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ECCO
INTERVIEW
«Wir brauchen bessere Prognoseverfahren»
Interview mit Prof. Gerhard Rogler
Foto: KD
Gerhard Rogler
Neue interessante Substanzklassen werden die Therapieoptionen bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa in naher Zukunft spürbar erweitern. Allerdings würden bessere prognostische Verfahren eine deutlich zielgerichtetere und damit effektivere Behandlung möglich machen, sagt Prof. Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich im Interview an der Jahrestagung der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) in Amsterdam.
Herr Professor Rogler, bei der Therapie von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) tut sich ja derzeit einiges. Was würden Sie da herausheben? Es kristallisiert sich ganz klar heraus, dass uns in absehbarer Zeit mindestens zwei neue Substanzklassen zur Therapie von CED zur Verfügung stehen werden. Das sind einerseits die Januskinase-Inhibitoren und andererseits die Anti-IL12/23-Therapien. So haben sich die positiven Ergebnisse zum IL12/23-Inhibitor Ustekinumab erhärtet. Aber auch andere Vertreter in dieser Substanzgruppe wurden vorgestellt, wie zum Beispiel ein Wirkstoff, der selektiv an die p19-Untereinheit von IL-23 bindet. Auch bei den JAK-Inhibitoren gibt es erfreuliche Daten. So zeigte sich Filgotinib bei der Behandlung von Morbus Crohn wirksam. Tofacitinib war da eher enttäuschend, erwies sich aber bei Colitis ulcerosa als effektiv. Trotz der gleichen Substanzklasse scheinen die JAK-Inhibitoren unterschiedlich gut zu wirken.
Die Hälfte der Patienten hat in den ersten fünf Jahren
nach Beendi un der Biolo ikatherapie wieder einen
Schub.
«Ich finde
schon, dass man bei kompletter
Remission
und kompletter Mukosaheilun
nach einer
ewissen Zeit einen Therapiestopp
»wa en kann. Ich sehe deshalb das Glas eher halb voll.
Positiv sind auch die Real-Life-Daten des Integrin-Antagonisten Vedolizumab aus Deutschland und Frankreich. Sie sind deutlich besser, als die Ergebnisse der grossen Studien erwarten liessen. Auch scheinen die Unterschiede bei der Therapie mit Vedolizumab zwischen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gar nicht mehr so gross zu sein.
Welchen Platz haben Anti-IL12/23-Therapien? Die Daten zu den Anti-IL12/23-Strategien scheinen besonders dann gut zu sein, wenn der Patient ein TNF-alpha-Non-Responder ist. Das könnte gerade für solche Patienten eine Alternative sein, bei denen nicht TNF-alpha, sondern andere Entzündungsprozesse angeschaltet sind. Der einzige Wermutstropfen: Es konnten bislang keine Faktoren identifiziert werden, die die Response auf die Therapie vorhersagen. Es wäre natürlich von extrem grossem Vorteil, wenn wir von vornherein sagen könnten, das ist ein TNF-Responder und das ein IL23-Responder. Unsere Patienten schätzen das «Trial-and-error»-Spiel nicht. Wenn wir bessere Prognoseverfahren hätten, könnten wir einige Frustrationen und hohe Kosten vermeiden.
Bei wem ein Stopp der Biologikatherapie einen Relapse verursacht, lässt sich leider auch nicht voraussehen. Ja, rund die Hälfte der Patienten hat in den ersten fünf Jahren nach Beendigung der Therapie wieder einen Schub. Das kann man so oder so sehen. Ist das Glas halb voll oder ist es halb leer? Man kann sagen: 50 Prozent hatten zuvor eine komplette Mukosaheilung, und durch das Absetzen der Biologika ist der Darm wieder entzündet. Auf der anderen Seite bekommen 50 Prozent innerhalb von fünf Jahren keinen Schub. Wenn ich bei denen die Behandlung fortführe, ist es sinnlos. Entscheidend ist jedoch, dass die Re-Induktion der Therapie in den meisten Fällen wieder zum Erfolg führt. Das ist die Voraussetzung. Ich finde schon, dass man bei kompletter Remission und kompletter Mukosaheilung nach einer gewissen Zeit einen Therapiestopp wagen kann. Ich sehe deshalb das Glas eher halb voll.
Auch zur Talspiegelmessung von TNF-alpha-Inhibitoren gibt es neue Erkenntnisse. Das hat mir sehr gut gefallen. Bei Adalimumab war die Durchführung der Talspiegelmessung immer recht schwierig. Wie will man bei jemandem, der sich daheim selbst injiziert, den Talspiegel bestimmen? Jetzt wurde in
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einer kleinen Studie aus Israel festgestellt, dass die Level über die zwei Wochen nach der Injektion kaum schwanken. Mehr noch: Es existiert gar kein richtiger Talspiegel, weil der Wirkstoff subkutan gleichmässig freigesetzt wird. Also brauchen wir bei Adalimumab auch keine Talspiegel zu messen, wir können jederzeit eine aussagekräftige Spiegelmessung veranlassen. Das war eine einfache, aber für unsere Praxis sehr hilfreiche Studie. Bei Infliximab ist die Talspiegelmessung direkt vor der nächsten Infusion aber weiterhin am sinnvollsten.
