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ECCO
Neue Therapieoptionen am CED-Horizont
Biologika und Small Molecules als Hoffnungsträger bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
Fotos: KD
Bei der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) tut sich etwas: Neue Substanzen mit zum Teil völlig neuen Wirkmechanismen drängen auf den Markt. Sie bieten Ärzten und Patienten mehr und spezifischere Therapieoptionen, wie an der Jahrestagung der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) in Amsterdam deutlich wurde.
Jean-Frédéric Colombel Severine Vermeire
Trotz der Fortschritte in der Therapie von Colitis ulcerosa (CU) und Morbus Crohn (MC) ist die Situation für viele CED-Betroffene immer noch sehr unbefriedigend. Daher war die Freude von Prof. Jean-Frédéric Colombel vom Mount Sinai Hospital in New York über das therapeutisch «fantastische Meeting» in Amsterdam verständlich. Für ihn sind «nach Jahren der Frustration nun endlich neue Substanzen wie Integrin-Inhibitoren, Interleukin-12/23Blocker oder Januskinase-Inhibitoren in Sicht».
Integrin-Inhibitoren
Integrine helfen Entzündungszellen dabei, an die Darmwand anzudocken und damit diese zu schädigen. Vedolizumab ist ein sehr selektiver monoklonaler Antikörper, der gezielt das Adhäsionsmolekül α4β7-Integrin blockiert. Dadurch wird verhindert, dass sich Entzündungszellen an die Darmwand heften und Entzündungen auslösen. Damit können sich bestehende Entzündungsherde beruhigen. In der nun am ECCO vorgestellten Studie GEMINI I erreichten signifikant mehr Patienten mit Colitis ulcerosa unter einer Behandlung mit Vedolizumab im Vergleich zu Plazebo nach 6 Wochen ein klinisches Ansprechen (47,1% vs. 25,5%). Nach 52 Wochen (300 mg i.v. alle 4 Wochen) war bei rund der Hälfte eine klinische Remission (44,8% vs. 15,9%) beziehungsweise eine Mukosaheilung (56,0% vs. 19,8%) zu beobachten. Auch ein gutes Drittel (35%) derjenigen Patienten, deren Anti-TNF-Behandlung zuvor gescheitert war, befand sich nach 52 Wochen noch in klinischer Remission (Plazebo 5,3%) (1).
Januskinase-Inhibitoren
Januskinasen (JAK) fungieren als Mittler zwischen dem inneren und dem äusseren Zellraum, das heisst, sie sind im Gegensatz zu herkömmlichen Biologika intrazellulär aktiv. Werden diese Enzyme oder ihre Produktion blockiert, können wichtige Signale, zum Beispiel zur Zytokinproduktion, nicht mehr weitergeleitet werden. Dadurch werden Zytokin-vermittelte Entzündungs- und Immunprozesse gehemmt. In dem Phase-III-Studien-Programm OCTAVE 1 und 2 erhielten knapp 1200 Patienten mit moderater bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa nach einer 2-monatigen Induktionsphase über 52 Wochen den oralen JAK-Inhibitor Tofacitinib (2). Dabei erreichten 18,5 beziehungsweise 16,6 Prozent der Teilnehmer eine
komplette Remission nach 8 Wochen (Plazebo 8,2% bzw. 3,6%). Bei den zuvor vergeblich mit Anti-TNF-α-Behandelten zeigten 24 und 21 Prozent eine Mukosaheilung (Plazebo 6,2% bzw. 6,2%). Verbesserungen bereits 2 Wochen nach Behandlungsbeginn sprächen für einen frühen Effekt sprechen, sagte Prof. Geert D’Haens von der Universität Amsterdam. Im Gegensatz zu den positiven Ergebnissen bei Colitis ulcerosa waren die Tofacitinibresultate in einer Phase-IIStudie mit Crohn-Patienten enttäuschend. Dies war bei Filgotinib – ebenfalls ein neuer selektiver JAK-Inhibitor – anders. In einer am ECCO vorgestellten Studie (FITZROY) zeigten 60 Prozent der Crohn-Patienten eine klinische Response (Plazebo 41%), 48 Prozent befanden sich in klinischer Remission (Plazebo: 23%) (3). Dies schlug sich auch in der Verbesserung der Lebensqualität messbar nieder, wie Prof. Severine Vermeire vom Universitätshospital Leuven/Niederlande erklärte. Sowohl Tofacitinib als auch Filgotinib wurden gut vertragen.
