Transkript
SGP
Die Schweiz als schwarzes Schaf in Sachen Tabakprävention
Plädoyer für eine schärfere Antirauchergesetzgebung
Reine Bergluft – das mag auf den Gipfeln zutreffen, in den Niederungen eher nicht. Denn die Schweiz hat nur laxe Antirauchergesetze. Wie sehr die Eidgenossen hinter den internationalen Standards hinterherhinken, erläuterte Pascal Diethelm aus Genf, der mit der Kampagne OxyRomandie seit Jahren an einem besseren gesetzlichen Schutz der Bevölkerung vor Tabakkonsum arbeitet.
Die Vollversammlung der UNO hat sich bereits im Jahr
2011 auf die Fahnen geschrieben, die Risikofaktoren für
nicht übertragbare Krankheiten (NCD = non-communi-
cable diseases) weltweit zu vermindern, wobei an erster
Stelle der Tabakkonsum genannt wurde. Entsprechend
hat die WHO 2013 den
Der durchschnittliche Zi aretten-
Global NCD Action Plan vorgelegt, der das Ziel hat,
konsum pro Erwachsenem und Jahr bis zum Jahr 2025 die Mortalitätsrate an NCD
lie t in der Schweiz bei 1527 Stück. um 25 Prozent zu verrin-
gern. In Sachen Rauchen
ist es das Ziel, den Tabakkonsum um 30 Prozent zu ver-
mindern. Um das zu erreichen, hat die WHO die Tabak-
rahmenkonvention «Framework Convention on Tobacco
Control» (FCTC) erarbeitet, in der die nötigen Massnah-
men beschrieben sind. Hauptpunkte sind:
• Erhöhung der Tabaksteuern (damit sich weniger Men-
schen das Rauchen leisten können)
Weitere Infos auf der Web- • gesetzlich vorgeschriebene Schaffung rauchfreier Ar-
seite von OxyRomandie:
beitsplätze, sowie Rauchfreiheit in der Öffentlichkeit
www.oxyromandie.ch
(auch in Bussen und Bahnen)
• öffentliche Aufklärung zu den Gefahren des Tabakkon-
sums durch Massenmedien (beispielsweise durch
Warnaufdrucke auf den Schachteln)
• Verbot jeglicher Tabakwerbung – auch von Promotion-
aktionen und Sponsorschaft.
Der FCTC sind 180 Länder beigetreten – auch die
Schweiz. Doch als einziges Land in Europa und Asien hat
die Schweiz die FCTC nicht ratifiziert, wie Diethelm auf
der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für
Pneumologie berichtete.
Quelle: Vortrag von Pascal Diethelm «Public health perspective of the WHO Framework Convention and the proposed new tobacco law», bei der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SGP), 16. Juni 2016 in Lausanne.
Schweizer sind starke Raucher
Wie der Präsident von OxyRomandie weiter erläuterte, liegt das keineswegs daran, dass die Schweizer Bevölkerung so gesund ist, dass sie den gesetzlichen Schutz vor Tabakkonsum nicht brauchte. Auch in der Confoederatio Helvetica ist das Rauchen Risikofaktor Nr. 1 für die erworbenen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, COPD oder Krebs – weit noch vor Hypertonie, Übergewicht und Alkoholabusus. Übrigens: In der Schweiz wird mehr geraucht als in Frankreich. Der durchschnittliche Zigarettenkonsum pro Erwachsenem und Jahr liegt in der Schweiz bei 1527 Stück; in Frankreich dagegen werden nur 1347 Stück pro Kopf konsumiert.
Um die Gefahren des Rauchens zu verdeutlichen, wurde auf der Webseite www.oxyromandie.ch die «Swiss Death Clock» eingerichtet. Die zählt die durch Rauchen bedingten Todesfälle seit dem Beitritt zur FCTC am 25. Juni 2004. Zum Zeitpunkt seines Vortrages waren es bereits 111 499 Tote. Anders ausgedrückt: Jedes Jahr sterben 9500 Schweizer an Krankheiten, die wesentlich durch das Rauchen bedingt sind; nach Schätzungen leiden 300 000 Menschen an tabakkonsumbedingten Erkrankungen. Nach Diethelms Ansicht eine grobe Unterschätzung, da allein 400 000 Personen an COPD erkrankt sind – bei COPD gilt bekanntlich das Rauchen als der grösste Risikofaktor.
Mehr Schutz durch weniger Werbung
Diethelm hat sich dem Kampf gegen den Tabakkonsum in der Schweiz verschrieben. Besonders kritisiert er die laxe Antirauchergesetzgebung, vor allem das halbherzige Werbeverbot. Hier ist die Schweiz Schlusslicht in Europa, noch hinter Deutschland (1). Zwar sind auch in der Schweiz Werbespots in Kino, Funk und Fernsehen sowie die Plakatwerbung verboten, doch Werbung an Verkaufsstellen, im Internet, auf Gebrauchsartikeln (Merchandising) und Sponsoring sind erlaubt. Übrigens: Die Mehrheit der Musikfestivals mit jugendlichem Publikum wird in der Schweiz von der Tabakindustrie gesponsert. Diethelm fordert daher ein neues, schärferes Antitabakgesetz. Dass ein solches Gesetz tatsächlich den Zigarettenkonsum vermindere, zeige das Beispiel aus Frankreich: Dort habe man seit dem Inkrafttreten des totalen Werbeverbots für Tabakprodukte 1993 die durchschnittliche Zahl der Zigaretten pro Kopf und Tag von sechs auf drei halbiert. Ob allerdings ein strikteres Antitabakgesetz nach den Leitlinien der FCTC mit Tabakwerbeverbot und mehr Aufklärung zu den Gefahren des Rauchens tatsächlich in der Schweiz eingeführt wird, hält Diethelm für fraglich. Seiner Ansicht nach ist in der Schweiz der Einfluss der Tabakkonzerne auf die Gesetzgebung zu stark.
Angelika Ramm-Fischer
Referenzen: 1. Joossens L et al. The Tobacco Control Scale 2013 in Europe, www. europeancancerleagues.org/images/TobaccoControl/TCS_2013_in_Euro pe_13-03-14_final_1.pdfPredictive
10 • CongressSelection Pneumologie • August 2016