Transkript
Pollenflug im Wandel
Welche Rolle spielen Klima und Umweltfaktoren?
AIU
Die Anzahl der Allergiker, die unter dem Flug unterschiedlicher Pollen leiden, nimmt kontinuierlich zu. Darüber hinaus scheinen die Leidtragenden von Jahr zu Jahr über einen immer länger werdenden Zeitraum hinweg mit den Allergenen konfrontiert zu sein. Umso wichtiger ist es, den Gründen für diese Entwicklung wissenschaftlich nachzugehen.
Der Klimawandel lässt das Risiko für die Entwicklung einer Pollenallergie bei den Menschen ansteigen – nicht zuletzt, weil durch die Klimaerwärmung die Pollensaison verlängert wird. Darüber hinaus spielt die Konzentration der Pollen in der Luft eine entscheidende Rolle. Dass Ozon und ultrafeine Partikel beim Menschen die Entwicklung von Allergien fördern, ist bereits bekannt. Welche konkreten Faktoren die Ausbreitung von Allergien begünstigen, untersuchten unter anderem Wissenschaftler um Dr. Bernard Clot vom Federal Office for Meteorology and Climatology MeteoSwiss. In den Neunzigerjahren wurden in mehreren europäischen Ländern Pollenüberwachungsstationen gegründet, um den Zusammenhängen zwischen Umweltveränderungen und dem Anstieg der Allergieprävalenzen nachzugehen.
Pollensaison beginnt immer früher
In den vergangenen Jahren lag der Fokus der Untersuchungen auf dem Klimawandel. Insbesondere wurde diesbezüglich die Ausdehnung der Pollensaison beobachtet. Denn immer früher im Jahr beginnt der Pollenflug, da die Frühlingstemperaturen schneller ansteigen. Es fliegen quantitativ mehr Pollen, und auch die Qualität der Pollen verändert sich. Sie entwickeln mehr und sogar aggressivere Allergene. Wetterextreme – wie Trockenheit, Überschwemmungen, Brände – oder Erkrankungen der Pflanzen wirken sich ebenfalls auf die Pollenentwicklung aus. Die Auswertungen der Daten zeigten, dass der Klimawandel nicht als einzige Ursache für den Anstieg der Allergene in der Luft verantwortlich ist. Neben dem Klimawandel verschlimmern auch Faktoren wie Kohlendioxidkonzentration, Umweltverschmutzung, Urbanisierung und Monokulturen in der Landwirtschaft die Allergieproblematik. So verstärkt beispielsweise eine erhöhte Kohlendioxidkonzentration die Pollenproduktion der Pflanzen, gesteigerte Ozonwerte verstärken die Aggressivität der Allergene in den Pollen, und Feinstaubpartikel in der Luft erhöhen die Freisetzung von Allergenen aus den Pollen (1). Das Pollenkorn ist für die Produktion der Allergene sowie anderer entzündungsfördernder Substanzen verantwortlich. Sowohl bei einer Klimaerwärmung als auch in Gegenwart von Luftschadstoffen kann sich die Pollenkonzentration deutlich erhöhen. Neuere Ergebnisse zeigen, dass der Allergengehalt einer Pollenkornart unter verschiedenen Bedingungen um den Faktor 10 variieren kann.
Zusätzlich wurde untersucht, wie sich die Vegetationen in den Städten und auf dem Land im Vergleich zur natürlichen Vegetation entwickelt haben. Ferner wurde überprüft, welche Rolle das Wetter vor und während der Pollensaison spielt. Es zeigte sich, dass Umwelt, Klima und Wetter jeweils die Pollenquellen als solche, die Freisetzung der Allergene, die Ausbreitung sowie die Aggressivität der Pollen beeinflussen.
Monokulturen als Problem
Welche Pflanzen in den einzelnen Regionen vorzufinden sind, wird bestimmt durch die Höhenlage, die Bodenbeschaffenheit, die Bodennutzung, die Urbanisierung der Umgebung, die landwirtschaftliche Nutzung, das langfristige Klima sowie die Tendenz zu extremen Wetterbedingungen. All diese Faktoren zeigen eine Wirkung auf die Vegetationstypen, die Artenvielfalt, das Klima in der Stadt und mögliche Wärmeinseln. Untersuchungen zeigten, dass Pflanzen der gleichen Art im Stadtgebiet, beispielsweise an stark befahrenen Strassen, aggressivere Allergene in den Pollen aufweisen als die vergleichbaren Pflanzen in ländlichen Regionen. Die Pollen enthalten je nach Verkehrsintensität auch unterschiedliche Mengen an Allergenen (2).
Fazit
Durch den Klimawandel, aber auch durch allgemeine Umweltverschmutzung setzen Pollen mehr Allergene und mehr entzündungsfördernde Substanzen frei, wodurch Allergiker mehr Symptome entwickeln. Die Allergene in den Pollen werden durch Umweltverschmutzungen (z.B. hohe Ozonwerte) aggressiver. Darüber hinaus gibt es Anzeichen dafür, dass es in der Luft allergene Partikel gibt, die sogar noch kleiner sind als Pollenkörner, was bei der Entwicklung von möglichen Desensibilisierungsmethoden von Interesse sein könnte. Insgesamt erhöhen die Veränderungen der Umwelt das Risiko für Allergien, was insbesondere in Städten immer deutlicher wird. Bei der Allergieprävention sollte somit als Erstes an den Umweltschutz gedacht werden, und zwar über die Klimaerwärmung hinaus, so Clot. Der Wissenschaftler hält es für sinnvoll, besonders Politiker über die Möglichkeiten zu informieren, wie sich die Ausbreitung der Allergene nach den jüngsten Forschungsergebnissen limitieren lässt.
Christina Thonack
Pollen verschiedener Pflanzen in 500-facher Vergrösserung, colorierte EM-Aufnahme.
Foto: Dartmouth Electron Microscope Facility/wikimedia commons
CongressSelection Allergologie/Immunologie/ORL • Juli 2016 • 7
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Referenzen: 1. Ziska LH et al.: Anthropogenic climate change and allergen exposure: The role of plant biology. J Allergy Clin Immunol 2012; 129 (1):27–32. 2. Ghiani et al.: Ragweed pollen collected along high-traffic roads shows a higher allergenicity than pollen sampled in vegetated areas. Allergy 2012; 67: 887–894.
Quelle: Symposium III «Allergology» am Allergy and Immunology Update (AIU), 6. Februar 2016 in Grindel-wald.
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