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EAU
KONGRESSNOTIZEN
Rehabilitation für Testosteron
Huggins’ Dogma steht im Widerspruch zu aktuellen Studien
Seit der Arbeit von Huggins 1941 wissen Urologen weltweit, dass «Testosteron Futter für das Prostatakarzinom» ist. Allerdings basiert dieses Dogma auf den Beobachtungen an nur einem einzigen Patienten. Dr. Abraham Morgentaler aus Boston/USA hat in den Jahrzehnten seiner praktischen Arbeit ganz andere Erfahrungen gemacht und diese in Studien überprüft – das Ende eines Dogmas.
Als Dr. Abraham Morgentaler in den Achtzigerjahren seine Ausbildung zum Facharzt für Urologie machte, wurde Testosteron mit Blick auf seine vermeintliche Rolle bei der Entstehung und der Progression des Prostatakarzinoms als «Teufel» betrachtet. Generationen von Urologen haben diese Ansicht gelehrt bekommen, und niemand von ihnen hinterfragte dieses Dogma. «Doch alles, was wir je über Testosteron gelernt haben, ist schlicht falsch», so Morgentaler auf dem EAU16 in München.
Niedrige Testosteronwerte schützen nicht vor Prostatakrebs
Morgentaler begann erstmals an Huggins’ Dogma zu zweifeln, als er 1988 anfing, Männer mit Testosteron zu behandeln. Alle Männer waren gesund, bis auf die niedrigen Testosteronwerte. Nachdem sie die Injektionen erhalten hatten, berichteten alle Probanden über bessere Erektionsfähigkeit, Libido und Orgasmen. Ebenso hatten sie allgemein ein gutes Wohlbefinden und eine stabilere Stimmung. Zu dieser Zeit galt nicht nur, dass zu viel Testosteron Krebs fördert, sondern auch, dass zu wenig Testosteron vor Prostatakrebs schützt. In den frühen Neunzigerjahren begann Morgentaler schliesslich damit, vor der Testosterontherapie routinemässig die Prostata zu biopsieren, um einen Tumor auszuschliessen. Die Männer, die er damals untersuchte, hat-
ten niedrige Testosteronwerte und damit einhergehend PSAWerte < 4 ng/ml. Obgleich nach den geltenden Ansichten eigentlich unmöglich, diagnostizierte Morgentaler bei 11 von 77 dieser Männer ein Prostatakarzinom. «Die Krebsrate war vergleichbar mit Männern mit hohem PSA», so Morgentaler weiter. Eine Studie aus dem Jahr 2014 stützte diese Beobachtungen: Niedrige Testosteronwerte gingen einher mit Prostatakrebs in einem fortgeschritteneren Stadium, einem höheren Gleason-Score, einer höheren Rezidivrate nach Operation sowie letztlich mit einer schlechteren Überlebensrate (1). In den vergangenen 30 Jahren hat Morgentaler zahlreiche Versuchsreihen und Studien zu diesem Thema veröffentlicht. Nicht ohne Stolz fasst er seine Forschung zusammen: «Zum ersten Mal seit Huggins 1941 hat sich einmal jemand die Mühe gemacht, zu überprüfen, was Testosteron mit dem Prostatakarzinom anstellt. Mit dem Ergebnis, dass alles, was wir bis dato gelernt haben, falsch ist.» Marcus Mau Referenz: 1. Khera M et al.: A new era of testosterone and prostate cancer: from physiology to clinical implications. Eur Urol. 2014; 65(1): 115–123. Quelle: Plenary Session 1 «Evidence-based medicine vs. common practice» am EAU16-Kongress, 12. März 2016 in München. 12 • CongressSelection Urologie • Mai 2016