit einem mehrstufigen Befragungsverfahren (Delphi-Methode) gearbeitet. Ärzte bekamen eine Liste mit 81 möglichen Informationen, welche sie einem Patienten mitteilen könnten, der mit «non cardiac chest pain» und ohne Befund aus der Notfallstation entlassen wird und in einer Woche erneut einbestellt werden soll. Die befragten Ärzte einigten sich auf 34 unbedingt mitzuteilende Informationen. Dass dies jedoch ein nicht zu erreichender Wert ist, dürfte schnell klar sein. Ihr geschätzter Zeitbedarf, um all diese Informationen an den Patienten weiterzugeben, lag bei ungefähr 45 Minuten. Für ein normales Entlassungsgespräch auf der Notfallstation bleiben durchschnittlich jedoch maximal 5 bis 10 Minuten übrig, also weit entfernt von der eigentlich benötigten Zeit.
Und wie viel will der informierte Patient wissen?
Als Nächstes wurde die Liste mit den 34 essenziellen Informationen an echte Patienten gegeben, welche zuvor mit Herzbeschwerden auf der Notfallstation aufgenom-
men worden waren. Sie sollten angeben, welche von diesen bereits von Ärzten als wichtig eingestuften Informationen sie selbst bei ihrer Entlassung unbedingt brauchen würden. Dabei liess sich eine klare Tendenz erkennen. Die Bedeutung bestimmter Informationen wurde von den Patienten noch höher bewertet als von den Ärzten. Würde man ihnen also alle 81 Informationen zur Auswahl stellen, würde man bei 60 essenziellen landen, da ist sich Langewitz sicher – davon ausgehend, dass Patienten alles über ihre Beschwerden und das weitere Vorgehen wissen wollen.
Die magische Nummer 7
Der Patient soll so informiert werden, dass er hinterher abwägen und einen klugen Entscheid fällen kann. Denn das ist die Voraussetzung für «shared decision making», sodass bei gleichwertigen Behandlungsmethoden der Patient zusammen mit dem Arzt entscheiden kann, was ihm gemäss ist und was nicht. Der durchschnittlich begabte Mensch kann sich 7 (± 2) neue Informationen merken. Nutzt man verschiedene Kanäle, um die Informationen zu präsentieren (mündlich, schriftlich, grafisch etc.), lässt sich diese Zahl um ewa 20 Prozent steigern, allerdings mit abflachender Kurve. Werden viele Informationen vorgetragen, lässt sich nicht vorhersagen, welche davon sich einprägt. Jeder Mensch hat dafür einen eigenen Entscheidungsalgorithmus – weshalb auch der Arzt nicht wissen kann, welche der Informationen sich der Patient letztlich merken wird.
Nicht zu wenig, sondern zu viele Informationen
Die Zahl der Informationen, welche man beim Treffen einer Entscheidung abwägen und berücksichtigen kann, ist sogar noch geringer. Nach der «Cognitive Load Theory» kann man bei diesem Prozess lediglich 2 bis 4 Informationen gleichzeitig handhaben, um mit ihnen an einer Entscheidung zu arbeiten. Wenn man sie nicht auffrischt, werden sie nach 20 Sekunden entweder gelöscht oder aber in den Kurzzeitspeicher übertragen, woraus sie aktiv wieder herausgeholt werden müssen, damit man sie doch noch bei dem Entscheid berücksichtigen kann. Übersteigt die Anzahl der präsentierten Informationen 4, werden Entscheidungen mehr intuitiv als rational getroffen. Jedoch ist es möglich, im Arbeitsspeicher Informationen zusammenzufassen und sich so zum Beispiel
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Informationsflut Eine durchschnittliche Visite auf der Inneren Medizin dauert 8,5 Minuten pro Patient und vermittelt rund 20 Informationen. In der Chirurgie sind es 22 Informationen in 7,5 Minuten und bei Prämedikationsgesprächen in der Anästhesie in 16,1 Minuten 58 Informationen.
eine Sepsis zu merken, woraufhin man die verschiedenen Symptome wie klinische Zeichen, CRP und Leukozyten bei Bedarf aus dem Kurzzeitspeicher abrufen kann. Das Problem bei Gesprächen von Ärzten und Patienten ist angesichts dieser relativ begrenzten Kapazität nicht, dass zu wenig gesagt wird, sondern ganz im Gegenteil, dass viel zu viele Informationen weitergegeben werden (siehe Randnotiz). Ein durchschnittlicher Patient erhält pro Woche 100 bis 120 neue Informationen, und dennoch ist die Hauptklage vieler im Spital, «dass einem hier keiner was erklärt». Information ist also ein Problem für den Patienten, allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Frage der Menge, sondern der Auswahl.
Tricks für den Alltag: Relevantes herausfiltern …
Da der Arzt sieben «Schuss» für neue Informationen frei hat, muss er als Erstes die wirklich relevanten Informationen finden. Der richtige Suchalgorithmus lautet dabei: «Welches Wissensdefizit bringt den Patienten (bis zum nächsten Kontakt mit dem Gesundheitssystem) um?» Mit dieser Fragestellung lassen sich 3 bis 4 relevante Informationen herausfiltern. Würde man die Frage andersherum formulieren («Was wäre für den Patienten gut zu wissen?»), käme man auf bis zu 20 Informationen. Dieser Vollständigkeitsalgorithmus entspricht zwar der Forderung, bestmöglich informiert zu sein, führt aber auch
«Welches Wissensdefizit brin t den Patienten (bis zum nächsten Kontakt mit dem Gesundheitssystem) um?»
dazu, dass Überflüssiges abgespeichert wird. Und dadurch können die wichtigen «red flags» untergehen, da immer noch unklar ist, nach welchem Auswahlalgorithmus die Patienten sich welche Aspekte merken.
