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Der alternde Patient in der urologischen Chirurgie
Optimale Versorgung ist interdisziplinär
Immer häufiger sehen Urologen ältere und oft multimorbide Patientinnen und Patienten – bei steigender Tendenz. Risikoabschätzung, Anästhesie sowie intraoperatives und postoperatives Management müssen sich diesen veränderten Bedingungen anpassen, aber nicht ohne interdisziplinäre Expertenteams.
Kooperation und interdisziplinäres Patientenmanagement sind in der Urologie nicht neu. Jedoch ist mit den vielen neuen Therapiemöglichkeiten, zum Beispiel in der Tumormedizin, aber vor allem auch mit dem zunehmenden Älterwerden der Bevölkerung, eine absolute Notwendigkeit entstanden, mit anderen Fachrichtungen und Spezialisten anderer Gesundheitsberufe noch enger zusammenzuarbeiten. Kaum ein Urologe wird beispielsweise eigenständig Radium-223 bei Patienten mit metastasiertem fortgeschrit-
ABWÄGUNGEN IM PERIOPERATIVEN MANAGEMENT
Risiken: Alter, Stents, künstliche Klappen, venöse Thromboembolien, Vorhofflimmern, Gerinnungsstörungen, OP-Dauer und -Lokalisation
Thrombose G venös:
– tödlich in 5–15% – i.d.R. reversibel G arteriell: – tödlich in 20–40% – in 50%
persistierende Symptome
Blutung G schwere Blutungen
bei bis zu 15% G selten tödlich G i.d.R. keine
persistierenden Symptome
Abbildung: Abwägung zwischen Thrombose- und Blutungsrisiko im perioperativen Management: Was wiegt schwerer? (Quelle: modifiziert nach Vortrag von Prof. Daniel Eberli, Zürich)
Take Home Messa es
® Bei Patienten, die nicht zur Gruppe der Hochrisikopatienten zählen, kann eine An-
tikoagulation mit ASS meist gefahrlos für die Zeit des Eingriffes unterbrochen werden (1).
Cave: Patienten mit koronarem Stent (< 12 Monate) haben ein erhöhtes Thromboserisiko!
® Bridging nur bei Hochrisikopatienten durchführen. In anderen Patienten erhöht es
lediglich die Blutungsrate und verhindert nicht mehr Thrombose-Ereignisse (2).
tenem Prostatakarzinom einsetzen dürfen; er greift dabei auf den Rat und die Expertise der Radiologen zurück.
Thrombose versus Blutung
Ist ein Patient noch vergleichsweise jung, gesundheitlich stabil und zudem wenig vorbelastet, fällt die Entscheidung auch für schwerwiegende operative Eingriffe relativ leicht. Doch was, wenn der Patient mit bevorstehender Zystektomie bereits über 75 ist und zudem an Diabetes mellitus, metabolischem Syndrom und/oder koronarer Herzkrankheit leidet? Wie würden Sie entscheiden? Die bittere Wahrheit: Die Operationsrate nimmt oberhalb des 70. Lebensjahres ganz rapide ab. Und das, obwohl die Patienten zu diesem Zeitpunkt durchaus noch eine statistische Lebenserwartung von etwa 10 Jahren haben. Eines der Hauptkriterien für oder wider einen operativen Eingriff beim alternden Patienten ist die Risikoabwägung für Thrombose versus Blutungen (Abbildung). Viele dieser Patienten müssen zum Beispiel seitens ihres Kardiologen bereits dauerhaft antikoagulativ behandelt werden. Zudem stellen urologische Operationen an Prostata, Harnblase oder bei Tumoren ein erhebliches Blutungsrisiko dar. Was also tun? Antikoagulans absetzen oder weiterführen? Auf dem EAU16 in München bot sich die einmalige Gelegenheit, einen Urologen, einen Kardiologen sowie einen Anästhesisten zu diesem Thema zu hören: Wann ist die beste Zeit, die Antikoagulation vor einem urologischen Eingriff aufzuheben?
