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Behandlungsziel bei IPF: Exazerbationen vermeiden
Zwei neue Substanzen bremsen die Progression
Neue Therapeutika wie der Tyrosinkinasehemmer Nintedanib und Pirfenidon haben zu einem deutlichen Fortschritt in der Behandlung bei idiopathischer Lungenfibrose (IPF) geführt. Die Erkrankung ist zwar nach wie vor unheilbar, doch zumindest kann über eine Verringerung der Exazerbationen ihr Verlauf günstig beeinflusst werden.
Bezüglich der Prävalenz und der ungünstigen Prognose ist die IPF der Prototyp einer interstitiellen Lungenerkrankung. Erst im Jahr 2011 wurde die IPF gemäss den Richtlinien der American Thoracic Society (ATS) und der European Respiratory Society (ERS) als spezifische Form einer chronischen, progressiven, fibrosierenden, interstitiellen Pneumonie unklarer Ursache definiert, die bei Erwachsenen im Alter von 55 bis 75 Jahren vorkommt und mit typischen histopathologischen und/oder radiologischen Kennzeichen einer gewöhnlichen interstitiellen Pneumonie (UIP) einhergeht. Bis heute gibt es für diese Erkrankung keine Heilung. «Das Überleben bei IPF ist leider immer noch nicht zufriedenstellend», erklärte Dr. Talmadge E. King, Dekan der University School of Medicine der Universität Kalifornien in San Francisco (USA), auf dem ATS-Jahreskongress in San Francisco. Der klinische Verlauf ist jedoch sehr variabel. Mittlerweile ist bekannt, dass akute Exazerbationen eine sehr ungünstige Auswirkung auf den Verlauf der Erkrankung haben. «Deshalb ist es ein wesentliches Ziel der Therapie, diese zu vermeiden», erklärte King.
Eine neue Ära ist angebrochen
Im Jahr 2014 hat die Food and Drug Administration (FDA) den Tyrosinkinasehemmer Nintedanib als Folge der Phase-III-Studien INPULSIS® zugelassen: In diesen Studien konnte Nintedanib im Plazebovergleich die Progression einer IPF bremsen. «Ein krankheitsmodifizierender Effekt auf die IPF konnte erstmals gezeigt werden, das ist ein Durchbruch in der Behandlung», erklärte King. Ähnlich positiv waren die ebenfalls 2014 publizierten Studiendaten der antifibrotischen und zytoprotektiven Substanz Pirfenidon in der ASCEND®-Studie. Inzwischen zeigten Nachbeobachtungen dieser Studien, dass der Behandlungserfolg langfristig anhält. Poster, die im Laufe des ATS-Kongresses präsentiert wurden – insbesondere weitere Analysen der Studien INPULSIS® und ASCEND® –, bestätigen, dass diese Substanzen tatsächlich die Progression bremsen können. In einer Post-hoc-Analyse der INTENDIS®-Daten, die im Rahmen des ATS-Kongresses von Prof. Michael Kreuter, Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg (Deutschland), vorgestellt wurde, untersuchte man die Auswirkung der Behandlung mit Nintedanib auf das Risiko für akute Exazerbationen. Per definitionem
werden bei IPF akute Verschlechterungen der Lungenfunktion, die mit entsprechenden Befunden in der hochauflösenden Computertomografie einhergehen und zu einer Verschlechterung oder einer Entwicklung von Dyspnoe führen sowie von unklarer Ätiologie sind, als akute Exazerbationen bezeichnet. Nebenwirkungen, bei denen es sich nach Ansicht des Prüfarztes um akute Exazerbationen handelte, wurden von einem Gutachtergremium entweder bestätigt oder als vermutliche akute Exazerbation oder als keine Exazerbation gewertet. Die Behandlung mit Nintedanib verlängerte die Zeit bis zur ersten Exazerbation, die von den Prüfärzten als schwere Nebenwirkung gemeldet wurde, um 43 Prozent. Das betraf 3,6 Prozent der mit Nintedanib behandelten Patienten im Vergleich zu 6,1 Prozent der mit Plazebo Behandelten (p = 0,0476). Das Risiko für schwere Nebenwirkungen, die vom Prüfgremium als vermutete oder bestätigte Exazerbationen gewertet wurden, nahm sogar um 70 Prozent ab. Davon waren 1,6 Prozent der mit Nintedanib, doch 5 Prozent der Patienten in der Plazebogruppe betroffen (p = 0,0019). «Zudem stellte sich heraus, dass akute Exazerbationen, die als schwere Nebenwirkungen bewertet wurden, mit einem viel höheren Sterberisiko assoziiert waren als akute Exazerbationen, die als nicht schwere Nebenwirkungen gemeldet wurden», erklärte Kreuter. Patienten mit akuten Exazerbationen, die als schwere Nebenwirkungen gewertet wurden, wiesen zu Studienbeginn eine schwerere funktionelle Beeinträchtigung auf als Patienten ohne akute Exazerbation.