Was halten Sie davon, mit Stammzellen gegen Fisteln vorzugehen? Ich sehe diese Daten etwas kritisch. Bei dieser Studie wurden die Fistelgänge der Betroffenen kürettiert, also das Fistelepithel so weit wie möglich entfernt. Was ich mich dabei frage, ist, ob tatsächlich die Stammzellen den therapeutischen Effekt machen oder nicht doch eher die chirurgische Mikromanipulation am Fistelgang. Abgesehen davon ist dieses Verfahren unglaublich aufwendig. Man muss zum Beispiel unter GMP-Bedingungen mesenchymale Zellen entnehmen, die sich dann vermehren und schliesslich re-differenzieren. Ich sehe nicht, dass Stammzellentherapie gegen Fisteln in naher Zukunft eine für viele Menschen zugängliche Option wird.
Dann schon eher die Übertragung von Stuhl eines gesunden Spenders in den Darm einer erkrankten Person … Das Problem ist, dass wir bei Stuhltransplantationen immer noch nicht wissen, wie der Spender beschaffen sein muss. Aber für die Colitis ulcerosa ist sicher etwas möglich, für Morbus Crohn aber nicht. Man sollte jetzt nicht jedem Colitis-Patienten blind Stuhl übertragen. Ich meine aber, dass mit der gezielten Veränderung der Darmflora ein therapeutischer Gewinn erlangt werden kann. Unsere Aufgabe muss es sein, möglichst herauszufinden, wie wir das optimieren können. Eine Stuhltransplantation macht dann Sinn, wenn die Erfolgsquote
über 30 Prozent liegt. Wir wissen einfach noch nicht, welcher Spender zu welchem Empfänger passt. Bisher ist es letztlich auch nur «Trial-and-Error».
Wie war Ihr Gesamteindruck vom Kongress? Ausser den erwähnten Studien zu den neuen Substanzen wurden in diesem Jahr wenig grundlegend neue Erkenntnisse präsentiert. Es gab Studien, in denen die Langzeitverträglichkeit der traditionellen TNF-alpha-Inhibitoren bestätigt wurde. Zudem konnte gezeigt werden, dass über grossflächige Entzündungen bei Morbus Crohn die Patienten signifikante Mengen Anti-TNF in den Darm verlieren. Es wurde auch noch einmal bestätigt, dass Patien-
«Wenn man das Neueste und Beste zu Morbus Crohn
und Colitis ulcerosa hören will, lohnt es sich derzeit
»in der Tat am meisten, zum ECCO Meetin zu ehen.
ten mit langjähriger starker Entzündungsaktivität bei Colitis ulcerosa oder bei Morbus Crohn ein erhöhtes Risiko für Neoplasien besteht. Aber auch das ist schon länger bekannt. Dennoch war die Qualität der Präsentationen sehr hoch. Wenn man das Neueste und Beste zu Morbus Crohn und Colitis ulcerosa hören will, lohnt es sich derzeit in der Tat am meisten, zum ECCO Meeting zu gehen. Nirgendwo sonst bekommt man so kondensiert so viel Information zu chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Erfreulich finde ich auch, dass die spezialisierte Pflege einen immer grösseren Raum einnimmt und man sich viele Gedanken zu einer optimierten Versorgung macht. Das ist neben einer verbesserten Therapie für die Patienten ja genauso wichtig.
Das Interview führte Klaus Duffner.
ECCO-Guidelines für Patienten
«Die ECCO hat eine Menge in verschiedene Fachguidelines investiert, die alle Aspekte hinsichtlich der Diagnose und des Managements von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa abdecken. Diese Empfehlungen sind ein exzellentes Werkzeug für alle Ärzte, die CED-Patienten behandeln. Allerdings», gab Prof. Dr. Severine Vermeire vom Universitäts-Hospital Leuven auf einer Pressekonferenz der europäischen Crohn´s and Colitis Organisation in Amsterdam zu bedenken, «sind sie weder in einer verständlichen Form für diese Patienten geschrieben, noch reflektieren sie die Sicht der Betroffenen auf ihre Krankheit.» Aus diesem Grund hätten sich ab Ende 2014 mehr als drei Dutzend Experten aus verschiedenen europäischen Ländern für chronisch entzündliche Darmerkrankungen – darunter Patientenvertreter, CED-Pflegefachkräfte und Gastroenterologen – getroffen, um in zwei
Arbeitsgruppen Patientenguidelines für Morbus Crohn
und für Colitis ulcerosa zu entwickeln. Grundlage für die
Empfehlungen waren einerseits rund 50 aktuelle ECCO-
Statements, welche für Personen mit CED relevant sein
könnten. Andererseits wurden die Inputs der Mitglieder
dieser beiden Fachgremien mit einbezogen. Im Zentrum
standen die Diagnose und klinische Symptome, das
Management der aktiven Erkrankung und die Erhaltung
der Remission. Auch die Symptome häufiger extraintes-
tinaler Manifestationen und deren Behandlung fanden
Eingang in das Papier. Das Dokument sollte CED-Patien-
ten dabei helfen, ihre Krankheit besser zu verstehen und
ihren Therapiealgorithmus eher zu akzeptieren. Letzt-
lich, so die Mitglieder der Arbeitsgruppe, würde dies das
Therapiemanagement unterstützen und die Lebensqua-
lität der Betroffenen verbessern.
KD
Die in Amsterdam vorgestellten Patientenempfehlungen sind auf der ECCO-Internetseite abrufbar: https://www.ecco-ibd.eu/ index.php/publications/eccoefcca-patient-guidelines.html
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