Bridging nur bei Hochrisikopatienten indiziert
Kardiovaskuläre Komorbiditäten machen eine Antikoagulation nötig. Doch das persönliche Risiko für Thrombosen oder Blutungen während operativer Eingriffe ist nicht immer leicht einzuschätzen. «Aus Sicht des Kardiologen besteht bei den meisten Patienten keine grössere Neigung zu Thrombosen oder Schlaganfällen, wenn die Antikoagulation für Operationen kurzzeitig abgesetzt wird. Das Risiko, unter fortgesetzter Antikoagulation Blutungen zu erleiden, ist dahingegen vergleichsweise grösser», so Dr. Anna Platek aus Warschau. Die einzige Indikation, die aus ihrer Sicht einer mehr als 12-monatigen antikoagulativen Therapie bedarf, ist das Setzen eines koronaren Stents. In dieser Zeit sollten Operationen möglichst verschoben werden. Ist dies unmöglich, ist das Bridging («Überbrücken») mit einem alternativen Antikoagulans, wie beispielsweise Heparin, in Betracht zu zie-
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hen. Denn Patienten mit koronaren Stents haben innerhalb der ersten 12 Monate ein deutlich höheres Risiko für StentThrombosen und kardiovaskuläre Komplikationen. Neben den Stent-Patienten gehören unter anderem noch solche mit kardiovaskulären Ereignissen innerhalb der letzten 3 Monate, mit künstlichen Herzklappen oder mit rezidivierenden Thromben unter Antikoagulationstherapie zu den Hochrisikopatienten. All diese sollten nach Meinung der drei Experten aus Kardiologie, Anästhesie und Urologie eine BridgingTherapie bekommen, um das deutlich höhere Thromboserisiko für diese Patienten zu verringern. Alle anderen Patienten, die zumeist mit Acetylsalicylsäure (ASS) antikoaguliert werden, können gefahrlos etwa 7 bis 10 Tage vor dem Eingriff die Antikoagluation unterbrechen. Im Zweifel könnte die Antikoagulation, wie bisher auch, fortgeführt werden, jedoch lässt sich durch den Verzicht auf ASS die Blutungsrate reduzieren, was für die nachfolgende Mobilisation der Patienten natürlich Vorteile bringt.
Herausforderungen beschränken sich nicht allein auf die Operation
Doch nicht nur für die Planung operativer Eingriffe sind Alter und Komorbiditäten zunehmend von Bedeutung. Dr. Timothy S. O’Brien, Urologe vom King’s College in London, berichtete ganz aktuell über seine Erfahrungen in der Zusammenarbeit im interdisziplinären Team aus Ärzten, Pflegepersonal und Geriatern. «Etwa 30 Prozent der Patienten mit Blasenkrebs sind über 80 Jahre, 60 Prozent über 70 Jahre alt. Haben Sie als Chirurg das Gefühl, die komplexen Probleme dieser Altersgruppe adäquat managen zu können? Ich denke, ich habe dieses Gespür nicht, und ich vermute, Sie haben es ebenso wenig», so O’Brien einleitend zu den Schwierigkeiten der alternden Patientenschaft in der urologischen Klinik. Doch was sind eigentlich die Probleme mit älteren Patientinnen und Patienten? Weshalb lohnt es sich für den Urologen immer mehr, auch auf die Expertise von Gerontologen und anderen Fachärzten zurückzugreifen? Das Problem, dem sich ältere Menschen und ihre behandelnden Ärzte vor einem geplanten Eingriff gegenübersehen, hat im Wesentlichen zwei Seiten. Zum einen sind ältere Patienten generell nicht mehr so robust und verkraften schwere Operationen sehr viel schlechter als jüngere. Zum anderen aber leiden sie in unterschiedlicher Ausprägung an Komorbiditäten. Alles zusammengenommen gipfelt in den sichtbaren Alterserscheinungen, dem sogenannten Altersgebrechen, welches beispielsweise in Form von vermehrter Sturzneigung, Demenz, Inkontinenz oder Delirium sichtbar wird. Diese Altersgebrechlichkeit wiederum nährt die Risiken für weitere Komorbiditäten und Alterserscheinungen. «Es entsteht ein Teufelskreis, der in hohem Mass Einfluss auf das Ergebnis urologischer Operationen nimmt. Dies kann schliesslich den Verlust der Selbstständigkeit bis hin zum Tod bedeuten», führte O’Brien weiter aus. «Dabei steigt das Sterblichkeitsrisiko mit der Zahl der gleichzeitig bestehenden Komorbiditäten signifikant an. Multimorbide Patienten sind schlichtweg nicht fit für die Operation.»