Interleukin-12/23-Inhibitoren
Auch die Interleukine IL-12 und IL-23 spielen bei Entzündungsvorgängen im Körper eine zentrale Rolle. Entsprechend lassen sich mit IL12/23-Inhibitoren Zytokine blockieren und Entzündungen zurückdrängen. Am ECCO wurde nun eine Phase-III-Studie (UNITI 1) präsentiert, in der 741 Crohn-Patienten mit dem humanen Antikörper Ustekinumab (zwei Gruppen: Fixdosis von 130 mg oder höhere, gewichtsadaptierte Dosis von 260–520 mg) oder Plazebo behandelt wurden (4). Interessant dabei: Alle Teilnehmer hatten eine vorhergehende gescheiterte Therapie mit TNF-α-Blockern hinter sich. Ein klinisches Ansprechen erreichten nach 6 Wochen rund ein Drittel der mit Ustekinumab (34,3% bei Fixdosis, 33,7% bei gewichtsadaptierter Dosis) behandelten Teilnehmer und 21,5 Prozent der Plazebopatienten. Eine klinische Remission wurde nach 8-wöchiger Ustekinumab-Therapie bei 15,9 Prozent mit der niedrigeren Dosierung und bei 20,9 Prozent mit der höheren Dosierung beobachtet, aber nur bei 7,3 Prozent mit Plazebo.
TNF-α-Inhibitoren
Zur Behandlung von Patienten mit Morbus Crohn sind in der Schweiz drei TNF-α-Hemmer und ein Integrin-Inhibitor zugelassen (s. Kasten). Zwei davon, Adalimumab
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und Infliximab, wollte Dr. Steven Jeuring vom University Medical Centre in Limburg/Niederlande in einer RealLife-Population miteinander vergleichen (5). Dazu analysierte er retrospektiv Daten von 1162 Crohn-Patienten. 84 von ihnen erhielten als First-Line-Therapie Adalimumab und 295 Infliximab. Alle waren sich punkto Alter, Krankheitsbeginn und -verlauf sehr ähnlich. Nach 5 Jahren hatten mehr mit Adalimumab behandelte als mit Infliximab behandelte Patienten die Therapie abgebrochen (68% vs. 58%). Allerdings zeigten die Abbruchraten nach Adjustierung auf medizinische Gründe keine Unterschiede mehr und waren im 5-Jahres-Zeitraum in beiden Gruppen ähnlich (20,9% vs. 24,6%). Höhere Abbruchraten waren assoziiert mit weiblichem Geschlecht, kürzerer Dauer zwischen Diagnose und erster Anti-TNFBehandlung (!) sowie mit stärkerer Krankheitsausprägung. Die gleichzeitige Therapie mit Immunsuppressiva zeigte keine Tendenz zum vorzeitigen Therapieende. Innerhalb von 6 Monaten nach Therapieversagen mussten sich 8,3 Prozent der Adalimumab- und 16,3 Prozent der Infliximab-Patienten einem chirurgischen Eingriff unterziehen, 11,5 beziehungsweise 16,8 Prozent wurden hospitalisiert und 37,0 beziehungsweise 27,6 Prozent wechselten auf einen anderen TNF-α-Hemmer.
