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ECCO
Neue Schweizer Mosaiksteine zur CED-Forschung
Eidgenössische Präsentationen am ECCO 2016
Auch Universitäten und Institute in der Schweiz leisten zu chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) bemerkenswerte Forschungsbeiträge. Dabei reicht das Forschungsspektrum von den molekularen Grundlagen von Morbus Crohn (MD) und Colitis ulcerosa (CU) bis zu verschiedenen psychosozialen Aspekten.
Stephan Vavricka
Die Swiss IBD Cohort Study online: www.ibdcohort.ch
In der Swiss IBD Cohort Study führen die wichtigsten CED-Zentren der Schweiz die Daten vieler CED-Patienten zusammen. Sie ist damit eine unerschöpfliche Quelle der Informationen zu sehr unterschiedlichen Aspekten chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Auch einige der am ECCO vorgestellten Studien bezogen sich auf diese Kohorte.
Anti-TNF-α gegen extraintestinale Manifestationen
So wollten Dr. Thomas Greuter vom Universitätsspital Zürich und seine Kollegen aus Zürich, Bern und Lausanne aus den Listen der Swiss IBD Cohort den Einfluss von drei TNF-α-Inhibitoren (Infliximab, Adalimumab, Certolizumab) auf extraintestinale Manifestationen (EIM) bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten evaluieren (1). Ausgewertet wurden die Daten von 366 CED-Patienten mit extraintestinalen Beschwerden der Jahre 2006 bis 2010. Von ihnen waren 213 mit TNF-α-Hemmern behandelt worden, die meisten (69%) nur mit einem. Die häufigsten EIM waren periphere Arthritis (75,6%), aphthöse Stomatitis (23,5%), axiale Arthropathie/ankylosierende Spondylitis (21,6%) und Uveitis (15,5%). Diese Manifestationen zeigten bei mehr als der Hälfte der Patienten ein klinisches Ansprechen auf die Anti-TNF-Therapie (54,5%). Unter Infliximab besserten sich die periphere Arthritis bei 77,6 Prozent, die aphthöse Stomatitis bei 77,8 Prozent und die ankylosierende Spondylitis bei 59,1 Prozent der Betroffenen. Auch die Verbesserungen unter Adalimumab- beziehungsweise Certolizumab-Behandlungen waren vergleichbar. Dagegen kam es nur bei 11 Patienten unter Anti-TNF-Gabe zu einem Neuauftreten von solchen Symptomen. Aufgrund dieser Ergebnisse seien Biologika als eine «wertvolle Behandlung für extraintestinale Manifestationen» zu betrachten, so die Experten von der Schweizer CED-Kohorten-Studie.
Sklerosierende Cholangitis – häufiges Begleitsymptom
Auch die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) ist ein typisches extraintestinales Symptom bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten. Sie ist eine chronische Entzündung der Gallenwege und macht im Endstadium eine Lebertransplantation nötig. Mediziner um Mont-
serrat Fraga vom CHUV in Lausanne sowie Kollegen aus Lausanne, Zürich und Bern wollten mehr über diese Erkrankung in der Schweiz wissen (2). Dazu werteten sie die Daten von 2744 Patienten der Schweizer CEDKohorte aus. 57 von ihnen litten an PSC, davon hatten 48 Colitis ulcerosa und 9 Morbus Crohn als Grunderkrankung. Als unabhängige Risikofaktoren detektierten die Forscher männliches Geschlecht (fast 3-faches Risiko), Pankolitis (fast 3-faches Risiko), Nichtraucher zum Diagnosezeitpunkt (9-faches Risiko) und frühere Appendektomie (4-faches Risiko). Die Überlebensrate der Betroffenen war in dem sechsjährigen Untersuchungszeitraum signifikant geringer als bei Patienten ohne PSC. Insgesamt knapp 5 Prozent der untersuchten Patienten, unter ihnen deutlich mehr Colitis-Patienten, litten an der Gallenwegserkrankung.
