Transkript
AAAAI
INTERVIEW
Allergologie: Prävention und Therapie im Wandel
Interview mit Professor Peter Schmid-Grendelmeier
Der Kongress der American Academy of Allergy, Asthma and Immunology (AAAAI) zählt zu den alljährlichen Highlights auf diesem Gebiet. Viele Europäer zog es auch in diesem Jahr dorthin, um sich über die aktuellen Entwicklungen auszutauschen. Es fiel auf, dass sich auch die aktiven europäischen Beiträge sehen lassen können. Dies wurde in unserem Gespräch mit Prof. Peter Schmid-Grendelmeier, Zürich, deutlich, der seine Eindrücke vom Kongress im Interview schilderte.
Peter Schmid-Grendelmeier
Was waren für Sie die grössten Highlights am diesjährigen AAAAI-Kongress? Zum Beispiel die neuen Medikamente bei schweren entzündlichen Erkrankungen, die Biologika vor allem. Sowohl beim Asthma als auch bei Neurodermitis wurden sehr gezielt wirkende Biologika entwickelt. Und die präsentierten Daten sind sehr vielversprechend. Ein Beispiel ist Dupilumab bei atopischer Dermatitis. Der Trend zur personalisierten Medizin auch in diesem Bereich ist mit solchen hochspezifischen Medikamenten nun auch bei allergischen Erkrankungen zunehmend stärker.
Was gibt es Neues zur Prävention? Da scheint sich durchaus zu bestätigen, dass man mit den bis anhin üblichen Ratschlägen aufpassen muss. Die LEAP-On-Studie hat gezeigt, dass bei Säuglingen die frühe Beifütterung von Erdnussprodukten das Risiko für eine manifeste Erdnussallergie nicht erhöht, sondern sogar reduziert. Inzwischen gibt es auch andere Gruppen, die das bestätigen konnten. Wenn man also viel von etwas isst, scheint es eher zur Toleranz als zur allergischen Reaktion zu kommen. Der Einsatz von hypoallergenen Milchprodukten ist nicht eindeutig belegt; eine positive Wirkung zeichnet sich aber bei einzelnen Produkten ab.
LEAP-ON: FRÜHER ERDNUSSKONSUM BEGÜNSTIGT DIE TOLERANZ
Eine Erdnussallergie entwickelt sich bereits sehr früh, wächst sich nur selten aus und bleibt daher meist ein Leben lang bestehen. Und ihre Prävalenz nimmt dramatisch zu: Derzeit sind bis zu 3 Prozent der Kinder in Westeuropa, den USA und Australien davon betroffen. Die jahrzehntelang propagierte Strategie der Allergenmeidung hat sich inzwischen als Irrweg erwiesen: Bereits im letzten Jahr hat die LEAP-Studie gezeigt, dass Kinder mit einem hohen Allergierisiko, die bereits früh im Leben und regelmässig erdnusshaltige Produkte konsumieren, seltener allergische Sensibilisierungen entwickeln als diejenigen, die eine erdnussfreie Ernährung erhalten. In diesem Jahr wurde nun die Fortsetzungsstudie LEAP-On präsentiert, in der die Daten von 550 der ursprünglichen 628 Teilnehmer der LEAP-Studie ausgewertet werden konnten. 280 stammten aus der Erdnussvermeidungsgruppe und 270 aus der Erdnusskonsumgruppe. Alle Teilnehmer sollten nun für 12 Monate auf den Erdnusskonsum verzichten. Danach fand eine gründliche Allergietestung mit oralem Erdnussprovokationstest, Fragebogenerhebung, Pricktestung sowie Bluttest auf erdnussspezifische Immunmarker (IgE und IgG4) statt. Das Ergebnis: Im Alter von 6 Jahren führte die Erdnusskarenz in der ehemaligen Erdnusskonsumgruppe zu keinem signifikanten Anstieg der allergischen Sensibilisierungen. Sie lag nach 5 Jahren, also gegen Ende der LEAP-Studie, bei 3,6 Prozent (10/274) und nach 1 Jahr Karenz bei 4,8 Prozent (13/270). Das bedeutet, dass lediglich 3 weitere Kinder eine allergische Reaktion entwickelt hatten. In der Vergleichsgruppe, die immer schon die Erdnusskarenz hatte, waren es nach 6 Jahren 18,6 Prozent – auch hier entwickelten genau 3 Kinder eine neue Erdnussallergie im 6. Lebensjahr. Insgesamt zeigte sich also durch den frühen Konsum von Erdnussprodukten eine Reduktion des Risikos für eine Erdnussallergie um 74 Prozent im Vergleich zur Vermeidungsstrategie. Die Studie LEAP-On bestätigte, dass dieser protektive Effekt auch bei einer längeren Konsumpause erhalten bleibt.
Quelle: Vortrag von Gideon Lack «Does Tolerance to Peanut Persist After Prolonged Avoidance? The LEAP-On Study» beim AAAAI-Kongress, 4. März 2016 in Los Angeles. Du Toit G et al.: Effect of Avoidance on Peanut Allergy after Early Peanut Consumption. NEJM 2016; doi: 10.1056/NEJMoa1514209.
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Beratung von Eltern mit hohem erblichem Allergierisiko? Dass man heute zu einer breiteren Ernährung rät und weniger zu Elimination und Verboten – auch bei Kindern mit hohem Allergierisiko. Das hat auch schon Eingang gefunden in die Leitlinien, also in die Präventionsempfehlungen. Die deutsche Leitlinie wurde bereits entsprechend modifiziert.