Wirkung von Anti-TNF-α auf extraintestinale Manifestationen
Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen leiden häufig auch unter extraintestinalen Beschwerden. Dazu gehören muskuloskelettale Schmerzen, Arthritis, Schleimhautentzündungen, Fisteln, Fissuren, Läsionen, wie zum Beispiel ein Erythema nodosum, Psoriasis, aphthöse Stomatitiden oder hepatische Manifestationen. Bis zu 5 Prozent der Patienten leiden zudem unter Augenentzündungen, wie Episkleritis oder Uveitis. In Amsterdam wurde eine Studie vorgestellt, nach der muskuloskelettale Beschwerden bei Patienten, die den TNF-αAntagonisten Adalimumab erhalten hatten, nach 20 bis 26 Wochen signifikant häufiger zurückgingen als bei Patienten unter Plazebo (53% vs. 29,5%) (6). Nach 52 bis 54 Wochen betrugen die Heilungsraten 60,3 Prozent versus 42,1 Prozent. Zudem wurde gezeigt, dass die Abheilungsrate perianaler Fisteln unter einer Erhaltungstherapie mit Adalimumab über 4 Jahre von 55,2 Prozent in Woche 26 bis auf 65,2 Prozent in Woche 212 angestiegen war. Auch ein über längere Zeit erhöhter CRP-Wert, der für CED ein prognostischer Faktor für eine Kolektomie darstellt, konnte unter dem Einfluss des TNF-α-Hemmers gesenkt werden.
Zweiter Anti-TNF-α nach gescheiterter Ersttherapie
Rund 10 bis 15 Prozent der Patienten mit Morbus Crohn reagieren nicht auf eine Anti-TNF-Behandlung, 30 Prozent verlieren im Laufe der Therapie die Response auf TNF-Inhibitoren. Am ECCO wurde eine Studie vorgestellt,
IN DER SCHWEIZ ZUGELASSENE BIOLOGIKA
Indikation Morbus Crohn
Colitis ulcerosa
TNF-α-Hemmer
Infliximab (Remicade®) Adalimumab (Humira®) Certolizumab (Cimzia®)
Infliximab (Remicade®) Adalimumab (Humira®) Golimumab (Simponi®)
Integrinhemmer Vedolizumab (Entyvio®)
Vedolizumab (Entyvio®)
in der die Wirksamkeit des TNF-Blockers Certolizumab pegol (CTP) für Patienten geprüft werden sollte, die aufgrund fehlenden Ansprechens oder einer Unverträglichkeit eine vorangegangene Anti-TNF-Behandlung abgebrochen hatten. Nach median 26 Wochen erreichten 36,8 Prozent der insgesamt 38 Teilnehmer eine klinische Remission und weitere 31,5 Prozent ein klinisches Ansprechen. Dabei erwies sich die wöchentliche 200-mgDosierung als effektiver im Vergleich zur einmal monatlichen 400-mg-Dosierung. Im weiteren Follow-up blieb die Erkrankung bei 77,7 Prozent der mit 200 mg Behandelten inaktiv (50% in klinischer Remission, 27,7% im klinischen Ansprechen).
Klaus Duffner
Referenzen: 1. Feagan B et al.: Efficacy of vedolizumab in ulcerative colitis by prior treatment failure in GEMINI I, a randomised, placebo-controlled, doubleblind, multi-centre trial. ECCO 2016; P513. 2. Panés J et al.: Improvement in patient-reported outcomes in 2 Phase 3 studies of tofacitinib in patients with moderately to severely active ulcerative colitis. ECCO 2016; P369. 3. Vermeire S et al.: Filgotinib, a selective JAK1 inhibitor, induces clinical remission in patients with moderate-to-severe Crohn’s disease: interim analysis from the Phase 2 FITZROY study. ECCO 2016; OP020. 4. Rutgeerts P et al.: A multicentre, double-blind, placebo-controlled phase 3 study of ustekinumab, a human interleukins-12/23p40 mab, in moderate-severe Crohn’s disease refractory to anti-tumour necrosis factor α: UNITI-1. ECCO 2016; OP014. 5. Jeuring S et al.: Comparative effectiveness of infliximab and adalimumab in Crohn’s disease: results from a real-life population-based cohort ECCO 2016; DOP034. 6. Louis EJ et al.: Adalimumab treatment reduces extraintestinal manifestations in patients with moderate-to-severe Crohn’s disease: a pooled analysis. ECCO 2016; P496. 7. Ferrer Bradley I et al.: Efficacy and safety of certolizumab pegol in Crohn’s disease patients with loss of response or intolerance to previous anti-TNF. ECCO 2016; P356.
Quelle: Jahrestagung European Crohn's and Colitis Organisation (ECCO), 16.–19. April 2016 in Amsterdam.
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