Wenn die Eignung zur OP bei älteren Patienten in erster Linie von deren Fitness/Komorbiditäten abhängt, ist es da nicht augenscheinlich, die Fitness vor geplanten Eingriffen nach Möglichkeit zu verbessern? Hier kommen die interdisziplinären Teams aus Urologen, Geriatern, Physiotherapeuten und Pflegekräften ins Spiel. «Noch immer gibt es eine bis zu 30-prozentige Wiedereinlieferungsrate innerhalb von 30 Tagen nach erfolgter Operation. Das zeigt deutlich, dass das Management älterer Patienten nicht mit der Operation endet. Besonders wichtig ist neben der Vorbereitung des Eingriffes auch die Nachbetreuung des Patienten, um solch hohe Wiedervorstellungsraten zu minimieren», so O’Brien weiter. Ein neuartiges Patientenmanagement für ältere Menschen könnte deshalb wie folgt aussehen: • Feststellen der Risikofaktoren und Ermitteln des gegen-
wärtigen Fitnesszustandes; • Verbessern der Fitness (durch Sport, Ernährung, Behand-
lung der Komorbiditäten etc.) für die anstehende Operation, soweit möglich; • Entscheidung für oder gegen die Operation als gemeinsame Aufgabe für den Urologen, Geriater, Physiotherapeuten, Pflegenden und nicht zuletzt auch den Patienten selbst; • proaktives Risikomanagement und Pflege für den älteren Menschen vor, während und nach dem Aufenthalt im Spital sind essenziell.
Marcus Mau
Referenzen: 1. Devereaux PJ et al.: Aspirin in Patients Undergoing Noncardiac Surgery. N Engl J Med 2014; 370: 1494–1503. 2. Rose AJ et al.: A Call to Reduce the Use of Bridging Anticoagulation. Circ Cardiovasc Qual Outcomes 2016; 9(1): 64–67.
Quelle: Plenary Session 3 «Aging and the lower urinary tact» u. Plenary Session 4 «Making cystectomy safe for the frail patient» am EAU16-Kongress, 14./15. März 2016 in München.
Take Home Messa es
® Urologische Patienten werden immer älter. Mit dem Alter steigt die Anzahl der Ko-
morbiditäten als Hauptrisikofaktor für schlechtes Outcome und erhöhte Mortalität nach Operationen.
® Der ältere Patient muss vor dem Hintergrund der Gesamtheit seiner Risikofaktoren
und Komorbiditäten betrachtet werden. Zum Risiko-Assessment sollten immer interdisziplinäre Teams aus Urologen, Geriatern, Kardiologen, Anästhesisten und so weiter gemeinsam mit dem jeweiligen Patienten einen individuellen Plan ausarbeiten.
® Ob sich durch dieses neuartige Patientenmanagement tatsächlich die Mortalität
durch Eingriffe bei älteren Patienten senken lässt, muss durch geeignete Studien bewiesen werden. Die geringere Komplikationsrate bei Einzelmassnahmen, zum Beispiel durch die fortgeführte Antikoagulation bei Hochrisikopatienten, lässt sich aber bereits statistisch sichern.
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