Höhe triggert Entzündung
Die Häufigkeit von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen nimmt in den industrialisierten Ländern seit mehreren Dekaden stark zu. Man geht heute davon aus, dass für die Erkrankung nur zu rund 30 Prozent eine gewisse genetische Anfälligkeit verantwortlich ist, bis zu 70 Prozent sollen dagegen Lifestyle- oder Umweltfaktoren sein. Einem Zusammenhang zwischen Aufenthalten in grosser Höhe und dem Ausbruch chronischer Darmentzündungen ist das Team um Stephan Vavricka vom Stadtspital Triemli in Zürich auf der Spur. So wurde festgestellt, dass nicht nur Aufenthalte in den Bergen in einer Höhe von über 2000 Metern, sondern auch längere Flugreisen das Risiko für Schübe chronisch entzündlicher Darmerkrankungen erhöhen. Die zuerst rein empirisch erhobenen Daten wurden in einer prospektiven Studie überprüft. Nun wurde am ECCO eine neue Untersuchung vorgelegt (3). So mussten 10 gesunde Freiwillige, 11 Patienten mit Morbus Crohn und 9 Patienten mit Colitis ulcerosa, jeweils drei Stunden in einer Druckkammer verbringen. In der Kammer wurden Bedingungen wie auf 4000 Metern Höhe simuliert, das heisst, der Körper wurde beispielsweise mit Sauerstoff unterversorgt. Eine Woche nach diesem Experiment konnte sowohl bei MC- als auch CU-Patienten ein beginnender Entzündungsprozess beobachtet werden. Der Sauerstoffentzug, so Vavricka zu ARS MEDICI, scheine sogar bei Gesunden Anzeichen einer Darmentzündung auszulösen.
4 • CongressSelection Gastroenterologie • Juni 2016
ECCO
Exraucher mit höherem CU-Risiko
Ein Risikofaktor für die Entwicklung einer CED scheint, so merkwürdig das klingen mag, auch die Beendigung des Rauchens zu sein. So konnte in einer von Maude Grueber vom Inselspital Bern und Forschern aus Zürich, Lausanne und Paris vorgelegten retrospektiven Untersuchung, in der die Daten von 2361 CED-Patienten analysiert wurden, jetzt gezeigt werden, dass unter den CU-Betroffenen im Vergleich zu den MC-Patienten zum Diagnosezeitpunkt überdurchschnittlich viele Exraucher vertreten waren (4). Mit zunehmendem Lebensalter sei ein «dramatischer» Anstieg in dieser Population zu verzeichnen, der bei den 50- bis 60-Jährigen ihren Höhepunkt erreiche, so die Autoren. Ein indirekter Einfluss des Rauchstopps auf den Ausbruch von CU sei damit in Betracht zu ziehen.
Höhere Erwartungen bei Frauen und Westschweizern
Die Erwartungen hinsichtlich des Umgangs mit Medikamenten, mit Nebenwirkungen, mit dem Informationsfluss, der Koordination, dem Gesundheitssystem und der Patientenbetreuung sind bei CED-Betroffenen unterschiedlich. So fand Valerie Pittet vom CHUV in Lausanne mit Unterstützung aus Lausanne und Basel heraus, dass Frauen und Personen aus der Romandie grundsätzlich höhere Erwartungen an diese Faktoren haben als Männer und Patienten aus der Deutschschweiz (5). Insgesamt, so die Autoren, scheinen die Patienten allgemein eine aktivere Teilnahme am Krankheitsmanagement zu wünschen. Für die Studie wurde ein Fragebogen an rund 2300 CED-Patienten in der Schweiz verschickt. Immerhin 1094 Patienten haben ihn beantwortet. Die gleiche Studiengruppe ging zudem der Frage nach, inwiefern chronische Darmentzündungen bei den Betroffenen Ängste auslösen (6).Tatsächlich ist die Lebensqualität von CED-Patienten häufig stark eingeschränkt, viele fürchten um ihre Beziehungen oder bangen um ihren Job. So berichteten mehr als zwei Drittel der rund 1000 Teilnehmer von regelmässigen Ängsten rund um ihre Krankheit. Dabei waren der Verlust der Darmkontrolle, die Entwicklung eines Karzinoms, die Auswirkung von Stress auf die CED, eine Chronifizierung der Symptome, eine krankheitsbedingte Abgeschlagenheit und eine möglicherweise lebenslange Medikamenteneinnahme die am häufigsten genannten Ängste.
