Transkript
EAU INTERVIEW
Resistente Bakterien: Prostatabiopsien werden riskanter
Interview mit Prof. Arnulf Stenzl
Foto: Baumann/all4foto.de
Das Prostatakarzinom ist das mit grossem Abstand häufigste Malignom des Urogenitaltrakts und hatte folglich einen hohen Stellenwert im wissenschaftlichen Programm des EAU-Kongresses 2016. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden des Scientific Congress Committee, Prof. Arnulf Stenzl, dem ärztlichen Direktor der Tübinger Universitätsklinik für Urologie, über neue Entwicklungen in der Diagnostik dieses Tumors.
Arnulf Stenzl
Herr Professor Stenzl, was sind für Sie die wichtigsten Informationen beziehungsweise die wichtigsten Fragestellungen auf diesem Kongress? Prof. Arnulf Stenzl: Da gibt es natürlich eine breite Palette. Ein Thema mit sicherlich grosser Bedeutung für die gesamte Urologie ist das zunehmende Auftreten antibiotikaresistenter Bakterienstämme. Das trifft die Urologie in doppelter Hinsicht. Denn einerseits behandeln wir natürlich Patienten mit Infektionen der Harnwege, andererseits setzen wir durch Operationen und Biopsien im Urogenitalbereich unsere Patienten natürlich auch einem Infektionsrisiko aus. Wenn man sich auf die Antibiotika nicht mehr verlassen kann, bekommen wir eine gänzlich neue Situation.
Bedeutet das, dass die Risiken der transrektalen Biopsie steigen? Ja, wir haben auf diesem Kongress eine ganze Reihe von Arbeiten gesehen, die sich mit diesem Problem beschäftigen. Insbesondere die Resistenz gegen Chinolone greift immer mehr um sich. Das erreicht nun ein Ausmass, das uns zwingt, unsere Strategien zu überdenken.
Was heisst das praktisch? Wie kann man die Risiken der Biopsie unter diesen Bedingungen reduzieren? Wir können einmal die Technik der Biopsie ändern. Bei der perinealen Biopsie geht man nicht durch das Rektum und bringt damit keine Bakterien aus dem Darm in die Prostata ein. Das ist im Hinblick auf das Infektionsrisiko sicherer, jedoch ist die perineale Biopsie aber deutlich invasiver als die transrektale. Am besten wäre es natürlich, die Zahl der Prostatabiopsien zu reduzieren.
Wie könnte das gelingen – haben wir Alternativen? Noch nicht wirklich, der Trend geht allerdings deutlich in Richtung einer Aufwertung der Bildgebung – in Verbindung mit der klinischen Diagnostik. Derzeit kämpfen wir allerdings noch mit dem gegenteiligen Trend. Wir entschliessen uns immer öfter, Patienten zu beobachten statt sofort zu behandeln. Diese active surveillance hat Vorteile, bringt aber auch das Problem mit sich, dass in regelmässigem Abstand Biopsien zur Kontrolle notwendig werden. Das bedeutet, dass ein und derselbe Patient innerhalb weniger Jahre fünfoder sechsmal biopsiert wird. Da kann es allein durch die antibiotische Abschirmung im Rahmen der Untersuchungen zur Bildung von Resistenzen kommen. Am Ende kann es pas-
sieren, dass wir dem Patienten eine radikale Prostatektomie ersparen und ihm dafür eine iatrogene Sepsis antun.
Wenn wir nun mit Biopsien mehr Morbidität erzeugen, hat das Einfluss auf die Empfehlungen zum ProstataScreening? Damit müsste sich doch die Abwägung zwischen Nutzen und Risiko verschieben? Ja, absolut. Wir werden unsere Schemata überdenken müssen. Wenn wir durch unsere Massnahmen mehr Morbidität erzeugen, hat das ja vielfältige Konsequenzen – nicht zuletzt auch psychologische und finanzielle. Man kann annehmen, dass die Bildgebung in Zukunft wohl eine grössere Rolle spielen wird. Und wir sind natürlich auf der Suche nach neuen Biomarkern. Leider haben wir noch nichts Besseres gefunden als das PsA, mit dem wir ja nicht besonders glücklich sind. Das sind die grossen Herausforderungen für die Zukunft. Ich persönlich denke, dass wir uns in Zukunft weniger mit der Früherkennung aller Prostatakarzinome beschäftigen werden als mit der Identifikation der gefährlichen Tumoren mit schlechter Prognose. Aber wir haben dazu einfach noch zu wenig Daten. Bis das in die Leitlinien kommt, brauchen wir noch sehr viel mehr Wissen.
Sie haben die Bildgebung erwähnt – warum sind wir da nicht schon viel weiter? Wenn man sieht, was zum Beispiel MRT im Gehirn alles darstellen kann – warum geht das in einem relativ einfachen Organ wie der Prostata offenbar viel langsamer? Weil die Prostata aus Bildgebungssicht ein schwieriges, da sehr dichtes und homogenes Organ ist. Es ist schwierig, in dieser Umgebung Veränderungen ausreichend genau darzustellen.
Wie sieht es mit den neuen Biomarkern aus? Meiner Meinung nach ist die Tumor-DNS aus dem Serum der beste Kandidat. Die hätte den Vorteil, dass es sich dabei um einen direkten Tumormarker handelt. Aber es liegt da noch viel Forschungsarbeit vor uns. Wir müssen zunächst einmal wissen, nach welchen Mutationen wir suchen, und können dann entsprechende Immunoassays entwickeln. Wenn das funktioniert, würde ich schätzen, dass wir damit in fünf Jahren in der Klinik sein können. Der Aufwand wird hoch sein, aber ich denke, dass wir sehr viele sehr gute Gründe haben, in diese Entwicklung zu investieren.
Das Interview führte Reno Barth.
14 • CongressSelection Urologie • Mai 2016