Auch unter Praxisbedingungen bewährt
Patienten in klinischen Studien unterscheiden sich oft deutlich von denjenigen in der täglichen Praxis. Dr. Jonathan A. Galli, Temple University Hospital Philadelphia (USA), untersuchte daher in seiner Studie, wie wirksam und verträglich Pirfenidon und Nintedanib unter Praxisbedingungen sind, und verglich diese Ergebnisse mit gepoolten Studiendaten. Die Informationen stammten von einer heterogenen Patientenpopulation eines grossen Zentrums für die Behandlung interstitieller Lungenerkrankungen. «Wir haben erwartet, dass es in unserer Population deutliche Unterschiede bei den Nebenwirkungen oder auch bei den Studienabbruchraten im Vergleich zu den
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NEBENWIRKUNGEN VON PIRFENIDON
Abbildung: Nebenwirkungen von Pirfenidon in einer Praxisstudie (blaue Säulen) im Vergleich zu dem klinischen Studienprogram CAPACITY/ASCEND (graue Säulen). Quelle: Galli JA et al. ATS 2016, Abstract # 8819.
klinischen Studien gibt», erklärte Galli. Daher verglichen sie Krankenakten von 186 Patienten, denen entweder Pirfenidon oder Nintedanib wegen einer pulmonalen Fibrose, unabhängig von deren Ursache, verschrieben worden war. Die Patienten in diesem Kollektiv waren älter, mussten häufiger chronisch Sauerstoff anwenden und hatten eine signifikant höhere Anzahl an Komorbiditäten im Vergleich zu den Patienten, die in das klinische Studienprogramm mit Nintedanib und Pirfenidon eingeschlossen worden waren. Die häufigste Nebenwirkung bei der Behandlung mit Pirfenidon war Übelkeit, die bei 26,4 Prozent der Patienten auftrat – deutlich seltener als im klinischen Studienprogramm mit Pirfenidon. Ebenso verhielt es sich mit den anderen Nebenwirkungen (siehe Abbildung). Diarrhö kam bei nur 6,9 Prozent dieser Kohorte vor, dagegen bei 25,8 Prozent in den klinischen Studien. Ganz ähnlich verhielt es sich in der Kohorte, der Nintedanib verordnet worden war. Hier war Diarrhö die häufigste Nebenwirkung, die bei 52,6 Prozent der Patienten vorkam, im Vergleich zu 62,4 Prozent in den klinischen Studien. Bei dem Prozentsatz der Patienten, die die Behandlung wegen Nebenwirkungen abbrachen, bestand kein Unterschied zwischen Pirfenidon und Nintedanib (21,3% vs. 17,4%; p = 0,81). «Wir konnten zwei Faktoren identifizieren, die positiv mit einem Einnahmeabbruch assoziiert waren», erklärte Galli. Der eine war die Komorbidität einer chronischen Herzinsuffizienz, der andere ein Lebensalter über 70 Jahre. Insgesamt zeigte die Studie jedoch, dass Pirfenidon und Nintedanib unter Praxisbedingungen sogar eine bessere Verträglichkeit aufweisen als dies das Studienprogramm nahelegt.
Aus für die Standardtherapie
Vor der Zulassung von Nintedanib und Pirfenidon wurde die IPF mit der Dreifachtherapie aus Prednisolon, Azathioprin und Acetylcystein behandelt. Schon eine 2012 publizierte Studie legte nahe, dass diese Behandlung den Patienten eher schadet und zahlreiche Nebenwirkungen verursacht. Nach Ausführung von King zeigte jetzt die kürzlich publizierte PANORAMA-Studie, dass IPF-Patienten, die mit Pirfenidon plus Acetylcystein behandelt worden waren, schlechter abschnitten als solche, die eine Monotherapie mit Pirfenidon erhalten htatten. «Diese Studie war jetzt wirklich der Todesstoss für die Behandlung der IPF mit Acetylcystein, wir sollten diese Substanz nicht mehr in dieser Indikation einsetzen», so der Rat von King. Viele Fragen zur Behandlung der IPF können heute noch nicht beantwortet werden. So ist unklar, welche Therapie ausgewählt werden soll. Die Wirksamkeit von Nintedanib und Pirfenidon ist Studien zufolge ähnlich, allerdings könnten bestimmte Subgruppen eher von der einen oder der anderen Substanz profitieren. «Wir wissen auch nicht, wann wir die Therapie beginnen oder beenden sollen», erklärte King. Eine Untersuchung an Patienten mit neu diagnostizierter IPF, die am ATS-Kongress vorgestellt wurde, zeigte, dass im Vergleich zu Gesunden die grössten Einschränkungen durch das Symptom Husten und in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bestehen. Da die Lebensqualität sich auch mit Abnahme der Lungenfunktion verschlechtert, verdeutlicht dies, dass Patienten vermutlich möglichst früh einer Behandlung zugeführt werden sollten. Auf alle Fälle ist es sinnvoll, zwischen den Substanzen Nintedanib und Pirfenidon zu wechseln, falls eine nicht mehr wirkt. «Da IPF-Patienten inzwischen länger leben, wird die Behandlung von Komorbiditäten immer wichtiger», so King. Auch die Rolle des Rauchens ist noch nicht ganz klar. Jeder Patient sollte natürlich zu einem Rauchstopp ermuntert werden. Nicht zuletzt gehört auch ein umfassender Impfschutz zum erfolgreichen Management der IPF-Patienten.
Susanne Kammerer
Quellen: Präsentationen beim Jahreskongress der American Thoracic
Society (ATS), 13. bis 18. Mai 2016 in San Francisco:
– King T: Idiopathic pulmonary fibrosis: past, present, future. Abstract
# 12863.
– Kreuter M et al.: Efficacy of nintedanib on acute exacerbations reported as serious adverse events in the INPULSIS® trials in idiopathic pul-
monary fibrosis (IPF). Abstract # 5482.
– Galli JA et al.: Pirfenidone and Nintedanib for Pulmonary Fibrosis in
Real-World Clinical Practice: Tolerability and Adverse Drug Reactions.
Abstract # 8819.
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