Treue steigt mit dem Alter – auch bei Medikamenten
Wie es um die Therapietreue in bestimmten Altersgruppen bestellt ist, wollten Pierre Michetti vom IBD-Zentrum Lausanne und Wissenschaftler aus Nancy, Toronto, Liège, London und München wissen (7). So zeigten unter den über 1000 CU und MC-Patienten die jüngeren Teilnehmer (< 35 Jahre) eine höhere Neigung, ihre Medikamente nicht ordnungsgemäss zu nehmen, als ältere (> 35 Jahre). Letztere glaubten stärker an die Wirksamkeit solcher Therapien. Diese stärkere Adhärenz, so die Studienautoren, dürfte bei älteren Menschen allgemein mit einer mangelnden Bereitschaft verbunden sein, ein gesundheitliches Risiko einzugehen.
das Risiko für Morbus Crohn. Jonas Zeitz vom Universitätsspital Zürich und Forscher aus Zürich, Lausanne und St. Gallen haben in der Schweizer CED-Kohorte nach Verbindungen zwischen bestimmten Genotypen und CED gesucht (8). Ergebnis: Von rund 2000 gescannten Patienten hatten 0,6 Prozent den AA-Genotyp des polymorphen PTPN22-Gens, 13,3 Prozent den heterozygoten GA-Typ und 86,1 Prozent die homozygote GG-Form. Bei Morbus Crohn war die Gegenwart des A-Allels (AA oder GA-Genotyp) mit signifikant weniger Steroid- und Antibiotikaeinsatz assoziiert. Auch das Risiko, einen Vitamin-D- oder Kalziummangel zu entwickeln, erwies sich bei diesen Patienten als niedriger. Bei Colitis ulcerosa war die Gegenwart dieser A-Allele mit geringerem Gebrauch von Azathioprin und TNF-Inhibitoren verbunden. Insgesamt, so die Autoren, besässen A-Allele nicht nur einen protektiven Effekt hinsichtlich des Ausbruchs der CED, sondern zeigten auch einen milderen Krankheitsverlauf. Bestimmten Genen ist man aber auch bei der Fistelbildung auf der Spur. So konnten Ramona S. Bruckner vom Universitätsspital Zürich und ihr dortiges Team zeigen, dass T-Zellen bei der Pathogenese von Fisteln bei MC-Patienten eine entscheidende Rolle spielen (9). So wird angenommen, dass solche Lymphozyten die Bildung bestimmter Effektor-Moleküle und Zytokine (IFN-Y und IL-17A) triggern, die von den Zürcher Forschern um die Fistelgänge nachgewiesen werden konnten.
Klaus Duffner
Erwartungshaltung:
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Referenzen: 1. Greuter T et al.: Anti-TNF treatment for extraintestinal manifestations of inflammatory bowel disease in the Swiss IBD Cohort Study. 2016; P400. 2. Fraga M et al.: Primary sclerosing cholangitis in the Swiss Inflammatory Bowel Disease Cohort: prevalence, risk factors, and long-term follow-up. 2016; P224. 3. Vavricka S et al.: Influence of hypoxia on healthy volunteers and patients with inflammatory bowel disease. 2016; P676. 4. Grueber M et al.: Is smoking cessation linked to new ulcerative colitis cases? – A retrospective cohort based hypothesis 2016; P688. 5. Pittet V et al.: Healthcare expectations of patients with inflammatory bowel disease: a survey amongst 1 089 participants in a European bilingual clinical cohort. 2016; P707. 6. Pittet V et al.: Worries of patients with inflammatory bowel disease: an indicator of well-being?—results of survey amongst 1096 participants in a European bilingual clinical cohort. 2016; P690. 7. Michetti P et al.: Effect of age on beliefs about and adherence to medications in patients with inflammatory bowel disease: results from the ALIGN study. 2016; P315. 8. Zeitz J et al.: The clinical relevance of the CD-associated SNP within the gene locus encoding protein tyrosine phosphatase non-receptor type 22 in patients of the Swiss IBD Cohort. 2016; P729. 9. Bruckner RS et al.: The role for T-cells in the pathogenesis of Crohn’s disease–associated fistulae. 2016; P076.
Quelle: Jahrestagung European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO), 16. bis 19. April 2016 in Amsterdam.
Weniger Medikamente bei bestimmten Genotypen
Bestimmte Polymorphismen innerhalb eines bestimmten Gens (PTPN22) sind mit einer ganzen Reihe von Autoimmunerkrankungen, wie etwa der rheumatoiden Arthritis oder systemischem Lupus erythematodes, verbunden. Diese Genveränderungen reduzieren jedoch gleichzeitig
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