Welche Rolle spielen Mikroben bei der Entwicklung von Allergien? Da hat unter anderem Prof. Erika von Mutius aus München (D) neue Daten präsentiert. Demnach kann das Mikrobiom, also die bakterielle Besiedelung von Haut, Darm und anderen Organen, möglicherweise allergische Krankheiten beeinflussen. Hier zeichnen sich viele neue Erkenntnisse ab, die wahrscheinlich mittelfristig auch im klinischen Alltag eine Rolle spielen werden. Es gibt zum Beispiel Ansätze, durch gezielte Beeinflussung der Darmflora, zum Beispiel durch Probiotika oder Ernährungsumstellung, immunologische Prozesse aktiv und gezielt zu modulieren. Wir stehen hier allerdings noch am Anfang der Entwicklung.
Welchen Stellenwert hat nach Ihrer Einschätzung die Schweizer Allergieforschung im internationalen Vergleich? Sehr viele Beiträge lieferte das Swiss Institute of Allergy and Asthma Research (SIAF), also Prof. Cezmi Akdis und seine Gruppen aus Davos.
8 • CongressSelection Allergologie/Immunologie/ORL • Juli 2016
AAAAI
Die Gruppe aus Genf, mit Dr. Philippe Eigenmann und anderen, hat spannende Erkenntnisse zur frühkindlichen Ernährung vorgestellt. Im Prinzip bestätigen die Arbeiten seiner Gruppe die Erkenntnis, dass man mit breiterer Ernährung eine bessere Allergieprotektion erzielt. Dann haben sie gezeigt, welche Kinder mit bestimmten Formen von Allergien gegen Hühnereiweiss zum Beispiel bei Impfungen gefährdet sind. Der Grundlagenforscher Prof. Hans-Uwe Simon aus Bern berichtete über seine neuesten Erkenntnisse zur eosinophilen Ösophagitis (EoE). Zu diesem Thema hat auch der Gastroenterologe Dr. Alex Straumann aus Olten etwas beigetragen. Die eosinophile Ösophagitis ist immer noch ein recht unbekanntes Krankheitsbild. Man sollte daran denken bei Patienten, die unklare Schluckbeschwerden bei festen Speisen haben und über entsprechende Symptome wie Regurgitationen klagen. Frau PD Dr. Dagmar Simon vom Inselspital Bern hat auf die Bedeutung der Patientenedukation bei Neurodermitis hingewiesen. Das machen wir in der Schweiz im grossen Rahmen, zum Beispiel durch das aha! Allergiezentrum Schweiz. Der geschulte Patient kann mit der Krankheit besser umgehen. Letztlich reduzieren sich bei informierten Patienten sowohl die Schübe als auch die Kosten für Medikamente und so weiter. Deswegen wird die Patientenedukation zum Beispiel in Deutschland sogar von den Kassen erstattet. Daran arbeiten wir auch in der Schweiz, aber wahrscheinlich dauert das noch etwas.
Das Interview führte Adela Žatecky.
ALLERGIEPRÄVENTION DURCH MODULATION DER DARMFLORA
Möglicherweise könnte durch den Konsum von Joghurt und anderen fermentierten Milchprodukten in der frühesten Kindheit das Risiko für die Entwicklung allergischer Sensibilisierungen reduziert werden. Entsprechende Ergebnisse einer Arbeitsgruppe um die Münchner Allergieexpertin Prof. Erika von Mutius wurden auf dem Kongress der AAAAI in einer Late-Breaking-Session von Caroline Roduit vorgestellt. Kurzkettige Fettsäuren (short-chain fatty acids: SCFA) sind Stoffwechselprodukte, die von Mikroben produziert werden, entweder in vergorenen Nahrungsmitteln oder auch im Darm durch Vergärung von Ballaststoffen. Im Tierversuch konnten für SCFA antiinflammatorische Eigenschaften nachgewiesen werden. Mit ihrem Team untersuchte von Mutius daher die Möglichkeit einer therapeutischen Nutzung von SCFA in der Prävention und Therapie allergischer Erkrankungen. Im Rahmen einer Geburtskohortenstudie zeigte sich eine Assoziation zwischen dem Verzehr von Joghurt im ersten Lebensjahr und den fäkalen Butyratspiegeln. Die Kinder mit den höchsten Butyratspiegeln wiesen zudem ein signifikant reduziertes Risiko für die Entwicklung einer Sensibilisierung gegenüber Inhalationsallergenen auf. Ein ähnlicher Trend wurde auch in Bezug auf Asthma, atopische Dermatitis und Sensibilisierungen gegen Nahrungsmittelallergene registriert. Eine weitere Bestätigung des Zusammenhangs zwischen SCFA-Konzentration und allergischer Sensibilisierung fanden die Forscher in Tierversuchen. Bei Mäusen führte die orale SFCA-Applikation zur signifikanten Reduktion der allergischen Atemwegsentzündung nach Sensibilisierung auf Ovalbumin oder Hausstaubmilbe. Dabei erwies sich von den getesteten SFCA wiederum Butyrat als das effektivste – die orale Gabe von Butyrat reduzierte zudem die Konzentrationen an Th2-Zytokinen in den Lungenzellen.
Quelle: Late Breaking Poster Session, Poster L1 «Potential Role of Gut» beim AAAAI-Kongress, 4. März 2016 in Los Angeles.