… und gut strukturiert erklären
Der Arzt muss diese relevanten Informationen dem Patienten gut strukturiert erklären. Zur Veranschaulichung dient hier die Buchmetapher. Ein Buch ist meist folgendermassen aufgebaut: Es hat einen Titel, ein Inhaltsverzeichnis, Kapitelüberschriften, den Text und eventuell auch einen Anhang. Die mündliche Vermittlung der Informationen vom Arzt an den Patienten kann versuchen, diese Struktur zu imitieren. So hat Langewitz in einer Studie herausgefunden, dass Studenten im Sinne der Buchmetapher präsentierte Informationen signifikant besser behalten können (8,14 statt 5,81 von 28 Informationen) (2). Allerdings ist auch diese Grössenordnung immer noch nahe bei der magischen Nummer 7.
Das Hauptproblem beim Vermitteln bleibt also weiterhin, die Menge der Informationen zu reduzieren, deshalb ist der erste Trick derart wichtig. Von ebenso grosser Bedeutung ist, dass der Arzt nicht nur strukturiert, sondern diese Struktur dem Patienten auch unbedingt mitteilt. Denn anders als Fachleute können Laien eine inhärente Struktur nicht zwangsläufig erkennen. Für Patienten präsentiert sich die Abfolge von Informationen chaotisch, wenn diese impliziten Regeln fehlen.
Vorwissen richtig einschätzen
Aus diesem Grund muss der Arzt auch herausfinden, welches fachliche Vorwissen der Patient hat. Je mehr Struktur bereits vorhanden ist, desto weniger wird die Struktur des Vortragenden benötigt. So konnten sich in Versuchen Medizinstudenten höherer Jahrgänge bei gleichem Vortrag deutlich mehr Informationen merken als Medizinstudenten in niedrigen Jahrgängen oder gar Studenten anderer Fachrichtungen. Der Arzt muss beim Mitteilen der Informationen sicher sein, dass der Patient ihm folgen kann. Denn Informieren ist laut Langewitz wie Velofahren im Windschatten. Wer an der Front fährt, muss stets sicherstellen, dass der Hintermann nicht abreissen lassen muss. Und so verliert auch der Arzt den Patienten, wenn er nicht mehr schaut, ob dieser ihm noch folgen kann. Am besten vergewissert man sich hin und wieder, dass der Patient durch ein Nicken, ein «Okay» oder Ähnliches quittiert, dass er noch weiss, wovon der Doktor spricht, und dann erst fährt man mit der nächsten Information fort.
Was hat der Patient verstanden?
Im letzten Schritt muss der Arzt sicherstellen, dass der Patient alles so weit verstanden hat und die beiden sich auf einer Wellenlänge bewegen («to close the loop»), was die gegebenen Informationen angeht. Dies kann der Arzt zum Beispiel durch geschicktes Nachfragen bewerkstelligen. Die Lieblingsfrage dazu von Langewitz lautet wie folgt: «Wenn Sie gleich Ihrer Frau erzählen, was wir heute besprochen haben, was würden Sie ihr sagen?» So erhalte man direkt den «O-Ton» des Patienten und wisse, ob man etwas nochmals betonen oder wiederholen müsse. Ausserdem sei es wichtig, nicht dem Patienten die Schuld zu geben, wenn dieser sich etwas nicht merken kann. So ist es besser zu sagen, man habe etwas schlecht erklärt, denn sonst ist es allzu schnell wie zu Schulzeiten, und der Patient macht nicht mehr mit. Dazu kann man zum Beispiel sagen, dass das behandelte Thema gar nicht so einfach zu erklären sei, und man immer wieder einmal nachfrage, was denn beim Zuhörenden angekommen sei.
Jakob Mücke
Take Home Messa es
Folgende Fragen bieten eine gute Grundlage, um ein Gespräch zwischen Arzt und Patient erfolgreich zu gestalten und wichtige Informationen tatsächlich zu übermitteln:
® Welches Wissensdefizit bringt den Patienten um? ® Sind meine Informationen verständlich strukturiert? ® Welches Vorwissen hat der Patient? ® Kann der Patient mir noch folgen? ® Hat der Patient jetzt alles verstanden, was ich ihm mitteilen wollte?
Referenzen: 1. Ackermann S et al.: Discharge communication in patients presenting to the emergency department with chest pain: Defining the ideal content. Health Commun 2016; 31 (5): 557–565. 2. Langewitz W et al.: Improving patient recall of information: Harnessing the power of structure. PEC 2015; 98 (6): 716–721.
Quelle: «How To, Tipps und Tricks in der professionellen Information von Patienten», Vortrag von Wolf Langewitz im Rahmen der 1. Frühjahrsversammlung der SGAIM am 27. Mai 2016 in Basel.
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